Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4185/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5420/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20. September 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines so genannten Speedy-Tandems.
Die 1996 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens Tetraspastikerin. Die Pflegekasse gewährt Leistungen nach Pflegestufe III. Von der Beklagten ist die Klägerin mit einem sogenannten Aktiv-Rollstuhl ausgestattet worden. Auf Grund der Ausprägung ihrer Tetraspastik kann die Klägerin selbstständig nur in einer Sitzschale sitzen. Die Klägerin besucht eine Behindertenschule. Neben der Klägerin und ihren Eltern leben noch zwei ältere Geschwister in der Familie. Sie wohnt im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses mit weitgehend rollstuhlgerechten Räumlichkeiten. Das weitere Wohnumfeld ist hügelig.
Im September 2005 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung von Dr. R. die Gewährung eines Speedy-Tandems der Firma S. R.-T. GmbH. Hierbei handelt es sich um sich ein speziell ausgerüstetes Fahrrad, an welches mittels einer über eine Stange geführten Kupplung der Rollstuhl angekoppelt wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Auszug aus der Datenbank R. (Aktenseiten 21 bis 23 der Akte des Sozialgerichts) Bezug genommen. Das Speedy-Tandem ist im GKV-Hilfsmittelverzeichnis gelistet (Positionsnummer 18.51.03.0005). Die Klägerin legte einen Kostenvoranschlag der Firma S.-R.-T. GmbH über insgesamt 6.097,38 EUR vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. September 2005 ab, da das Speedy-Tandem nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weder zur Sicherung des Ziels der Krankenbehandlung noch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sei.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und verwies darauf, dass ihr das Speedy-Tandem die Teilnahme an den Fahrradausflügen der Familie bzw. die Einbindung der Familie in ihr soziales Umfeld ermöglichen solle.
Die Beklagte lehnte die Gewährung nach Einholung einer - die Versorgung nicht befürwortenden - gutachtlichen Stellungnahme von Dr. M., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK), mit Bescheid vom 9. November 2005 erneut ab.
Die Klägerin legte auch hiergegen Widerspruch ein und begründete diesen ergänzend mit dem Umstand, dass das Speedy-Tandem im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sei, sowie damit, dass das Therapie-Tandem im Einzelfall auch eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei, wenn es zur sozialen Integration diene.
Die Beklagte holte eine weitere, erneut eine Versorgung nicht befürwortende Stellungnahme von Dr. C. (MDK) ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2006 zurück. Radfahren gehöre nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen, deren Beeinträchtigung die Krankenkasse auszugleichen habe. Etwas anderes könne für Kinder und Jugendliche, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres gelten, jedoch sei das Speedy-Tandem - wegen der Anwesenheit einer Begleitperson - zur Teilnahme an Aktivitäten anderer Jugendlicher und damit zur sozialen Integration in Gruppen gleichaltriger Jugendlicher nicht geeignet. Es sei auch nicht erforderlich um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der Fortbewegung sei der vorhandene Rollstuhl ausreichend.
Die Klägerin hat hiergegen am 23. August 2006 Klage bei dem Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die Gewährung des Hilfsmittels sei in ihrem Einzelfall zum Ausgleich der Behinderung erforderlich. Bei schwerstbehinderten Kindern, die nicht selbst in der Lage seien, sich fortzubewegen, bestehe ein Bedürfnis nach regelmäßigen Fahrradausflügen mit der Familie einschließlich der damit verbundenen Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung sowie Umwelterfahrung.
In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter der Klägerin angegeben, das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Behindertenfahrrad sei zurückgegeben worden, weil die Klägerin wegen zweier Hüftoperationen nicht mehr selbst aktiv darauf habe fahren können. Auch der Aktivrollstuhl sei inzwischen zu klein; mit diesem sei sie auch nie selbst gefahren. Jetzt sei ein neuer Rollstuhl mit Greifreifen und mit Rundnabenantrieb, der aber nicht am Rollstuhl angebracht sei, weil er allein etwa 15 Kilo wiege, angeschafft worden. Der Elektro-Rollstuhlantrieb werde in den nächsten Wochen ausprobiert werden, wobei die Klägerin voraussichtlich mindestens 1 bis 2 Jahre brauche, bis sie mit dem Elektroantrieb auch außerhalb der Wohnräume etwas anfangen und man sie auch dann nicht allein fahren lassen könne. Mit dem Speedy-Tandem könne sie (die Mutter) Unternehmungen mit der Klägerin durchführen, etwa in ein Café fahren. Die Familie mache sehr oft Ausflüge, wobei noch zwei größere Geschwister im Alter von 14 und 16 Jahren vorhanden seien. Dazu sei bisher ein größerer Fahrradanhänger verwendet worden, in dem die Klägerin gesessen habe. Aus diesem sei sie inzwischen herausgewachsen und noch größere Fahrradanhänger gebe es nicht. Bei den Fahrradausflügen sei meist der große Sohn dabei, bei längeren Strecken gehe auch oft ihr Mann mit. Ansonsten müssten Autofahrten gemacht werden, aber im Auto passe der bisherige Kindersitz nicht mehr. Man benötige jetzt einen noch größeren, aber dann klemme das Gurtsystem im Auto. Den Rollstuhl in das Auto hinein zu hieven, sei schwer, besonders wenn dieser noch mit dem abnehmbaren Elektroantriebsteil ausgestattet werde. Der große Vorteil des Speedy-Tandems sei, dass man die Klägerin dabei im Rollstuhl herumfahren, diesen an einem Zielort abkoppeln und die Klägerin dann ohne weitere Probleme am Zielort mit dem Rollstuhl weiterbewegen könne.
