L 1 U 5757/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 8575/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5757/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.10.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines versicherten Unfalls am 05.09.2003 über den 15.03.2004 hinaus zustehen.

Der 1960 geborene Kläger erlitt am 05.09.2003 bei der Rückfahrt von einem durch Aufforderung der Bundesanstalt für Arbeit wahrgenommenen Fortbildungsseminar einen Verkehrsunfall, als auf den von ihm gelenkten PKW ein anderes Fahrzeug von hinten auffuhr. Der Kläger suchte am Unfalltag die Notfallpraxis des ehemaligen H. Stuttgart auf, wo einer HWS-Distorsion diagnostiziert wurde. Am 08.09.2003 konsultierte er den Durchgangsarzt Dr. M., der eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) diagnostizierte. Er hatte als Befund einen Druckschmerz über beiden Schultergürteln und im unteren HWS-Bereich und leichten Druckschmerz im oberen HWS-Bereich, muskuläre Verspannungen mit reduzierter Beweglichkeit der HWS bei Rückneigung und Rotation um etwa ein Drittel erhoben. Neurologisch seien keine Ausfälle und röntgenologisch keine frischen Frakturen zu erkennen gewesen (H-Arzt-Bericht Dr. M. vom 10.09.2003). Die Kernspintomographie der HWS habe einen kleinen, medialen Nukleusprolaps (Bandscheibenvorfall) bei C 5/6 ergeben, eine Myelonkompression (Rückenmarkkompression) habe sich nicht gefunden. Bei C 6/7 bestehe eine Retrospondylose und eine Osteochondrose (Arztbrief von Dr. M. vom 10.09.2003). Nach Dr. M. sei es zu einer vorübergehenden Verschlechterung eines vorbestehenden Leidens gekommen.

Wegen fortbestehender Beschwerden wurde der Kläger ambulant behandelt. Es bestand ab dem 08.09.2003 durchgehend Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte gewährte Heilbehandlung und Verletztengeld ab dem 20.10.2003. Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16.11.2007 wurde dem Kläger über den bisherigen Befristungszeitpunkt hinaus ab 01.01.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, nachdem eigenen Angaben zufolge bereits mit Bescheid vom 27.05.2006 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden war.

Bei der Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in T. am 15.03.2004 ergab sich der Befund einer frei beweglichen HWS ohne Myogelosen (Muskelverhärtungen) bei röntgenologisch ausgewiesenen ausgeprägten degenerativen Veränderungen im Bereich der unteren HWS. Es wurde der Behandlungsabschluss zu Lasten der Beklagten empfohlen (Bericht von Prof. Dr. K., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T., vom 18.03.2004).

Mit Bescheid vom 13.04.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 05.09.2003 über den 15.03.2004 hinaus ab. Die Behandlung nach dem 15.03.2004 sei auf die vom Unfall unabhängigen Erkrankungen zurückzuführen.

Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis der T. Krankenkasse vom 07.06.2004 (Aufzeichnungsbeginn ab 1994; Arbeitsunfähigkeit am 31.03.1995 wegen einem akuten Cervikalsyndrom) und einen Bericht der neurologischen Gemeinschaftspraxis Dr. A. vom 08.06.2004 (Behandlung vom 9.10. 2003 bis 09.05. 2004 wegen Schwellung und Schmerzen im Thorax ohne auffälligen neurologischen Befund) ein. In dem von ihr veranlassten Gutachten von Prof. Dr. S. vom 06.09.2004 wurde ein kleiner linksseitiger Bandscheibenvorfall der Brustwirbelsäule (BWS) bei dem Wirbelkörpersegment Th 8/9 mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung als Unfallfolge beurteilt, die Veränderungen der HWS seien dagegen bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen. Der Unfall habe zu einer vorübergehenden Verschlechterung eines bereits vorbestehenden pathologischen Befundes geführt. Dr. S. schloss demgegenüber in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 30.09. und 22.10.2004 eine unfallbedingte Bandscheibenschädigung der BWS mangels knöcherner oder ligamentärer Verletzung aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 28.12.2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das unfallchirurgische Gutachten von Dr. N. vom 27.11.2005 eingeholt. Der Sachverständige hat eine unfallbedingte HWS-Distorsion nach Grad I angenommen und hinsichtlich der Dauer der unfallabhängigen Beschwerden auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Unberücksichtigt sei jedoch die Entwicklung einer somatoformen Schmerz- und Anpassungsstörung geblieben. Die protrahierte Symptomatik einer HWS-Distorsion nach Grad I nach E. bedinge eine Arbeitsunfähigkeit von maximal acht bis zehn Wochen, für weitere vier bis sechs Wochen könne eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. und danach von 10 v.H. bis Ablauf der ersten sechs Monate begründen. Danach, d. h. ab dem 16.03.2004, sei nach derzeitiger wissenschaftlicher unfallchirurgischer-gutachterlicher Sicht die Ausheilung der unfallabhängigen Veränderungen anzunehmen. Die vorbestehenden Verschleißveränderungen und die psychische Grundkonstitution des Klägers seien für die im Anschluss daran angegebenen Beschwerden verantwortlich.

