S 12 KA 359/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 359/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 22/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 11 Abs. 2 der zwischen der KBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen nach § 106a Abs. 2 SGB V (Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigung) sowie nach § 106a Abs. 3 SGB V (Abrechnungsprüfung der Krankenkassen) (Deutsches Ärzteblatt 2008, A 1925) gibt verbindlich vor, dass bei einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung im Ergebnis ein Anteil von 20 % - bzw. bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % - gemeinsamer Patienten anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die einen höheren Anteil rechtfertigen. Soll eine darüber hinausgehende Kürzung vorgenommen werden, ist dies im Einzelnen zu begründen und reichen bei Ausübung des Kürzungsermessens allgemeine pauschalierende Erwägungen nicht mehr aus (Fortführung von SG Marburg, Urt. v. 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - juris Rdnr. 59, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 33/13 -).
Bemerkung
verb. mit S 12 KA 360/12
I. Zum Az.: S 12 KA 359/12:
1. Der Bescheid vom 23.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2012 wird bzgl. der Quartale III/06 bis I/07 aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger hat 1/3, die Beklagte hat 2/3 der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

II. Zum Az.: S 12 KA 360/12:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Honorarrückforderung in Höhe von 17.035,65 EUR gegenüber dem Kläger zu 1) bzw. 14.776,57 EUR gegenüber der Klägerin zu 2) aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der vier Quartale II/06 bis I/07 und hierbei insbesondere eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft beider Kläger mit einem Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 20,8 % und 33,1 % bzw. 31,2 % und 42,3 %.

Der Kläger zu 1) ist seit Oktober 1982 und die Klägerin zu 2) seit Januar 1987 als Arzt/Facharzt bzw. Ärztin/Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt. zugelassen. Sie führen seit 1987 und im streitbefangenen Zeitraum eine Praxisgemeinschaft. Seit dem 01.10.2010 führen sie eine Gemeinschaftspraxis.

In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Kläger jeweils durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht:

Für den Kläger zu 1):

Quartal II/06 III/06 IV/06 I/07
Honorarbescheid vom 04.02.2007 17.03.2007 18.04.2007 08.03.2008
Versanddatum 19.03.2007 02.05.2007 11.06.2007 28.08.2007
Nettohonorar gesamt in EUR 42.940,09 40.169,88 50.013,69 45.460,60
Bruttohonorar PK + EK in EUR (bis 2001 in DM) 42.606,86 39.725,91 49.506,91 44.896,61
Fallzahl PK + EK 925 914 934 959
Fallzahl gesamt 944 938 958 981
Fallzahlbegrenzungsmaßnahme nach Ziff. 5.2.1 HVV Quote in % - - - 98,90
Regelleistungsvolumen 645.252,6 649.998,5 652.631,0 646.591,0
Überschreitung in Punkten 72.717,7 91.291,5 199.964,0 229.574.0
Ziff. 7.5
Auffüll-/Kürzungsbetrag pro Fall in EUR - - 2,1043 - 0,7496 -

Für die Klägerin zu 2):

Quartal II/06 III/06 IV/06 I/07
Honorarbescheid vom 04.02.2007 17.03.2007 18.04.2007 08.03.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 30.688,74 24.887,47 29.192,27 28.119,04
Bruttohonorar PK + EK in EUR (bis 2001 in DM) 31.175,07 25.403,74 29.480,22 29.343,51
Fallzahl PK + EK 731 621 677 725
Fallzahl gesamt 737 626 686 733
Fallzahlbegrenzungsmaßnahme nach Ziff. 5.2.1 HVV Quote in % - - - -
Regelleistungsvolumen 429.951,0 353.805,0 387.785,6 424.59,5
Überschreitung in Punkten 0 54.125,0 100.594,4 130.515,5
Ziff. 7.5
Auffüll-/Kürzungsbetrag pro Fall in EUR + 3,2300 - 0,0420 - 0,5316 -

Die Beklagte forderte die Kläger jeweils unter Datum vom 04.03.2010 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale II/05 bis I/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung zusammen mit der Honorarabrechnung der Klägerin zu 2) bzw. des Klägers zu 1) einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Die Kläger äußerten sich zur Einleitung des Verfahrens nicht. Nach Mitteilung der Kläger, sie hätten das Schreiben nicht erhalten, übersandte die Beklagte die Schreiben am 04.08.2010 (nach Erlass der Ausgangsbescheide) erneut per Telefax.

Die Beklagte setzte jeweils mit Bescheid vom 23.07.2010 die strittigen Honorarrückforderungen fest. Gegenüber dem Kläger zu 1) ergab sich die strittige Honorarrückforderung i. H. v. insgesamt 17.035,65 EUR netto vor Verwaltungskosten, gegenüber der Klägerin zu 2) i. H. v. 14.776,57 EUR netto. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:

Kläger zu 1) Klägerin zu 2)
Quartal Honorar Honorar
II/06 4.967,22 EUR 4.547,10 EUR
III/06 2.922,81EUR 2.713,37 EUR
IV/06 4.312,25 EUR 3.514,99 EUR
I/07 4.833,37 EUR 4.001,11 EUR

Für die übrigen Quartale II/05 bis I/06 ergingen beratende Hinweise. Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft (Berufsausübungsgemeinschaft) verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die Praxen der Kläger zu 1) folgende Werte ergeben:

Quartal Fallzahl Kl. zu 1) Fallzahl Kl. zu 2) Gemeinsame Patienten Anteil in Prozent Kl. zu 1) Anteil in Prozent Kl. zu 2)
II/05 970 619 156 16,1 25,2
III/05 946 591 78 8,3 13,2
IV/05 926 672 144 15,6 21,4
I/06 945 608 159 16,8 26,2
3787 2490 537

II/06 944 737 312 33,1 42,3
III/06 938 626 195 20,8 31,2
IV/06 958 686 236 24,6 34,4
I/07 981 733 298 30,4 40,7
3821 2782 1041