Mit Urteil vom 20. September 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Speedy-Tandem sei nicht erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V). Die Körpererfahrung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sei ein bloßer Nebeneffekt der Fortbewegung und nicht erforderlich, um einen Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, für die u. a. Krankengymnastik, Physiotherapie und die der Klägerin gewährte Reittherapie zur Verfügung stünden. Das Speedy-Tandem sei auch nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Von der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Hilfsmittel nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehöre u. a. das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, was aber nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst zu verstehen sei. Gemeint sei das Grundbedürfnis, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen seien. Der Klägerin sei eine Fortbewegung zu Fuß selbständig überhaupt nicht möglich; dieser Einschränkung ihrer Fähigkeit zum selbständigen Fortbewegen könne aber auch das Speedy-Tandem nicht abhelfen. Unselbständig, also mit Hilfe Dritter, könne die Klägerin bereits bisher mit dem zur Verfügung gestellten Rollstuhl mit Elektroantrieb im Rahmen der hier maßgeblichen Entfernungen fortbewegt werden, die auch ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege. Soweit mit dem Speedy-Tandem der Radius dieser unselbständigen Fortbewegung deutlich erweitert werde, gehöre dies nicht mehr zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Auch das Radfahren gehöre nicht zu diesen Grundbedürfnissen. Zwar sei bei Jugendlichen auch die Teilnahme an Aktivitäten anderer Jugendlicher und damit die Integration in Gruppen Gleichaltriger als Grundbedürfnis anerkannt worden, doch sei das Speedy-Tandem insoweit wegen der notwendigen Anwesenheit eines Erwachsenen nicht als geeignetes Hilfsmittel anzusehen. Die Frage, ob die gemeinsamen Fahrradausflüge mit der Familie überhaupt ein relevanter Faktor für die soziale Integration und Kommunikation eines Behinderten sein und insofern ein Grundbedürfnis darstellen könnten, das die Gewährung eines Speedy-Tandems erforderlich mache, könne hier dahinstehen. Denn die Fahrradausflüge mit der Familie hätten aufgrund der anderweitigen Möglichkeiten, der Abhängigkeit von Jahreszeit und Wetter, dem Alter der Geschwister und der nicht ständigen Teilnahme des Vaters für die soziale Integration und Kommunikation der Klägerin eine eher untergeordnete Bedeutung. Aus der bloßen ärztlichen Verordnung oder der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis könne die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte ableiten. Die Gewährung des Speedy-Tandems als Leistung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), für das die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) leistungspflichtig wäre, scheide - wie die von der Mutter der Klägerin vorgetragenen Familienverhältnisse zeigen - mangels Bedürftigkeit aus.
Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 17. Oktober 2007 zugestellte Urteil am 15. November 2007 Berufung eingelegt. Zu den Grundbedürfnissen gehöre, so trägt sie vor, auch die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung sowie Umwelterfahrung, weiterhin - unter Würdigung von Art. 6 des Grundgesetzes (GG) - die Integration in den Familienverband. Es komme nicht darauf an, dass sie das beantragte Speedy-Tandem nicht selbst und nur mit Hilfe ihrer Familie nutzen könne. Zu berücksichtigen sei auch der Sicherstellungsauftrag nach § 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Familienausflüge würden regelmäßig, auch bei schlechtem Wetter ausgeführt; teilweise sei sie auch allein mit den Geschwistern oder mit Freunden unterwegs. Da der nächste Lebensmittelladen und das nächste Café im Nachbarort lägen, seien auch die Wege des täglichen Lebens weit zu fassen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20. September 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 19. September 2005 und 9. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Speedy-Tandem, wie es im Kostenvoranschlag der Firma S.-R.-T. GmbH beschrieben ist, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Klägerin würde durch die Gewährung des Speedy-Tandems nicht die konventionelle Fortbewegung ermöglicht werden, sondern eine solche äquivalent zum Fahrradfahren eines Gesunden. Dies gehöre nicht mehr zum Basisausgleich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Für eine Integration in die Familie bestünden neben dem gemeinsamen Fahrradfahren eine Vielzahl von Möglichkeiten.
Zum Hinweis der Beklagten, der Rollstuhl der Klägerin werde derzeit mit einem Elektromotor ausgerüstet, um ihr die Fortbewegung im hügeligen Wohnumfeld zu ermöglichen, hat die Klägerin erklärt, die Versorgung mit einem Elektromotor sei nicht beabsichtigt und nicht beantragt. Vorhanden sei ein Radnabenantrieb für den Rollstuhl. Der Umgang hiermit werde derzeit in der Schule geübt. Die Nutzung werde aber dauerhaft auf den Innenbereich der Wohnung beschränkt sein, da ihr aufgrund der Spastiken die im Verkehr erforderliche Konzentrationsfähigkeit fehle.
