L 12 AS 3238/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2596/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3238/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des SG Freiburg vom 16.06.2008 wird aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet dem Antragsteller vorläufig die angemessenen Unterkunftskosten zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) die Übernahme der Kosten für die Unterkunft einschließlich der Tilgungsraten für das Finanzierungsdarlehen zum Erwerb seiner Eigentumswohnung. Der Ast. ist seit 2003 Eigentümer einer 41 m2 großen, von ihm selbst bewohnten Eigentumswohnung in F ... Der Darle¬hensvertrag mit der LBS zur Finanzierung seiner Eigentumswohnung sieht eine monatliche Rate in Höhe von 306,78 EUR vor, wobei Zinsen in jeweils unterschiedlicher, abnehmen¬der Höhe, derzeit im Mai 2008 von 73,34 EUR mit enthalten sind. Er bezieht seit Januar 2005 Leis¬tungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Ag. bewilligte mit Bescheid vom 16.10.2007 Leistungen für den Zeitraum 01.11.2007 bis 30.04.2008 in Höhe von 545,15 EUR monatlich. Hierbei berücksichtigte sie als Kosten der Unterkunft 198,15 EUR pro Monat. Diese setzen sich aus dem vom Ast. wegen des Darle¬hens zu tragenden Schuldzins, den Neben- und Heizkosten sowie den Müllgebühren, abzüglich der Kosten der Warmwasseraufbereitung zusammen. Hiergegen legte der Ast. am 12.11.2007 Widerspruch ein und begehrte auch die Über¬nahme der Tilgungsrate. Die verbleibenden Leistungen reichten nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts, wenn er seiner Pflicht zur Tilgung des Darlehens nach¬komme. Er fühle sich ungleich behandelt mit Leistungsbeziehern, die eine hohe Zinsleistung, aber nur niedrige Tilgungsdarlehen vereinbart hätten. Eine Abfederung durch die Eigenheimzu¬lage sei nicht mehr möglich. Die Tilgungsraten seien Kosten der Unterkunft i.S.d. § 22 SGB II. Die Ag. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2007 zurück. Am 14.01.2008 hat der Ast. diesbezüglich Klage bei dem Sozialgericht F. (SG) unter dem Aktenzeichen S 3 AS 236/08 erhoben. Über diese ist bislang noch nicht entschieden. Der Ast. vereinbarte im November 2007 mit der LBS als Darlehensgeberin eine zeit¬weise, sechsmonatige Aussetzung der Tilgungsleistungen bis 31.05.2008. Die anfallenden Zin¬sen wurden weiter gezahlt. Mit Bescheid vom 22.04.2008 bewilligte die Ag. Leistungen für den Zeitraum 01.05.2008 bis 31.10.2008 in Höhe von 547,35 EUR monatlich. Als Kosten der Unterkunft berücksichtigte sie hierbei 200,35 EUR. Auch hiergegen legte der Ast. mit Schreiben vom 07.05.2008 Widerspruch ein. Soweit ersichtlich, ist hierüber noch nicht entschieden. Ebenfalls mit Schreiben vom 07.05.2008 bean¬tragte der Ast. die Gewährung der Tilgungsleistungen in Form eines Darlehens bis zur Höhe der in Freiburg gültigen Mietobergrenze für einen alleinstehenden Leistungsempfänger. Diesen lehnte die Ag. mit Bescheid vom 15.05.2008 ab. Zur Begründung führte sie aus, als Kosten der Unterkunft seien die Zinsen, nicht jedoch die Beiträge zur Tilgung anzuset¬zen. Am 27.05.2008 hat der Ast. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt die Ag. zur ܬbernahme der laufenden Tilgungsraten des Darlehens in Höhe von 290,00 EUR zu verpflichten. Die LBS sei zu einer weiteren Aussetzung der Tilgungsleistungen nicht bereit. Er selbst sei nicht in der Lage, die Tilgung aus dem Regelsatz zu finanzieren. Er müsse — werde ihm die Leistung nicht gewährt — seine Eigentumswohnung verkaufen und eine Ein-Zimmer-Wohnung anmieten. Ein Eigentümer dürfe nicht schlechter gestellt werden, als ein Mieter. Die Rechtspre¬chung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz mit dem Grundsatz des Verbots der Schuldentilgung könne nicht auf das SGB II übertragen werden. Entstehungsgeschichte und Systematik des SGB II seien in entscheidenden Punkten unterschied¬lich. Jedenfalls habe die Ag. die Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs. 5 SGB II nicht ausreichend geprüft. Die getroffene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft. Der Anord¬nungsgrund ergebe sich aus der voraussichtlichen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und der drohenden Kündigung des Darlehens mit der Folge des Verlusts der Wohnung.

