Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 3696/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4123/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. Januar 2007 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert; sie war nach erfolgreichem Abschluss der einjährigen hauswirtschaftlichen Berufsschule vom 1. August 1977 bis 5. Juli 1989 versicherungspflichtig als Papierverarbeiterin und zuletzt ab 2. Mai 2002 geringfügig als Zeitungsausträgerin beschäftigt. Am 18. März 2002 beantragte sie erstmals die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und führte zur Begründung aus, sie halte sich wegen eines im Jahre 1985 erlittenen Arbeitsunfalls und eines Privatunfalls im Jahre 1995 für erwerbsgemindert. Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts ließ die Beklagte die Klägerin von Facharzt für Orthopädie Dr. K. begutachten. Dieser legte in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2002 dar, die Klägerin könne als Maschinenarbeiterin nur noch unter zwei Stunden täglich, bezogen auf sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aber weiterhin vollschichtig arbeiten. Nachdem die Klägerin am 22. April 2004 erneut Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, beauftragte die Beklagte Dr. K. mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine hochgradige Funktionsminderung der linken Hand nach mehrfachen Operationen im Bereich des 3., 4. und 5. Fingers mit operativer Teilfingerteilversteifung nach stattgehabter Strecksehnenverletzung des linken Kleinfingers 1995 sowie ein geringes Streckdefizit mit Restbeschwerdensymptomatik des linken Ellenbogengelenks nach mehrfacher operativer Sanierung einer Schleimbeutelverletzung des linken Ellenbogens 1984. Trotz dieser Erkrankungen hielt Dr. K. die Klägerin aber noch für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden arbeitstäglich und länger zu verrichten. Mit Bescheid vom 26. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin erfülle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht, denn sie habe in den letzten fünf Jahren keine drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit absolviert. Im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Dezember 1993 bis 28. April 2004 seien lediglich zwei Jahre und zehn Monate mit entsprechenden Beiträgen belegt. Darüber hinaus bestehe bei der Klägerin weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 zurück.
Mit ihrer am 18. November 2004 beim Bürgermeisteramt St. J. erhobenen Klage, die an das Sozialgericht Reutlingen (SG) weitergeleitet worden ist, hat die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, ihre linke Hand sei nicht mehr gebrauchsfähig; dies falle bei ihr als Linkshänderin erheblich ins Gewicht. Die Beklagte ist der Klage unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen von Facharzt für innere Medizin Dr. J. entgegengetreten. Bei Eintritt eines Leistungsfalls im Februar 2004 oder früher seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung, bedingt durch eine Funktionseinschränkung der linken Hand, seien zudem Verweisungstätigkeiten zu benennen. Sie halte die Klägerin noch für fähig, als Telefonistin, als Pförtnerin an der Nebenpforte oder als Museumswärterin zu arbeiten. Dementsprechend sei die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Das SG hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie des Klinikums am S., R., Dr. V., von Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. und von Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. eingeholt; anschließend ist der Chefarzt der orthopädischen Abteilung an den Fachkliniken H., B. U., Prof. Dr. H. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Wegen des Ergebnisses der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme wird auf Bl. 37 bis 67 und 102 bis 145 der Klageakten des SG (S 5 RJ 3696/04) Bezug genommen. Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Das vollständig abgefasste Urteil ist mit Schreiben der Geschäftsstelle des SG vom 11. Juli 2007 am 12. Juli 2007 zur Post gegeben worden.
Gegen das ihr am 16. Juli 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Juli 2007 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Das SG habe insbesondere der vorliegenden hochgradigen Gebrauchseinschränkung ihrer linken (Haupt-) Hand keine ausreichende Bedeutung beigemessen. Darüber hinaus habe das SG zahlreiche weitere Erkrankungen unberücksichtigt gelassen und deshalb verkannt, dass sie den körperlichen und psychomentalen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht mehr gerecht werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2004 zu verurteilen, ihr ab 1. April 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.
