Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 4121/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1935/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei Ansprüchen auf Geldleistungen (Verletztenrente), die von Amts wegen zu gewähren sind, liegt ein vollständiger Antrag vor, wenn der Versicherte in Kenntnis des durchgeführten Verwaltungsverfahrens alle erforderlichen Angaben gemacht hat. Ein förmlicher Leistungsantrag ist dann entbehrlich (wie BSG SozR 1200 § 44 Nr. 7).
2. Der Zinsanspruch bei Verletztenrente entsteht mit dem vollständigen Leistungsantrag dann, wenn der Versicherungsträger das diesem Antrag zu Grunde liegende Feststellungsverfahren rechtsfehlerhaft beendet hat, später aber verpflichtet wird (hier durch gerichtlichen Vergleich), unter Berücksichtigung der Verjährung rückwirkend Verletztenrente zu gewähren. Maßgebend für die Verzinsung ist nicht ein später gestellter Neuantrag (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.01.1992, SozR 3-1200 § 44 Nr. 4).
2. Der Zinsanspruch bei Verletztenrente entsteht mit dem vollständigen Leistungsantrag dann, wenn der Versicherungsträger das diesem Antrag zu Grunde liegende Feststellungsverfahren rechtsfehlerhaft beendet hat, später aber verpflichtet wird (hier durch gerichtlichen Vergleich), unter Berücksichtigung der Verjährung rückwirkend Verletztenrente zu gewähren. Maßgebend für die Verzinsung ist nicht ein später gestellter Neuantrag (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.01.1992, SozR 3-1200 § 44 Nr. 4).
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.03.2008 und der Bescheid der Beklagten vom 12.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, auf die Rentenleistungen Zinsen in Höhe von 4 v.H. auch für die Zeit ab 01.01.1995 bis 30.04.2000 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen einschließlich des Widerspruchsverfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren nur noch streitig, ob dem Kläger Zinsen aus verspäteter Rentengewährung bereits ab 01.01.1995 anstatt ab 01.05.2000 zustehen.
Der 1940 geborene Kläger war als Bauarbeiter tätig. Wegen einer auf seine Berufstätigkeit zurückgeführten Schwerhörigkeit führte die Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden Beklagte), 1987 Ermittlungen durch. Mit Bescheid vom 26.10.1987 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab, da die durch die versicherte Tätigkeit verursachte Hörstörung nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 15 v.H. bedinge.
Im Februar 1990 teilte der behandelnde Arzt des Klägers den Verdacht einer berufsbedingten Schwerhörigkeit wegen der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers im Lärmbereich des Betriebes mit, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 28.02.1990 dem Kläger die Einleitung eines Feststellungsverfahrens u. a. auch zur Ermittlung von Entschädigungsleistungen bekanntgab. Der Kläger machte unter dem 12.03. und 12.05.1990 Angaben in den ihm übersandten Vordrucken der Beklagten zur Art seiner Tätigkeit, zum beruflichen Werdegang und zur ärztlichen Behandlung. Auf der Grundlage des HNO-ärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. N. vom 17.08.1990, der eine Schwerhörigkeit mit einer MdE um 20 v.H. ermittelte, diese aber nur als lärmbedingt bei einer Tätigkeit mit einem Lärmpegel von mehr als 90 dBA beurteilte, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 30.08.1990 mit, ein Entschädigungsanspruch käme weiterhin nicht in Betracht.
Am 26.10.1999 zeigte die HNO-Universitätsklinik T. die Schwerhörigkeit des Klägers als mögliche Berufskrankheit an. Im Rahmen der anschließenden Ermittlungen holte die Beklagte das Gutachten von Prof. Dr. Z. vom 28.05.2001 mit Ergänzungen ein (mit gutachtlicher Bewertung einer lärmbedingten Schwerhörigkeit und berufsbedingter MdE um 80 v.H.). Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. P. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.07.2003 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2003 zurückgewiesen. Auf die hiergegen erhobene Klage beim Sozialgericht Reutlingen (S 6 U 2954/03) wurde die Beklagte mit Urteil vom 27.01.2005 verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. ab 01.01.1995 zu gewähren. In dem hierauf durch Berufung der Beklagten vor dem erkennenden Senat anhängig gewordenen Verfahren L 1 U 1278/05 schlossen die Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits einen Vergleich, der mit Beschluss vom 15.05.2006 nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) festgestellt wurde. Im Vergleich hatte sich die Beklagte zur Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 v.H. ab 01.01.1995 und zur Erstattung der Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge und des Vorverfahrens verpflichtet, der Kläger hatte die weitergehende Klage zurückgenommen.
