L 3 AS 195/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3500/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 195/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Vorliegend ist streitig, ob die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. In der Sache ist die Versagung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin streitig.

Mit Bescheid vom 28.12.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.04.2005 in Höhe von monatlich 662,60 EUR (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts 345 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung 246,60 EUR, befristeter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld 71 EUR). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein u.a. mit der Begründung, die Kosten für die Unterkunft seien fehlerhaft festgesetzt. Es seien sämtliche tatsächlich entstandenen Kosten, insbesondere die Schuldzinsen für das selbstgenutzte Wohneigentum, zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 18.04.2005 bewilligte die Agentur für Arbeit der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 01.05. bis 31.05.2005 in Höhe von 385,67 EUR und vom 01.06. bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich 381 EUR.

Mit Bescheid vom 20.05.2005 bewilligte der Beklagte als für die Kosten der Unterkunft und Heizung zuständiger kommunaler Träger für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2005 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 246,60 EUR. Hierbei legte er eine monatliche Kaltmiete von 210 EUR und monatliche Heizkosten von 36,60 EUR zugrunde.

Am 07.07.2005 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein.

Gegen den weiteren Bescheid vom 20.10.2005, mit dem der Beklagte Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.04.2006 in Höhe von monatlich 246,60 EUR bewilligte, legte die Klägerin am 16.11.2005 Widerspruch ein.

Gegen den Bescheid vom 28.04.2006 über die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.10.2006 in Höhe von monatlich 253,20 EUR legte die Klägerin am 18.05.2006 Widerspruch ein.

Unter dem 11.12.2006 legitimierten sich die Rechtsanwälte A. und S. unter Vorlage der beglaubigten Kopie einer von der Klägerin am 06.12.2006 erteilten Vollmacht.

Mit an die Klägerin selbst adressiertem Widerspruchsbescheid vom 14.06.2007 wies der Beklagte die Widersprüche bezüglich der Unterkunftskosten für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2006 zurück.

Hiergegen hat Rechtsanwalt S. am 16.07.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und "ausweislich der in beglaubigter Kopie beiliegenden Vollmacht" die Vertretung der Klägerin angezeigt. Eine Vollmacht war der allein mit Fax erhobenen Klage nicht beigefügt. Den Aufforderungen des SG vom 08.08.2007, 03.09.2007 und 01.10.2007 zur Vorlage einer Vollmacht ist Rechtsanwalt S. nicht nachgekommen. Nachdem auch nach einem nochmaligen Hinweis des SG vom 02.11.2007, dass die Klage derzeit mangels Vorlage einer Vollmacht unzulässig und die Abweisung der Klage durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei, keine Vollmacht vorgelegt worden war, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2007 die Klage als unzulässig abgewiesen.

Gegen den am 05.12.2007 durch Niederlegung zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28.12.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, Rechtsanwalt S. sei zum 15.10.2007 wegen eines Burn-outs aus der Kanzlei A. und S. ausgeschieden und habe seither keinerlei Post geöffnet. Gleichzeitig hat sie mitgeteilt, sie habe Rechtsanwalt S. die Vollmacht entzogen. In der weiteren Berufungsbegründung vom 17.03.2008 hat die Klägerin vorgetragen, Rechtsanwalt S. habe ihr gegenüber erklärt, er habe darauf vertraut, dass er vor dem Jahreswechsel 2007/2008 in der Sache nicht mehr tätig werden müsse, im Rahmen seines Ausscheidens aus der Rechtsanwaltsgemeinschaft mit Rechtsanwalt A. im Oktober 2007 habe er aus Gründen der Arbeitsüberlastung das Verfahren aus den Augen verloren, die Aufforderungsschreiben des SG in die Akte eingelegt und nicht mehr beantwortet. Dieser Fehler ihres Bevollmächtigten sei ihr nicht zuzurechnen. Sie bitte darum, ihr Gelegenheit zu geben, die erstinstanzliche Verhandlung nochmals aufzunehmen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. November 2007 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich durch Erklärungen vom 09.02.2008 bzw. 11.02.2008, bei Gericht am 11.02.2008 bzw. 12.02.2008 eingegangen, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Aus gegebenem Anlass ist darauf hinzuweisen, dass die Einverständniserklärung eine Prozesshandlung darstellt, die gegenüber dem Gericht schriftlich oder telegrafisch oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben sein muss. Ein Widerruf der Einverständniserklärung ist nur möglich, bis die Verzichtserklärung der übrigen Beteiligten bei Gericht eingegangen ist. Danach ist ein Widerruf nur möglich, wenn sich die Prozesslage wesentlich geändert hat (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. § 124 Rn. 3d). Allein dadurch, dass ein Beteiligter weiter zur Sache vorträgt, ist keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage eingetreten, so dass ein Widerruf der Einverständniserklärung seitens der Klägerin nach Eingang der letzten Erklärung am 11.02.2008 nicht mehr möglich war.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend wegen Nichtvorlage einer Vollmacht als unzulässig abgewiesen.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG können sich die Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen. Hierbei ist nach § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG die Vollmacht schriftlich zu erteilen und bis zur Verkündung der Entscheidung zu den Akten einzureichen; sie kann auch zur Niederschrift des Gerichts erteilt werden.

