L 6 U 355/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2562/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 355/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob das Nierenleiden des Klägers als Berufskrankheit (BK) festzustellen ist.

Der 1957 geborene Kläger zeigte der Beklagten im April 2005 den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Er sei von 1981 bis 1991 ganzjährig bei der A. GmbH in B. als Waldarbeiter beschäftigt gewesen. Nur wenn viel Schnee gelegen sei, habe ihn die GmbH arbeitslos gemeldet. Dabei habe er sich eine chronische Nierenentzündung zugezogen. Beide Nieren seien entfernt worden. Am 02.08.1994 sei ihm eine Niere transplantiert worden. Erstmals habe sich seine Erkrankung im Mai 1987 durch Schmerzen und Blut im Urin bemerkbar gemacht.

In ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 21.06.2005 führte Dr. H. aus, als Waldarbeiter sei der Kläger einer gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhten Gefährdung ausgesetzt gewesen, eine Hantavirusinfektion zu erwerben. Diese, von Nagetieren auf den Menschen übertragbare Infektionserkrankung könne zu unterschiedlich schweren Störungen der Nierenfunktion führen. Auf die Rückfrage der Beklagten, auf welche Umstände seiner Tätigkeit als Waldarbeiter er seine Nierenerkrankung zurückführe, erklärte der Kläger unter dem 16.11.2005, er habe ständig schwere Arbeit im Freien verrichten müssen und sei dabei ständig wechselnden Witterungsbedingungen ausgesetzt gewesen, wie Kälte und Nässe, Frost, Schnee und Hitze. Bei anstrengender Arbeit sei er ins Schwitzen geraten und danach bei leichterer Arbeit wieder ausgekühlt, ohne dass er die Gelegenheit gehabt habe, sich umzuziehen, weil dies während der Arbeit nicht möglich gewesen sei und Kleider zum Wechseln nicht verfügbar gewesen seien.

Mit Bescheid vom 07.12.2005 lehnte es die Beklagte ab, eine chronische Nierenentzündung als BK gemäß § 9 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) i. V. m. der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen. Bei einer chronischen Nierenentzündung bedingt durch ständige Erhitzung und Abkühlung bzw. Arbeiten in Kälte, Nässe und Schnee handle es sich um keine Erkrankung, die in der BKV aufgeführt werde. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006).

Am 13.04.2006 erhob der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) und wiederholte seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Ergänzend trug sie vor, es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass Waldarbeiter durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade eine Nierenerkrankung erlitten als die übrige Bevölkerung. Sie legte die Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 19.10.2006 vor.

Das SG vernahm den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. W. (Auskunft vom 01.06.2006), den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. (Auskunft vom 06.06.2006) sowie die Internistin und Nephrologin Dr. G. (Auskunft vom 07.06.2006) jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. übersandte den Arztbrief von Prof. Dr. Sch. vom Dialyse-Institut V. vom 18.04.1997 mit der Diagnose einer chronischen Glomerulonephritis (IgA-Nephritis) als Grunderkrankung. Dr. Sch. führte aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers als Waldarbeiter und der IgA-Nephropathie könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, weil es sich hierbei um einen Autoimmunprozess handle. Dr. G. legte dar, eine Hantavirusinfektion könne als Ursache des Nierenversagens beim Kläger ausgeschlossen werden, weil es sich hierbei um eine interstitielle Nephritis handle, während bei dem Kläger eine chronische Glomerulonephritis vorliege. Letztere scheine mit einer Fehlregulation der IgA-Synthese und des Stoffwechsels assoziiert zu sein. In den allermeisten Fällen sei sie idiopathisch bedingt, d.h. ohne erkennbare Ursache. Somit könne ein kausaler Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Waldarbeiter und der chronischen Nierenentzündung verneint werden, allerdings könne ihr Verlauf, d.h. die Funktionsverschlechterung hierdurch ungünstig beeinflusst werden, da Tätigkeiten im Freien sicher eher zu Erkältungskrankheiten disponierten.

Das SG holte von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Auskunft vom 03.11.2006 ein und auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von Prof. Dr. R. vom Nephrologischen Zentrum V. das nach Lage der Akten erstattete Gutachten vom 10.05.2007. Der Sachverständige kam darin zu dem Ergebnis, bei dem Nierenleiden des Klägers handle es sich um eine IgA-Glomerulonephritis oder IgA-Nephropathie. Pathogenetisch handle es sich um eine autoimmunologische Erkrankung, die durch die Synthese, Freisetzung und das permanente Auftreten zirkulierender IgA-Immunkomplexe ausgelöst werde. Letztendlich müsse angenommen werden, dass bestimmte, zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannte genetische Charakteristika eine IgA-Nephropathie auslösten. Eine Assoziation bestimmter Infekte mit dem Entstehen einer IgA-Nephropathie sei nicht bekannt. Bei bis zu 50% der Patienten sei die Erkrankung mit einer oder mehreren Makrohämaturieepisoden (sichtbar blutiger Urin) assoziiert. Diese Episoden träten häufiger im Zusammenhang mit respiratorischen Infekten auf. Sie seien jedoch selbstlimitiert. Eine Verschlechterung der Prognose einer IgA-Nephropathie durch eine Makrohämaturie trete nicht ein. Ein Zusammenhang mit der Tätigkeit als Waldarbeiter bestehe somit nicht. Auf eine Hantavirusinfektion könne die Nierenerkrankung des Klägers nicht zurückgeführt werden, weil diese Erkrankung typischerweise als akutes Krankheitsbild mit akutem Nierenversagen ablaufe. Histologisch ergebe sich ein völlig anderes Bild als im vorliegenden Fall.