Mit Bescheid vom 24.08.2006 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf den gerichtlichen Vergleich die Berufskrankheit mit der MdE um 20 vH fest und gewährte Verletztenrente ab 01.01.1995 (mit Monatsbeträgen zwischen 343,71EUR bis -ab 01.07.2006- 377,51EUR).
Hiergegen legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29.08.2006 Widerspruch ein, denn eine Verzinsung des Anspruchs sei nicht erfolgt. Zu den Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 29.08.2006, dass über die Verzinsung noch nicht entschieden sei und hierzu ein gesonderter Bescheid ergehe, teilte der Kläger mit, er halte an seinem Widerspruch fest. Nach Mitteilung des Rentenversicherungsträgers an die Beklagte, dass auf die vorläufig einbehaltene Nachzahlung kein Erstattungsanspruch geltend gemacht werde, wurde der Nachzahlungsbetrag ausgezahlt und die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 12.09.2006 Zinsen von 4 v.H., beginnend ab 01.07.2000.
Gegen den Bescheid vom 12.09.2006 legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein (Schriftsatz vom 22.09.2006) und stellte klar, dass an seinem ersten Widerspruch festgehalten werde, für den zugleich eine Geschäftsgebühr in Höhe von 239,74 EUR geltend gemacht wurde. Der Widerspruch gegen den Zinsbescheid wurde damit begründet, dass die Leistungen ab 01.01.1995 fällig gewesen, diese bereits im Jahr 1987 konkludent beantragt worden und dem entsprechend auch zu verzinsen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.09.2006 zurück. Die Verzinsung beginne grundsätzlich nach Ablauf eines Kalendermonates nach dem Eintritt der Fälligkeit der Leistungen, frühestens jedoch nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Der Leistungsantrag sei am 09.12.1999 eingegangen. Der Verweis auf die Verfahren von 1987 und 1990 sei nicht einschlägig, denn in beiden Verfahren seien nach Durchführung einer Prüfung abschließende rechtskräftige Entscheidungen ergangen.
Mit Bescheid vom 02.10.2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der außergerichtlichen Kosten wegen des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.08.2006 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 09.10.2006 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 09.11.2006 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben, mit der er seinen Anspruch auf Kostenerstattung und auf Zinsen geltend gemacht hat. Mit Urteil vom 13.03.2008 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger vorgerichtliche Widerspruchskosten in Höhe von 239,74 EUR zu erstatten und die Rentenleistungen bereits ab 01.05.2000 mit 4 v.H. zu verzinsen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist zu dem geltend gemachten Zinsanspruch ausgeführt, die Verzinsung nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) I beginne frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages, beim Fehlen eines Antrages beginne die Verzinsung nach Ablauf eines Kalendermonats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung (§ 74 Abs. 2 SGB I). Dies gelte grundsätzlich auch für die antragsunabhängigen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Grundsätzlich bedürfe es daher auch eines Antrages auf Leistungen bei einer begehrten Verzinsung vor der Bescheiderteilung, wobei keine strengen Anforderungen zu stellen seien. In der Berufskrankheiten-Anzeige vom 26.10.1999 könne eine solche Kontaktaufnahme zwischen Versicherten und Leistungsträger gesehen werden, gerade vor dem Hintergrund der bereits 1987 und 1990 durchgeführten Verfahren. Der dem Kläger zuzurechnende Leistungsantrag vom Februar 1990 sei jedoch für den Zinsbeginn nicht erheblich, da durch das formlose Schreiben der Beklagten vom 30.08.1990 dieser Antrag "verbraucht" sei.