Die Beteiligten sind dazu angehört worden, dass beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Klägerin hat sich hiermit einverstanden erklärt (Aktenvermerk des Berichterstatters des Senats vom 30. Juli 2008).
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines Speedy-Tandems.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für das hier von der Klägerin beanspruchte Hilfsmittel dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend zum Vorbringen im Berufungsverfahren ist auszuführen, dass der Anspruch auf Versorgung mit einem Speedy-Tandem oder Therapie-Tandem in der Rechtsprechung mittlerweile geklärt ist. Hingewiesen wird auf die Urteile des BSG vom 21. November 2002, B 3 KR 8/02 R, SGb 2003, 94, vom 26. März 2003, B 3 KR 26/02 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 2, den Beschluss des BSG vom 27. Juli 2006, B 3 KR 11/06 B, sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, L 11 KR 5004/05, welches aufgrund der Rechtsprechung des BSG ergangen ist.
Die Klägerin ist im Nahbereich ausreichend versorgt - es besteht auch zumindest die Bereitschaft der Beklagten, sie mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen, der die Hügeligkeit des Wohnumfelds ausgleicht. Bei dem hier streitigen Begehren handelt es sich also im Kern darum, derart versorgt zu werden, dass man einem Gesunden auch im Bereich des Fahrradfahrens gleichgestellt wird. Dies überschreitet den Bereich des Ausgleichs von Behinderungen im Bereich der Grundbedürfnisse, der allein von der Beklagten geschuldet wird.
Unerheblich ist insbesondere, dass die Klägerin ihren Rollstuhl nicht oder - wegen des hügeligen Umlandes - nur eingeschränkt selbstständig nutzen kann (vgl. BSG, Urteil vom 21. November 2002, a.a.O.). Nicht entscheidend ist, dass sich in der näheren Umgebung der Klägerin kein Lebensmittelladen und kein Café finden, denn obwohl § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf die Verhältnisse im Einzelfall abstellt, ist ein Ausgleich für individuelle Wohn- und Lebensverhältnisse des Versicherten nicht geschuldet (BSG, Urteil vom 19. April 2007, B 3 KR 9/06 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 15). Das Speedy-Tandem eröffnet der Klägerin auch nicht erst die Möglichkeit, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Juli 2006, a.a.O.). Die Wahrnehmung der Geschwindigkeit und der Raumorientierung sowie die umfassende Umwelterfahrung gehören nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens (BSG, Urteil vom 26. März 2003, a.a.O.). Dass die Aufnahme des Therapie-Tandems in das Hilfsmittelverzeichnis nach der Rechtsprechung des BSG selbst keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem begründet, hat das SG bereits ausgeführt.
Im Urteil des BSG vom 21. November 2002 ist als einziger im Fall der Klägerin relevanter Anknüpfungspunkt für einen möglichen Anspruch die besondere Bedeutung von gemeinsamen Familienausflügen mit der Familie als Faktor für die soziale Integration und Kommunikation des Behinderten angesprochen worden - die Relevanz dieser Ausflüge hat das BSG dort aber ausdrücklich offen gelassen. Im älteren Urteil des 8. Senats (Urteil vom 13. Mai 1998, B 8 KN 13/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 28) war ebenfalls eine auf eine besondere Bedeutung von gemeinsamen Fahrradausflügen in der konkreten Familiensituation - ohne diese näher zu beschreiben - abgestellt worden.
Im Fall, der dem Urteil des BSG vom 21. November 2002 zu Grunde lag, bestanden über das Vorhandensein mehrerer Geschwister und den Besuch einer Behindertenschule - so vom BSG wiedergegeben - "relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation". Das lässt sich nach der Überzeugung des Senats auf die Klägerin übertragen, die ebenfalls eine solche Schule besucht und engen Kontakt zu ihren Eltern und zu mehreren Geschwistern hat. Zwar sind die Möglichkeiten der Klägerin - so erstinstanzlich vorgetragen - zur Kontaktaufnahme und zur Wahrnehmung der Mitmenschen und der Umwelt aufgrund ihrer Schwerstbehinderung erheblich eingeschränkt. Dies gilt jedoch auch und besonders für die Wahrnehmungen bei gemeinsamen Familienausflügen der Familie, deren Wertigkeit für die genannten Integrationsziele damit deutlich relativiert wird.