Der Berichterstatter hat eine dienstliche Äußerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der 5. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts dieser dienstlichen Äußerung wird auf Bl. 33 der Berufungsakte des Senats verwiesen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, (23 140261 H 517), die Klageakten des SG (S 5 RJ 3696/04) und die Berufungsakten des Senats (L 13 R 4123/07) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Urteils und der Zurückverweisung der Streitsache an das SG auch begründet.
Gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil auf ihm beruhen kann (Meyer-Ladewig, SGG, § 159 Rdnr. 3a). Hier liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler, ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 6 der Zivilprozessordnung (ZPO), vor, denn das angefochtene Urteil war im Sinne dieser Vorschrift nicht mit Gründen versehen. Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 SGG soll das Urteil vor Ablauf eines Monats, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Die Vorschrift regelt den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens nach Verkündung der Entscheidung. Ein Verstoß gegen diese als Soll-Vorschrift ausgestaltete Norm hat auch angesichts der allgemeinen Übung, das Urteil schriftlich erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und nach seiner Verkündung abzusetzen, grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rechtswirksamkeit des Urteils. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht mit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (GmS-OGB 1/92 - NJW 1993, 2603) davon aus, dass maßgeblich für die Beachtlichkeit der Gründe eines Urteils die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt dieses Urteil vom zuständigen Richter umfassend schriftlich abgesetzt worden ist. Die Urteilsgründe gelten als nicht existent, wenn sie erst nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung der Entscheidung vollständig niedergelegt und der Geschäftsstelle zur Ausfertigung und Zustellung zugeleitet worden sind (vgl. zum Ganzen Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. Januar 1998 - L 5 RJ 525/97 - veröffentlicht in Juris). Diese absolute Höchstgrenze hat das SG überschritten; das Urteil ist bereits am 30. Januar 2007 verkündet worden, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils sind aber erst im Juli 2007, und damit mehr als fünf Monate nach Urteilsverkündung, schriftlich niedergelegt der Geschäftsstelle übergeben worden. Dies schließt der Senat aus der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der fünften Kammer des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. April 2008. Diese haben angegeben, es sei orientierend am aktenkundigen Absendevermerk davon auszugehen, dass das Urteil in vollständig abgefasster Form erst nach dem 30. Juni 2007 (Ablauf der Fünf-Monatsfrist) zur Geschäftsstelle gelangt.
Auch wenn die Zurückverweisung nur ausnahmsweise stattfinden soll, macht der Senat hier von dem ihm in § 159 SGG eröffneten Ermessen im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht Gebrauch. Maßgeblich war für den Senat insoweit, dass die vom SG durchgeführten Ermittlungen keine ausreichenden Feststellungen zur Frage, ob im Fall der Klägerin - wie vom Vorsitzenden der Kammer in seinem richterlichen Hinweis vom 14. Februar 2005 (noch) angenommen - der Sonderfall einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa Bundessozialgericht (BSG) SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) vorliegt und deshalb das Erfordernis der Benennung zumutbarer Verweisungstätigkeiten besteht, ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird das SG gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob auf dem Arbeitsmarkt Tätigkeiten als Telefonistin, als Pförtnerin an einer Nebenpforte oder als Museumswärterin in ausreichendem Umfang vorhanden sind und ob die Klägerin mit den bei ihr vorliegenden qualitativen Einschränkungen den körperlichen Anforderungen dieser Tätigkeiten noch gewachsen ist. Angesichts dieser noch nachzuholenden Ermittlungen tritt hier das Gebot, im Hinblick auf eine notwendige Verfahrensbeschleunigung von einer Zurückverweisung abzusehen, zurück. Letztlich ist damit auch der Sonderfall einer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründeten, also bereits nach dem Klagevorbringen selbst unschlüssigen oder gar missbräuchlichen Klage, nicht gegeben (vgl. dazu auch BSG SozR 4-1500 § 120 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung bleibt der (erneuten) Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert; sie war nach erfolgreichem Abschluss der einjährigen hauswirtschaftlichen Berufsschule vom 1. August 1977 bis 5. Juli 1989 versicherungspflichtig als Papierverarbeiterin und zuletzt ab 2. Mai 2002 geringfügig als Zeitungsausträgerin beschäftigt. Am 18. März 2002 beantragte sie erstmals die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und führte zur Begründung aus, sie halte sich wegen eines im Jahre 1985 erlittenen Arbeitsunfalls und eines Privatunfalls im Jahre 1995 für erwerbsgemindert. Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts ließ die Beklagte die Klägerin von Facharzt für Orthopädie Dr. K. begutachten. Dieser legte in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2002 dar, die Klägerin könne als Maschinenarbeiterin nur noch unter zwei Stunden täglich, bezogen auf sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aber weiterhin vollschichtig arbeiten. Nachdem die Klägerin am 22. April 2004 erneut Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, beauftragte die Beklagte Dr. K. mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine hochgradige Funktionsminderung der linken Hand nach mehrfachen Operationen im Bereich des 3., 4. und 5. Fingers mit operativer Teilfingerteilversteifung nach stattgehabter Strecksehnenverletzung des linken Kleinfingers 1995 sowie ein geringes Streckdefizit mit Restbeschwerdensymptomatik des linken Ellenbogengelenks nach mehrfacher operativer Sanierung einer Schleimbeutelverletzung des linken Ellenbogens 1984. Trotz dieser Erkrankungen hielt Dr. K. die Klägerin aber noch für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden arbeitstäglich und länger zu verrichten. Mit Bescheid vom 26. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin erfülle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht, denn sie habe in den letzten fünf Jahren keine drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit absolviert. Im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Dezember 1993 bis 28. April 2004 seien lediglich zwei Jahre und zehn Monate mit entsprechenden Beiträgen belegt. Darüber hinaus bestehe bei der Klägerin weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 zurück.
Mit ihrer am 18. November 2004 beim Bürgermeisteramt St. J. erhobenen Klage, die an das Sozialgericht Reutlingen (SG) weitergeleitet worden ist, hat die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, ihre linke Hand sei nicht mehr gebrauchsfähig; dies falle bei ihr als Linkshänderin erheblich ins Gewicht. Die Beklagte ist der Klage unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen von Facharzt für innere Medizin Dr. J. entgegengetreten. Bei Eintritt eines Leistungsfalls im Februar 2004 oder früher seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung, bedingt durch eine Funktionseinschränkung der linken Hand, seien zudem Verweisungstätigkeiten zu benennen. Sie halte die Klägerin noch für fähig, als Telefonistin, als Pförtnerin an der Nebenpforte oder als Museumswärterin zu arbeiten. Dementsprechend sei die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Das SG hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie des Klinikums am S., R., Dr. V., von Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. und von Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. eingeholt; anschließend ist der Chefarzt der orthopädischen Abteilung an den Fachkliniken H., B. U., Prof. Dr. H. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Wegen des Ergebnisses der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme wird auf Bl. 37 bis 67 und 102 bis 145 der Klageakten des SG (S 5 RJ 3696/04) Bezug genommen. Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Das vollständig abgefasste Urteil ist mit Schreiben der Geschäftsstelle des SG vom 11. Juli 2007 am 12. Juli 2007 zur Post gegeben worden.
Gegen das ihr am 16. Juli 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Juli 2007 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Das SG habe insbesondere der vorliegenden hochgradigen Gebrauchseinschränkung ihrer linken (Haupt-) Hand keine ausreichende Bedeutung beigemessen. Darüber hinaus habe das SG zahlreiche weitere Erkrankungen unberücksichtigt gelassen und deshalb verkannt, dass sie den körperlichen und psychomentalen Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht mehr gerecht werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2004 zu verurteilen, ihr ab 1. April 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.