Eine schriftliche Bevollmächtigung ist auch für Rechtsanwälte erforderlich. Auch bei Rechtsanwälten muss das Gericht das Fehlen der Vollmacht von Amts wegen beachten. § 88 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach die anwaltliche Versicherung ausreichend ist, findet - anders als im Verwaltungsprozess - im sozialgerichtlichen Prozess keine Anwendung (BSG, Urteil vom 13.12.2000 - B 6 KA 29/00 R - SozR 3-1500 § 73 Nr. 9 - NJW 01, 2652; Meyer-Ladewig, SGG, § 73 Rn 14a). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Vollmacht durch Vorlage der Originalurkunde nachgewiesen wird, ausreichend ist deshalb auch die Vorlage einer Mehrfertigung, aus der sich zweifelsfrei die Bevollmächtigung ergibt (Meyer-Ladewig, a.a.O. Rn 13). Erforderlich ist jedoch, dass die Vollmacht im Klageverfahren spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid - wie vorliegend - bis unmittelbar vor Absendung der Entscheidung vorliegt (BSG, a.a.O.).

Nicht ausreichend ist, dass bereits im Verwaltungsverfahren eine das gerichtliche Verfahren mit umfassende Vollmacht vorgelegt worden ist, wenn sich der Bevollmächtigte nicht ausdrücklich hierauf beruft. Verhält sich ein im Sozialgerichtsprozess auftretender Bevollmächtigter auf die richterliche Aufforderung hin, eine schriftliche Prozessvollmacht zu den Gerichtsakten einzureichen, trotz Fristsetzung und Hinweises auf die Folgen der Nichteinreichung (weiterhin) passiv und ergeht mit Rücksicht hierauf ein Prozessurteil, kann er in den nachfolgenden Instanzen nicht damit gehört werden, eine bereits im Vorfeld des Rechtsstreits in die Verwaltungsakten gelangte Vollmacht habe seine Prozessvertretung mit abgedeckt. Insbesondere besteht keine Verpflichtung des Gerichts, bei vollständiger Untätigkeit des Bevollmächtigten von sich aus Ermittlungen hinsichtlich der Bevollmächtigung anzustellen (BSG, a.a.O.).

Diese Erwägungen sind vorliegend einschlägig. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der Klageschrift die Vertretung der Klägerin angezeigt und sich hierbei auf eine angeblich beiliegende Vollmacht bezogen; eine Vollmacht war jedoch der Klageschrift nicht beigefügt. Trotz zweimaliger Aufforderung durch das SG mit Schreiben vom 03.09.2007 und 01.10.2007 wurde keine Vollmacht vorgelegt und auch nicht darauf hingewiesen, dass im Verwaltungsverfahren bereits eine Vollmacht vorgelegt worden war. Auch auf die mit Schreiben des SG vom 02.11.2007 verfügte Fristsetzung bis 28.11.2007 unter Hinweis darauf, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, ist keine Reaktion erfolgt. Das SG hat deshalb nach Ablauf der Frist die Klage zurecht als unzulässig abgewiesen.

Dem Schreiben der Klägerin vom 17.03.2008 kann zudem entnommen werden, dass die Unterlassung der Vorlage einer Prozessvollmacht auf einem Organisationsverschulden des bevollmächtigten Rechtsanwalts beruhte, der trotz Kenntnis der vom Gericht gesetzten Frist diese untätig verstreichen ließ.

Es hat schließlich auch keine Verpflichtung des SG bestanden, bei der Klägerin persönlich nachzufragen, ob eine Vollmacht erteilt worden ist. Vielmehr ist der Bevollmächtigte verpflichtet, die entsprechende Vollmacht vorzulegen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Beklagten in der Sache zutreffend sein dürfte, zum Nachweis der Bedürftigkeit bei Vorliegen entsprechender Hinweise die Vorlage vollständiger Kontoauszüge anzufordern. Auf die Möglichkeit, nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) einen entsprechenden Überprüfungsantrag zu stellen, wird hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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