Gegen das dem Kläger am 04.04.2008 zugestellte Urteil hat er am 09.04.2008 beim Sozialgericht Berufung eingelegt mit der Begründung, Zinszahlungen stünden ihm bereits ab 01.01.1995 zu. Dies ergebe sich nach Ethos und Geist des gerichtlichen Vergleichs vom 15.05.2006, dem der Rechtsstreit auf Gewährung von Rente ab 30.08.1990 zu Grunde gelegen habe. Nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung sei Rente erst ab 01.01.1995 beantragt worden. Außerdem habe die Beklagte im Bescheid vom 24.08.2006 ausgeführt, eine MdE von 20 v.H. sei bereits seit 23.07.1990 nachgewiesen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei auch der Leistungsantrag vom Februar 1990 nicht beschieden worden. Ein "Verbrauch" des Zinsanspruchs sei nicht eingetreten. Außerdem sei das gutachterliche Votum von Prof. Dr. N., der einen berufsbedingten Hörverlust mit einer MdE um 20 vH bejaht habe, im formlosen Schreiben der Beklagten vom 30.08.1990 in das Gegenteil verkehrt worden. Wäre die Beklagte ihrer Verpflichtung, über das Ergebnis der gutachtlichen Untersuchung von Prof. Dr. N. objektiv richtig aufzuklären, nachgekommen, hätte sich ein entsprechender Rentenanspruch mit entsprechendem Verzinsungsanspruch aus Gründen eines Schadensersatzanspruchs, freilich begrenzt durch verjährungsrechtliche Gesichtspunkte, ab 1995 ergeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.03.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, auf die Rentenleistungen Zinsen in Höhe von 4 v.H. auch für die Zeit ab 01.01.1995 bis 30.04.2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts sowie die Akte des abgeschlossen Berufungsverfahrens L 1 U 1278/05 beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Zinsleistungen in Höhe von mehr als 500EUR bzw. 750EUR betreffende Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat entscheiden können, ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen ist im angefochtenen Umfang daher abzuändern. Es besteht ein Zinsanspruch auch für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.04.2000.
Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier v.H. zu verzinsen (§ 44 Abs 1 SGB I). Gemäß § 44 Abs 2 SGB I beginnt die Verzinsung allerdings frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.
In der gesetzliche Unfallversicherung werden die Entschädigungsleistungen grundsätzlich von Amts wegen festgestellt (§§ 1 Nr. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Versicherte kann gleichwohl dem Unfallversicherungsträger einen Leistungsantrag vorlegen. Damit wird der Versicherungsträger verpflichtet, ein Verwaltungsverfahren nach § 8 SGB X einzuleiten (vgl. von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., § 18 Anm. 3). Leistungsantrag und Verwaltungsverfahren entsprechen einander in dem Zweck, eine vollständige und rechtmäßige Verwaltungsentscheidung über die betreffende Leistung herbeizuführen. Stellt der Verletzte bei dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einen Antrag auf Verletztenrente, dann beziehen sich alle von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen und Faktoren auf den die Verletztenrente als Hauptleistung betreffenden Leistungsantrag, ohne dass es weiterer Leistungsanträge in Bezug auf leistungssteigernde Faktoren bedürfte (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1992, SozR 3-1200 § 44 Nr. 4). Die Verzinsungsregelung des § 44 Abs 2 SGB I knüpft hieran unter der weiteren Voraussetzung an, dass dieser Leistungsantrag vollständig ist. Vollständig ist der Leistungsantrag, wenn der Antragsteller dem Leistungsträger mit dem Antrag zugleich alle Tatsachen unterbreitet, die zur Feststellung der Leistung erforderlich sind. Sinngemäß trifft das bei Sozialleistungen, die von Amts wegen festzustellen sind, jedenfalls dann zu, wenn alle Tatsachen, die zur Feststellung der Leistung erforderlich sind, nicht nur vorliegen, sondern auch zur Kenntnis des Leistungsträgers gelangt sind (BSG a.a.O., m. w. H.).
Vorliegend begann das Rentenfeststellungsverfahren zu der Berufskrankheit des Klägers im Jahr 1987. Dieses Verfahren endete mit dem Bescheid vom 26.10.1987, mit dem eine - aber nicht entschädigungspflichtige - Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkannt worden ist. Damit wurde eine Rechtsbeziehung zwischen Kläger und Beklagten geknüpft. Im Februar 1990 wurde der damals zuständigen Berufsgenossenschaft durch den behandelnden Arzt Dr. D. mitgeteilt, dass der Kläger weiter im Lärmbereich tätig ist und eine hierauf beziehbare Schwerhörigkeit vorliegt. Die daraufhin ergangene Mitteilung der Beklagten an den Kläger, in ein Feststellungsverfahren zur Ermittlung etwaiger Entschädigungsansprüche, wozu auch die Verletztenrente gehört, einzutreten (Schreiben vom 28.02.1990), setzte diesen über die Ermittlungen der Beklagten in Kenntnis, was auch in der Folge durch die ihm zugeleiteten Vordrucke, die er ordnungsgemäß ausgefüllt hat, bestätigt wurde. Ein förmlicher Leistungsantrag ist daher aus Sicht des Klägers und auch objektiv nicht erforderlich gewesen. Unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsverfahrens ist für die Frage der Verzinsung von Ansprüchen auf Geldleistungen von einem vollständigen Antrag dann auszugehen, wenn der Versicherte in Kenntnis des durchgeführten Verwaltungsverfahren wegen eines Anspruchs auf Verletztenrente alle erforderlichen Angaben gemacht hat. Ein förmlicher Leistungsantrag ist dann entbehrlich (BSG SozR 1200 § 44 Nr. 7).
