L 3 R 2068/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 2775/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 2068/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07. Mai 2003 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 24. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2002 verurteilt, die Zeit vom 28. Dezember 1999 bis 28. Juni 2001 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anzuerkennen und gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Arbeitsunfähigkeitszeiten ab dem 28.12.1999 als Anrechnungszeit gemäß § 58 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) streitig.

Der 1950 geborene Kläger war seit 1989 bei der Deutschen Bundespost bzw. deren Rechtsnachfolgerin, der Deutschen Telekom AG, versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen innerbetrieblicher Rationalisierungsmaßnahmen wurde er im November 1997 innerbetrieblich umgesetzt in den Wareneingang. Zuletzt hatte er seit dem 01.03.1998 im Bereich Baugruppeneingangsbearbeitung Kisten mit einem Gewicht von 10 bis 15 kg entgegen zu nehmen, aus denen er verschiedene Geräteteile zu entnehmen, die Baugruppendaten mit den Daten in den beigefügten Begleitpapieren zu vergleichen und die Nummern der Geräte in den PC einzugeben hatte. Danach waren die Kisten in Regale einzustapeln. Hierbei fiel auch Überkopfarbeit an.

Vom 29.06.1998 bis 27.12.1999 bezog der Kläger Krankengeld. Seit dem 01.02.1999 ruht das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Dienstunfähigkeit, er bezieht seither von der Deutschen Telekom Betriebsrentenservice eine Betriebsrente wegen Dienstunfähigkeit.

Ein 1998 gestellter Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung blieb erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 12.01.2000 - S 13 RJ 893/99). Die hiergegen eingelegte Berufung (L 2 RJ 407/00) nahm der Kläger am 23.10.2002 nach Einholung zweier orthopädischer, eines internistischen und eines nervenärztlichen Gutachtens zurück.

Im nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten orthopädischen Gutachten vom 15.12.2000 führte Dr. C. aus, beim Kläger bestünden eine endgradige Dreh- und Neigeeinschränkung der Halswirbelsäule aufgrund radiologisch nachweisbarer Verschleißerscheinungen (Spondylose, Osteochondrosen, degenerative Bandscheibenveränderungen), eine endgradige Bewegungseinschränkung der LWS, degenerative Bandscheibenveränderungen sowie eine Neigung zu LWK-Blockierungen, eine end- bis mittelgradige Einschränkung der aktiven Schulterbeweglichkeit rechts bei sonographisch nachgewiesenem Impingementsyndrom sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes nach 1966 erlittener bimalleolärer Fraktur. Der Kläger könne deshalb nur noch Tätigkeiten mit Heben, Tragen und Halten von Lasten bis zu 10 kg verrichten. Arbeiten mit häufigem Bücken, in dauerhaft gebeugter oder gebückter Körperhaltung, Überkopfarbeiten oder in Vorhaltestellung der Arme seien nicht mehr zumutbar. Eine weitere Einschränkung resultiere möglicherweise aus den Verhältnissen im Bauchraum.

In einem weiteren orthopädischen Gutachten vom 18.12.2001 stellte Dr. P. die Diagnosen nichtvorauseilender Verschleißerscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne objektivierbare Funktionsstörungen und ohne neurologische Störungen sowie einer hochgradigen psychosomatischen Beschwerdeüberlagerung. Unter Zugrundelegung allein des objektivierbaren Befundes des Bewegungsapparates könne der Kläger noch mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg vollschichtig verrichten.

Im internistischen Gutachten vom 16.08.2001 führte Prof. Dr. M., Ärztlicher Direktor des Zentrums für Chirurgie, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Katharinenhospital Stuttgart, aus, im Jahr 1987 sei beim Kläger wegen eines gedeckt perforierten Divertikels des Coecums eine Hemicolektomie rechts mit Seit-zu-Seit Ileo-Transversostomie durchgeführt worden. Seit dieser Operation bestünden beim Kläger Beschwerden im Bauchbereich. Beim Versuch, schwere Lasten über 7 bis 8 kg zu heben, komme es zu Verkrampfungen und starken Schmerzen im Bereich der Narbe mit Ausstrahlungen in die Umgebung bis zur linken Bauchhälfte sowie Richtung Brustkorb. Sonstige Leistungseinschränkungen bestünden nicht.