Die nach außen gewählte Rechtsform einer Praxisgemeinschaft müsse auch im Praxisalltag transparent realisiert werden; andernfalls liege ein Gestaltungsmissbrauch vor. Bei einer derart hohen Praxisidentität müsse das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation voraussetze. Eine Vertretung sei nur zulässig, wenn der vertretene Vertragsarzt sich im Urlaub befinde, erkrankt sei oder an einer Fortbildung oder Wehrübung teilnehme. Eine Vertretung liege nur dann vor, wenn der Arzt zumindest einen Tag abwesend sei, so dass die Praxis insgesamt geschlossen bleibe. Von indizieller Bedeutung sei insoweit bereits die ungewöhnlich große und ansteigende Zahl von Vertreterfällen in der Praxis, die nicht annähernd erklärt werden könne. Deshalb sei davon auszugehen, dass der Großteil der Vertreterscheine auf nur stundenweise Abwesenheiten entfalle, die ihre Ursache in der Durchführung von Hausbesuchen, kurzzeitiger Fortbildung, unterschiedlichen Sprechzeiten, "dringenden sonstigen Gründen" oder darin hätten, dass der erstbehandelnde Arzt "schon außer Haus" gewesen sei. Dies zeige sich an diversen Behandlungsfällen, die mit dem Vertreterschein abgerechnet worden seien, deren Diagnose jedoch nicht auf eine akute Notwendigkeit schließen lasse. An diesen Behandlungstagen hätten der Kläger zu 1) 16:57 Stunden bzw. die Klägerin zu 2) 11:32 Stunden zeitrelevante Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. Teilweise finde sich das gleiche Einlesedatum der Versichertenkarte auf den Abrechnungsbelegen. Hierzu werden in dem Bescheid 19 Behandlungsfälle mit dem Behandlungsdatum aufgeführt. Weiter heißt es in dem Bescheid, in diesen Fällen wäre der andere Partner der Praxisgemeinschaft verpflichtet gewesen, die Patienten auf die Rückkehr des erstbehandelnden Arztes (ggf. auch erst am nächsten Werktag) zu verweisen. Die ärztliche Kooperation sei zwischen den Klägern über den üblichen Betrieb einer Praxisgemeinschaft als reine Organisationsgemeinschaft zur Kostenminimierung hinausgegangen. Dies habe zu einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen und damit verbundenen zu einer erheblichen Steigerung des Honorars geführt, ohne dass dies durch die Morbidität der Klientel begründet werden könnte. Bezüglich dieser erhöhten Anzahl an identischen Patienten seien doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung dahingehend berücksichtigt worden, dass bei der Berechnung der Honorarkorrektur im Einklang mit der gängigen Sozialgerichtsrechtsprechung 30 % der gemeinsamen Patienten als plausibel eingestuft und daher bei der Korrekturberechnung zu ihren Gunsten berücksichtigt worden sei. Eine so regelhafte gegenseitige Vertretung entspreche der typischen Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis. Der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen liege hessenweit bei unter 10 %. Es bestehe auch eine Präsenzpflicht, wonach der Arzt innerhalb der angegebenen Sprechstundenzeiten verpflichtet sei, seinen Patienten regelmäßig persönlich zur Verfügung zu stehen. Durch die regelmäßigen gegenseitigen Vertretungen werde den Patienten der Eindruck einer Gemeinschaftspraxis vermittelt. Darin sei ein Missbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft zu sehen. Sie habe eine Schätzung der Höhe der zu viel erhaltenen Leistungen vorgenommen. Die quartalsbezogen abgegebene Abrechnungssammelerklärung über die ordnungsgemäße und vollständige Erbringung der abgerechneten EBM-Leistungen sei aus den genannten Gründen unrichtig und habe die Rechtswidrigkeit der auf ihr beruhenden Honorarbescheide zur Folge. Die Berichtigung der Honorarabrechnungen habe sie auf der Basis einer stichprobenartigen Überprüfung der gemeinsam abgerechneten Behandlungsfälle vorgenommen und in Form einer Hochrechnung auf den Gesamtkorrekturbedarf geschlossen. Hierbei würden grundsätzlich zunächst die Anzahl der bei der Prüfung festgestellten gemeinsamen Behandlungsfälle um die aufgrund ihrer Urlaubs- und Krankheitsmeldungen zulässigen gemeinsamen Behandlungsfälle reduziert. Im Fachgruppendurchschnitt sei eine gegenseitige Vertretung in einer Größenordnung von unter 10 % der Gesamtfallzahl evident. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem Nettofalldurchschnittswert aus allen Behandlungsfällen der Praxis, multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle. Für die Berechnung im Einzelnen verweise sie auf die beigefügte Anlage.

