L 8 AS 786/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 6121/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 786/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2007 angeordnet.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Antrags- und Beschwerdeverfahren trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 23.01.2008 ist statthaft, zulässig und begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.12.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2007 zu Unrecht abgelehnt. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Bescheid vom 23.08.2007, mit dem sie der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10.2007 bis 31.03.2008 in Höhe von monatlich 347,00 EUR (Regelleistung) bewilligt hatte, mit Wirkung ab 01.12.2007 ganz aufgehoben mit der Begründung, ab 01.12.2007 werde die Lebenspartnerin der Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen und deren Einkommen auf den Bedarf der Antragstellerin angerechnet.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin ist - derzeit - schon deshalb rechtswidrig, weil sie es unterlassen hat, die Antragstellerin vor Erlass des Aufhebungsbescheides vom 14.12.2007 anzuhören. Zwar kann die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung nach § 41 Abs. 2 SGB X noch bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Solange dies aber nicht geschehen ist, bleibt der zur Rechtswidrigkeit führende Anhörungsmangel beachtlich. Für die Nachholung der Anhörung genügt unter bestimmten Voraussetzungen (s. hierzu Schütze in von Wulffen SGB X 6. Aufl. 2008 § 41 Rz 15) allein die Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Erforderlich ist in diesem Fall, dass die Behörde vorgebrachte Argumente des Widerspruchsführers zur Kenntnis genommen und abgewogen hat (Schütze aaO). Dies wiederum hat zur Folge, dass - falls während des Widerspruchsverfahrens keine förmliche Anhörung vorgenommen worden ist - eine allein in der Durchführung des Vorverfahrens liegende Heilung des Anhörungsmangels erst angenommen werden kann, wenn ein Widerspruchsbescheid ergangen ist. Die Heilung tritt in diesem Fall mit Erlass des Widerspruchsbescheides ein. Da ein solcher bislang nicht ergangen ist und auch eine förmliche Anhörung nicht nachgeholt worden ist, bleibt der Anhörungsmangel beachtlich. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.11.2007 zwar darauf hingewiesen, dass sie Kenntnis von einer Lebenspartnerschaft der Antragstellerin mit einer Frau erhalten habe und die Antragstellerin deshalb unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflichten aufgefordert, einen Vordruck auszufüllen (Zusatzblatt 5) und schriftlich Stellung zu nehmen. Nachdem die Antragstellerin dieser Aufforderung vollständig nachgekommen war, hat die Antragsgegnerin ohne weitere Hinweise auf das Ergebnis ihrer Überprüfung den Bescheid vom 14.12.2007 erlassen. Eine Anhörung in Bezug auf die beabsichtigte Entziehung der Leistung ist darin nicht zu sehen. Im Gegenteil. Die Antragstellerin durfte davon ausgehen, dass ihr, nachdem sie der Aufforderung der Antragsgegnerin Folge geleistet hatte, darüber informiert wird, welche Konsequenzen die Antragsgegnerin aus ihren Ermittlungen zu ziehen beabsichtigt. An der Vollziehung einer - wenn auch möglicherweise nur aus formalen Gründen - rechtswidrigen Entscheidung besteht kein öffentliches Interesse.

Im Übrigen ist die Überprüfung des Bescheides vom 23.08.2007 durch die Antragsgegnerin nur unvollständig erfolgt. Nachdem die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, dass auch die Lebenspartnerin der Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft aufzunehmen ist, hätte sie bei ihrer Entscheidung auch deren Bedarf ermitteln und berücksichtigen müssen. Mit ihrer sofortigen Aufhebung des Bewilligungsbescheides hat sie diese Prüfung nur in das einstweilige Rechtsschutzverfahren verlagert. Zwar spricht nach der vom SG durchgeführten Sachverhaltsaufklärung auch aus Sicht des Senats vieles dafür, dass die Antragstellerin tatsächlich in einer Partnerschaft lebt und daher das Einkommen ihrer Partnerin bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen ist. Daraus folgt aber noch nicht zwingend, dass die Leistungsbewilligung ganz aufzuheben war. Denn für die Prüfung, ob Hilfebedürftigkeit iSd § 9 SGB II gegeben ist, ist der gesamte Bedarf (Regelleistung und Kosten der Unterkunft) zu berücksichtigen. Dies folgt nicht nur aus § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach die Agentur für Arbeit auch das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit festzustellen hat, sondern auch auf allgemeinen Erwägungen. Wäre die Prüfung der Hilfebedürftigkeit von der Antragsgegnerin und vom kommunalen Träger oder anderen Leistungsträgern getrennt vorzunehmen, würde das Einkommen uU doppelt angerechnet - einmal bei der Regelleistung und einmal bei den Kosten der Unterkunft. Nur eine Berücksichtigung des gesamten Hilfebedarfs stellt sicher, dass der Hilfebedürftige Leistungen erhält, wenn der Bedarf das anrechenbare Einkommen übersteigt. Die vorrangige Feststellungsbefugnis der Antragsgegnerin erstreckt sich daher auf jede einzelne, bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigende Einzelposition (Berlit in LPK-SGB II 2. Aufl. 2007 § 44a Rz 9). Geht man in Bezug auf die Regelleistung (bei der Lebenspartnerin ggf. iVm mit § 28 SGB II) von einem Bedarf in Höhe von 624 EUR aus und berücksichtigt man zusätzlich Kosten der Unterkunft in Höhe von 481 EUR (vgl. Bl. 491 der Verwaltungsakte), ergibt dies mit 1.105 EUR bereits einen die Rente der Lebenspartnerin (1.025 EUR ) übersteigenden Betrag. Dabei sind ua Grundfreibeträge noch nicht berücksichtigt. Diese Überlegungen sprechen ebenfalls dafür, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, wenngleich ein zu berücksichtigendes Einkommen zunächst die Geldleistungen der Antragsgegnerin mindert (§ 19 Satz 3 SGB II).

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 30.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris) tritt die Wirkung einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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