Auf der Grundlage der Angaben des Klägers, der eingeholten Auskünfte vom Arbeitgeber und des veranlassten Gutachtens von Prof. Dr. N. vom 17.08.1990 hatte die Beklagte alle Informationen über das Vorliegen der Voraussetzungen zur Gewährung einer Verletztenrente. Prof. Dr. N. hatte eine berufsbedingte Schwerhörigkeit mit einer rentenrelevanten MdE um 20 v.H. bejaht, wenn die Angaben des Arbeitgebers zum Beurteilungspegel von 98 dBA zutreffen. Der Akte ist nicht zu entnehmen, dass der Unfallversicherungsträger damals den Versuch unternommen hatte, die Angaben des Arbeitgebers durch weitere Ermittlungen zu hinterfragen. Die Beklagte geht vielmehr im Bescheid vom 24.08.2006 selbst davon aus, dass die Voraussetzungen der Verletztenrente mit einer MdE um 20 v.H. ab 20.07.1990 vorgelegen hatten. Der Beklagten waren daher 1990 wegen der als vollständigen Antrag zu behandelnden Angaben des Klägers alle Tatsachen bekannt, die zur Gewährung einer Verletztenrente führten.
Die Verzinsung von auf Neuantrag hin gewährten höheren Rentenleistungen knüpft an den hierauf bezogenen erstmaligen vollständigen Leistungsantrag und nicht an den später gestellten Neuantrag an, wenn der Versicherungsträger das frühere vorausgegangene Feststellungsverfahren rechtsfehlerhaft beendet hatte. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten ist für die Frage des Zinsanspruchs nach § 44 SGB I der Abschluss des 1990 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens mit dem formlosen Schreiben vom 30.08.1990, Entschädigungsansprüche kämen weiterhin nicht in Betracht, rechtlich nicht von Belang. Die Beendigung des Verwaltungsverfahrens 1990 entsprach nicht der damaligen aktuellen Erkenntnislage der Beklagten, die ausgehend von den vollständig gemachten Angaben des Klägers und dem medizinisch aufbereiteten Sachverhalt durch das Gutachten von Prof. Dr. N. entweder eine Verletztenrente hätte gewähren oder weitere Ermittlungen anstrengen müssen. Die Mitteilung an den Versicherten, ein Verfahren sei abgeschlossen, ist unter dem Gesichtspunkt des "Verzugs" nur dann leistungshindernd, wenn dies der der damaligen objektiven Erkenntnislage des Unfallversicherungsträger entsprach, selbst wenn später sich diese Erkenntnislage als unrichtig erweisen sollte, z. B. auf Grund einer Änderung der Rechtsprechung oder neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Nach den Grundsätzen der Amtsermittlungspflicht brauchte der Kläger weder zusätzlich auszuführen, er beantrage alle ihm zustehenden - und von Amts wegen festzustellenden - Leistungen, noch bedurfte es eines Neufeststellungsantrages. Der Versicherungsträger hat gegebenenfalls eine Neuüberprüfung von Amts wegen vorzunehmen (vgl. BSG Urteil vom 24.01.1992, a. a. O.). Maßgebend für den Beginn der Verzinsung ist im Neufeststellungsverfahren nicht ohne weiteres der Antrag auf Neufeststellung. Vielmehr ist der ursprüngliche Leistungsantrag immer dann entscheidend, wenn schon früher alle Leistungsvoraussetzungen vorlagen und dem Unfallversicherungsträger bekannt waren (BSG, a. a. O. mit Hinweis auf SozR 1200 § 44 Nr. 4).