In dem nach § 109 SGG eingeholten neurologischen Gutachten vom 23.05.2006 hat Dr. H. ebenfalls die Ausheilung der unfallabhängigen Beschwerden ab 16.03.2004 angenommen, neurologische Defizite seien nicht zu erheben gewesen. Entgegen Prof. Dr. S. sei der Bandscheibenvorfall bei BWK 8/9 keine Unfallfolge.

PD Dr. E. ist in ihrem nach § 109 SGG erstatteten psychotherapeutisch-psychosomatischen Gutachten vom 31.12.2006 zu dem Ergebnis gekommen, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung liege bei dem Kläger vor. Weder eine Aggravation noch eine Simulation könne mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden. Eine Simulation sei weniger wahrscheinlich als eine Aggravation, die als plausible Vermutung angenommen werden könne. Die Gesundheitsstörung sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 05.09.2003 zurückzuführen, der Unfall könne als Auslöser für die somatoforme Schmerzstörung gesehen werden. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen den objektivierbaren Befunden einerseits und dem subjektiven Erleben des Klägers andererseits. Bei dem Kläger habe sich ein schwer modifizierbares Gerüst an Erklärungen und Begründungen für seine Schmerzen ausgebildet. Es müsse an einen narzisstischen Mechanismus der Schmerzentstehung gedacht werden. Bei extrem leistungsorientierten Menschen komme es durch ein Ereignis zur Dekompensation vorher gerade noch kompensierter psychischer Verhaltensmöglichkeiten. Für diesen narzisstischen Mechanismus im Falle des Klägers spreche seine geäußerte absolute Gewissheit, schnell wieder eine Arbeit als Architekt zu finden, was unter Berücksichtigung der Dauer der Arbeitslosigkeit unrealistisch sei, und die mehrfache Betonung einer komplikationslosen sozialen Einbindung, seiner guten Abschlussnote und Akademikerausbildung. Die Schmerzempfindungen funktionierten, um die Reste des narzisstischen Größenselbstbildes zu bewahren. Die - unbewusste - Maxime des Klägers laute in Worten ausgedrückt: "Nur weil ich so schwer verletzt bin, bin ich arbeitslos. Selbst ein Mann mit gutem Studienabschluss, von beachtlicher Karriere im fremden Land mit ungewohnter Sprache und Kultur kann eine solche Demütigung erfahren. Ansonsten wäre ich dank meiner hohen Qualifikation eine hoch qualifizierte, gut bezahlte Arbeitskraft".

In der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme von PD Dr. R. vom 25.02.2007 wird den Einschätzungen der Sachverständigen zugestimmt. Die von PD Dr. E. vorgenommene Zusammenhangsbeurteilung ergebe mit hinreichender Sicherheit, dass dem Unfall keine rechtlich wesentliche Bedeutung beim Zustandekommen der psychosomatischen Störung zuzumessen sei.

