L 11 R 4493/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3790/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4493/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. August 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30. Juni 2005 hinaus.

Die 1949 geborene Klägerin ist gelernte kaufmännische Angestellte und war zuletzt als Küchenhilfe beschäftigt. Ab 3. September 2001 war sie arbeitsunfähig krank.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung vom 16. Oktober 2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2003 ab. Grundlage hierfür waren der Reha-Entlassungsbericht der Kliniken für Rehabilitation W. (Aufenthalt im November und Dezember 2001; Leistungseinschätzung: Tätigkeiten ohne Heben, Tragen und Bewegen schwererer Lasten, ohne gehäuftes Bücken, ohne ständige Körperzwangshaltungen im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen möglich) und das Gutachten der Internistin Dr. S. (Diagnosen: belastungsabhängige Lendenwirbelsäulen-Beschwerden mit pseudoradikulärer Ausstrahlung bei mäßiggradigen degenerativen Veränderungen, überwiegend muskulotendinotischen Beschwerden im Nacken- und Schultergürtelbereich, diskrete Arthrose an den Daumenendgelenken beidseits, diskrete Arthrose am linken Ellenbogen, Übergewicht, rezidivierende Harnwegsinfekte/Harnin¬kon¬tinenz, rezidivierende depressive Verstimmung; Leistungseinschätzung: leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich möglich).

Die Klägerin wandte sich hiergegen mit Klage (S 12 RJ 1727/03) vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG). Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen an und holte ein orthopädisches Gutachten bei Dr. S. (Diagnosen: degenerative Lumbalskoliose rechtskonvex bei Bandscheibendegeneration L4/5 und L5/S1 sowie Bandscheibenvorfall L4/5 mit mäßiggradiger Funktionsbeeinträchtigung, beginnende Polyarthrose beider Hände mit geringer Funktionsbeeinträchtigung, Halswirbelsäulen-Syndrom mit Schulter-Armsyndrom mit geringer Funktionsbeeinträchtigung, Epicondylitis humeri radialis links ohne Funktionsbeeinträchtigung, rezidivierende Harnwegsinfekte mit Harninkontinenz, depressive Verstimmung; Leistungseinschätzung: leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten unter Berücksichtigung einiger qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden arbeitstäglich möglich) sowie ein psychosomatisches Gutachten bei dem Nervenarzt Prof. Dr. L. (Diagnosen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, rezidivierende depressive Störung [gegenwärtig leichte bis mittelgradige Episode], anankastische Persönlichkeitsakzentuierung; Leistungsfähigkeit für Hilfsarbeiten auf dem allgemein Arbeitsmarkt erscheint aufgehoben; Besserungsmöglichkeit bei fachgerechter Behandlung) ein. Die Beteiligten einigten sich daraufhin vergleichsweise, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Mai 2003 bis 30. Juni 2005, ausgehend von einem am 16. Oktober 2002 eingetretenen Leistungsfall, zu gewähren. Die Beklagte führte den Vergleich mit Rentenbescheid vom 17. August 2004 aus.

Auf den Weitergewährungsantrag der Klägerin vom 3. März 2005 holte die Beklagte ein Gutachten bei dem Nervenarzt Dr. U. ein. Dieser diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte Episode) und sah die Klägerin als in der Lage an, täglich sechs Stunden und mehr körperlich leichte Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen, nur zeitweise im Stehen oder Gehen, ohne Wechselschicht, erhöhte Unfallgefahr, Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen oder Leitern, Heben und Tragen von Lasten über 3 bis 5 kg, psychische Beanspruchung bzw. Verantwortung oder Zeitdruck zu verrichten.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Weitergewährung der Rente mit Bescheid vom 22. Juni 2005 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte - nach Einholung einer Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes - mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2005 zurück.

Die Klägerin hat hiergegen am 26. September 2005 Klage (S 6 R 3790/05) bei dem SG erhoben. Dieses hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. H. hat mitgeteilt, eine Arbeitstätigkeit sei nach den Angaben der Klägerin überhaupt nicht möglich. Er könne die Frage nach einem zeitlichen Umfang einer leichten körperlichen Tätigkeit der Klägerin nicht beantworten. Der Urologe Dr. G. hat ein sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen bejaht. Der Nervenarzt Dr. K. (Schreiben vom 16. Dezember 2005) hat darauf hingewiesen, er habe die Klägerin lediglich am 13. Januar 1994 psychiatrisch sowie auf Veranlassung des Hausarztes am 18. März 2003 und 13. Januar 2005 neurologisch untersucht. Eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit könne er nicht abgeben, da zwischenzeitliche Verschlechterungen unbekannt seien. Der Internist Dr. S. hat leichte, nervlich wenig belastende Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von bis zu drei Stunden pro Tag für möglich gehalten und den Schwerpunkt der Erkrankungen auf den Gebieten der Orthopädie/Rheumatologe sowie Psychosomatik gesehen.

