Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1051/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 2046/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 21. April 2008 abgeändert, soweit darin der Antragsgegner verpflichtet wird, den Antragstellern Kosten der Unterkunft und Heizung als Darlehen auch für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.03.2008 zu zahlen. Insoweit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Antrags- und Beschwerdeverfahren trägt der Antragsgegner die Hälfte.
Gründe:
I.
Der 1952 geborene Antragsteller zu 1 bewohnt zusammen mit seinem 1988 geborenen Sohn P., dem Antragsteller zu 2, sowie dem 1986 geborenen Sohn S. eine Mietwohnung mit einer Wohnfläche von ca. 165 m2. Die monatliche Kaltmiete für diese Wohnung belief sich im Jahre 2006 auf 889,66 EUR (ohne Tiefgaragenstellplätze) und die damals zu entrichtenden monatlichen Vorauszahlungen für Nebenkosten einschl. Heizung beliefen sich auf 215,00 EUR. Der Sohn S. erhielt damals Leistungen nach dem BAföG.
Der Antragsteller zu 1 erhielt zunächst vom 01.10.2003 bis zum 25.12.2005 Arbeitslosengeld. Ein gegen seinen früheren Arbeitgeber erfolgreich geführter Arbeitsgerichtsprozesses führte dazu, dass das Arbeitsverhältnis des Antragstellers zu 1 erst zum 30.03.2005 endete. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die Bundesagentur für Arbeit das an den Antragsteller zu 1 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Arbeitslosengeld vom Arbeitgeber erstattet bekommen hat. Der Antragsteller zu 1 erwarb deshalb (zunächst) einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2005 bis 29.01.2007. Am 30.01.2007 erhöhte sich die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld um 180 Tage, so dass der Antragsteller zu 1 einen Anspruch auf diese Leistung bis zum 29.07.2007 hatte. Die Erhöhung der Bezugsdauer ergab einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.720,40 EUR. Dieser Betrag errechnet sich (unter Berücksichtigung der Rundungsbestimmungen) aus dem Gesamtbetrag des zustehenden Arbeitslosengeldes von 9.072,00 EUR abzüglich des an den Grundsicherungsträger erstatteten Betrages von 3.351,65 EUR für die in der Zeit vom 30.01. bis zum 29.07.2007 an die Antragsteller gezahlten Regelleistungen. Diesen Nachzahlungsbetrag erhielt der Antragsteller zu 1 im November 2007 ausbezahlt. Die Agentur für Arbeit Heidelberg entschied daraufhin mit Bescheid vom 11.01.2008, dass den Antragstellern für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.05.2008 keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen. Die im November 2007 erfolgte Nachzahlung des Arbeitslosengeldes sei eine einmalige Einnahme, die auf einen angemessenen Zeitraum von 6 Monaten (beginnend ab Dezember 2007) aufzuteilen und in Höhe von 953,40 EUR als monatliches Einkommen zu berücksichtigen sei. Daraus ergebe sich, dass für die Monate Januar bis Mai 2008 keine Leistungen zu zahlen sei. Für diesen Zeitraum errechne sich ein Einkommensüberhang von monatlich 482,40 EUR.
Der Antragsgegner lehnte unter Hinweis auf den von der Arbeitsagentur mitgeteilten Einkommensüberhang mit Bescheid vom 13.02.2008 den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen (Kosten der Unterkunft und Heizung) ab. Der monatliche Bedarf der Antragsteller liege bei nur 410,67 EUR. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 21.02.2008 Widerspruch ein.
Am 03.04.2008 beantragten die Antragsteller beim Sozialgericht Mannheim (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesem Antrag gab das SG mit Beschluss vom 21.04.2008 statt. Es verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragstellern vom 01.01. bis 31.05.2008 Kosten der Unterkunft und Heizung als Darlehen zu zahlen.
Am 25.04.2008 hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowohl an einem Anordnungsgrund als auch an einem Anordnungsanspruch fehlt.
Der Antragsgegner ist der Verpflichtung aus dem angefochtenen Beschluss des SG teilweise nachgekommen. Mit Bescheid vom 29.04.2008 hat er den Antragstellern für die Monate April und Mai 2008 Leistungen für Unterkunftskosten als Darlehen in Höhe von 410,67 EUR monatlich, insgesamt also 821,34 EUR bewilligt. Den Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 13.02.2008 hat er mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2008 als unbegründet zurückgewiesen.
II.
Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist teilweise begründet. Soweit das SG den Antragsgegner auch zur Leistung für die Monate Januar bis März 2008 verpflichtet hat, ist der Beschluss rechtswidrig. Für diesen Zeitraum fehlt es an einem Anordnungsgrund.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Widerspruchs- oder eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist für die Dauer der Verfahren das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).
Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).
Eine Verpflichtung zur Bewilligung von Leistungen vor dem Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (hier: 03.04.2008) kommt allerdings grundsätzlich nicht in Frage. Dies beruht auf dem auch für das Recht des SGB II geltenden Grundsatz, dass Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer einstweiligen Anordnung nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen hat und nicht rückwirkend zu bewilligen ist, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist (LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - und Beschluss des Senats vom 28.10.2005 - L 8 AS 3783/05 ER-B). Die Antragstellern haben daher Anspruch auf vorläufige Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung nur für die Monate April und Mai 2008.
Da dem Senat eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht möglich ist, ergeht die Entscheidung für die Monate April und Mai 2008 aufgrund einer Folgenabwägung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass unabhängig davon, ob die Nachzahlung von Arbeitslosengeld grundsätzlich als (einmaliges) Einkommen zu betrachten ist, die konkreten Umstände des Einzelfalles hier dazu führen könnten, dass eine Aufteilung des Nachzahlungsbetrages auf mehrere Monate nach § 2 Abs. 4 Satz 3 der Arbeits¬losengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) vom 17.12.2007 (BGBl I S. 2943) nicht angezeigt sein könnte.
Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs 3 SGB II und in § 1 Alg II-V genannten Leistungen und Zuwendungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296ff.) und des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 11.02.1976, 7 RAr 159/74, BSGE 41, 187 f, Urteil vom 09.08.2001, B 11 AL 15/01 R, BSGE 88, 258) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe (Alhi) ist Einkommen das, was dem Leistungsberechtigten in dem Zahlungszeitraum der Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe zufließt ("Zuflusstheorie"). Diese Grundsätze sind für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich mit der Maßgabe übertragbar, dass Einkommen alles das ist, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, Vermögen das, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat (LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 26.10.2007, L 8 AS 1219/07; und 09.08.2007, L 7 AS 5695/06; Beschluss vom 22.01.2008, L 7 AS 5846/07 ER-B, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006, L 8 AS 325/06 ER, juris).
Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist deshalb weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung, Steuererstattung als Erfüllung des Steuererstattungsanspruchs). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate), zu seinem Vermögen. Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Das Gesetz stellt insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen ab. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend greift § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch nicht für die Auszahlung solcher Forderungen ein, die als fällige und liquide Forderungen bewusst nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden (BVerwG Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296).
Zwar kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Antragsteller zu 1 bewusst angespart worden ist. Soweit dem Senat aus den Verfahren gegen die Bundesagentur bekannt ist, hat diese (wohl) angenommen, dass ihr in ihrer Eigenschaft als Grundsicherungsträger für die in der Zeit vom 30.01. bis zum 29.07.2007 geleisteten Zahlungen nach dem SGB II ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3.351,65 EUR zusteht, den sie von dem dem Antragsteller zu 1 zustehenden Nachzahlungsbetrag einbehalten hat. Sollte dies in tatsächlicher Hinsicht zutreffen und sollte diese Vorgehensweise rechtmäßig sein, könnte der Nachzahlungsbetrag wohl kaum als Einkommen gewertet werden. In diesem Fall wäre der Grundsicherungsträger (Bundesagentur) selbst davon ausgegangen, dass es sich bei der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes um Einkommen handelt, das für einen in den Vergangenheit liegenden Zeitraum gezahlt worden ist. Andernfalls hätte eine Erstattung wohl nicht erfolgen dürfen. Es erscheint aber in sich widersprüchlich, die Nachzahlung von Arbeitslosengeld sowohl als Einkommen für die Vergangenheit als auch als Einkommen in der Gegenwart zu werten. Überdies bedarf es der Prüfung, ob auch ein Erstattungsanspruch des Antragsgegners besteht oder bestanden hätte. Ferner muss möglicherweise geprüft werden, ob die Unterkunftskosten in Anbetracht der Größe der Wohnung überhaupt als angemessen gewertet werden können. Da die offenen Fragen nicht zeitnah geklärt werden können, erscheint es sachgerecht, über die Beschwerde mit Hilfe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese Abwägung fällt im Hinblick darauf, dass die Anrechnung der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes als Einkommen oder die Aufteilung des Nachzahlungsbetrages auf mehrere Monate aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles zweifelhaft erscheint und das SG - wenn auch möglicherweise ohne Rechtsgrund - Leistungen nur als Darlehen bewilligt hat, für die Monate April und Mai 2008 zu Gunsten der Antragsteller aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Antrags- und Beschwerdeverfahren trägt der Antragsgegner die Hälfte.