Im nervenärztlichen Gutachten vom 15.03.2002 teilte Dr. H. mit, es liege eine Somatisierungsstörung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer depressiven Erkrankung oder eines hirnorganischen Psychosyndroms hätten sich nicht ergeben. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten.

Mit Bescheid vom 24.04.2002 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf des Klägers gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI fest. Hierbei lehnte sie die Berücksichtigung der Zeit ab 28.12.1999 als Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ab. Den hiergegen unter Vorlage des Manteltarifvertrages für die Mitarbeiter der Deutschen Telekom AG vom 29.03.2001 mit der Begründung eingelegten Widerspruch, das Arbeitsverhältnis ruhe nur und sei noch nicht beendet, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2002 zurück mit der Begründung, Arbeitsunfähigkeit liege nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr vor, wenn Versicherte noch andere Tätigkeiten verrichten könnten, die ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit nach Art und Entgelt entsprächen. Der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei das Ruhen des Arbeitsverhältnisses gleichzusetzen. Denn dieses Ruhen ergebe sich lediglich aus der Vorläufigkeit der Versorgungsrente bis zur Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch die gesetzliche Rentenversicherung. Hierbei werde davon ausgegangen, dass der Kläger zukünftig bei der Deutschen Telekom AG nicht mehr einsetzbar sei, so dass in jedem Fall die Versorgungsrente bis zur Zahlung einer Rente durch die gesetzliche Rentenversicherung zu gewähren sei. Darüber hinaus könne auch nach § 58 Abs. 3 SGB VI keine Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit anerkannt werden.

Hiergegen hat der Kläger am 14.08.2002 Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Arbeitsverhältnis mit der Deutschen Telekom AG ruhe lediglich wegen Dienstunfähigkeit. Er könne jederzeit wieder in sein Beschäftigungsverhältnis zurückgeholt werden, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen von Dienstunfähigkeit nicht mehr gegeben seien. Er sei damit noch nicht endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Maßstab für die Beurteilung, ob Arbeitsunfähigkeit vorliege, sei deshalb nicht eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern die zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Hinsichtlich dieser Tätigkeit sei er weiter arbeitsunfähig.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.05.2003 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe zuletzt eine körperlich und geistig leichte Arbeit verrichtet, die er weiter hätte verrichten können. Deshalb habe im streitigen Zeitraum keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen.

Gegen den am 09.05.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.05.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten dadurch dokumentiert, dass er ununterbrochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe. Auch den medizinischen Ermittlungen im Rentenverfahren könne entnommen werden, dass er zwar noch eine zumutbare Verweisungstätigkeit, nicht jedoch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit vollschichtig ausüben könne.

In der amtsärztlichen Stellungnahme vom 05.04.2004 hat Dr. B., Sozialmedizinischer Dienst der Ärztlichen Dienststelle Karlsruhe, ausgeführt, dem MDK-Gutachten von Dr. K. vom 04.11.1998 sei zu entnehmen, dass der Kläger bis November 1997 eine leichte Prüftätigkeit ausgeübt habe. Danach sei er als Arbeiter im "Baugruppeneingang" beschäftigt gewesen. Hierbei habe er im Wareneingang Kisten mit einem Gewicht von 14 bis 15 kg entgegennehmen müssen, Von Überkopfarbeit sei keine Rede gewesen. Dem Kläger seien Tätigkeiten ohne längeres oder häufiges Heben und Tragen über 15 kg, ohne langfristige und ausgeprägte Überkopfarbeit sowie ohne sehr langfristige Zwangshaltung der LWS in gebückter Position vollschichtig möglich gewesen. Ein Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen sei nicht zwingend erforderlich gewesen. Für eine sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 27.12.1999 hinaus sei eine definitive und präzise Arbeitsplatzbeschreibung des letzten Arbeitgebers für die letzte Tätigkeit z.B. bezüglich Hebe- und Tragelasten, Zwangshaltungen, Zeitdruck usw. erforderlich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. August 2002 zu verurteilen, die Zeit ab dem 28. Dezember 1999 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anzuerkennen und gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der Akten des Rentenverfahrens L 2 RJ 407/00 ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit vom 28.12.1999 bis 28.06.2001 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anzuerkennen und gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI festzustellen.

Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind Anrechnungszeiten u.a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinische Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben.