Die familiäre Situation der Klägerin und die Bedeutung von Fahrradausflügen für diese hat das SG eingehend gewürdigt. Der Senat lässt offen, ob ein Anspruch tatsächlich von jedem der dort genannten, sehr individuellen und von der jeweiligen Familiensituation geprägten Umständen abhängen kann. Immerhin hat das BSG im Urteil vom 21. November 2002 die besondere soziale Bedeutung von Fahrradausflügen in einer bestimmten Region (Münsterland) als nicht wesentlich angesehen. Das spricht dagegen, die Bedeutung von Fahrradausflügen für die familiäre Integration als besonders hochrangig anzusehen. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es neben Fahrradausflügen auch noch andere Möglichkeiten eines gemeinsamen Familienlebens gibt. Besuche im Nahbereich sind im Rollstuhl möglich - hierzu bedarf es sogar zwingend der Begleitung einer Hilfsperson, üblicherweise eines Familienmitglieds. Eine andere Möglichkeit des gemeinsamen Familienlebens sind Ausfahrten mit dem Auto. Zwar hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Probleme mit der Größe des Kindersitzes, dem Gurtsystem und dem Verbringen des Rollstuhls in das Auto geschildert. Es ist aber nicht erkennbar, dass es sich hier um mehr als ärgerliche, aber letztlich überwindbare Hindernisse handelt, und ein solcher Transport generell nicht möglich ist. Zudem können solche Hindernisse - auch durch die Gewährung von Hilfen der Beklagten - behoben werden. Üblicherweise lässt sich ein Autotransport von Versicherten, die der Klägerin vergleichbar behindert sind, ermöglichen. Der von der Mutter der Klägerin geschilderte Vorteil des Speedy-Tandems, dass man die Klägerin im Rollstuhl herumfahren, diesen an einem Zielort abkoppeln und die Klägerin dann ohne weitere Probleme am Zielort mit dem Rollstuhl weiterbewegen könne, wird auch vom Senat nicht verkannt. Er geht jedoch über die Gewährung des Basisausgleichs hinaus, den allein zu gewähren die Beklagte verpflichtet ist.
Der Fall der Klägerin ist damit nicht denjenigen vergleichbar, die den Entscheidungen des BSG vom 29. September 1997, 8 RKn 27/96, SozR 3-2500 § 33 Nr. 25, vom 13. Mai 1998, B 8 KN 13/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 28 sowie der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2005, L 16 KR 137/03, zugrunde lagen, wo die "besondere Bedeutung" gemeinsamer Fahrradfahrten für die dortige Kläger bzw. Klägerinnen und ihre Entwicklung festgestellt wurde.
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 2 Abs. 2 SGB I. Danach sind die "nachfolgenden sozialen Rechte" bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB I bis SGB XII) und bei der Ausübung des Ermessens zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Der Bereich der Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen ist speziell in § 4 Abs 2 Nr. 1 SGB I angesprochen, wonach Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit haben. Dies konkretisiert aber wiederum § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Dass § 2 Abs. 2 SGB I die hieraus folgende Rechtsposition grundlegend erweitert und damit ganz neue Bereiche möglicher Ansprüche eröffnet, kann weder aus der Vorschrift selbst noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006, B 3 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 11) abgeleitet werden.
Weitergehende Ansprüche können auch nicht aus Art. 6 GG abgeleitet werden. Zwar ist die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG (i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) auch bei der Anwendung sozialrechtlicher Leistungsvorschriften zu beachten. Art und Umfang der hieraus folgenden Pflicht eines sozialen Ausgleichs liegen aber grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der Staat muss Familien nicht ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange, wie z. B. diejenigen der gesetzlichen Krankenkassen, fördern (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2001, B 12 KR 8/00 R, SozR 3-2500 § 10 Nr. 21).
Einer Beiladung des Sozialhilfeträgers - die nach der Erweiterung des § 75 Abs. 5 SGG durch Art. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BGBl 2006 I S. 1706) grundsätzlich möglich wäre - bedarf es nicht, weil die Beklagte den Antrag nicht weitergeleitet und damit nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX als zunächst angegangener Rehabilitationsträger den Anspruch umfassend zu prüfen hat (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, a.a.O., und vom 7. November 2006, L 11 KR 2438/06). Ein Anspruch auf Gewährung als Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII besteht auch in der Sache nicht. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist eine Besserstellung der Eingliederungshilfe und ergänzender Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Rehabilitationsleistungen aus anderen Leistungssystemen nicht vorgesehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, a.a.O.). So sieht auch die aufgrund § 60 SGB XII erlassene, die Art und den Umfang der Leistungen näher regelnde Eingliederungshilfe-Verordnung (abgedruckt bei Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe) grundsätzlich keinen Anspruch auf die Gewährung von Hilfsmitteln für das bloße Freizeitverhalten vor, während die auch nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII besonders hervorgehobene Eingliederung in den Bereichen Schulbildung, berufliche Ausbildung und Arbeitsleben hier gerade nicht betroffen ist. Von daher kann der Senat auch offen lassen, ob ein Anspruch deswegen ausscheidet, weil es aufgrund der familiären Verhältnisse der Klägerin und der ihr unterhaltspflichtigen Angehörigen, wie sie von der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG dargestellt worden sind, an der nach § 19 Abs. 3, §§ 82 ff. SGB XII notwendigen Bedürftigkeit der Klägerin fehlt.
Schließlich war auch die Pflegekasse nicht beizuladen, denn das begehrte Hilfsmittel dient nicht der Erleichterung der Pflege oder der Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen und stellt damit kein Pflegehilfsmittel nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) dar (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2007, B 3 P 9/06, für SozR vorgesehen, SGb 2008, 23 [Kurzwiedergabe]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines so genannten Speedy-Tandems.