Gründe:
I.
Der 1952 geborene Antragsteller zu 1 bewohnt zusammen mit seinem 1988 geborenen Sohn P., dem Antragsteller zu 2, sowie dem 1986 geborenen Sohn S. eine Mietwohnung mit einer Wohnfläche von ca. 165 m2. Die monatliche Kaltmiete für diese Wohnung belief sich im Jahre 2006 auf 889,66 EUR (ohne Tiefgaragenstellplätze) und die damals zu entrichtenden monatlichen Vorauszahlungen für Nebenkosten einschl. Heizung beliefen sich auf 215,00 EUR. Der Sohn S. erhielt damals Leistungen nach dem BAföG.
Der Antragsteller zu 1 erhielt zunächst vom 01.10.2003 bis zum 25.12.2005 Arbeitslosengeld. Ein gegen seinen früheren Arbeitgeber erfolgreich geführter Arbeitsgerichtsprozesses führte dazu, dass das Arbeitsverhältnis des Antragstellers zu 1 erst zum 30.03.2005 endete. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die Bundesagentur für Arbeit das an den Antragsteller zu 1 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Arbeitslosengeld vom Arbeitgeber erstattet bekommen hat. Der Antragsteller zu 1 erwarb deshalb (zunächst) einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2005 bis 29.01.2007. Am 30.01.2007 erhöhte sich die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld um 180 Tage, so dass der Antragsteller zu 1 einen Anspruch auf diese Leistung bis zum 29.07.2007 hatte. Die Erhöhung der Bezugsdauer ergab einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.720,40 EUR. Dieser Betrag errechnet sich (unter Berücksichtigung der Rundungsbestimmungen) aus dem Gesamtbetrag des zustehenden Arbeitslosengeldes von 9.072,00 EUR abzüglich des an den Grundsicherungsträger erstatteten Betrages von 3.351,65 EUR für die in der Zeit vom 30.01. bis zum 29.07.2007 an die Antragsteller gezahlten Regelleistungen. Diesen Nachzahlungsbetrag erhielt der Antragsteller zu 1 im November 2007 ausbezahlt. Die Agentur für Arbeit Heidelberg entschied daraufhin mit Bescheid vom 11.01.2008, dass den Antragstellern für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.05.2008 keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen. Die im November 2007 erfolgte Nachzahlung des Arbeitslosengeldes sei eine einmalige Einnahme, die auf einen angemessenen Zeitraum von 6 Monaten (beginnend ab Dezember 2007) aufzuteilen und in Höhe von 953,40 EUR als monatliches Einkommen zu berücksichtigen sei. Daraus ergebe sich, dass für die Monate Januar bis Mai 2008 keine Leistungen zu zahlen sei. Für diesen Zeitraum errechne sich ein Einkommensüberhang von monatlich 482,40 EUR.
Der Antragsgegner lehnte unter Hinweis auf den von der Arbeitsagentur mitgeteilten Einkommensüberhang mit Bescheid vom 13.02.2008 den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen (Kosten der Unterkunft und Heizung) ab. Der monatliche Bedarf der Antragsteller liege bei nur 410,67 EUR. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 21.02.2008 Widerspruch ein.
Am 03.04.2008 beantragten die Antragsteller beim Sozialgericht Mannheim (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesem Antrag gab das SG mit Beschluss vom 21.04.2008 statt. Es verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragstellern vom 01.01. bis 31.05.2008 Kosten der Unterkunft und Heizung als Darlehen zu zahlen.
Am 25.04.2008 hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowohl an einem Anordnungsgrund als auch an einem Anordnungsanspruch fehlt.
Der Antragsgegner ist der Verpflichtung aus dem angefochtenen Beschluss des SG teilweise nachgekommen. Mit Bescheid vom 29.04.2008 hat er den Antragstellern für die Monate April und Mai 2008 Leistungen für Unterkunftskosten als Darlehen in Höhe von 410,67 EUR monatlich, insgesamt also 821,34 EUR bewilligt. Den Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 13.02.2008 hat er mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2008 als unbegründet zurückgewiesen.
II.
Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist teilweise begründet. Soweit das SG den Antragsgegner auch zur Leistung für die Monate Januar bis März 2008 verpflichtet hat, ist der Beschluss rechtswidrig. Für diesen Zeitraum fehlt es an einem Anordnungsgrund.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Widerspruchs- oder eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist für die Dauer der Verfahren das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).
Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).
Eine Verpflichtung zur Bewilligung von Leistungen vor dem Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (hier: 03.04.2008) kommt allerdings grundsätzlich nicht in Frage. Dies beruht auf dem auch für das Recht des SGB II geltenden Grundsatz, dass Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer einstweiligen Anordnung nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen hat und nicht rückwirkend zu bewilligen ist, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist (LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - und Beschluss des Senats vom 28.10.2005 - L 8 AS 3783/05 ER-B). Die Antragstellern haben daher Anspruch auf vorläufige Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung nur für die Monate April und Mai 2008.
Da dem Senat eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht möglich ist, ergeht die Entscheidung für die Monate April und Mai 2008 aufgrund einer Folgenabwägung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass unabhängig davon, ob die Nachzahlung von Arbeitslosengeld grundsätzlich als (einmaliges) Einkommen zu betrachten ist, die konkreten Umstände des Einzelfalles hier dazu führen könnten, dass eine Aufteilung des Nachzahlungsbetrages auf mehrere Monate nach § 2 Abs. 4 Satz 3 der Arbeits¬losengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) vom 17.12.2007 (BGBl I S. 2943) nicht angezeigt sein könnte.
Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs 3 SGB II und in § 1 Alg II-V genannten Leistungen und Zuwendungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296ff.) und des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 11.02.1976, 7 RAr 159/74, BSGE 41, 187 f, Urteil vom 09.08.2001, B 11 AL 15/01 R, BSGE 88, 258) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe (Alhi) ist Einkommen das, was dem Leistungsberechtigten in dem Zahlungszeitraum der Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe zufließt ("Zuflusstheorie"). Diese Grundsätze sind für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich mit der Maßgabe übertragbar, dass Einkommen alles das ist, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, Vermögen das, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat (LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 26.10.2007, L 8 AS 1219/07; und 09.08.2007, L 7 AS 5695/06; Beschluss vom 22.01.2008, L 7 AS 5846/07 ER-B, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006, L 8 AS 325/06 ER, juris).
Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist deshalb weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung, Steuererstattung als Erfüllung des Steuererstattungsanspruchs). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate), zu seinem Vermögen. Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Das Gesetz stellt insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen ab. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend greift § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch nicht für die Auszahlung solcher Forderungen ein, die als fällige und liquide Forderungen bewusst nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden (BVerwG Urteil vom 18.02.1999, 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296).
Zwar kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Antragsteller zu 1 bewusst angespart worden ist. Soweit dem Senat aus den Verfahren gegen die Bundesagentur bekannt ist, hat diese (wohl) angenommen, dass ihr in ihrer Eigenschaft als Grundsicherungsträger für die in der Zeit vom 30.01. bis zum 29.07.2007 geleisteten Zahlungen nach dem SGB II ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3.351,65 EUR zusteht, den sie von dem dem Antragsteller zu 1 zustehenden Nachzahlungsbetrag einbehalten hat. Sollte dies in tatsächlicher Hinsicht zutreffen und sollte diese Vorgehensweise rechtmäßig sein, könnte der Nachzahlungsbetrag wohl kaum als Einkommen gewertet werden. In diesem Fall wäre der Grundsicherungsträger (Bundesagentur) selbst davon ausgegangen, dass es sich bei der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes um Einkommen handelt, das für einen in den Vergangenheit liegenden Zeitraum gezahlt worden ist. Andernfalls hätte eine Erstattung wohl nicht erfolgen dürfen. Es erscheint aber in sich widersprüchlich, die Nachzahlung von Arbeitslosengeld sowohl als Einkommen für die Vergangenheit als auch als Einkommen in der Gegenwart zu werten. Überdies bedarf es der Prüfung, ob auch ein Erstattungsanspruch des Antragsgegners besteht oder bestanden hätte. Ferner muss möglicherweise geprüft werden, ob die Unterkunftskosten in Anbetracht der Größe der Wohnung überhaupt als angemessen gewertet werden können. Da die offenen Fragen nicht zeitnah geklärt werden können, erscheint es sachgerecht, über die Beschwerde mit Hilfe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese Abwägung fällt im Hinblick darauf, dass die Anrechnung der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes als Einkommen oder die Aufteilung des Nachzahlungsbetrages auf mehrere Monate aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles zweifelhaft erscheint und das SG - wenn auch möglicherweise ohne Rechtsgrund - Leistungen nur als Darlehen bewilligt hat, für die Monate April und Mai 2008 zu Gunsten der Antragsteller aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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