Die Verletztenrente war daher bereits ab 1990 fällig geworden, da Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsfall zu diesem Zeitpunkt vorlagen. Der vorliegende Fall ist insoweit vergleichbar mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Rechtsstreit, der dem Urteil vom 24.01.1992 (vgl. a. a. O.) zugrunde lag. Dort war auf vollständigen Leistungsantrag des Versicherten Verletztenrente gewährt, aber nach Eintritt der bereits bekannten leistungserhöhenden Umstände durch Untätigkeit keine Neufeststellung getroffen worden. Das BSG knüpfte für die Verzinsung der später gewährten Erhöhung unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften an dem ursprünglichen Leistungsantrag und nicht an dem Jahre später gestellten Neufeststellungsantrag an. Nach Auffassung des Senats ist unter Berücksichtigung der Grundsätze der Amtsermittlungspflicht aber kein Unterschied darin zu sehen, wenn der Versicherungsträger rechtsfehlerhaft untätig bleibt oder rechtsfehlerhaft das Feststellungsverfahren beendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte wird verurteilt, auf die Rentenleistungen Zinsen in Höhe von 4 v.H. auch für die Zeit ab 01.01.1995 bis 30.04.2000 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen einschließlich des Widerspruchsverfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren nur noch streitig, ob dem Kläger Zinsen aus verspäteter Rentengewährung bereits ab 01.01.1995 anstatt ab 01.05.2000 zustehen.
Der 1940 geborene Kläger war als Bauarbeiter tätig. Wegen einer auf seine Berufstätigkeit zurückgeführten Schwerhörigkeit führte die Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden Beklagte), 1987 Ermittlungen durch. Mit Bescheid vom 26.10.1987 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab, da die durch die versicherte Tätigkeit verursachte Hörstörung nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 15 v.H. bedinge.
Im Februar 1990 teilte der behandelnde Arzt des Klägers den Verdacht einer berufsbedingten Schwerhörigkeit wegen der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers im Lärmbereich des Betriebes mit, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 28.02.1990 dem Kläger die Einleitung eines Feststellungsverfahrens u. a. auch zur Ermittlung von Entschädigungsleistungen bekanntgab. Der Kläger machte unter dem 12.03. und 12.05.1990 Angaben in den ihm übersandten Vordrucken der Beklagten zur Art seiner Tätigkeit, zum beruflichen Werdegang und zur ärztlichen Behandlung. Auf der Grundlage des HNO-ärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. N. vom 17.08.1990, der eine Schwerhörigkeit mit einer MdE um 20 v.H. ermittelte, diese aber nur als lärmbedingt bei einer Tätigkeit mit einem Lärmpegel von mehr als 90 dBA beurteilte, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 30.08.1990 mit, ein Entschädigungsanspruch käme weiterhin nicht in Betracht.
Am 26.10.1999 zeigte die HNO-Universitätsklinik T. die Schwerhörigkeit des Klägers als mögliche Berufskrankheit an. Im Rahmen der anschließenden Ermittlungen holte die Beklagte das Gutachten von Prof. Dr. Z. vom 28.05.2001 mit Ergänzungen ein (mit gutachtlicher Bewertung einer lärmbedingten Schwerhörigkeit und berufsbedingter MdE um 80 v.H.). Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. P. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.07.2003 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2003 zurückgewiesen. Auf die hiergegen erhobene Klage beim Sozialgericht Reutlingen (S 6 U 2954/03) wurde die Beklagte mit Urteil vom 27.01.2005 verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. ab 01.01.1995 zu gewähren. In dem hierauf durch Berufung der Beklagten vor dem erkennenden Senat anhängig gewordenen Verfahren L 1 U 1278/05 schlossen die Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits einen Vergleich, der mit Beschluss vom 15.05.2006 nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) festgestellt wurde. Im Vergleich hatte sich die Beklagte zur Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 v.H. ab 01.01.1995 und zur Erstattung der Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge und des Vorverfahrens verpflichtet, der Kläger hatte die weitergehende Klage zurückgenommen.
Mit Bescheid vom 24.08.2006 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf den gerichtlichen Vergleich die Berufskrankheit mit der MdE um 20 vH fest und gewährte Verletztenrente ab 01.01.1995 (mit Monatsbeträgen zwischen 343,71EUR bis -ab 01.07.2006- 377,51EUR).