Die Nervenärztin Dr. S. hat ein psychiatrisches Gutachten erstattet. Darin hat sie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und die Klägerin für noch fähig gehalten, arbeitstäglich Tätigkeiten sechs Stunden und mehr entsprechend dem Leistungsbild im Gutachten von Dr. U. zu verrichten.

Die Klägerin hat Einwendungen gegen das Gutachten erhoben und ein Attest von Dr. S. vorgelegt, in dem sich dieser ebenfalls kritisch mit dem Gutachten von Dr. S. auseinandergesetzt hat. Außerdem hat die Klägerin einen Bericht des Rheumazentrums B. (Aufenthalt vom 26. April bis 17. Mai 2006; Diagnosen: u.a. Fibromyalgie-Syndrom, Depression [derzeit mittelgradig]) vorgelegt. Dr. S. hat sich hiermit in einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme auseinandergesetzt und ihre Leistungseinschätzung bestätigt.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Dr. H. ein internistisch-rheumatologisches Gutachten erstattet. Er hat eine hochgradige Minderung insbesondere der muskulären Belastbarkeit im Rahmen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung vom Fibromyalgie-Typ sowie eine profunde Herabgestimmtheit (Dysthymia) bei chronischen Schmerzen, substanzieller Leistungsminderung und eher leistungsorientierter Primärpersönlichkeit diagnostiziert. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien weniger als drei Stunden arbeitstäglich möglich.

Die Beklagte hat sich hiergegen mit einer kritischen Stellungnahme des Internisten und Rheumatologen Dr. L. gewandt.

Mit Urteil vom 15. August 2007 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 13. September 2005 verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30. Juni 2008 nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Das SG hat sich dabei im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. H. und den Bericht des Rheumazentrums B. gestützt, während es das Gutachten von Dr. S. für nicht überzeugend angesehen hat.

Die Beklagte hat am 13. September 2007 gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Fachwelt habe schon seit längerer Zeit von der Diagnose eines Fibromyalgie-Syndroms Distanz genommen. Hinsichtlich der von Dr. H. angenommenen hochgradigen allgemeinen, muskulären und konzentrativen Erschöpfbarkeit sei darauf zu verweisen, dass Dr. U. einen guten Allgemein- und Kräftezustand sowie frei bewegliche Extremitäten und Gelenke festgehalten habe. Es hätten sich keine trophischen Störungen gefunden und das Muskelrelief sei seitengleich ausreichend gut entwickelt gewesen. Auch Dr. S. habe einen zufriedenstellenden Allgemeinzustand und eine normal entwickelte Muskulatur attestiert. Eine nachlassende Konzentration und Aufmerksamkeit habe sie nicht feststellen können.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme von Dr. L. vorgelegt, in der er seine Kritik am Gutachten von Dr. H. wiederholt hat.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Klägerin von Amts wegen und weiter hilfsweise, sie erneut nach § 109 SGG bei Dr. O. begutachten zu lassen.

Sie hält das Urteil für zutreffend. Ob die Beschwerden der Klägerin als Fibromyalgie-Syndrom oder als somatoforme Schmerzstörung einzuordnen seien, spiele schlussendlich keine Rolle. Dr. L. habe die Klägerin persönlich nie untersucht.

Die Klägerin hat den Bescheid des Landratsamtes E. vom 13. Februar 2007 vorgelegt, wonach sie seit 22. Dezember 2006 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt ist. Außerdem hat sie einen Arztbrief des Anästhesisten Dr. Z. vom Oktober 2007 über ihre Vorstellung in seiner Schmerzsprechstunde vorgelegt.