Hiergegen legten die Kläger am 10.08.2010 Widerspruch ein. Sie trugen vor, sie seien vor einer Entscheidung nicht angehört worden. Sie versicherten, das Schreiben vom 04.03.2010 nicht erhalten zu haben. Sie erreichten nicht die Vorgabe von 20 % gemeinsamer Patienten. Von der Gesamtfallzahl beider Praxen betrage der Satz identischer Patienten 14,87 %, 12,46 %, 14,35 % bzw. 17,38 % in den Quartalen II/06 bis I/07. Eine weitere Überprüfung sei deshalb nach den Vorgaben nicht vorgesehen. Sie hätten vor Jahren ein Beratungsgespräch bei der Wirtschaftlichkeitsberatung der Beklagten gehabt. Sie hätten sich für das Weiterführen ihrer Praxisgemeinschaft entschieden, weil ihnen gesagt worden sei, dass bis zu 20 % Patientenidentität kein Problem darstelle. Alle Patienten seien jeweils einer Praxis zugeordnet. Überweisungsfälle (kleine Zahl) würden als Überweisungsfälle ausgewiesen werden. Alle Vertretungsfälle seien als solche gekennzeichnet. Eine besondere Kennzeichnung der Notfälle sei nicht vorgenommen worden. Sie führten eine Bestellpraxis. Termine würden immer bei dem den Patienten führenden Hausarzt vergeben werden. Vertretungsfälle seien bei Abwesenheit des anderen Praxisinhabers in folgenden Fällen entstanden: ungeplante Vorstellung des Patienten in der Praxis aus medizinischem Grund, bei telefonischen Anfragen in dringenden Fällen (ohne Ordinationsgebühr), gelegentlich auch bei völliger zeitlicher Überlastung eines Praxisinhabers und doch bestehender Behandlungsbedürftigkeit der Patienten am selben Tag, nachdem die Patienten hätten abgewiesen werden müssen und sie dann die Behandlung durch den anderen Praxisinhaber gewünscht hätten. Andernfalls hätten sie zu einem anderen Arzt oder zum ärztlichen Notdienst gehen müssen. Das Wegschicken der Patienten stelle sich im Praxisalltag als äußerst problematisch dar. Das Hilfspersonal dürfe die Patienten nicht abweisen. Wenn es sich um einen Notfall handele, könne erst nach der Konsultation durch den Arzt entschieden werden, da sei aber bereits ein Behandlungsfall eingetreten. Die Diagnose allein sei kein geeignetes Kriterium für die Dringlichkeit der Behandlung. Sprechstundenzeiten würden in der Praxisgemeinschaft von beiden Ärzten weit über das vorgeschriebene Maß hinaus und auch zeitversetzt angeboten werden. Es könne auch vorkommen, dass ein Patient am selben Tag bei beiden Ärzten behandelt werde, z. B. bei Befundverschlechterungen oder bei Rückfragen des Patienten, weil der andere Arzt nicht mehr erreichbar sei. Es komme tatsächlich vor, dass die Versichertenkarte am selben Tag in beiden Praxen eingespielt werde, entweder, weil der Patient sie verspätet vorlege oder weil im Vertretungsfall bereits auf die Weiterbehandlung durch den Hausarzt hingewiesen werde und ein Termin vereinbart werde. Der Kläger zu 1) sei jeden Mittwoch in einem Pflegeheim tätig und führe Hausbesuche durch. Es handele sich um Zeiten, in denen er in seiner Praxis nicht tätig sein könne. Darauf würden die Patienten hingewiesen werden. Dennoch kämen trotzdem stets einige Patienten. Der von der Beklagten ermittelte Anstieg der in beiden Praxen behandelten Patienten sei ihnen nicht bewusst gewesen und sei auch mit ihrer Praxissoftware nicht errechenbar. Sie könnten sich diesen Anstieg nicht erklären, denn ihr Verhalten sei seit 1993 unverändert. Von dem Kläger zu 1) werde mehr Honorar zurückgefordert, als er an Vertretungsfällen überhaupt abgerechnet habe. Er habe in den Quartalen II/06 bis I/07 129, 32, 47 und 80 Vertretungsfälle abgerechnet. Mit Ausnahme des Quartals II/06 seien mehr Vertretungsfälle abgezogen worden, als er abgerechnet habe. Für das Quartal II/06 seien lediglich 20 Vertretungsfälle anerkannt worden. Bei einem Teil der Vertretungsfälle handele es sich um die Behandlung von Kindern, die in der Regel nur wegen akuter Erkrankung vorstellig würden. Die Vertretungsfälle des Klägers zu 1) bewegten sich im statistischen Soll. Die Vertretungsfälle der Klägerin zu 2) beinhalteten vor allem Vertretungsfälle während der Abwesenheit des Klägers zu 1) wegen Hausbesuchen und Visiten im Pflegeheim. Im aktuellen Quartal III/10 seien für Vertretungsfälle bei Abwesenheit von 3 Tagen des Klägers zu 1) bereits ca. 25 Vertretungsfälle für die Klägerin zu 2) angefallen. Das Quartal hochgerechnet bedeute dies ca. 200 Fälle. Die Honorarrückforderung sei deutlich zu hoch. Die Kürzung gehe weit über die Aufgreifkriterien der Beklagten hinaus. Sie hätten sich jetzt für die Änderung in eine Gemeinschaftspraxis entschieden, da sie keine Möglichkeit sähen, in der Kooperationsform einer Praxisgemeinschaft, frei von Regressandrohungen, weiterarbeiten zu können. Honorarkorrekturen mit vierjähriger Verspätung seien reichlich spät, um betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und könnten unter steuerlichen Aspekten ruinös sein.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheiden vom 27.06.2012, den Klägern am 28.06.2012 zugestellt, die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Feststellungen im Ausgangsbescheid hätten sich im Widerspruchsverfahren bestätigt. Ein Berechnungswechsel zum Feststellen der Überschreitung der Grenzwerte sei nicht vorgenommen worden. Die Anzahl der vorgenommenen Überweisungen für Leistungen, für die die Klägerin zu 2) keine Genehmigung besitze, sei bereits im Ausgangsbescheid als plausibel eingestuft worden. In dem als generell plausibel zu bewertenden Anteil von 20 % identischer Patienten seien solche notwendigen Überweisungen bereits enthalten. Die Zahl der Überweisungsscheine sei also nicht der Grund für die Implausibilität, weil diese nur einen prozentual geringen Anteil der Doppelfälle und der Gesamtfälle ausmachten. Eine detaillierte Überprüfung der Abrechnungsdaten zeige, dass die Vertretung trotz Sprechstunde des anderen Partners den Großteil der Vertretungsfälle ausmache. Es handele sich keinesfalls um Tage, an denen der Partner krank gewesen sei oder Urlaub gehabt habe und damit die Praxis ganztätig hätte geschlossen sein müssen. Bezüglich des Klägers zu 1) führte sie ergänzend aus, die Vertretungen seien auch dann vorgenommen worden, wenn er nur eingeschränkt am Mittwoch Sprechstunde halte. Beispielhaft verwies sie auf zwei Behandlungsfälle am 05.04.2006 und jeweils einen weiteren Behandlungsfall am 12.04.2006 und 21.06.2006. Die Abrechnungsdaten belegten, dass es üblich gewesen sei, Patienten des anderen Praxisgemeinschaftspartners auch dann zu behandeln, wenn dieser gerade ein besonders hohes Patientenaufkommen gehabt habe oder nur stundenweise abwesend gewesen sei. Die Klägerin zu 2) sei an allen Kalendertagen im Quartal III/06, an denen der Kläger zu 1) Patienten von ihr vertretungshalber behandelt habe, selbst für mehrere Stunden in der Praxis tätig gewesen. Zwar lägen die Vertretungen der Klägerin zu 2) für den Kläger zu 1) etwa bei 1/3 der Fälle an einem Mittwoch, der Hinweis, dass die Patienten trotz der Abwesenheit des Klägers zu 1) eine Behandlung wünschten, deute darauf hin, dass den Patienten die Unterschiede zwischen einer Praxisgemeinschaft und einer Berufsausübungsgemeinschaft nicht deutlich erklärt worden sei. Die Kläger hätten für den Prüfzeitraum nur einstündige offizielle Sprechstunden je Kalendertag gegenüber der Beklagten gemeldet. Auch in Fällen einer Abwesenheit für einen halben Tag handele es sich nicht – abgesehen von Notfällen – um zulässige Vertretungen. Die Praxisorganisation habe eher einer Berufsausübungsgemeinschaft entsprochen. Es sei auch nicht glaubhaft, dass in jedem Quartal zwischen 195 und 312 Patienten einen wichtigen Grund gehabt hätten, den Hausarzt zu wechseln oder Notfälle gewesen seien. Die Beklagte führte vier bzw. fünf Beispielsfälle für die Mitbehandlung von Patienten durch den Praxispartner am selben Tag auf. Ein Indiz für die fehlende Trennung der Praxen sei, dass die Patientenkartei nicht getrennt geführt worden seien. Bei mehreren Scheinen seien die Krankenversichertenkarten am selben Tag in den Praxen eingelesen worden, ohne dass der Patient an diesem Tag beide Praxen aufgesucht habe. Es werden jeweils sechs Behandlungsfälle aufgeführt. Es fänden sich auch zahlreiche Behandlungsfälle, in denen die Versichertenkarte am selben Tag in beiden Praxen eingelesen worden sei, die Behandlung durch den vertretenden Arzt jedoch bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sei. Für die vertretenen doppelten Patienten seien ausnahmslos Notfallscheine (Scheinart 42) oder Überweisungsscheine ausgestellt worden. Dies sei aber nur zulässig, wenn es sich um Notfälle handele. Eine besondere Kennzeichnung von Notfällen sei nicht vorgenommen worden. Die Dringlichkeit der Behandlung aufgrund der Art der Erkrankung könne in diesen Fällen nur sehr eingeschränkt überprüft werden. Mangels Hinweisen auf den Behandlungsscheinen über die akut aufgetretene Krankheit gehe es in diesen Fällen zu den Lasten der Kläger, dass eine Notfallsituation und damit eine ggf. zulässige Vertretung nicht zu erkennen sei. Es fänden sich auch Patienten, für die in beiden Praxen Vertretungsscheine (SUG 42) angelegt worden seien. In den noch streitbefangenen Quartalen befänden sich bei dem Kläger zu 1) 3, 4, 5 bzw. 7 Fälle und bei der Klägerin zu 2) 11, 7, 10 bzw. 8 Fälle, in denen Überweisungen vorgenommen worden seien. Soweit die Klägerin zu 2) Überweisungen zur Sonographie vorgenommen habe, sei dies plausibel. Die Überweisungen des Klägers zu 1) seien allerdings erforderlich gewesen. Dies gelte auch für einen Teil der Überweisungen der Klägerin zu 2). Im Ausgangsbescheid sei ein Sicherheitsabschlag von 30 % der gemeinsam behandelten Fälle zu Grunde gelegt worden, das heißt, dass von den doppelten Fällen 30 % wiederum als plausibel behandelt worden seien. Ferner werde die darüber hinaus verbliebene Anzahl der Fälle hälftig (50 %) auf die Praxisgemeinschaftspartner aufgeteilt, was wiederum eine Begünstigung darstelle. Hintergrund sei, dass Fälle wie doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung damit abgegolten seien. Die Berechnung gehe dabei von der Gesamtzahl an Doppelfällen pro Praxis aus, nicht allein von den Vertretungsfällen der Scheingruppe 42. Die berechtigten Doppelfälle seien in einem geringeren Umfang als die tatsächlich abgerechneten Doppelfälle angefallen. Da andererseits gleichzeitig Abrechnungsverstöße in jedem Quartal nachgewiesen seien, seien die Abrechnungen implausibel. Die Kläger hätten grob fahrlässig u. a. die Versichertenkarten doppelt eingelesen und Überweisungen innerhalb derselben Fachgruppe vorgenommen. Damit entfalle die Garantiewirkung der Abrechnungssammelerklärung. Die Kläger hätten durch die missbräuchliche Nutzung der Praxisgemeinschaft Honorarvorteile erlangt. Die erhöhte Fallzahl der Praxis führe zu Vorteilen bei Budgetierungsregelungen, die den Budgetrahmen anhand der Zahl der Behandlungsfälle berechneten. Hierzu gehörten beispielsweise das Regelleistungsvolumen, Laborkostenbudget und Wirtschaftlichkeitsbonus.