Mit Urteil vom 17.10.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat sich das Sozialgericht auf die nach § 109 SGG eingeholten Gutachten und die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. S. gestützt. Die allein von Prof. Dr. S. vertretene Auffassung einer unfallbedingten Bandscheibenschädigung des BWS-Segments Th 8/9 sei durch die Sachverständigen überzeugend widerlegt. Die somatoforme Schmerzstörung beruhe nach dem überzeugenden Gutachten von PD Dr. E. nicht wesentlich kausal auf dem Unfall.

Gegen das dem Kläger am 06.11.2007 zugestellte Urteil hat er am 06.12.2007 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen, entgegen der Auffassung der Sachverständigen sei die HWS-Distorsion Grad I nicht folgenlos ausgeheilt. Soweit diese Aussage auf einen Erfahrungssatz gestützt werde, werde dies bestritten. Jeder Fall sei als Einzelfall zu betrachten. Ein statistischer Regelverlauf könne nicht als gewiss angenommen werden, es genüge, wenn andere innere oder nachfolgende äußere unfallunabhängige Ursachen auszuschließen seien und daneben gewichtige Indizien positiv für einen unfallbedingten Zusammenhang sprächen. Es werde bestritten, dass vorbestehende degenerative Veränderungen den Bandscheibenvorfall mit verursacht hätten. Ein Bandscheibenvorfall sei bei Th 8/9 diagnostiziert und eine Protrusion bei C 6/7 als Spätfolge des Unfalls festgestellt worden. Vorbestehende degenerative Veränderungen seien nicht bewiesen. Darüber hinaus sei der Versicherte in seinem Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Unfalls versichert. Auch die somatoforme Schmerzstörung sei, sofern sie bestehe, durch den Unfall wesentlich verursacht. Der Unfall könne nicht hinweg gedacht werden, ohne dass die somatoforme Schmerzstörung in der Reihe der Kausalverläufe entfiele. Die zum Unfallzeitpunkt knapp eineinhalb Jahre bestehende Arbeitslosigkeit habe aus dem Umstand resultiert, dass der frühere Arbeitgeber insolvent geworden sei. Er als Architekt mit langjähriger Berufserfahrung hätte gute Chancen gehabt, sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, was ihm wegen der unfallbedingten extrem starken Schmerzen nicht mehr möglich sei. Er sei deshalb auf Dauer erwerbsunfähig, weshalb es befremdlich erscheine, dass in den Gutachten von einer Ausheilung unfallabhängiger Veränderungen ab dem 16.03.2004 die Rede sei. Zum Beweis dafür, dass der Unfall am 05.09.2003 zu einer HWS-Distorsion geführt habe und die Beeinträchtigungen auf den Unfall zurückzuführen seien, werde nach § 109 SGG die gutachterliche Anhörung von Dr. W. beantragt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist angeregt worden, die Sache zu vertagen, bis die im zivilgerichtlichen Verfahren gegen die Haftpflichtversicherung in Auftrag gegebenen Gutachten vorliegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.10.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 13.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2004 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, Entschädigungsleistungen wegen des versicherten Unfalles vom 05.09.2003 über den 15.03.2004 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihren angefochtenen Bescheid und die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und auf die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach dem 15.03.2004.

Gem. § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld § 45 SGB VII und Rente § 56 SGB VII ). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII), wobei auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) versicherte Tätigkeit in diesem Sinne ist. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid bestandskräftig den Unfall vom 05.09.2003 als versicherten Wegeunfall (§§ 2 Abs. 1 Nr. 14, 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) anerkannt.

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie (stellvertretend BGHZ 137, 11, 19ff m.w.N.) folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1 m.w.N.). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier der §§ 45, 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. insgesamt BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.; SozR 2200 § 589 Nr. 96).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R -, jeweils m. w. H.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl. § 9 Abs. 3 SGB VII). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen liegt zur Überzeugung des Senats eine unfallbedingte Kausalität für die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht vor.