Prof. Dr. Dr. W. hat für den Senat ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten unter besonderer Berücksichtigung algesiologischer Gesichtspunkte erstattet. Darin hat er eine somatoforme Schmerzstörung auf dem Boden einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeit diagnostiziert. Er könne sich nicht davon überzeugen, dass die Klägerin angesichts der in erheblichem Umfang bewusstseinsnahen Anteile nicht in der Lage sei, ihre Beschwerden bei zumutbarer Willensanpassung, zumindest jedoch mit psychiatrisch-psychotherapeutischer Hilfe, innerhalb weniger Monate soweit zu überwinden, dass sie Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht sechs Stunden arbeitstäglich ausüben könne. Tätigkeiten, die mit einer besonderen Stressbelastung einhergingen, seien nicht zumutbar.

Die Klägerin hat hierzu erklärt, aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. ergebe sich, dass sie nicht mehr arbeitstäglich sechs Stunden arbeiten könne. Außerdem hat sie inhaltliche Einwände gegen die Richtigkeit der von Prof. Dr. Dr. W. wiedergegebenen Angaben und Beobachtungen erhoben.

Prof. Dr. Dr. W. hat ergänzend Stellung genommen und klargestellt, dass er nicht die Überzeugung sei, die Klägerin sei in dem von ihr berichteten Umfang leistungseingeschränkt. Diese Überzeugung hat er - nach Auseinandersetzungen mit den inhaltlichen Einwänden der Klägerin gegen sein Gutachten - aufrecht erhalten.

Die Klägerin hat hierzu weiter vorgetragen, die von ihr beabsichtigte stationäre Behandlung in einer psychosomatischen Fachklinik sei bisher nicht durchgeführt worden, da die Krankenkasse die Kostenübernahme abgelehnt habe. Alle sie behandelnden Fachärzte seien entgegen Prof. Dr. Dr. W. der Ansicht, sie sei nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. sei unzutreffend. Es stütze sich nicht auf den Gesamtkontext von Aktenlage, Schilderung der Lebensumstände und eigener Beobachtung, sondern allein auf teilweise unzutreffende Beobachtungen des Gutachters. Die Art und Weise wie Prof. Dr. Dr. W. auf das Gutachten von Dr. H. eingehe, begründe die Annahme, dass es sich hier um einen Gutachterstreit handle, der auf ihrem Rücken ausgetragen werden solle. Auch bestünden Zweifel an der Objektivität von Prof. Dr. Dr. W., nachdem die Beklagte bereits in der Berufungsbegründung auf die von ihm in anderen Verfahren abgegebenen Gutachten Bezug genommen habe. Es sei daher angezeigt, ein weiteres Sachverständigengutachten durch einen unvoreingenommenen Gutachter in Auftrag zu geben.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Akten des Verfahrens S 12 RJ 1727/03 vor dem SG sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat dem Klagebegehren zu Unrecht stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nicht erwerbsgemindert.

Der Schwerpunkt der Erkrankungen der Klägerin liegt in ihrer Schmerzerkrankung. Diese hindert sie jedoch nicht, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen sechs Stunden täglich auszuüben. Berücksichtigt müssen lediglich einige qualitative Einschränkungen, wie sie Dr. U. in seinem Gutachten dargelegt hat und wie sie im Tatbestand näher wiedergegeben sind. Außerdem sind Tätigkeiten mit besonderer Stressbelastung zu meiden.

Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W., das der Senat als überzeugend ansieht und dem es folgt. Prof. Dr. Dr. W. hat die Klägerin ausführlich untersucht und befragt. Er hat sich mit den Einwendungen gegen sein Gutachten in überzeugender Weise auseinandergesetzt. Er ist als Nervenarzt mit langjähriger Erfahrung in der Schmerzbegutachtung ausreichend kompetent, um die Auswirkungen der Erkrankung zu bewerten. Denn die Beurteilung von Schmerzzuständen kann nicht vorrangig einer besonderen fachärztlichen Ausrichtung zugewiesen werden. Für die Qualifikation eines Gutachters kommt es nicht darauf an, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater tätig ist. Die Beurteilung von Schmerz fällt nicht zwingend in ein bestimmtes Fachgebiet. Notwendig sind vielmehr fachübergreifende Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung von Schmerzstörungen (BSG, Beschluss vom 9. April 2003, B 5 RJ 80/02 B; Beschluss vom 12. Dezember 2003, B 13 RJ 179/03 B, SozR 4-1500 § 160a Nr. 3).