Die 1996 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens Tetraspastikerin. Die Pflegekasse gewährt Leistungen nach Pflegestufe III. Von der Beklagten ist die Klägerin mit einem sogenannten Aktiv-Rollstuhl ausgestattet worden. Auf Grund der Ausprägung ihrer Tetraspastik kann die Klägerin selbstständig nur in einer Sitzschale sitzen. Die Klägerin besucht eine Behindertenschule. Neben der Klägerin und ihren Eltern leben noch zwei ältere Geschwister in der Familie. Sie wohnt im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses mit weitgehend rollstuhlgerechten Räumlichkeiten. Das weitere Wohnumfeld ist hügelig.
Im September 2005 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung von Dr. R. die Gewährung eines Speedy-Tandems der Firma S. R.-T. GmbH. Hierbei handelt es sich um sich ein speziell ausgerüstetes Fahrrad, an welches mittels einer über eine Stange geführten Kupplung der Rollstuhl angekoppelt wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Auszug aus der Datenbank R. (Aktenseiten 21 bis 23 der Akte des Sozialgerichts) Bezug genommen. Das Speedy-Tandem ist im GKV-Hilfsmittelverzeichnis gelistet (Positionsnummer 18.51.03.0005). Die Klägerin legte einen Kostenvoranschlag der Firma S.-R.-T. GmbH über insgesamt 6.097,38 EUR vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. September 2005 ab, da das Speedy-Tandem nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weder zur Sicherung des Ziels der Krankenbehandlung noch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sei.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und verwies darauf, dass ihr das Speedy-Tandem die Teilnahme an den Fahrradausflügen der Familie bzw. die Einbindung der Familie in ihr soziales Umfeld ermöglichen solle.
Die Beklagte lehnte die Gewährung nach Einholung einer - die Versorgung nicht befürwortenden - gutachtlichen Stellungnahme von Dr. M., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK), mit Bescheid vom 9. November 2005 erneut ab.
Die Klägerin legte auch hiergegen Widerspruch ein und begründete diesen ergänzend mit dem Umstand, dass das Speedy-Tandem im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sei, sowie damit, dass das Therapie-Tandem im Einzelfall auch eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei, wenn es zur sozialen Integration diene.
Die Beklagte holte eine weitere, erneut eine Versorgung nicht befürwortende Stellungnahme von Dr. C. (MDK) ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2006 zurück. Radfahren gehöre nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen, deren Beeinträchtigung die Krankenkasse auszugleichen habe. Etwas anderes könne für Kinder und Jugendliche, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres gelten, jedoch sei das Speedy-Tandem - wegen der Anwesenheit einer Begleitperson - zur Teilnahme an Aktivitäten anderer Jugendlicher und damit zur sozialen Integration in Gruppen gleichaltriger Jugendlicher nicht geeignet. Es sei auch nicht erforderlich um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der Fortbewegung sei der vorhandene Rollstuhl ausreichend.
Die Klägerin hat hiergegen am 23. August 2006 Klage bei dem Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die Gewährung des Hilfsmittels sei in ihrem Einzelfall zum Ausgleich der Behinderung erforderlich. Bei schwerstbehinderten Kindern, die nicht selbst in der Lage seien, sich fortzubewegen, bestehe ein Bedürfnis nach regelmäßigen Fahrradausflügen mit der Familie einschließlich der damit verbundenen Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung sowie Umwelterfahrung.
In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter der Klägerin angegeben, das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Behindertenfahrrad sei zurückgegeben worden, weil die Klägerin wegen zweier Hüftoperationen nicht mehr selbst aktiv darauf habe fahren können. Auch der Aktivrollstuhl sei inzwischen zu klein; mit diesem sei sie auch nie selbst gefahren. Jetzt sei ein neuer Rollstuhl mit Greifreifen und mit Rundnabenantrieb, der aber nicht am Rollstuhl angebracht sei, weil er allein etwa 15 Kilo wiege, angeschafft worden. Der Elektro-Rollstuhlantrieb werde in den nächsten Wochen ausprobiert werden, wobei die Klägerin voraussichtlich mindestens 1 bis 2 Jahre brauche, bis sie mit dem Elektroantrieb auch außerhalb der Wohnräume etwas anfangen und man sie auch dann nicht allein fahren lassen könne. Mit dem Speedy-Tandem könne sie (die Mutter) Unternehmungen mit der Klägerin durchführen, etwa in ein Café fahren. Die Familie mache sehr oft Ausflüge, wobei noch zwei größere Geschwister im Alter von 14 und 16 Jahren vorhanden seien. Dazu sei bisher ein größerer Fahrradanhänger verwendet worden, in dem die Klägerin gesessen habe. Aus diesem sei sie inzwischen herausgewachsen und noch größere Fahrradanhänger gebe es nicht. Bei den Fahrradausflügen sei meist der große Sohn dabei, bei längeren Strecken gehe auch oft ihr Mann mit. Ansonsten müssten Autofahrten gemacht werden, aber im Auto passe der bisherige Kindersitz nicht mehr. Man benötige jetzt einen noch größeren, aber dann klemme das Gurtsystem im Auto. Den Rollstuhl in das Auto hinein zu hieven, sei schwer, besonders wenn dieser noch mit dem abnehmbaren Elektroantriebsteil ausgestattet werde. Der große Vorteil des Speedy-Tandems sei, dass man die Klägerin dabei im Rollstuhl herumfahren, diesen an einem Zielort abkoppeln und die Klägerin dann ohne weitere Probleme am Zielort mit dem Rollstuhl weiterbewegen könne.