Soweit der Kläger sinngemäß geltend macht, die Bandscheibenvorfälle bei C 5/6 und Th 8/9 seien durch den Unfall verursacht worden, ist ein solcher Entstehungszusammenhang durch die Sachverständigen für den Senat überzeugend widerlegt. Dr. N. hat in seinem Gutachten hierzu überzeugend ausgeführt, dass für traumatisch bedingte Bandscheibenvorfälle u. a. eine geeignete Unfallmechanik mit entsprechenden Begleitverletzungen und eine typische Beschwerdesymptomatik zu fordern sei. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht vor. Die nur drei Tage nach dem Unfall angefertigten Röntgenbilder bzw. die Kernspintomographie-Aufnahmen der HWS haben keine Knochenödeme der angrenzenden Wirbelkörper, keine auffälligen Flüssigkeitssignale der jeweiligen Bandscheiben, die für einen lokalen Reizzustand oder frische anhaltende Flüssigkeitsveränderungen in den Bandscheiben sprechen, ergeben. Die unfallnah angegebenen Beschwerden waren auch nicht typisch für einen Bandscheibenvorfall der HWS bzw. BWS. Neurologische Hinweise für eine radikuläre Beteiligung austretender Nervenwurzeln fanden sich nicht. Dies stimmt mit dem Ergebnis aus dem Befundbericht von Dr. F. vom 09.10.2003, den der Kläger anlässlich der Untersuchung bei Dr. N. dem Sachverständigen übergeben hatte, überein, wonach die zusatztechnischen Untersuchungen EEG, HWS-MRT, CCT keinen pathologischen Befund ergeben hätten. Die zum Unfallzeitpunkt erkennbaren degenerativen Veränderungen der HWS und BWS waren nach Dr. N. alle bereits schon vor dem Unfall vorhanden, insbesondere die Protrusion bei C 6/7. Diese wurde durch die Magnetresonanztomographie am 07.06.2004 diagnostiziert (Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis K./Dr. K. vom 07.06.2004), wobei in der MRT-Voraufnahme der Radiologen K./Dr. K. vom 08.09.2003 bereits degenerative Veränderungen dieses Wirbelkörpersegments in Form von Retrospondylophyten und einer Osteochondrose zu erkennen waren (Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis K./Dr. K. vom 08.09.2003). Solche degenerativen Veränderungen bilden sich nicht innerhalb weniger Tage und auch nicht unfallbedingt zeitgleich über mehrere Wirbelkörpersegmente aus. Entgegen der Beurteilung von Prof. Dr. S. haben Dr. N. und aus neurologischer Sicht Dr. H. den Bandscheibenvorfall in der BWS für den Senat überzeugend als unfallunabhängige beurteilt. In der medizinischen Bewertung, dass erhebliche unfallvorbestehende degenerative Veränderungen der HWS vorlagen, waren sich sogar alle gutachtlich äußernden Ärzte einig. Entgegen der Auffassung des Klägers ist zur Überzeugung des Senats der Nachweis über unfallvorbestehende Degenerationserscheinungen geführt. Aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Entlassungsbericht der S.-Klinik vom 09.06.2005 (Diagnosen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Anpassungsstörung, Gesamt-Wirbelsäulen-Schmerzsyndrom bei multiplen Bandscheibenvorfällen und Protrusionen) ergibt sich keine andere Beurteilung, sondern wird die Verursachung der Beschwerden durch degenerative Veränderungen bestätigt.