Nicht entscheidend ist, ob die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin der Diagnose eines Fibromyalgie-Syndroms zugeordnet werden können und welches Krankheitsbild diese Diagnose genau beinhaltet. Prof. Dr. Dr. W. hat insoweit darauf hingewiesen, dass die theoretischen Grundlagen der Erkrankung, die Wolfe 1990 formuliert hat, von diesem selbst 2003 wieder revidiert worden sind. Hierauf kommt es aber nicht weiter an. Entscheidend sind die aus der Schmerzerkrankung der Klägerin folgenden Beschwerden für die Klägerin und die Einschätzung, ob diese - trotz zumutbarer Willensanstrengung - die Klägerin hindern, sechs Stunden arbeitstäglich leichte körperliche Tätigkeiten zu verrichten. Diese Frage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu verneinen.

Wie schon zuvor bei den Begutachtungen durch Dr. U. und Dr. S. hat sich der allgemeine körperliche und psychische Zustand der Klägerin bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. W. als gut, jedenfalls nicht deutlich vermindert dargestellt. Während der knapp zweistündigen Exploration durch Prof. Dr. Dr. W. ist die Klägerin dreimal kurz aufgestanden, vermochte dann aber wieder ruhig und entspannt zu sitzen. Die Klägerin hat keinerlei Zeichen von Müdigkeit zu erkennen gegeben, obwohl sie zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits vier Stunden unterwegs gewesen war. Den Untersuchungsraum hat sie mit einem Einkaufskorb mit drei vollen Leitzordnern betreten. Während der Exploration hat sich die Klägerin ohne größere Probleme bücken können, um einen der Ordner aus dem Korb zu nehmen oder ein zufällig herunter gefallenes Blatt Papier aufzuheben. Beim Aus- und Ankleiden sind keine wesentlichen körperlichen Beeinträchtigungen erkennbar gewesen. Beim übersystolischen Aufblasen der Blutdruckmanschette hat die Klägerin weder spontan noch auf Nachfrage anlässlich eines Drucks mit dem Finger auf den Oberarm Schmerzen geäußert.

Dass diese Beobachtungen des Gutachters unzutreffend sind, glaubt der Senat trotz der entsprechenden Einwendungen der Klägerin in ihrer ergänzenden Stellungnahme nicht. Prof. Dr. Dr. W. hat ehrlich eingeräumt, sich Monate nach der Untersuchung nicht mehr an die Details erinnern zu können. Das spricht für seine Glaubwürdigkeit. Er habe sich jedoch, so hat er weiter angegeben, zur Angewohnheit gemacht, die Beobachtungen unmittelbar nach der Untersuchung, also in zeitnaher Erinnerung, zu diktieren. Wie oft ein Proband während der Untersuchung aufsteht, notiert Prof. Dr. Dr. W. üblicherweise handschriftlich. So ist es auch anlässlich der Untersuchung der Klägerin geschehen. Die Darlegungen erscheinen dem Senat plausibel und eine tragfähige Grundlage für die gutachtliche Einschätzung. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass die Beobachtungen von Prof. Dr. Dr. W. zutreffend sind.

Zu diesen Beobachtungen steht im Widerspruch, wenn die Klägerin bei der Kraftprüfung nur eine suboptimale Kraftentfaltung demonstriert und dabei Schmerzen angegeben hat. Ebenfalls nicht hiermit zu vereinbaren ist es, wenn die Klägerin, ebenfalls auf Grund angeblicher Schmerzen, erklärt hat, den Faustschluss nicht vollständig durchführen zu können. Weder in der neurologischen noch in der elektrophysiologischen Untersuchung haben sich Auffälligkeiten (Ausnahme: leicht erhöhter Blutdruck) gezeigt. Dass sich damit eine Bewertung nicht entscheidend auf die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin stützen kann, zeigt sich weiterhin daraus, dass sie bei der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. W. ihre aktuelle Schmerzstärke zwischen 9 und 10 auf einer 10-Punkte-Skala (0 = kein Schmerz, 10 = Amputation des Armes mit einer Handsäge ohne Betäubung) eingeschätzt hat. Vor dem Hintergrund ihres Verhaltens in der Untersuchungssituation ist das nicht nachvollziehbar.