Hiergegen haben die Kläger am 30.07.2012, einem Montag, die Klage erhoben. Sie verweisen auf ihr Widerspruchsvorbringen und tragen ergänzend vor, es sei in der Vergangenheit aufgrund falscher Beratung durch die Beklagte zu Vertretungsfällen gekommen. Am 11.02.2004 hätten sie ein Beratungsgespräch mit einem Berater der Beklagten geführt. Inhalt des Gespräches sei die Fragestellung gewesen, ob man weiter als Praxisgemeinschaft arbeiten soll oder die Praxis in eine Gemeinschaftspraxis geändert werden müsse. Ihnen sei die Auskunft erteilt worden, eine Anzahl von Vertretungsfällen bis zu 20 % sei plausibel und nicht zu beanstanden. Von einer Beschränkung der Vertretungsfälle auf ganztägige Urlaubsvertretungen und ganztägige Praxisschließung wegen Erkrankung sei nie die Rede gewesen. Die Landesärztekammer habe auf Anfrage mitgeteilt, dass ein Vertragsarzt aufgrund seiner Zulassung berechtigt und verpflichtet sei, Kassenpatienten im Rahmen des Sicherstellungsauftrages zu behandeln. Der Vertragsarzt dürfe deren Behandlung nur in begründeten Fällen ablehnen, da er sich sonst einer Verletzung seiner Pflicht als Vertragsarzt schuldig mache. Gegen die nunmehr geäußerte Vorstellung der Beklagten spreche auch die Praxisrealität wie sie üblicherweise gelebt werde. Lange Zeit sei auch unklar gewesen, wann von einem Vertretungsfall auszugehen sei. Der Kläger zu 1) habe die Abrechnungsgenehmigung für Ultraschall-Untersuchungen, er übe eine fliegerärztliche Untersuchungsstelle aus und betreue ein Pflegeheim, die Klägerin zu 2) habe die Abrechnungsgenehmigung für den Bereich Kinderheilkunde, Homöopathie und Allergologie. Ihr fehlten die Unterlagen, die von der Beklagten erstellt werden müssten, um weiter zu den einzelnen Fällen vorzutragen. Bei Prozentsätzen zwischen 20 % und 50 % müssten weitere Anhaltspunkte hinzukommen. Es fehle auch an einem rechtlichen Gehör. Ihnen fehle eine Instanz. Sie müssten die Rückzahlung der von der Beklagten geforderten Beträge leisten, ohne vorher gehört worden zu sein. § 50 SGB X sei als Rechtsgrundlage nicht anwendbar. In jedem Einzelfall sei eine Leistungserbringung gegeben gewesen. Es sei nicht zu beanstanden, dass in ihren Praxen Vertretungsfälle entstanden seien. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - betreffe einen anderen Sachverhalt. Für den Kläger zu 1) ergäben sich mehr "unplausible Fälle" als er abgerechnet habe. Sie hätten sich keiner groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht. Wenn Versichertenkarten eingelesen würden, geschehe dies durch die Praxishelferinnen. Sie hätten sich auch auf die Beratung der Beklagten verlassen. Unmittelbar nach Erhalt des Regresses hätten sie unverzüglich auf eine Gemeinschaftspraxis umgestellt.