Der Berichterstatter hat eine dienstliche Äußerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der 5. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts dieser dienstlichen Äußerung wird auf Bl. 33 der Berufungsakte des Senats verwiesen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, (23 140261 H 517), die Klageakten des SG (S 5 RJ 3696/04) und die Berufungsakten des Senats (L 13 R 4123/07) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Urteils und der Zurückverweisung der Streitsache an das SG auch begründet.
Gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil auf ihm beruhen kann (Meyer-Ladewig, SGG, § 159 Rdnr. 3a). Hier liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler, ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 6 der Zivilprozessordnung (ZPO), vor, denn das angefochtene Urteil war im Sinne dieser Vorschrift nicht mit Gründen versehen. Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 SGG soll das Urteil vor Ablauf eines Monats, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Die Vorschrift regelt den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens nach Verkündung der Entscheidung. Ein Verstoß gegen diese als Soll-Vorschrift ausgestaltete Norm hat auch angesichts der allgemeinen Übung, das Urteil schriftlich erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und nach seiner Verkündung abzusetzen, grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rechtswirksamkeit des Urteils. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht mit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (GmS-OGB 1/92 - NJW 1993, 2603) davon aus, dass maßgeblich für die Beachtlichkeit der Gründe eines Urteils die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt dieses Urteil vom zuständigen Richter umfassend schriftlich abgesetzt worden ist. Die Urteilsgründe gelten als nicht existent, wenn sie erst nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung der Entscheidung vollständig niedergelegt und der Geschäftsstelle zur Ausfertigung und Zustellung zugeleitet worden sind (vgl. zum Ganzen Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. Januar 1998 - L 5 RJ 525/97 - veröffentlicht in Juris). Diese absolute Höchstgrenze hat das SG überschritten; das Urteil ist bereits am 30. Januar 2007 verkündet worden, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils sind aber erst im Juli 2007, und damit mehr als fünf Monate nach Urteilsverkündung, schriftlich niedergelegt der Geschäftsstelle übergeben worden. Dies schließt der Senat aus der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der fünften Kammer des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. April 2008. Diese haben angegeben, es sei orientierend am aktenkundigen Absendevermerk davon auszugehen, dass das Urteil in vollständig abgefasster Form erst nach dem 30. Juni 2007 (Ablauf der Fünf-Monatsfrist) zur Geschäftsstelle gelangt.
Auch wenn die Zurückverweisung nur ausnahmsweise stattfinden soll, macht der Senat hier von dem ihm in § 159 SGG eröffneten Ermessen im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht Gebrauch. Maßgeblich war für den Senat insoweit, dass die vom SG durchgeführten Ermittlungen keine ausreichenden Feststellungen zur Frage, ob im Fall der Klägerin - wie vom Vorsitzenden der Kammer in seinem richterlichen Hinweis vom 14. Februar 2005 (noch) angenommen - der Sonderfall einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa Bundessozialgericht (BSG) SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) vorliegt und deshalb das Erfordernis der Benennung zumutbarer Verweisungstätigkeiten besteht, ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird das SG gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob auf dem Arbeitsmarkt Tätigkeiten als Telefonistin, als Pförtnerin an einer Nebenpforte oder als Museumswärterin in ausreichendem Umfang vorhanden sind und ob die Klägerin mit den bei ihr vorliegenden qualitativen Einschränkungen den körperlichen Anforderungen dieser Tätigkeiten noch gewachsen ist. Angesichts dieser noch nachzuholenden Ermittlungen tritt hier das Gebot, im Hinblick auf eine notwendige Verfahrensbeschleunigung von einer Zurückverweisung abzusehen, zurück. Letztlich ist damit auch der Sonderfall einer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründeten, also bereits nach dem Klagevorbringen selbst unschlüssigen oder gar missbräuchlichen Klage, nicht gegeben (vgl. dazu auch BSG SozR 4-1500 § 120 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung bleibt der (erneuten) Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
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