Auch ansonsten bestehen Bedenken, auf die Richtigkeit der Angaben der Klägerin abzustellen. So hat die Klägerin bei Prof. Dr. Dr. W. zunächst angegeben, am Morgen der gutachtlichen Untersuchung Medikamente (Tramadol, Doxepin) und auch in den Tagen davor hoch dosierte Medikamente eingenommen zu haben. Der von Prof. Dr. Dr. W. überprüfte Medikamentenspiegel hat aber keinerlei Nachweise derartiger Medikamente erbracht. Dass die Klägerin, wie in ihrer kritischen Stellungnahme ausgeführt, tatsächlich angegeben hat, sie habe keine Medikamente genommen, glaubt der Senat nicht. Prof. Dr. Dr. W. hat erläutert, dass er üblicherweise zu Anfang der Untersuchung nach Medikamenten frage und erst am Ende die Möglichkeit einer Blutuntersuchung ins Spiel bringe. Die von ihm wiedergegebenen Einzelheiten der Angaben der Klägerin sind so detailliert, dass sie nicht aufgrund eines Missverständnisses falsch dokumentiert worden sein können. Der Senat glaubt daher, dass das vom Gutachter Festgehaltene auch so von der Klägerin gesagt worden ist.

Die Ergebnisse der Selbstangabe der Klägerin auf der Schmerz-Simulations-Skala nach L., auf der v. Z.-Skala und der Z.-Depressions-Skala deuten auf eine bewusstseinsnahe Aggravation hin. Die alternative Deutung einer schwersten Depression scheidet hingegen aus. Denn eine belangvolle Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet liegt nach der Überzeugung des Senats nicht vor. Dies gilt insbesondere für die im früheren Verfahren diagnostizierte rezidivierende depressive Störung. Auch dies folgt aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W., der keine entsprechenden Befunde hat feststellen und auch in den Angaben der Klägerin zu ihrem Sozialverhalten keine Hinweise auf eine Depression finden können. Vielmehr sind durchaus soziale Kontakte bei der Klägerin vorhanden, man hat Gäste, wenn auch seltener als früher, und geht zur Einladungen. Die Klägerin besucht zusammen mit ihrem Mann einen Kegelklub, wenn sie auch nach ihren Angaben "meist" (also nicht immer) nur die Punkte aufschreibt. Gemeinsam mit einem anderen Ehepaar reisen die Klägerin und ihr Ehemann in die Türkei in den Urlaub. All dies wäre bei einer schweren Ausprägung einer Depression nicht zu erwarten. Auffällig ist, dass die Klägerin bei der Befragung durch Prof. Dr. Dr. W. durchgehend difffus und vorsichtig geantwortet hat, was den Schluss nahe legt, dass sie insoweit keine vollständigen Angaben gemacht hat. Die Merk- und Konzentrationsfähigkeit ist jedenfalls während der gesamten Untersuchung nicht gestört gewesen.

Die Klägerin ist, was ebenfalls gegen eine bedeutsame psychische Erkrankung spricht, seit Jahren nicht in fachpsychiatrischer Behandlung. Ihre Angaben bei Prof. Dr. Dr. W., man habe ihr nicht gesagt, sich in Behandlung zu begeben, erscheint nicht glaubwürdig. Die Zeitrente ist auch mit einer psychiatrischen Diagnose, nämlich einer rezidivierenden depressiven Störung, begründet worden. Der Klägerin war die Diagnose bekannt. Bei entsprechendem Leidensdruck wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin therapeutische Hilfe sucht.

Zweifel an der Objektivität von Prof. Dr. Dr. W., der ein erfahrener und besonders sachkundiger Gutachter auf dem Gebiet der Beurteilung chronischer Schmerzen ist, hat der Senat nicht. Solche folgen auch nicht aus dem Umstand, dass sich die Beklagte in der Berufungsbegründung auf seine Einschätzung des Fibromyalgie-Syndroms in einem anderen Verfahren vor dem Landessozialgericht berufen hat, zumal die Klägerin selbst vor der Vorlage des Gutachtens keine Einwendungen gegen die Person des Gutachters erhoben hat. Dass er sich kritisch mit dem Gutachten von Dr. H. auseinandergesetzt hat, war durch die Fragestellung im Gutachtensauftrag bedingt und liegt in der Natur der Sache, wenn Gutachter zu einer gegensätzlichen Einschätzung gelangen.

Die Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. steht im Einklang mit derjenigen von Dr. S., Dr. U., Dr. S. und Dr. L ...

Gegen die Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. kann mit Erfolg nicht das Gutachten von Prof. Dr. L. eingewandt werden, denn dieses wurde zu einem früheren, für die hier maßgebliche Weitergewährung der Rente nicht maßgeblichen Zeitpunkt erstattet. Außerdem lagen dem Gutachten insbesondere im psychiatrischen Fachbereich Befunde zu Grunde, die sich für die hier streitige Zeit nicht (mehr) feststellen lassen.