Mit Urteil vom 20. September 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Speedy-Tandem sei nicht erforderlich, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V). Die Körpererfahrung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sei ein bloßer Nebeneffekt der Fortbewegung und nicht erforderlich, um einen Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, für die u. a. Krankengymnastik, Physiotherapie und die der Klägerin gewährte Reittherapie zur Verfügung stünden. Das Speedy-Tandem sei auch nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Von der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Hilfsmittel nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehöre u. a. das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, was aber nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst zu verstehen sei. Gemeint sei das Grundbedürfnis, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen seien. Der Klägerin sei eine Fortbewegung zu Fuß selbständig überhaupt nicht möglich; dieser Einschränkung ihrer Fähigkeit zum selbständigen Fortbewegen könne aber auch das Speedy-Tandem nicht abhelfen. Unselbständig, also mit Hilfe Dritter, könne die Klägerin bereits bisher mit dem zur Verfügung gestellten Rollstuhl mit Elektroantrieb im Rahmen der hier maßgeblichen Entfernungen fortbewegt werden, die auch ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklege. Soweit mit dem Speedy-Tandem der Radius dieser unselbständigen Fortbewegung deutlich erweitert werde, gehöre dies nicht mehr zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Auch das Radfahren gehöre nicht zu diesen Grundbedürfnissen. Zwar sei bei Jugendlichen auch die Teilnahme an Aktivitäten anderer Jugendlicher und damit die Integration in Gruppen Gleichaltriger als Grundbedürfnis anerkannt worden, doch sei das Speedy-Tandem insoweit wegen der notwendigen Anwesenheit eines Erwachsenen nicht als geeignetes Hilfsmittel anzusehen. Die Frage, ob die gemeinsamen Fahrradausflüge mit der Familie überhaupt ein relevanter Faktor für die soziale Integration und Kommunikation eines Behinderten sein und insofern ein Grundbedürfnis darstellen könnten, das die Gewährung eines Speedy-Tandems erforderlich mache, könne hier dahinstehen. Denn die Fahrradausflüge mit der Familie hätten aufgrund der anderweitigen Möglichkeiten, der Abhängigkeit von Jahreszeit und Wetter, dem Alter der Geschwister und der nicht ständigen Teilnahme des Vaters für die soziale Integration und Kommunikation der Klägerin eine eher untergeordnete Bedeutung. Aus der bloßen ärztlichen Verordnung oder der Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis könne die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte ableiten. Die Gewährung des Speedy-Tandems als Leistung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), für das die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) leistungspflichtig wäre, scheide - wie die von der Mutter der Klägerin vorgetragenen Familienverhältnisse zeigen - mangels Bedürftigkeit aus.
Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 17. Oktober 2007 zugestellte Urteil am 15. November 2007 Berufung eingelegt. Zu den Grundbedürfnissen gehöre, so trägt sie vor, auch die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung sowie Umwelterfahrung, weiterhin - unter Würdigung von Art. 6 des Grundgesetzes (GG) - die Integration in den Familienverband. Es komme nicht darauf an, dass sie das beantragte Speedy-Tandem nicht selbst und nur mit Hilfe ihrer Familie nutzen könne. Zu berücksichtigen sei auch der Sicherstellungsauftrag nach § 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Familienausflüge würden regelmäßig, auch bei schlechtem Wetter ausgeführt; teilweise sei sie auch allein mit den Geschwistern oder mit Freunden unterwegs. Da der nächste Lebensmittelladen und das nächste Café im Nachbarort lägen, seien auch die Wege des täglichen Lebens weit zu fassen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20. September 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 19. September 2005 und 9. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Speedy-Tandem, wie es im Kostenvoranschlag der Firma S.-R.-T. GmbH beschrieben ist, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Klägerin würde durch die Gewährung des Speedy-Tandems nicht die konventionelle Fortbewegung ermöglicht werden, sondern eine solche äquivalent zum Fahrradfahren eines Gesunden. Dies gehöre nicht mehr zum Basisausgleich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Für eine Integration in die Familie bestünden neben dem gemeinsamen Fahrradfahren eine Vielzahl von Möglichkeiten.
Zum Hinweis der Beklagten, der Rollstuhl der Klägerin werde derzeit mit einem Elektromotor ausgerüstet, um ihr die Fortbewegung im hügeligen Wohnumfeld zu ermöglichen, hat die Klägerin erklärt, die Versorgung mit einem Elektromotor sei nicht beabsichtigt und nicht beantragt. Vorhanden sei ein Radnabenantrieb für den Rollstuhl. Der Umgang hiermit werde derzeit in der Schule geübt. Die Nutzung werde aber dauerhaft auf den Innenbereich der Wohnung beschränkt sein, da ihr aufgrund der Spastiken die im Verkehr erforderliche Konzentrationsfähigkeit fehle.