Hiergegen hat die Ag. vorgetragen, es bestünde kein Anordnungsgrund, denn es könnten im Rahmen des § 22 SGB II lediglich Schuldzinsen, nicht jedoch Tilgungsbeträge berücksichtigt werden. Mit Beschluss vom 16.06.2008 lehnte das SG den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ab. Beim Ast. liege we¬der ein Anordnungsanspruch vor, noch sei ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch würden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Ag. habe die Unterkunftskosten des Antragsstellers zutreffend berechnet. Zu Recht habe sie bei der Bedarfsberechnung die vom Ast. zu erbringenden Tilgungsleistun¬gen für die selbst genutzte Eigentumswohnung nicht als Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II berücksichtigt. Ein Anspruch auf Übernahme auch der Tilgungsleis¬tungen hinsichtlich des Bauspardarlehens zur Finanzierung der Eigentumswohnung bestehe nicht. Die Kammer gehe diesbezüglich in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in Recht¬sprechung und Lehre davon aus, dass Tilgungsraten für einen Kredit zur Anschaffung von Wohneigentum grundsätzlich nicht Kosten der Unterkunft darstellen, weil die Schuldentilgung der Vermögensbildung diene und es mit dem Zweck der steuerfinanzierten Leistungen zur Grundsicherung grundsätzlich nicht vereinbar ist, den Vermögensaufbau der Hilfeempfänger zu finanzieren Die vereinzelt in der Literatur und wohl auch vom Ast. vertretene Auffassung vermöge nicht zu überzeugen. Der Hinweis darauf, die im Rahmen der Leistungsgewährung an einen Vermieter gelangenden Mietzinszahlungen seien ebenso steuerfinanziert und stell¬ten einen Anteil zur Vermögensbildung beim Vermieter dar, weshalb ein Gleichheitsproblem zu Wohneigentümern bestünde, hätte die Kammer nicht überzeugen können. Sinn und Zweck der Übernahme der anfallenden Kosten der Unterkunft sei einzig die Sicherung der Unterkunft. Auch das Argument, unter wirtschaftlichem Aspekt sei es gleichgültig, ob Vermögen beim Hil¬febedürftigen oder beim jeweiligen Vermieter durch die staatlichen Leistungen geschaffen wer¬de, könne nicht überzeugen. Denn für einen Vermieter stelle die Vermietung seines Eigentums die Bewirtschaftung seines Vermögens dar. Mit den Mieteinnahmen erziele er den auf dem freien Wohnungsmarkt erzielbaren Erlös. Für ihn ist es dabei wirtschaftlich unerheblich, ob sein Mieter Leistungsbezieher nach dem SGB II ist oder nicht. Wäre der Vermieter selbst Leistungsbezieher nach dem SGB II, würden seine Mieterträge auf seinen Leistungsanspruch angerechnet. Daraus zeigt sich, das die Situation eines Vermieters mit der Situation eines Hilfebedürftigen nicht ver¬gleichbar ist; ein Gleichheitsproblem also auch nicht bestehen kann. Auch hinsichtlich des vom Ast. hilfsweise begehrten Darlehens für die Tilgungsleistun¬gen besteht kein Anordnungsanspruch. Nach § 22 Abs. 5 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht wer¬den, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten drohe (§ 22 Abs. 5 S. 2 SGB II). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 5 S. 4 SGB II). Zwar komme wohl grundsätzlich in Betracht, nach dieser Vorschrift ein Darlehen wegen der Til¬gungsbelastungen beanspruchen zu können. Bislang sei vom Ast. aber noch nicht belegt, dass die Übernahme der Schulden zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Nach dem Vortrag des Antragsstellers war die LBS als Darlehensgeberin nur einmalig bereit, die Tilgung des Darlehens einstweilen auszusetzen. Der Ast. habe diesen Vortrag jedoch nicht glaubhaft gemacht. Denn er legte Unterlagen der LBS aus November 2007 vor, nach wel¬chen diese mitteilte, die Möglichkeiten seien nur begrenzt. Es könne nur in Notfällen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit vorübergehend ein vertraglicher Verzicht möglich sein. Einem weiteren Schreiben von November 2007 sind die Höhe der zu leis¬tenden Zinsen zu entnehmen sowie die Aussage, dass ab Juni 2008 wieder der volle Tilgungsbe¬trag abgebucht werde. Daraus ist aber nicht zu entnehmen, dass der Ast. erneut im Jahr 2008 bei der LBS angefragt hat, ob eine erneute Aussetzung der Tilgungszahlungen in Betracht kommen kann. Auch eine diesbezügliche eventuelle Antwort der LBS ist nicht dokumentiert. Den Schreiben ist auch nicht zu entnehmen, dass nur eine einmalige Stundung der Tilgung für sechs Monate durch die LBS in Frage kam. Auch das nach ausdrücklichem Hinweis der Kammer vorgelegte weitere Schreiben der LBS vom 09.06.2008 bestätigt lediglich die vorherige vertrag¬liche Regelung hinsichtlich der Tilgungsaussetzung. Auch ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung sei nicht glaubhaft gemacht. Denn einer vorläufigen Entscheidung durch das Gericht in der Sache bedürfe es dann nicht, wenn im Hauptsacheverfahren die Geldleistungen nachholbar seien und kein Ver¬lust der Wohnung droht. Der Vortrag des Ast.s hinsichtlich der nicht er¬neuten Möglichkeit der Aussetzung der Tilgung gegenüber der LBS ist nicht glaubhaft gemacht. Hierzu wird auf die oben zu § 22 Abs. 5 SGB II gemachten Ausführungen verwiesen. Erst wenn dies feststeht, könnte Eilbedürftigkeit gegeben sein. Gegen diesen Beschluss hat der Ast. beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt und vorgetragen, im Hinblick auf die neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( Urteil vom 18.06.2008, Az B 14/11b AS 67706 R ) sei die Entscheidung des SG nicht haltbar. Danach sei der in der bisherigen Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats aufgestellte Grundsatz, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen als Kosten der Unterkunft nicht in Betracht komme, weil das Alg II nicht dazu dienen könne, Vermögensaufbau zu betreiben, dahingehend einzuschränken, dass der Grundsicherungsträger im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei einem Eigentümer von selbst genutztem Wohneigentum von angemessener Größe die Kosten zu übernehmen habe, die er unter vergleichbaren Voraussetzungen für eine angemessene Mietwohnung tragen würde. Dem SGB II liege in Bezug auf den Erhalt von Vermögenswerten eine andere Wertung zugrunde als zuvor dem BSHG. Bei typisierender Betrachtung könne davon ausgegangen werden, dass bei einer relativ geringen Belastung durch Darlehenszinsen und einer vergleichsweise hohen Tilgungslast das selbst genutzte Wohneigentum bereits weitgehend finanziert sei und es deshalb nicht um den Aufbau, sondern um den Erhalt bereits bestehender Vermögenswerte gehe. II. Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Das SG hat die rechtlichen Vorraussetzungen für die Gewährung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes zutreffend dargestellt. Der Senat nimmt insoweit darauf Bezug ( § 153 Abs. 2 SGG). In der Sache vermochte der Senat dem SG allerdings nicht zu folgen. Der Senat gelangte im anhängigen Rechtstreit zu dem Ergebnis, dass dem Ast. vorläufig Unterkunftskosten in Höhe des für seinen Wohnsitz und Familienstand angemessenen Betrags zu gewähren sind und damit ein Anordnungsanspruch gegeben ist. Dabei spielt es im Hinblick auf die vom Ast. geleistete Zins- und Tilgungsrate für die Finanzierung seiner selbstbewohnten Eigentumswohnung keine Rolle, dass durch die Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten auch ein Teil der Tilgung abgedeckt wird. Das SG hat unter Hinweis auf die derzeit noch herrschende Meinung entschieden, dass Unterkunftskosten bei noch nicht vollständig finanziertem Wohneigentum nur bis zur Höhe des Zinsanteils übernommen werden können, da das SGB II als steuerfinanzierte Leistung der Grundsicherung nicht zum Vermögensaufbau dienen könne. Diese Meinung ist zur Überzeugung des Senats in dieser Form nicht mehr vertretbar. Nach Ansicht des Senats ist der eigentliche Grund für ein "Verbot" eines Vermögensaufbaus aus Leistungen zur Grundsicherung entscheidend. Ein solcher Vermögensaufbau soll in erster Linie deshalb vermieden werden, weil die Allgemeinheit über Steuern nur das für die Bedarfsdeckung Erforderliche finanzieren soll. Damit aber reduziert sich das Verbot des Vermögensaufbaus im Wesentlichen auf eine fiskalische, wirtschaftliche Überlegung. Diese greift jedoch dann nicht mehr, wenn der Allgemeinheit bei unterbleibendem Vermögensaufbau Aufwendungen für einen dann notwendigen Ersatzzweck (z.B. Mietzahlung statt Darlehenstilgung) in mindestens gleicher Höhe entständen. Das Gleichheitsgebot gebietet im Vergleich zu einem Mieter ein solche Entscheidung. Dies gilt zumindest dann, wenn aus der Höhe der Tilgungsrate im Vergleich zur Zinsrate geschlossen werden kann, dass die Tilgung bereits weitgehend abgeschlossen ist und die selbstgenutzte Eigentumswohnung bereits zum großen Teil zum Schonvermögen geworden ist (so wohl auch das BSG in seiner bis jetzt nicht veröffentlichten Entscheidung vom 18.06.2008, Az B 14/11b AS 67706 R). Beim Ast. liegt auch Anordnungsgrund vor. Er bezieht Leistungen zur Grundsicherung aus der er die Beträge zum erhalt seiner Eigentumswohnung nicht aufbringen kann. Der Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass er keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten hat. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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