Nicht zu folgen ist der gutachtlichen Einschätzung von Dr. H ... Dieser hat sich, was auch Prof. Dr. Dr. W. kritisiert hat, ausschließlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin gestützt, diese nicht hinterfragt sowie Befunde nicht gegeneinander abgewogen und auf Inkonsistenzen überprüft. Dies wäre aber bei den deutlichen Hinweisen auf eine bewusstseinsnahe Aggravation der Klägerin, von denen der Senat überzeugt ist, unabdingbar gewesen. Die von ihm festgestellten Befunde, etwa eine intensive (erfolglose) Medikamentation und eine schwergradige Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten, lassen sich bei genauerer Überprüfung nicht verifizieren. Auch fehlt es an einer Wertung des Gesamtkontextes aus Aktenlage, Schilderung der Lebensumstände und Beobachtung.

Der Einschätzung von Dr. Z., wonach das Wohlbefinden der Klägerin aufgrund der Fibromyalgie-Erkrankung schwer beeinträchtigt sei, ist nicht zu folgen. Diese beruht auf einer einzigen Untersuchung und - wiederum - im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben der Klägerin. Die Ansicht von Dr. S. ist nicht nachvollziehbar begründet und ist auch deswegen nicht überzeugend, weil sie die Erkrankungen im Schwerpunkt den Fachrichtungen der Orthopädie/Rheumatologie und Psychosomatik zuordnet, für die Dr. S. als Internist nicht ausreichend fachkundig ist. Der Bericht des Rheumazentrums B. sagt nichts zu den Auswirkungen der Erkrankung der Klägerin auf eine etwaige Berufstätigkeit. Im Übrigen hat der Bericht Prof. Dr. Dr. W. vorgelegen, der ihn entsprechend berücksichtigt hat. Die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch lässt den zwingenden Schluss auf eine Erwerbsminderung nicht zu.

Keine weiteren Leistungseinschränkungen folgen aus den Gesundheitsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet. Dies folgt aus dem Reha-Entlassungsbericht der Kliniken für Rehabilitation W. und dem Gutachten bei Dr. S. - hier im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Hiergegen spricht nicht die sachverständige Zeugenaussage von Dr. H., der sich ausdrücklich einer eigenen Einschätzung zur Leistungsfähigkeit enthalten hat. Auch die Erkrankungen auf weiteren Fachgebieten sind nicht so gravierend, dass sie einer Berufstätigkeit entgegen stehen, was für die Erkrankungen im Bereich der Urologie die sachverständige Zeugenaussage von Dr. G. deutlich macht.

Dass die Klägerin die Absicht hat, sich in eine psychosomatische Fachklinik zu begeben, ist kein Anlass, die dortigen Befunde abzuwarten, da die Klägerin umfangreich begutachtet worden ist und der Sachverhalt damit geklärt ist. Der Senat sieht sich deswegen auch nicht gedrängt, von Amts wegen ein weiteres Gutachten, etwa bei Dr. O., einzuholen.

Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. O. wird abgelehnt.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Einer wiederholten Antragstellung muss jedoch nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand kann darin liegen, dass es sich bei den Ärzten jeweils um Spezialisten handelt, wobei jeder für sein Sachgebiet Stellung nehmen soll. Sind für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig, kann aber nicht pauschal vorgebracht werden, ein Vertreter der jeweils anderen Facharztgruppen verfüge über eine größere Sachkunde, vielmehr muss im Einzelfall dargetan werden, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall zusätzliche entscheidende Erkenntnisse vorbringen kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leit¬herer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 109 Rdnr. 10b).

Hier hat bereits der in einer Rehabilitationsklinik tätige Internist und Rheumatologe Dr. H. ein Gutachten nach § 109 SGG erstattet. Im Zentrum dieses Gutachtens sind die - einer Fibromyalgie oder einem somatoformen Schmerzsyndrom zuzuordnenden - Schmerzzustände der Klägerin gestanden. Welche weiteren maßgeblichen Aspekte Dr. O., der Arzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin ist, gegenüber Dr. H. einbringen könnte, hat die Klägerin nicht dargelegt.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind.

Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Die Klägerin ist nach ihrem beruflichen Werdegang und ihrer letzten Tätigkeit als ungelernte Arbeiterin anzusehen und damit auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisbar. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es dann nicht.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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