Eine vorübergehende Verschlimmerung des vorbestehenden Gesundheitszustands an der HWS haben die Sachverständigen bejaht, dies hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid mit Entschädigung der behandlungsbedürftigen und unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bis 15.03.2004 auch berücksichtigt. Anhand der dokumentierten Beschwerdesymptomatik hat Dr. N. überzeugend dargelegt, dass die allein auf Grund von Beschwerdeangaben des Betroffenen bei im Übrigen unauffälligen objektiven Befunden erfolgte Einstufung der Ausprägung einer bejahten HWS-Distorsion nur die Zuordnung zum Grad I nach Erdmann zulässt. Maßgebend sind für Dr. N. die "Erstbefunde", der Beginn der Beschwerden und der unfallnahe Beschwerdeverlauf, wobei Dr. N. seinen Ausführungen im Gutachten zufolge auch der bereits am Unfalltag erhobene Erstbefund der Notfallpraxis des M., der sich nicht in der Beklagtenakte befindet, bekannt war. Für den Kläger wurde die nach den unfallmedizinischen Erfahrungssätzen maximal mögliche Auswirkung einer entsprechenden Beschwerdesymptomatik hinsichtlich der Dauer und Art der Ausprägung zu¬grunde gelegt. Der Kläger verkennt mit seinem Einwand, es sei die individuelle Situation zugrunde zu legen und kein als gewiss anzunehmender regelmäßiger Verlauf, dass die Zuordnung zu dem Schweregrad I einer HWS-Distorsion gerade daran angeknüpft, dass außer glaubhaften Beschwerdeangaben keine sonstigen, eine Verletzung verifizierenden Anhaltspunkte vorliegen. Dr. N. führt aus, dass eine Symptomatik bei Vorschädigungen der HWS auch ungewöhnlich und protrahiert verlaufen kann - deshalb wurde auch der maximale Zeitraum unfallbedingter Beschwerden ausgenutzt -, doch die vom Kläger beklagten Symptome nach der Zeitdauer und der Qualität durch eine HWS-Distorsion nicht mehr zu erklären sind. Die Schmerzangaben können nach dem orthopädischen Befunden organisch nicht abgeleitet werden und der wechselnde Verlauf spricht auch gegen eine organische Ursache.

Aus dem neurologischen Gutachten von Dr. H. und dem psychotherapeutisch-psychosomatischen Gutachten von PD Dr. E. ergibt sich für den Senat überzeugend, dass der Kläger eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt hat, die aber nicht wesentlich kausal durch den Unfall verursacht ist. Eine organische Erklärung der Beschwerden aus neurologischer Sicht hat Dr. H. ausgeschlossen. Er konnte auf Grund seiner Untersuchungen, wie auch die den Kläger zuvor untersuchenden Neurologen, keine neurologischen Defizite diagnostizieren. PD Dr. E. hat nachvollziehbar dargelegt, dass der Unfall möglicherweise im Sinne der naturwissenschaftlisch philosophischen Kausalitätstheorie ursächlich für die psychosomatische Erkrankung des Klägers war, weil der Unfall den Entwicklungsprozess zur einer psychosomatischen Erkrankung mit ausgelöst hat. Schmerzzustände werden häufig über diese dargelegte Pathogenese nach zufälligen Unfällen vor einem affektiv gespannten emotionalen Hintergrund entwickelt. Einen solchen psychodynamischen Prozess hat die Sachverständige anhand der abgelaufenen narzisstischen Mechanismen der Schmerzentstehung im Falle des Klägers für den Senat überzeugend dargelegt. Eine somatoforme Schmerzstörung ist daher entgegen der Auffassung des Klägers zur vollen Überzeugung des Senats durch die Sachverständigen nachgewiesen.