Die Kläger beantragen jeweils,
den Bescheid vom 23.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden. Ergänzend führt sie aus, ein Anhörungsmangel liege nicht vor. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung erfasse gerade auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet habe. Dies treffe auch auf Leistungserbringungen in Form einer Praxisgemeinschaft zu, obwohl die ärztliche Tätigkeit tatsächlich wie in einer Gemeinschaftspraxis erfolgt sei. Die gemeinsam behandelten Fälle lägen in den streitgegenständlichen Quartalen über den in der Richtlinie der KBV der Spitzenverbände der Krankenkassen genormten Prozentsatz von 20 % Patientenidentität bei versorgungsbereichsidentischen Praxen. Auch hinzu kämen weitere Indizien, die sie in dem angefochtenen Bescheiden genannt habe. Der Hinweis der Kläger auf das Beratungsgespräch sei für sie nicht nachzuvollziehen. Die Kooperation der Kläger habe in der Form einer anzeigepflichtigen Praxisgemeinschaft bestanden. Insofern müssten sie sich auch den für die Praxisgemeinschaft geltenden Regelungen entsprechend konform verhalten. Das sei hier nicht erfolgt. Besondere Hinweispflichten ihrerseits bestünden nicht. Jeder Arzt sei selbst für seine Abrechnung verantwortlich. Für die Festsetzung des Rückforderungsbetrages komme ihr ein weiteres Schätzungsermessen zu. Aufgrund der unterschiedlichen Fallzahlen komme es auch zu unterschiedlichen Ergebnissen bei den einzelnen anerkannten Quoten. Sie habe jedoch immer beachtet, dass die als plausibel zugestandene Zahl an Patienten über der nach allgemeinen Erfahrungen liegenden Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften von 3 % bis 5 % lägen bzw. normalerweise bis maximal 15 %. Eine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung liege nicht vor. Die Kläger hätten im Verwaltungsverfahren nicht um Akteneinsicht nachgesucht. In diesen Fällen werde jeweils eine teilanonymisierte CD mit den identischen Patienten zur Verfügung gestellt. Die Kläger hätten auch zu den im Widerspruchsbescheid angeführten Beispielsfällen Stellung nehmen können oder ihre eigenen Daten auswerten können.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klagen sind zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage zum Az.: S 12 KA 359/12 ist auch bzgl. der Quartale III/06 bis I/07 begründet. Der angefochtene Bescheid vom 23.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2012 war insoweit rechtswidrig und aufzuheben. Im Übrigen war die Klage aber abzuweisen.

Die Klage zum Az.: S 12 KA 360/12 ist insgesamt unbegründet. Der Bescheid vom 23.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2012 ist rechtmäßig und war nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids im Verfahren zum Az.: S 12 KA 359/12 folgt aus einer Überschreitung des Kürzungsermessens der Beklagten, insoweit sie dem Kläger zu 1) in den Quartalen III/06 bis I/07 weniger als 20 % an gemeinsamen Patienten zugestanden hat. Im Übrigen waren die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird nunmehr durch den ab 01.01.2004 geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Dies galt auch bereits zuvor auf der Grundlage der genannten bundesmantelvertraglichen Regelungen.

Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil )Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 RSozR 4-2500 § 85 Nr. 22 = BSGE 96, 1 = Breith 2006, 715 = MedR 2006, 542 = GesR 2006, 499 = USK 2005-130, zitiert nach juris Rdnr. 11 m.w.N.)

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4 = GesR 2010, 615 = ZMGR 2010, 370 = MedR 2011, 298 = USK 2010-73, juris Rdnr. 26 f. m.w.N.).

Soweit sich die Kläger auf eine fehlende Anhörung vor Erlass des Ausgangsbescheides berufen, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X kann die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hieraus folgt, dass die zunächst unterbliebene Anhörung vor Erlass des Ausgangsbescheides jedenfalls im Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde. Ferner folgt daraus, dass kein Anspruch auf zwei Verwaltungsinstanzen insoweit besteht, dass bei unterbliebener Anhörung das Ausgangsverfahren vollständig nachzuholen wäre. Insofern handelt es sich auch bei einem Widerspruchsverfahren um ein einheitliches Verwaltungsverfahren in Bezug auf das Ausgangsverfahren.

Bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft können Honorarbescheide korrigiert werden.

Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem "Goodwill") erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - SozR 4-5520 § 33 Nr. 6 = BSGE 96, 99 = ZMGR 2006, 148 = NZS 2006, 544 = GesR 2006, 450 = MedR 2006, 611 = Breith 2007, 185, juris Rn. 14 f. m.w.N.).

Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 01.07.2008 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen nach § 106a Abs. 2 SGB V (Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigung) sowie nach § 106a Abs. 3 SGB V (Abrechnungsprüfung der Krankenkassen) (Deutsches Ärzteblatt 2008, A 1925) (im Folgenden: ARL) geben in § 11 Abs. 2 für die Plausibilitätsprüfung bereits bei 20 % Patientenidentität in (teil )gebietsgleichen/versorgungsbereichs¬identischen bzw. 30 % bei gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vor. Diese Aufgreifkriterien lassen die in den Richtlinien vorgenommenen Grenzziehungen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn zwei in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes annähernd bzw. mehr als 50 % der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstammes stattfindet. Bei einer derart hohen Patientenidentität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19 f.; BSG, Beschl. v. 05.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris Rdnr. 12 zur insoweit inhaltsgleichen zuvor geltenden Richtlinie).

Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.

Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinreichend nachgewiesen. Sie hat in den angefochtenen Bescheiden im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger zu 1) zwischen 20,8 % und 33,1 % und bei der Klägerin zu 2) zwischen 31,2 % und 42,3 %.beträgt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. Dabei können auch Erfahrungswerte berücksichtigt werden, dass im hausärztlichen Bereich von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen ist. So weist das LSG Nordrhein-Westfalen auf Ermittlungen der KZV Nordrhein hin, die für ihren - vertragszahnärztlichen - Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % festgestellt habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 59/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 19). Die Beklagte geht im Allgemeinen von einem Anteil von 5 % für Vertretungsscheine aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 - juris Rdnr. 50) bzw. – wie im hier vorliegenden Verfahren - von einer gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt von unter 10 % aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2012 - S 12 KA 80/12GesR 2013, 225, juris Rdnr. 42, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 5/13 -; v. 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - juris Rdnr. 43, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 33/13 -). LSG Niedersachsen geht gleichfalls davon aus, dass bei Praxisgemeinschaften üblicherweise auftretende Patientenidentitäten deutlich geringer sind als 20 % (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 21.03.2012 - L 3 KA 103/08 - juris Rdnr. 23). Clemens weist darauf hin, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15 % beträgt (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106a Rn 175). Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird.

Unzutreffend ist der Einwand der Kläger, die Berechnung der "Doppelbehandlungen" sei nicht sachgerecht, da durch die Addition der Patienten beider Praxen vor Bildung der Quote für die jeweilige Praxis von wesentlich ausgegangen werde, so dass entsprechend eine zweifach überhöhte Quote von Doppelpatienten pro Praxis entstehe. Es müsste die Quote der gemeinsamen Fälle aus der jeweiligen Teilmenge der einzelnen Praxis gebildet werden. Die Beklagte hat zunächst festgestellt, welche Anzahl von Patienten sowohl in der Praxis des Klägers zu 1) als auch in der Praxis der Klägerin zu 2) behandelt wurde. Diese Anzahl hat sie in das Verhältnis zur Anzahl aller behandelter Patienten gesetzt. Auf diese Weise hat sie in nicht zu beanstandender Weise den Prozentsatz der "Doppelbehandlungen" für jede Praxis ermittelt. Bei der Ermittlung der Prozentsätze der gemeinsamen Patienten bezieht die Beklagte zutreffend die Zahl der gemeinsamen Patienten auf die Patientenzahl jeder Praxis und nicht auf die Summe der Patientenzahlen beider Praxen. Dies wird bereits verbindlich durch § 11 Abs. 2 ARL vorgegeben. Patientenidentität ist "auf die abrechnenden Praxen bezogen" zu ermitteln, d. h. in einem ersten Schritt sind die Patienten, die im Quartal in beiden Praxen behandelt werden, zu ermitteln. In einem zweiten Schritt ist dann die Zahl der gemeinsamen Patienten auf die Patientenzahl der jeweiligen Praxis zu beziehen.

Die Kläger haben hinsichtlich ihres Widerspruchsvorbringens zur gemeinsamen Behandlung von Patienten im Ergebnis selbst eingeräumt, die Praxen wie eine Gemeinschaftspraxis geführt zu haben, wenn sie darauf hinweisen, dass das Wegschicken der Patienten sich im Praxisalltag als äußerst problematisch darstelle und letztlich eine "Vertretung" bereits bei Überlastung eines Praxispartners oder auch kurzfristiger Abwesenheit des anderen Praxispartners angenommen hätten, z. B. weil der andere Praxispartner nicht mehr erreichbar gewesen wäre oder Hausbesuche gemacht habe. Es handelt sich bei dieser Form der Vertretung auch nicht um eine Vertretung im Sinne eines "Praxisvertreters" nach § 32 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV, der in der Praxis des Vertretenen für diesen die Patienten behandelt (siehe auch zur Haftung § 14 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä/§ 20 Abs. 2 Satz 1 EKV-Ä).

Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass ein Vertretungsfall nur dann angenommen werden kann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund "an der Ausübung seiner Praxis verhindert" sei, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 08.06.2007 - L 3 KA 9/07 ER - juris Rdnr. 31). Bereits nach dem Bundesmantelvertrag im Primärkassenbereich in der bis Juni 2007 geltenden Fassung war der Vertragsarzt gehalten, seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festzusetzen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä). Bei der Verteilung der Sprechstunden auf den einzelnen Tag sollen die Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z. B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen) berücksichtigt werden (§ 17 Abs. 2 BMV-Ä). Der Vertragsarzt war und ist gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen. Dies folgt bereits aus seinen allgemeinen vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs. 3 SGB V). Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV). Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung kann er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, so ist sie der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und 4 Ärzte-ZV). Eine Gemeinschaftspraxis kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Praxisgemeinschaft geführt werden; der Vertragsarzt hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 R - juris Rdnr. 40 ff.; v. 05.12.2012 - S 12 KA 80/12 – a.a.O. Rdnr. 56; v. 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - a.a.O. Rdnr. 48). Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen. Das haben die Kläger nicht oder jedenfalls nicht ausreichend getan. Vielmehr geht aus den Ausführungen der Kläger hervor, dass aufgrund der von ihnen geschilderten Verhältnisse eine wirkliche Akzeptanz nicht zu erreichen war. Das deckt sich insofern mit den Feststellungen der Beklagten, dass bei Abwesenheit eines Praxispartners die Praxis des abwesenden Partners im Wesentlichen von dem anwesenden Praxispartner fortgeführt wurde. Soweit in einzelnen (Not-)Fällen aus medizinischen Gründen eine Abweisung der Patienten nicht möglich gewesen sein sollte, wird dem von der Beklagten bei der Neufeststellung der Honorare mit den zugestandenen gemeinsamen Fällen - zum Umfang im Einzelnen sogleich - mehr als ausreichend Rechnung getragen (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 – L 12 KA 563/04 – juris Rdnr. 35; LSG Bayern, Urt. v. 28.03.2007 – L 12 KA 216/04 – juris Rdnr. 26). Dies gilt auch für die Überweisungsfälle, die die Beklagte nicht beanstandet hat und die im Umfang nur einen zu vernachlässigenden Anteil ausmachen. Soweit Patienten ausnahmsweise auf eigen Wunsch den Behandler wechseln, ist dies zu dokumentieren (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 25) und ggf. im Prüfverfahren dann vorzulegen. Die allgemeine Behauptung solcher Wünsche reicht nicht aus.