Hiergegen legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29.08.2006 Widerspruch ein, denn eine Verzinsung des Anspruchs sei nicht erfolgt. Zu den Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 29.08.2006, dass über die Verzinsung noch nicht entschieden sei und hierzu ein gesonderter Bescheid ergehe, teilte der Kläger mit, er halte an seinem Widerspruch fest. Nach Mitteilung des Rentenversicherungsträgers an die Beklagte, dass auf die vorläufig einbehaltene Nachzahlung kein Erstattungsanspruch geltend gemacht werde, wurde der Nachzahlungsbetrag ausgezahlt und die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 12.09.2006 Zinsen von 4 v.H., beginnend ab 01.07.2000.
Gegen den Bescheid vom 12.09.2006 legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein (Schriftsatz vom 22.09.2006) und stellte klar, dass an seinem ersten Widerspruch festgehalten werde, für den zugleich eine Geschäftsgebühr in Höhe von 239,74 EUR geltend gemacht wurde. Der Widerspruch gegen den Zinsbescheid wurde damit begründet, dass die Leistungen ab 01.01.1995 fällig gewesen, diese bereits im Jahr 1987 konkludent beantragt worden und dem entsprechend auch zu verzinsen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.09.2006 zurück. Die Verzinsung beginne grundsätzlich nach Ablauf eines Kalendermonates nach dem Eintritt der Fälligkeit der Leistungen, frühestens jedoch nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Der Leistungsantrag sei am 09.12.1999 eingegangen. Der Verweis auf die Verfahren von 1987 und 1990 sei nicht einschlägig, denn in beiden Verfahren seien nach Durchführung einer Prüfung abschließende rechtskräftige Entscheidungen ergangen.
Mit Bescheid vom 02.10.2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der außergerichtlichen Kosten wegen des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.08.2006 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 09.10.2006 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 09.11.2006 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben, mit der er seinen Anspruch auf Kostenerstattung und auf Zinsen geltend gemacht hat. Mit Urteil vom 13.03.2008 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger vorgerichtliche Widerspruchskosten in Höhe von 239,74 EUR zu erstatten und die Rentenleistungen bereits ab 01.05.2000 mit 4 v.H. zu verzinsen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist zu dem geltend gemachten Zinsanspruch ausgeführt, die Verzinsung nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) I beginne frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages, beim Fehlen eines Antrages beginne die Verzinsung nach Ablauf eines Kalendermonats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung (§ 74 Abs. 2 SGB I). Dies gelte grundsätzlich auch für die antragsunabhängigen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Grundsätzlich bedürfe es daher auch eines Antrages auf Leistungen bei einer begehrten Verzinsung vor der Bescheiderteilung, wobei keine strengen Anforderungen zu stellen seien. In der Berufskrankheiten-Anzeige vom 26.10.1999 könne eine solche Kontaktaufnahme zwischen Versicherten und Leistungsträger gesehen werden, gerade vor dem Hintergrund der bereits 1987 und 1990 durchgeführten Verfahren. Der dem Kläger zuzurechnende Leistungsantrag vom Februar 1990 sei jedoch für den Zinsbeginn nicht erheblich, da durch das formlose Schreiben der Beklagten vom 30.08.1990 dieser Antrag "verbraucht" sei.
Gegen das dem Kläger am 04.04.2008 zugestellte Urteil hat er am 09.04.2008 beim Sozialgericht Berufung eingelegt mit der Begründung, Zinszahlungen stünden ihm bereits ab 01.01.1995 zu. Dies ergebe sich nach Ethos und Geist des gerichtlichen Vergleichs vom 15.05.2006, dem der Rechtsstreit auf Gewährung von Rente ab 30.08.1990 zu Grunde gelegen habe. Nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung sei Rente erst ab 01.01.1995 beantragt worden. Außerdem habe die Beklagte im Bescheid vom 24.08.2006 ausgeführt, eine MdE von 20 v.H. sei bereits seit 23.07.1990 nachgewiesen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei auch der Leistungsantrag vom Februar 1990 nicht beschieden worden. Ein "Verbrauch" des Zinsanspruchs sei nicht eingetreten. Außerdem sei das gutachterliche Votum von Prof. Dr. N., der einen berufsbedingten Hörverlust mit einer MdE um 20 vH bejaht habe, im formlosen Schreiben der Beklagten vom 30.08.1990 in das Gegenteil verkehrt worden. Wäre die Beklagte ihrer Verpflichtung, über das Ergebnis der gutachtlichen Untersuchung von Prof. Dr. N. objektiv richtig aufzuklären, nachgekommen, hätte sich ein entsprechender Rentenanspruch mit entsprechendem Verzinsungsanspruch aus Gründen eines Schadensersatzanspruchs, freilich begrenzt durch verjährungsrechtliche Gesichtspunkte, ab 1995 ergeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.03.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, auf die Rentenleistungen Zinsen in Höhe von 4 v.H. auch für die Zeit ab 01.01.1995 bis 30.04.2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts sowie die Akte des abgeschlossen Berufungsverfahrens L 1 U 1278/05 beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Zinsleistungen in Höhe von mehr als 500EUR bzw. 750EUR betreffende Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat entscheiden können, ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen ist im angefochtenen Umfang daher abzuändern. Es besteht ein Zinsanspruch auch für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.04.2000.
Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier v.H. zu verzinsen (§ 44 Abs 1 SGB I). Gemäß § 44 Abs 2 SGB I beginnt die Verzinsung allerdings frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.
In der gesetzliche Unfallversicherung werden die Entschädigungsleistungen grundsätzlich von Amts wegen festgestellt (§§ 1 Nr. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Versicherte kann gleichwohl dem Unfallversicherungsträger einen Leistungsantrag vorlegen. Damit wird der Versicherungsträger verpflichtet, ein Verwaltungsverfahren nach § 8 SGB X einzuleiten (vgl. von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., § 18 Anm. 3). Leistungsantrag und Verwaltungsverfahren entsprechen einander in dem Zweck, eine vollständige und rechtmäßige Verwaltungsentscheidung über die betreffende Leistung herbeizuführen. Stellt der Verletzte bei dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einen Antrag auf Verletztenrente, dann beziehen sich alle von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen und Faktoren auf den die Verletztenrente als Hauptleistung betreffenden Leistungsantrag, ohne dass es weiterer Leistungsanträge in Bezug auf leistungssteigernde Faktoren bedürfte (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1992, SozR 3-1200 § 44 Nr. 4). Die Verzinsungsregelung des § 44 Abs 2 SGB I knüpft hieran unter der weiteren Voraussetzung an, dass dieser Leistungsantrag vollständig ist. Vollständig ist der Leistungsantrag, wenn der Antragsteller dem Leistungsträger mit dem Antrag zugleich alle Tatsachen unterbreitet, die zur Feststellung der Leistung erforderlich sind. Sinngemäß trifft das bei Sozialleistungen, die von Amts wegen festzustellen sind, jedenfalls dann zu, wenn alle Tatsachen, die zur Feststellung der Leistung erforderlich sind, nicht nur vorliegen, sondern auch zur Kenntnis des Leistungsträgers gelangt sind (BSG a.a.O., m. w. H.).
Vorliegend begann das Rentenfeststellungsverfahren zu der Berufskrankheit des Klägers im Jahr 1987. Dieses Verfahren endete mit dem Bescheid vom 26.10.1987, mit dem eine - aber nicht entschädigungspflichtige - Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkannt worden ist. Damit wurde eine Rechtsbeziehung zwischen Kläger und Beklagten geknüpft. Im Februar 1990 wurde der damals zuständigen Berufsgenossenschaft durch den behandelnden Arzt Dr. D. mitgeteilt, dass der Kläger weiter im Lärmbereich tätig ist und eine hierauf beziehbare Schwerhörigkeit vorliegt. Die daraufhin ergangene Mitteilung der Beklagten an den Kläger, in ein Feststellungsverfahren zur Ermittlung etwaiger Entschädigungsansprüche, wozu auch die Verletztenrente gehört, einzutreten (Schreiben vom 28.02.1990), setzte diesen über die Ermittlungen der Beklagten in Kenntnis, was auch in der Folge durch die ihm zugeleiteten Vordrucke, die er ordnungsgemäß ausgefüllt hat, bestätigt wurde. Ein förmlicher Leistungsantrag ist daher aus Sicht des Klägers und auch objektiv nicht erforderlich gewesen. Unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsverfahrens ist für die Frage der Verzinsung von Ansprüchen auf Geldleistungen von einem vollständigen Antrag dann auszugehen, wenn der Versicherte in Kenntnis des durchgeführten Verwaltungsverfahren wegen eines Anspruchs auf Verletztenrente alle erforderlichen Angaben gemacht hat. Ein förmlicher Leistungsantrag ist dann entbehrlich (BSG SozR 1200 § 44 Nr. 7).
