L 10 R 779/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 3142/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 779/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.09.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der am 1950 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war zuletzt von 1972 bis April 2001 als Maurer beschäftigt. Seitdem ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Auf den Antrag des Klägers vom 19.01.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.04.2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.02.2004 und lehnte die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Dem lag ein Gutachten der Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. Schn. (vor allem erhebliche Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule mit erheblich eingeschränkter Halswirbelsäulen- und leicht eingeschränkter Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit ohne sicheren Hinweis auf Nervenwurzelreizzeichen; Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maurer und von mindestens sechs Stunden täglich für körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten unter besonderem Zeitdruck oder in Nachtschicht, ohne Kälteexposition und ohne Absturzgefahr) zu Grunde.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Orthopäden Dr. Kn. (neben dem Wirbelsäulenleiden Beugedefizit des linken Daumens mit Muskelkraftminderung der Daumenmuskulatur, leichtes Übergewicht, Senk-Spreizfüße beidseits, beginnende Großzehenballenbildung beidseits, langjähriger Nikotinkonsum, deutliche Leberwerterhöhung sowie Harnsäurewerterhöhung bei Hinweisen für Alkoholmehrgebrauch; Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne häufige Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne Anforderungen an die volle Gebrauchsfähigkeit der linken Hand) mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2004 zurück.

Der Kläger hat am 04.10.2004 zum Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben und geltend gemacht er könne auch leichte Tätigkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vollschichtig ausüben. Neben den im Vordergrund stehenden Leiden auf orthopädischem Fachgebiet leide er an einer Depression, die die Beklagte nicht berücksichtigt habe.

Das Sozialgericht hat den behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Vt. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (der Kläger sei unter drei Stunden täglich erwerbsfähig) und ein Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. St. eingeholt. Dr. St. hat eine Alkoholproblematik mit vermutlicher Abhängigkeit, eine Tabakabhängigkeit, eine beginnende, vermutlich alkoholische Polyneuropathie, Schwindel ohne fassbare organische Ursache, Bluthochdruck und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Gelenke, hingegen keine psychischen Störungen von Krankheitswert festgestellt. Der Kläger sei in der Lage, vollschichtig (7,5 bis acht Stunden täglich) einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen, wobei die bereits orthopädisch festgelegten qualitativen Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus sollte der Kläger keine Arbeiten mit Klettern auf Leitern und Gerüsten sowie Gehen in der Dämmerung und auf unebenem Boden verrichten.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht Gutachten von dem Chirurgen Dr. Schm. und dem Psychiater Dr. V. eingeholt. Dr. Schm. hat ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ohne Zwangshaltungen, ohne Tätigkeiten, die ein regelmäßiges rasches Drehen und Wenden des Kopfes erfordern, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten (über 15 kg), ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Akkord- und Fließbandarbeiten festgestellt.

Dr. V. hat in seinem Gutachten mit ergänzender Stellungnahme neben den bekannten orthopädischen Diagnosen vor allem eine Anpassungsstörung mit anhaltend agitiert depressivem Syndrom und anhaltender Persönlichkeitsveränderung festgestellt. Der Kläger schaffe es offensichtlich, die zu Hause anfallenden Pflichtgeschäfte, einschließlich der Versorgung seiner Tiere (Zucht von Wildvögeln, Katze und Hund) regelmäßig unter Einhaltung einer doch festen Tagesstruktur abzuarbeiten, dabei sei allerdings zu berücksichtigen, dass ihm die Tiere sehr viel bedeuten würden, sodass der Kläger dadurch Motivationsenergien aufbauen könne. Nach diesem Konzept wäre eine durchaus auch mehrstündige Tätigkeit unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen unter Umständen dann möglich, wenn der Kläger einer solchen Tätigkeit einen Sinn abgewinnen könnte. Allerdings sei der Kläger nicht in der Lage, sozusagen "aus dem Stand" sofort einer sechsstündigen Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt nachzukommen; erforderlich sei eine - bislang nicht erfolgte - fachpsychiatrische medikamentöse und psychotherapeutische Komplexbehandlung über sechs bis acht Wochen, ggf. auch länger.