Die Beteiligten sind dazu angehört worden, dass beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Klägerin hat sich hiermit einverstanden erklärt (Aktenvermerk des Berichterstatters des Senats vom 30. Juli 2008).
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines Speedy-Tandems.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für das hier von der Klägerin beanspruchte Hilfsmittel dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend zum Vorbringen im Berufungsverfahren ist auszuführen, dass der Anspruch auf Versorgung mit einem Speedy-Tandem oder Therapie-Tandem in der Rechtsprechung mittlerweile geklärt ist. Hingewiesen wird auf die Urteile des BSG vom 21. November 2002, B 3 KR 8/02 R, SGb 2003, 94, vom 26. März 2003, B 3 KR 26/02 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 2, den Beschluss des BSG vom 27. Juli 2006, B 3 KR 11/06 B, sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, L 11 KR 5004/05, welches aufgrund der Rechtsprechung des BSG ergangen ist.
Die Klägerin ist im Nahbereich ausreichend versorgt - es besteht auch zumindest die Bereitschaft der Beklagten, sie mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen, der die Hügeligkeit des Wohnumfelds ausgleicht. Bei dem hier streitigen Begehren handelt es sich also im Kern darum, derart versorgt zu werden, dass man einem Gesunden auch im Bereich des Fahrradfahrens gleichgestellt wird. Dies überschreitet den Bereich des Ausgleichs von Behinderungen im Bereich der Grundbedürfnisse, der allein von der Beklagten geschuldet wird.
Unerheblich ist insbesondere, dass die Klägerin ihren Rollstuhl nicht oder - wegen des hügeligen Umlandes - nur eingeschränkt selbstständig nutzen kann (vgl. BSG, Urteil vom 21. November 2002, a.a.O.). Nicht entscheidend ist, dass sich in der näheren Umgebung der Klägerin kein Lebensmittelladen und kein Café finden, denn obwohl § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf die Verhältnisse im Einzelfall abstellt, ist ein Ausgleich für individuelle Wohn- und Lebensverhältnisse des Versicherten nicht geschuldet (BSG, Urteil vom 19. April 2007, B 3 KR 9/06 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 15). Das Speedy-Tandem eröffnet der Klägerin auch nicht erst die Möglichkeit, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Juli 2006, a.a.O.). Die Wahrnehmung der Geschwindigkeit und der Raumorientierung sowie die umfassende Umwelterfahrung gehören nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens (BSG, Urteil vom 26. März 2003, a.a.O.). Dass die Aufnahme des Therapie-Tandems in das Hilfsmittelverzeichnis nach der Rechtsprechung des BSG selbst keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem begründet, hat das SG bereits ausgeführt.
Im Urteil des BSG vom 21. November 2002 ist als einziger im Fall der Klägerin relevanter Anknüpfungspunkt für einen möglichen Anspruch die besondere Bedeutung von gemeinsamen Familienausflügen mit der Familie als Faktor für die soziale Integration und Kommunikation des Behinderten angesprochen worden - die Relevanz dieser Ausflüge hat das BSG dort aber ausdrücklich offen gelassen. Im älteren Urteil des 8. Senats (Urteil vom 13. Mai 1998, B 8 KN 13/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 28) war ebenfalls eine auf eine besondere Bedeutung von gemeinsamen Fahrradausflügen in der konkreten Familiensituation - ohne diese näher zu beschreiben - abgestellt worden.
Im Fall, der dem Urteil des BSG vom 21. November 2002 zu Grunde lag, bestanden über das Vorhandensein mehrerer Geschwister und den Besuch einer Behindertenschule - so vom BSG wiedergegeben - "relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation". Das lässt sich nach der Überzeugung des Senats auf die Klägerin übertragen, die ebenfalls eine solche Schule besucht und engen Kontakt zu ihren Eltern und zu mehreren Geschwistern hat. Zwar sind die Möglichkeiten der Klägerin - so erstinstanzlich vorgetragen - zur Kontaktaufnahme und zur Wahrnehmung der Mitmenschen und der Umwelt aufgrund ihrer Schwerstbehinderung erheblich eingeschränkt. Dies gilt jedoch auch und besonders für die Wahrnehmungen bei gemeinsamen Familienausflügen der Familie, deren Wertigkeit für die genannten Integrationsziele damit deutlich relativiert wird.