Mit Urteil vom 12.12.2007 - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 21.12.2007 - wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf das Gutachten von Prof. Dr. R. sowie auf die Stellungnahme der Nephrologin Dr. G. vom 07.06.2006. Eine BK nach der Nr. 3102 der Anlage zur BKV liege damit nicht vor. Es kämen auch keine weiteren in der BK-Liste aufgeführten BKen in Frage. Die von der Klägerseite als Ursache der Nierenerkrankung angeführten Witterungswechsel bei der beruflichen Tätigkeit seien von keiner BK, welche in der Liste aufgenommen sei, als beruflich bedingter Einfluss erfasst. Die Anerkennung einer BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII sei nicht weiter zu erörtern, weil die Beklagte hierüber in den angefochtenen Bescheiden nicht entschieden habe. Lediglich ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass nach Aussage des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften keine weiteren Fälle gemeldet worden seien und auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur besonderen Gefährdung von Waldarbeitern im Vergleich mit den übrigen Bevölkerungsschichten vorlägen.

Mit seiner hiergegen am 21.01.2008 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er wiederholt seinen Vortrag aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren. Ergänzend trägt er vor, es sei ihm nicht möglich, geringfügige Hautveränderungen oder Verletzungen dem Biss einer Zecke oder eines Nagetiers zuzuordnen, da derartige Hautverletzungen auch durch Gestrüpp, Dornen und dergleichen verursacht würden und bei der Tätigkeit als Waldarbeiter sehr häufig, nämlich nahezu täglich, vorkämen. Das eingeholte Gutachten habe lediglich die Ansteckung mit dem Hantavirus ausgeschlossen, dagegen nicht die denkbare Ansteckung mit anderen Viren. Die Möglichkeit, dass seine Erkrankung durch die Tätigkeit im Freien bei ständig wechselnden Temperaturen über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren hinweg hervorgerufen worden sei, liege nahe. Dem stehe nicht entgegen, dass bisher eine solche Ursache bei anderen Personen mit ähnlichen Tätigkeiten nicht festgestellt worden sei. Bei nahezu allen heute anerkannten BKen müssten die entsprechenden Erkrankungen erst im Verlauf längerer Untersuchungen der vorangegangenen Infektion oder Tätigkeiten mit Berührung gesundheitsschädlicher Stoffe oder Witterungseinflüsse ermittelt werden. Nichts anderes gelte im vorliegenden Fall.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.03.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihm vorliegende chronische Nierenentzündung Folge einer BK ist.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Listenerkrankung im Sinne der BKV könne nicht festgestellt werden. Insbesondere habe aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. R. das Vorliegen einer Hantaviruserkrankung nicht wahrscheinlich gemacht werden können.

Mit Schreiben vom 18.03.2008 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen.

Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, er sei mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden.

Wegen weiter Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das Landessozialgericht, außer in den Fällen des hier nicht gegebenen § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die genannten Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Zustimmung der Beteiligten mit dieser Verfahrensweise ist nicht erforderlich. Aufgrund der Ausübung des ihm insoweit eingeräumten Ermessens hat sich der Senat für diese Verfahrensweise entschieden. Dagegen spricht auch nicht, dass das SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Zum einen hat sich der Kläger gegenüber dem SG ausdrücklich mit einer Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt. Zum anderen hat er im Rahmen des Termins zur Erörterung des Sachverhalts vom 20.09.2006 Gelegenheit gehabt, sein Anliegen mündlich vorzutragen.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils hat das SG ausführlich dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine BK nach der Nr. 3102 der Anlage zur BKV anerkannt werden kann und dass auch keine sonstige, in der Anlage zur BKV aufgeführte Erkrankung bei dem Kläger vorliegt. Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und verweist hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG.

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 21.02.2008 ergänzend vorgetragen hat, das eingeholte Gutachten habe lediglich die Ansteckung mit dem Hantavirus ausgeschlossen, dagegen nicht die Ansteckung durch andere Viren, die denkbar und möglich sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass nicht nur der haftungsbegründende Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung, sondern auch der haftungsausfüllende Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Krankheit hinreichend wahrscheinlich sein muss, wie das SG zutreffend dargelegt hat. Die bloße Möglichkeit genügt hierfür nicht. Im Übrigen kann ausgeschlossen werden, dass das Nierenleiden des Klägers durch den Biss einer Zecke hervorgerufen worden ist. Ein entsprechender Zusammenhang wird in der Literatur nicht beschrieben. Als Folge eines Zeckenbisses kommt lediglich die sogenannte Zeckenenzephalitis (Frühsommer-Meningoenzephalitis - FSME) und eine Borreliose in Betracht. Die aktenkundigen medizinischen Unterlagen ergeben jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass bei dem Kläger eines der genannten beiden Krankheitsbilder vorliegt. Eine Infektion durch den Biss eines Nagetiers kann ebenfalls ausgeschlossen werden, wie Prof. Dr. R. schlüssig dargelegt hat, weil hierdurch nur der sogenannte Hantavirus übertragen worden sein könnte und weil der bei dem Kläger vorliegende histologische Befund hiermit nicht vereinbar ist. Soweit der Kläger vorgetragen hat, der geltend gemachte Anspruch müsse schon deshalb anerkannt werden, weil nicht von vornherein und völlig auszuschließen sei, dass seine chronische Nierenerkrankung auf eine durch seine Tätigkeit als Waldarbeiter erlittene Infektion zurückzuführen sei, verkennt er den Grundsatz der auch im sozialgerichtlichen Verfahren maßgeblichen objektiven Beweis- bzw. Feststellungslast. Danach trägt jeder Beteiligte im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, hier also der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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