Auf der Grundlage der Angaben des Klägers, der eingeholten Auskünfte vom Arbeitgeber und des veranlassten Gutachtens von Prof. Dr. N. vom 17.08.1990 hatte die Beklagte alle Informationen über das Vorliegen der Voraussetzungen zur Gewährung einer Verletztenrente. Prof. Dr. N. hatte eine berufsbedingte Schwerhörigkeit mit einer rentenrelevanten MdE um 20 v.H. bejaht, wenn die Angaben des Arbeitgebers zum Beurteilungspegel von 98 dBA zutreffen. Der Akte ist nicht zu entnehmen, dass der Unfallversicherungsträger damals den Versuch unternommen hatte, die Angaben des Arbeitgebers durch weitere Ermittlungen zu hinterfragen. Die Beklagte geht vielmehr im Bescheid vom 24.08.2006 selbst davon aus, dass die Voraussetzungen der Verletztenrente mit einer MdE um 20 v.H. ab 20.07.1990 vorgelegen hatten. Der Beklagten waren daher 1990 wegen der als vollständigen Antrag zu behandelnden Angaben des Klägers alle Tatsachen bekannt, die zur Gewährung einer Verletztenrente führten.
Die Verzinsung von auf Neuantrag hin gewährten höheren Rentenleistungen knüpft an den hierauf bezogenen erstmaligen vollständigen Leistungsantrag und nicht an den später gestellten Neuantrag an, wenn der Versicherungsträger das frühere vorausgegangene Feststellungsverfahren rechtsfehlerhaft beendet hatte. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten ist für die Frage des Zinsanspruchs nach § 44 SGB I der Abschluss des 1990 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens mit dem formlosen Schreiben vom 30.08.1990, Entschädigungsansprüche kämen weiterhin nicht in Betracht, rechtlich nicht von Belang. Die Beendigung des Verwaltungsverfahrens 1990 entsprach nicht der damaligen aktuellen Erkenntnislage der Beklagten, die ausgehend von den vollständig gemachten Angaben des Klägers und dem medizinisch aufbereiteten Sachverhalt durch das Gutachten von Prof. Dr. N. entweder eine Verletztenrente hätte gewähren oder weitere Ermittlungen anstrengen müssen. Die Mitteilung an den Versicherten, ein Verfahren sei abgeschlossen, ist unter dem Gesichtspunkt des "Verzugs" nur dann leistungshindernd, wenn dies der der damaligen objektiven Erkenntnislage des Unfallversicherungsträger entsprach, selbst wenn später sich diese Erkenntnislage als unrichtig erweisen sollte, z. B. auf Grund einer Änderung der Rechtsprechung oder neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Nach den Grundsätzen der Amtsermittlungspflicht brauchte der Kläger weder zusätzlich auszuführen, er beantrage alle ihm zustehenden - und von Amts wegen festzustellenden - Leistungen, noch bedurfte es eines Neufeststellungsantrages. Der Versicherungsträger hat gegebenenfalls eine Neuüberprüfung von Amts wegen vorzunehmen (vgl. BSG Urteil vom 24.01.1992, a. a. O.). Maßgebend für den Beginn der Verzinsung ist im Neufeststellungsverfahren nicht ohne weiteres der Antrag auf Neufeststellung. Vielmehr ist der ursprüngliche Leistungsantrag immer dann entscheidend, wenn schon früher alle Leistungsvoraussetzungen vorlagen und dem Unfallversicherungsträger bekannt waren (BSG, a. a. O. mit Hinweis auf SozR 1200 § 44 Nr. 4).
Die Verletztenrente war daher bereits ab 1990 fällig geworden, da Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsfall zu diesem Zeitpunkt vorlagen. Der vorliegende Fall ist insoweit vergleichbar mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Rechtsstreit, der dem Urteil vom 24.01.1992 (vgl. a. a. O.) zugrunde lag. Dort war auf vollständigen Leistungsantrag des Versicherten Verletztenrente gewährt, aber nach Eintritt der bereits bekannten leistungserhöhenden Umstände durch Untätigkeit keine Neufeststellung getroffen worden. Das BSG knüpfte für die Verzinsung der später gewährten Erhöhung unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften an dem ursprünglichen Leistungsantrag und nicht an dem Jahre später gestellten Neufeststellungsantrag an. Nach Auffassung des Senats ist unter Berücksichtigung der Grundsätze der Amtsermittlungspflicht aber kein Unterschied darin zu sehen, wenn der Versicherungsträger rechtsfehlerhaft untätig bleibt oder rechtsfehlerhaft das Feststellungsverfahren beendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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