Die familiäre Situation der Klägerin und die Bedeutung von Fahrradausflügen für diese hat das SG eingehend gewürdigt. Der Senat lässt offen, ob ein Anspruch tatsächlich von jedem der dort genannten, sehr individuellen und von der jeweiligen Familiensituation geprägten Umständen abhängen kann. Immerhin hat das BSG im Urteil vom 21. November 2002 die besondere soziale Bedeutung von Fahrradausflügen in einer bestimmten Region (Münsterland) als nicht wesentlich angesehen. Das spricht dagegen, die Bedeutung von Fahrradausflügen für die familiäre Integration als besonders hochrangig anzusehen. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es neben Fahrradausflügen auch noch andere Möglichkeiten eines gemeinsamen Familienlebens gibt. Besuche im Nahbereich sind im Rollstuhl möglich - hierzu bedarf es sogar zwingend der Begleitung einer Hilfsperson, üblicherweise eines Familienmitglieds. Eine andere Möglichkeit des gemeinsamen Familienlebens sind Ausfahrten mit dem Auto. Zwar hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Probleme mit der Größe des Kindersitzes, dem Gurtsystem und dem Verbringen des Rollstuhls in das Auto geschildert. Es ist aber nicht erkennbar, dass es sich hier um mehr als ärgerliche, aber letztlich überwindbare Hindernisse handelt, und ein solcher Transport generell nicht möglich ist. Zudem können solche Hindernisse - auch durch die Gewährung von Hilfen der Beklagten - behoben werden. Üblicherweise lässt sich ein Autotransport von Versicherten, die der Klägerin vergleichbar behindert sind, ermöglichen. Der von der Mutter der Klägerin geschilderte Vorteil des Speedy-Tandems, dass man die Klägerin im Rollstuhl herumfahren, diesen an einem Zielort abkoppeln und die Klägerin dann ohne weitere Probleme am Zielort mit dem Rollstuhl weiterbewegen könne, wird auch vom Senat nicht verkannt. Er geht jedoch über die Gewährung des Basisausgleichs hinaus, den allein zu gewähren die Beklagte verpflichtet ist.
Der Fall der Klägerin ist damit nicht denjenigen vergleichbar, die den Entscheidungen des BSG vom 29. September 1997, 8 RKn 27/96, SozR 3-2500 § 33 Nr. 25, vom 13. Mai 1998, B 8 KN 13/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 28 sowie der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2005, L 16 KR 137/03, zugrunde lagen, wo die "besondere Bedeutung" gemeinsamer Fahrradfahrten für die dortige Kläger bzw. Klägerinnen und ihre Entwicklung festgestellt wurde.
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 2 Abs. 2 SGB I. Danach sind die "nachfolgenden sozialen Rechte" bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB I bis SGB XII) und bei der Ausübung des Ermessens zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Der Bereich der Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen ist speziell in § 4 Abs 2 Nr. 1 SGB I angesprochen, wonach Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit haben. Dies konkretisiert aber wiederum § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Dass § 2 Abs. 2 SGB I die hieraus folgende Rechtsposition grundlegend erweitert und damit ganz neue Bereiche möglicher Ansprüche eröffnet, kann weder aus der Vorschrift selbst noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006, B 3 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 11) abgeleitet werden.
Weitergehende Ansprüche können auch nicht aus Art. 6 GG abgeleitet werden. Zwar ist die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG (i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) auch bei der Anwendung sozialrechtlicher Leistungsvorschriften zu beachten. Art und Umfang der hieraus folgenden Pflicht eines sozialen Ausgleichs liegen aber grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der Staat muss Familien nicht ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange, wie z. B. diejenigen der gesetzlichen Krankenkassen, fördern (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2001, B 12 KR 8/00 R, SozR 3-2500 § 10 Nr. 21).
Einer Beiladung des Sozialhilfeträgers - die nach der Erweiterung des § 75 Abs. 5 SGG durch Art. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BGBl 2006 I S. 1706) grundsätzlich möglich wäre - bedarf es nicht, weil die Beklagte den Antrag nicht weitergeleitet und damit nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX als zunächst angegangener Rehabilitationsträger den Anspruch umfassend zu prüfen hat (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, a.a.O., und vom 7. November 2006, L 11 KR 2438/06). Ein Anspruch auf Gewährung als Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII besteht auch in der Sache nicht. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist eine Besserstellung der Eingliederungshilfe und ergänzender Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Rehabilitationsleistungen aus anderen Leistungssystemen nicht vorgesehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 9. Mai 2006, a.a.O.). So sieht auch die aufgrund § 60 SGB XII erlassene, die Art und den Umfang der Leistungen näher regelnde Eingliederungshilfe-Verordnung (abgedruckt bei Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe) grundsätzlich keinen Anspruch auf die Gewährung von Hilfsmitteln für das bloße Freizeitverhalten vor, während die auch nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII besonders hervorgehobene Eingliederung in den Bereichen Schulbildung, berufliche Ausbildung und Arbeitsleben hier gerade nicht betroffen ist. Von daher kann der Senat auch offen lassen, ob ein Anspruch deswegen ausscheidet, weil es aufgrund der familiären Verhältnisse der Klägerin und der ihr unterhaltspflichtigen Angehörigen, wie sie von der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG dargestellt worden sind, an der nach § 19 Abs. 3, §§ 82 ff. SGB XII notwendigen Bedürftigkeit der Klägerin fehlt.
Schließlich war auch die Pflegekasse nicht beizuladen, denn das begehrte Hilfsmittel dient nicht der Erleichterung der Pflege oder der Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen und stellt damit kein Pflegehilfsmittel nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) dar (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2007, B 3 P 9/06, für SozR vorgesehen, SGb 2008, 23 [Kurzwiedergabe]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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