Mit Urteil vom 26.09.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei nicht voll erwerbsgemindert, weil er noch in der Lage sei, zumindest körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (leichte Erwerbstätigkeiten ohne besondere Wirbelsäulenbelastungen, d.h. mit der Möglichkeit eines hinreichenden Wechsels der Körperhaltung und ohne Zwangshaltungen; ohne besonderen Druck wie bei Akkord- und Fließbandarbeit; ohne gefahrgeneigte Tätigkeiten wie z.B. auf Leitern und Gerüsten) sechs Stunden täglich zu verrichten. Hierbei hat sich das Sozialgericht auf die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren erstatteten Gutachten von Dr. Schn. und Dr. Kn. sowie auf das im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Dr. St. gestützt. Eine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch eine psychische Erkrankung sei - wie Dr. St. nachvollziehbar dargelegt habe - nicht feststellbar. Die Beurteilungen des Hausarztes Dr. Vt. und des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. V. seien nicht geeignet, gegenteilige Feststellungen zu begründen. Die Ausführungen des Dr. V. ließen eine kritische Auseinandersetzung nicht erkennen, schwerwiegende Einschränkungen auf Grund einer entsprechend schwerwiegenden psychischen Krankheit seien nicht nachvollziehbar dargelegt. Andererseits würden schon die aktenkundigen Schilderungen ergeben, dass der Kläger die täglichen Aufgaben bewältige und im Zusammenhang mit seinen Hobbys durchaus Aktivitäten entfalte.

Gegen das am 08.02.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.02.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, Dr. V. habe in seinem nervenärztlichen Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme schlüssig dargelegt, dass er nicht mehr in der Lage sei, auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.09.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 07.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2004 zu verurteilen, ihm ab 01.08.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.07.2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig ausüben kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass das Gutachten des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. V., auf das allein der Kläger seine Berufung stützt, auch nach Überzeugung des Senats nicht geeignet ist, eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens zu begründen. Der Kläger ist sowohl nach seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. St. als auch gegenüber dem Sachverständigen Dr. V. weiterhin in der Lage, seinen Haushalt allein zu versorgen und seinen Tagesablauf zu strukturieren. Er betreibt eine Vogelzucht, die nach seinen Angaben gegenüber Dr. V. viel Arbeit macht. Des Weiteren ist er in der Lage, sich um seine Haustiere (Hund und Katze) zu kümmern und mit dem Hund längere Spaziergänge zu machen. Nach seinen Angaben gegenüber Dr. St. pflegt der Kläger durchaus auch noch gewisse soziale Kontakte, so zu den Nachbarn, zur Verwandtschaft und zu Bekannten sowie gelegentlich zum Vogelzuchtverein. Eine wesentliche Antriebsschwäche ergibt sich somit insgesamt aus den weiterhin erhaltenen Aktivitäten des Klägers nicht.

Im Übrigen hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die durch eine psychische Störung bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit voraussichtlich auf längere Dauer, d.h. für länger als sechs Monate vorliegen muss. Denn während der ersten sechs Monate einer Leistungsunfähigkeit steht keine Rente zu (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI und Niesel, Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI, RdNr. 25). Damit scheiden seelisch bedingte Störungen für die Begründung einer Erwerbsminderung aus, die der Betroffene bei der ihm zuzumutenden Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztliche Mithilfe (BSG, Urteil vom 21.10.1969, 11 RA 219/66 in SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO) sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden kann (BSG, Urteil vom 01.07.1964, 11/1 RA 158/61 in SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO), wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BSG a.a.O.). Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt würde, dass er - wie Dr. V. ausgeführt hat - nicht in der Lage ist "aus dem Stand" eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben, kann sich der Senat nicht von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit von voraussichtlich längerer Dauer überzeugen. Denn Dr. V. hat hinsichtlich des von ihm angenommenen psychischen Beschwerdebildes auch dargelegt, dass insoweit mittels einer fachpsychiatrischen medikamentösen und einer psychotherapeutischen Komplexbehandlung von voraussichtlich sechs bis acht Wochen mit einer nachhaltigen Veränderung des Symptomkomplexes zu rechnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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