Die Verwendung des Musters 19 der Vordruckvereinbarung bedeutet nicht, dass diese Fälle automatisch von den gemeinsamen Fällen abzuziehen sind. Mit dem Zugeständnis von 20 % oder mehr an gemeinsamen Behandlungsfällen werden üblicherweise anfallende Vertretungsfälle hinreichend zu gestanden. Die Beklagte hat gerade dargelegt, dass gerade der Großteil der Vertreterscheine auf nur stundenweise Abwesenheiten entfalle, die ihre Ursache in der Durchführung von Hausbesuchen, kurzzeitiger Fortbildung, unterschiedlichen Sprechzeiten, "dringenden sonstigen Gründen" oder darin hätten, dass der erstbehandelnde Arzt "schon außer Haus" gewesen sei. Auch nach der Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung kann nach Ziff. 2.19 Muster 19: Notfall-/Vertretungsschein Muster 19 nur für die Abrechnung der Leistungen im ärztlichen Notfalldienst und bei Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung verwandt werden, nicht aber schon bei bloß kurzfristiger Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners.

Im Übrigen wird das Auftreten der Kläger als Gemeinschaftspraxis auch deutlich durch den verwandten Briefkopf wie z. B. im Schreiben der Kläger vom 03.09.2010 an die Beklagte im Verwaltungsverfahren. Unter der Angabe beider Namen und ihres Facharzttitels im Plural ("Fachärzte für Allgemeinmedizin") werden ohne Differenzierung nach dem Behandler die besonderen Qualifikationen der Praxis ("Homöopathie, Kinder- und Jugendärztl. Früherkennung, Flugmedizin, Fliegerärztl. Untersuchungsstelle, Reisemedizin") mit einer gemeinsamen Praxisanschrift, einer gemeinsamen Telefonnr., einer gemeinsamen Faxnr. und einer gemeinsamen E-Mail-Adresse angegeben. Auch wenn der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sie hätten auch getrennte Briefbögen verwandt, so hat er doch zu erkennen gegeben, dass der gemeinsame Briefbogen nicht nur in diesem Verwaltungsverfahren verwandt wurde. Dies lässt ebf. erkennen, dass die Kläger im Außenverhältnis nicht immer in der gebotenen Klarheit nach ihrem Zulassungsstatus aufgetreten sind, sondern eben doch als Gemeinschaftspraxis.

Angesichts dieser Verstöße gegen die Regeln des Vertragsarztrechts erweisen sich die von den Klägern in den streitbefangenen Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen sie die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt haben, als falsch, mit der Folge, dass die Beklagte berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. BSG, Urt. v. 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5500 § 35 Nr.1 = MedR 1998, 338 = USK 97134, juris Rdnr. 27 f.; BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - juris Rdnr. 69). Der Beklagten kommt dabei ein weites Schätzungsermessen zu, da mit der Implausibilität der Abrechnung aufgrund des Formenmissbrauchs die Abrechnung selbst nicht mehr ausschlaggebend sein kann.

Keinesfalls steht den in einer vorgetäuschten Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten mehr an Honorar zu, als ihnen zu zahlen gewesen wäre, wenn sie auch rechtlich eine genehmigte Gemeinschaftspraxis im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV gebildet hätten (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 22). Dies bedeutet jedoch nicht, dass den Ärzten auch tatsächlich das Honorar zu zahlen wäre, das sie erhalten hätten, wenn sie legal in einer genehmigten Gemeinschaftspraxis zusammengearbeitet hätten. Das BSG (ebd.) führt vielmehr weiter aus, dass jedenfalls bei einer Patientenidentität von mehr als 50 % bei formal unter der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten desselben Fachgebiets solche Gebührentatbestände des EBM, bei denen bei einer Behandlung in einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis eine Vergütung für ein Quartal höchstens einmal gewährt werden kann, bei keinem Praxisgemeinschaftspartner zu berücksichtigen seien, denn insoweit scheide eine vergütungsrechtliche Zuordnung der Leistungen zu einem der Vertragsärzte aus. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung solche Gegenrechnungen bzw. Saldierungen abgelehnt, weil dadurch die Ordnungsvorgaben des Vertragsarztsystems unterlaufen würden. Honorarkürzungen dürfen sich vielmehr auf das gesamte Honorar erstrecken, das auf rechtswidrige Weise erlangt wurde, ohne dass gegenzurechnen ist, was bei rechtmäßigem Verhalten als Honorar zu zahlen gewesen wäre; in solchen Fällen kann eine Honorarneufestsetzung im Wege einer Schätzung erfolgen. Diese Grundsätze gelten auch in Fällen des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft. Dabei können auch deutlich unter 50% liegende Quoten ausreichen, um Vergütungen, die bei Vorliegen einer Gemeinschaftspraxis nur einmal zu zahlen wären, beiden Ärzten zu kürzen (vgl. BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265, Rdnr. 9 ff.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Berechnung des Berichtigungsbetrags nur hinsichtlich des Klägers zu 1) bzgl. der Quartale III/06 bis I/07, nicht aber im Ergebnis im Übrigen zu beanstanden.

Aus der nachfolgenden Berechnung der Kammer folgt, dass die Beklagte auf Grund ihres pauschalen Zugeständnisses von 30 % der jeweils gemeinsamen Patientenzahl zu unterschiedlichen Zugeständnissen hinsichtlich der Vertretungsfälle bzw. gemeinsamen Fälle führt, die nicht gekürzt werden (siehe nachfolgende Übersicht jeweils Spalte 5). Geht man ferner davon aus, dass auf Grund der 50 %-igen Kürzung der nichtanerkannten Fälle im Ergebnis jeweils die verbleibende Hälfte vollständig vergütet wurde, so hat die Beklagte im Ergebnis in der Summe mit der 30 %-Quote bestimmte Fallzahlen insgesamt anerkannt (nachfolgend jeweils Spalte 7), was aber ebenfalls sehr unterschiedliche Prozentsätze ausmacht (nachfolgend Spalte 8). Insbesondere für den Kläger zu 1) folgen hieraus Prozentwerte unterhalb von 10 % bzw. unterhalb von 20 %. Auch bestehen grundsätzlich Bedenken bei der Ausübung des Schätzungsermessens hinsichtlich des Gebots der Gleichbehandlung, da die Vorgehensweise der Beklagten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die Kammer hat dies zuletzt im Urteil vom 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - a.a.O. Rdnr. 59 nicht beanstandet, da trotz der Annahme allgemeiner Vertretungsfälle von unter 10 % und dem Aufgreifkriterium von 20 % den Klägern erheblich mehr als 20 % gemeinsame Fälle nicht beanstandet worden seien. Die Kammer hat ausgeführt, die Schwankungsbreiten zwischen den beiden Klägern und den Quartalen beruhten auf der unterschiedlichen Anzahl gemeinsamer Fälle und der willkürlichen 30 %-Grenze. Wenn auch die Beklagte über diese Unterschiede keine Begründung abgegeben habe, so sehe die Kammer dies noch von dem Ermessen der Beklagten, das zu Pauschalierung Berechtigte als gedeckt an. Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen allerdings nicht vor. Auch bestehen im Hinblick auf die ganz unterschiedlichen Auswirkungen Bedenken bzgl. einer gleichmäßigen Ermessensausübung (Art. 3 Abs. 1 GG).