Jedoch auf der zweiten Prüfungsebene der Kausalität ist ein wesentlicher Zusammenhang mit dem Unfall zu verneinen. Danach ist die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, wie sie bei der Exploration und durch psychometrische Untersuchungen während der Untersuchung durch PD Dr. E. zu Tage getreten und dem Senat überzeugend vermittelt worden ist, die überragende Bedingung für die Ausbildung der somatoformen Schmerzstörung. Der dergestalt beschriebene psychosomatische Zusammenhang für die Entwicklung und Persistenz der Schmerzen ist nach PD Dr. E. sehr wahrscheinlich. Unter der gebotenen rechtlichen Würdigung ist für den Senat nachvollziehbar, dass die psychodynamischen Abläufe - möglicherweise bereits für die Persistenz der Schmerzen in dem von der Beklagten noch als unfallursächlich angesehenen Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit - dominierend mitwirkten. Mit zunehmender Dauer eines durch den organischen Befund nicht zu begründenden Schmerzzustandes verliert aber das den psychischen Prozess auslösende Unfallereignis seine Bedeutung, die nur in der Initialisierung des Prozesses liegt. Für die Unterhaltung der Schmerzstörung erlangen die aus psychosomatischer Sicht bedeutungsvollen narzisstischen Mechanismen für den "Krankheitsgewinn", wie von der Sachverständige Dr. E. beschrieben, immer mehr Bedeutung. Ein auf den Unfall zurückzuführender geeigneter medizinischer Befund, der den psychischen Prozess (mit)unterhält, z. B. eine noch Schmerzen auslösende Verletzung oder eine an ein traumatisierendes Unfallgeschehen erinnernde Narbe etc., liegt nicht vor. Damit ist die nachvollziehbare medizinische Beurteilung der Sachverständigen, dass die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht auf den Unfall zurückzuführen ist, auch in der vom Senat vorzunehmenden rechtlichen Beurteilung einzustellen. Der Unfall ist als (noch) wesentliche Ursache für eine über den 15.03.2004 hinaus bestehende somatoforme Schmerzstörung zu verneinen.

Der Senat hat aufgrund der überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. C., Dr. N., Dr. H. und PD Dr. E. den entscheidungsrelevanten medizinischen Sachverhalt als aufgeklärt angesehen. Weitere Ermittlungen von Amts wegen haben sich dem Senat nicht aufgedrängt. Aufklärungsbedürftige Sachverhalte hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Dass der Unfall zu einer HWS-Distorsion geführt hat, ist nicht beweisbedürftig. Hiervon geht der Senat sogar aus. Die diagnostische Zuordnung der beim Kläger noch vorhandenen Beschwerdesymptomatik ist für den Senat überzeugend durch die genannten Gutachten vorgenommen worden. Weitere, von Amts wegen aufzunehmende Ermittlungen haben sich dem Senat daher nicht aufgedrängt. Der Kläger hat keine Gesichtspunkte geltend gemacht, an die anknüpfend der Senat zu einer anderen Bewertung hätte kommen können. Der allgemein gehaltene Hinweis auf die im zivilgerichtlichen Verfahren erwarteten Gutachten lässt nicht erkennen, dass hieraus neue oder andere Erkenntnisse resultieren könnten. Der Senat hat daher auch keinen Anlass gesehen, den Rechtsstreit, wie vom Kläger angeregt, zu vertagen, um die Vorlage der Gutachten abzuwarten; zumal im zivilgerichtlichen Verfahren eine vom sozialgerichtlichen Verfahren abweichende Kausalitätsbewertung erfolgt, wie oben ausgeführt ist, und daher die in den Gutachten angestellten Kausalitätsüberlegungen nicht ohne weiteres auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen werden können.

Der Senat hat auch dem Antrag des Klägers, nach § 109 SGG ein weiteres Gutachten von Dr. W. einzuholen, nicht stattgegeben Auf Antrag nach § 109 SGG sind bereits in der ersten Instanz Gutachten auf unfallchirurgischem, neurologischem und psychotherapeutisch-psychosomatischem Fachgebiet eingeholt worden.

Eine wiederholte Antragstellung nach § 109 SGG rechtfertigt sich nur bei Vorliegen besonderer Umstände (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 109 Rdnr. 10b). Solche sind nicht gegeben. Der Kläger ist auf den in Betracht kommenden medizinischen Fachgebieten seinem Antrag entsprechend von Ärzten seines Vertrauens untersucht und begutachtet worden. Inwieweit der genannte Arzt Dr. W. als Leitender Arztes eines Wirbelsäulenzentrums über die Fachgebiete der Unfallchirurgie, der Neurologie und der Psychosomatik hinaus weitere Erkenntnisse beisteuern kann, war dem Senat nicht ersichtlich, solches hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Der Umstand, dass die bisher nach § 109 SGG genannten Ärzte zu einem für den Kläger nicht günstigen Ergebnis gekommen sind, rechtfertigt jedenfalls nicht die wiederholte Antragstellung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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