Kläger zu 1):

1 2 3 4 5 6 7 8
Quartal Fallzahl Kl. zu 1) Gemeinsame Patienten - 30 % in % Fallzahl 50 % Gesamt anerkannt Gesamt in %
II/06 944 312 94 10,0 109 203 21,5
III/06 938 195 59 6,2 69 128 13,6
IV/06 958 236 71 7,4 82 153 16,0
I/07 981 298 89 9,1 105 194 19,8

Klägerin zu 2):

Quartal Fallzahl Kl. zu 2) Gemeinsame Patienten - 30 % in % Fallzahl 50 % Gesamt anerkannt Gesamt in %
II/06 737 312 94 12,8 109 203 27,5
III/06 626 195 59 9,4 69 128 20,4
IV/06 686 236 71 10,3 82 153 22,3
I/07 733 298 89 12,1 105 194 26,5

Die Kammer geht daher in Fortführung ihrer Rechtsprechung davon aus, dass insofern § 11 Abs. 2 ARL verbindlich vorgibt, dass im Ergebnis ein Anteil von 20 % - bzw. bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % - gemeinsamer Patienten anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die einen höheren Anteil rechtfertigen, was vorliegend nicht ersichtlich ist. Auch in der Literatur werden, ausgehend davon, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15% beträgt, Kürzungen ab einer Quote von 20% an Doppelpatienten grundsätzlich als rechtens angesehen (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 106a SGB V, Rdnr. 175). Soll eine darüber hinausgehende Kürzung vorgenommen werden, ist dies im Einzelnen zu begründen und reichen bei Ausübung des Kürzungsermessens allgemeine pauschalierende Erwägungen nicht mehr aus. Hieran fehlt es aber vorliegend.

§ 11 Abs. 2 ARL ist eine Abrechnungsauffälligkeit nur ab der genannten Grenzwerte zu vermuten. Eine solche Abrechnungsauffälligkeit bedeutet aber noch nicht, dass automatisch eine Honorarkürzung ausgesprochen werden kann, da nach § 12 Abs. 1 und 2 ARL erst dann die Kassenärztliche Vereinigung weitere Prüfungen durchführt mit dem Ziel, mit Hilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden ist oder nicht. § 11 Abs. 2 ARL gibt damit aber eine Untergrenze an, ab deren Überschreiten erst eine weitere Prüfung stattfindet, ohne die eine Honorarkürzung nicht erfolgen kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass diese Untergrenze trotz der Feststellung, dass tatsächlich ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, auch als Kürzungsgrenze jedenfalls verbleibt, soweit nicht eine ergänzende substantiierte Prüfung ergibt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gestaltungsmissbrauch auch Unterhalb der Untergrenze zu unzulässigen Honorarverschiebungen geführt hat. Insofern beschränkt die für die Beteiligten verbindliche ARL (§ 106a Abs. 6 i. V. m. Abs. 5 Satz 3 SGB V) das Ermessen der Beklagten.

Damit werden trotz der Annahme allgemeiner Vertretungsfälle von unter 10 % und dem Aufgreifkriterium von 20 % dem Kläger zu 1) im Quartal II/06 und der Klägerin zu 2) in allen streitbefangenen Quartalen im Ergebnis mehr als 20 % gemeinsamer Fälle nicht beanstandet. Dies war von der Kammer nicht zu beanstanden. Soweit aber dem Kläger zu 1) in den Quartalen III/06 bis I/07 nur 13,6 %, 16,0 % bzw. 19,8 % an gemeinsamen Fällen zugestanden werden und damit weniger als 20 %, war der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Soweit sich die Kläger auf eine Beratung berufen, so betrifft diese zunächst nicht die streitigen Quartale II/06 bis I/07. Ferner tragen die Kläger lediglich vor, in dem Beratungsgespräch sei eine Fortführung der Praxisgemeinschaft geraten worden. Eine Anzahl an Vertretungsfällen bis zu 20 % sei plausibel und nicht zu beanstanden. Grundsätzlich geht die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden ebenfalls davon aus. Insofern fehlt es an einer genaueren Darlegung, in welcher Weise falsch beraten worden sein soll. Im Übrigen räumen die Kläger selbst ein, über keinen Nachweis über das Beratungsgespräch zu verfügen.

Soweit sich die Beklagten auf eine E-Mail der Landesärztekammer Hessen vom 15.06.2012 berufen, so steht die darin getroffene Aussage nicht im Widerspruch zu der Rechtsauffassung der Beklagten. Aus der Zulassung als Vertragsarzt ergibt sich grundsätzlich eine Behandlungspflicht. Nach der genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht dabei ebenso die Verpflichtung, abgesehen von Notfällen, Patienten nicht zu behandeln, die bereits im selben Quartal in der Behandlung eines anderen Hausarztes sind.

Nach allem waren die Klagen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. §§ 155 Abs. 1 und 154 Abs. 1 VwGO. Für den Kläger zu 1) folgt sie entsprechend des Obsiegens und Unterliegens. Die Klägerin zu 2) hat als unterliegender Teil die Kosten ihres Verfahrens zu tragen.

Die Sprungrevision war nach § 161Abs. 2 SGG i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Kammer misst der Frage, ob ein Anteil an gemeinsamen Patienten bestehen darf, der gemessen an der Fallzahl einen bestimmten Prozentsatz nicht unterschreiten darf, grundsätzliche Bedeutung zu. Auch sind am SG Marburg weitere vergleichbare Streitfälle anhängig.
Rechtskraft
Aus
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