Für die Definition der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist auf die im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte Begriffsbestimmung zurückzugreifen. Für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist das ab 01.01.1989 geltende Recht des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) maßgebend, da es sich bei den streitigen Erkrankungszeiten um Zeiträume nach Inkrafttreten des SGB V handelt. Nach den Vorgaben des SGB V richtet sich damit lediglich, ob der Versicherte als arbeitsunfähig anzusehen ist, der tatsächliche Bezug von Krankengeld ist nicht Voraussetzung. Zwar lässt sich aus dem Bezug von Krankengeld regelmäßig auf das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit schließen; wenn im Anschluss an die Gewährung von Krankengeld aber für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit allein deswegen kein Krankengeld gezahlt wird, weil der Versicherte ausgesteuert worden ist, ist auch diese weitere Arbeitsunfähigkeit als Ausfall- bzw. Anrechnungszeit zu berücksichtigen. Die Frage, nach welcher Tätigkeit sich die Arbeitsunfähigkeit bestimmt, richtet sich nach dem jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis. Hierbei ist bei fortdauernder Erkrankung im Hinblick auf den Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit wie folgt zu differenzieren: Solange das Arbeitsverhältnis besteht (Phase 1), kommt eine "Verweisbarkeit" des erkrankten Arbeitnehmers zum Ausschluss von Arbeitsunfähigkeit nur im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses und in den Grenzen der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten in Betracht; insbesondere kann auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber nicht verwiesen werden. Verliert der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit seinen Arbeitsplatz (Phase 2), bleibt die letzte Tätigkeit zwar grundsätzlich für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit weiterhin maßgeblich. Allerdings ist der Kreis der möglichen "Verweisungstätigkeiten" nicht mehr durch das konkrete Arbeitsverhältnis, sondern entsprechend der Funktion des Krankengeldes als Lohnersatz auf gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeiten begrenzt, somit auf Tätigkeiten, die nach der Art der Verrichtung, der körperlichen und geistigen Anforderungen, der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie nach der Höhe der Entlohnung mit der bisher verrichten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, so dass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Der in dieser Weise begrenzte krankenversicherungsrechtliche Berufsschutz für die bei Beginn der Erkrankungen ausgeübte Tätigkeit entfällt dann, wenn ein auf die Beschäftigung bezogenes Versicherungsverhältnis entfallen ist, spätestens mit Ende des ersten Dreijahreszeitraums (Phase 3) (BSG Urteil vom 25.02.2004 - B 5 RJ 30/02 R - SozR 4-2600 § 43 Nr. 2; m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat beim Kläger bis zum 28.06.2001 Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Der Kläger stand in diesem Zeitraum in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Zutreffend ist zwar, dass für das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nicht der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Telekom AG vom 29.03.2001 maßgeblich war, da dieser erst während des streitigen Zeitraums abgeschlossen wurde. Das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ergibt sich jedoch aus der Auskunft des Arbeitgebers vom 20.01.2001 im Verfahren L 2 RJ 407/00. Darin gab dieser an, seit 01.02.1999 ruhe das Arbeitsverhältnis wegen Dienstunfähigkeit. Dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses steht insbesondere nicht die Gewährung einer Versorgungsrente ab dem 01.02.1999 entgegen. Ein endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erfolgt vielmehr erst mit dem Zeitpunkt der Gewährung einer Rente aus der gesetzliche Rentenversicherung. Für den Kläger bestand damit grundsätzlich die Möglichkeit, bei einer Besserung seines Gesundheitszustandes das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen.

Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ist damit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit (Phase 1 nach der Rechtsprechung des BSG). Bei seiner letzten Tätigkeit war der Kläger im Baugruppeneingang beschäftigt. Hierbei hatte er die Daten eingehender Bauteile zu überprüfen, am PC einzugeben und die eingehenden Kisten zu stapeln. Bei dieser Tätigkeit hatte er Gewichte von mindestens 10 kg zu heben und zu tragen. Dahingestellt bleiben kann, ob er hierbei auch häufig Überkopfarbeiten verrichten musste, welche ihm aufgrund der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet nicht mehr zumutbar waren. Er konnte jedenfalls aufgrund der Folgen einer Hemicolektomie rechts keine Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 7 bis 8 kg mehr verrichten. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Prof. Dr. M. am 16.08.2001 erstattete visceral-chirurgische Gutachten. Prof. Dr. M. hat für den Senat gut nachvollziehbar dargelegt, dass es beim Kläger beim Heben von Lasten über 7 bis 8 kg zu einer starken Beschwerdezunahme im Narbenbereich kommt, so dass der Kläger eine entsprechende Tätigkeit nicht mehr verrichten kann. Soweit demgegenüber Dr. B. in der ärztlichen Stellungnahme vom 05.04.2004 das Heben und Tragen von Lasten bis 15 kg für noch zumutbar erachtet hat, steht dem entgegen, dass Dr. B. lediglich die orthopädischen und nervenärztlichen Befunde in seine Beurteilung einbezogen hat, nicht jedoch das Gutachten von Prof. Dr. M., in welchem allein die Folgen der früheren Operation und der daraus folgenden Minderbelastung wegen der Situation im Bauchraum berücksichtigt und in seiner Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit des Klägers beurteilt wurde.

Danach lag Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Phase 1, somit bis zum Ende des Dreijahreszeitraums vor, da eine Veränderung im Gesundheitszustand und damit in der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht eingetreten ist. Der Dreijahreszeitraum nach § 48 SGB V begann mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit, somit am 29.06.1998, und endete am 28.06.2001.

Es ist darüber hinaus auch die Voraussetzung gem. § 58 Abs. 2 SGB VI erfüllt, wonach Anrechnungszeiten nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nur dann vorliegen, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit unterbrochen ist.

Eine Unterbrechung in diesem Sinne liegt vor, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der betreffenden Anrechnungszeit kein voller Kalendermonat liegt, wobei der Anschluss auch durch andere Anrechnungszeiten oder Überbrückungstatbestände gewahrt sein kann. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch liegt eine Unterbrechung auch dann vor, wenn der Anrechnungszeit später keine weitere versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr folgt, wenn diese also nicht durch versicherungspflichtige Beschäftigungen oder selbständige Tätigkeiten umrahmt ist (BSGE 21, 21; Niesel in Kasseler Kommentar, § 58 SGB VI Rn. 100). Aus dem Begriff "unterbrochen" ist aber abzuleiten, dass die Fortsetzung der versicherungspflichtigen Beschäftigung in absehbarer Zeit in Aussicht genommen und möglich gewesen sein muss. Es darf also kein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorliegen (Niesel a.a.O.). Für ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist es nicht erforderlich, dass eine Aussicht darauf besteht, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit wieder aufgenommen werden kann. Maßgeblich ist vielmehr, ob überhaupt Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch verrichtet werden können. Nicht maßgeblich ist dagegen, ob tatsächlich eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt wird.

Der Kläger war zumindest bis zum 28.06.2001 noch nicht endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Ein solches Ausscheiden liegt nämlich erst dann vor, wenn volle Erwerbsminderung vorliegt und die Herstellung eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr zu erwarten ist. Nicht ausreichend hierfür ist allein die Gewährung einer Versorgungsleistung durch den bisherigen Arbeitgeber, weil die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann. Die Beklagte hat in den auf die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gerichteten Verfahren gerade selbst die Auffassung vertreten, dem Kläger seien leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.

Nicht zutreffend ist deshalb die Auffassung, nicht ausreichend für die Aufrechterhaltung des BU-/EU-Schutzes seien Arbeitsunfähigkeitszeiten nach Beendigung des Krankengeldbezuges; diese Zeiten seien keine Anrechnungszeiten im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wenn weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorliege (W. Schmitz, Rentenantragstellung von Beziehern einer VAP-Rente, in: LVA Rheinprovinz, Mitteilungen 1999, 229, 230). Allein durch den Bezug einer VAP-Rente scheidet ein Arbeitnehmer nicht endgültig aus dem Erwerbsleben aus.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 18.9.1975 (4 RJ 303/74 - SozR 2200 § 1259 Nr. 10). Dies gilt schon deshalb, weil der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nach anderen Rechtsgrundlagen zu beurteilen war, nämlich nach dem bis zum Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23.02.1957 geltenden Recht, wonach ein Versicherter, der Invalide geworden war, als aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und dessen Arbeitsleben als beendet galt. Auch aus dem Inhalt der Entscheidung des BSG, dass Zeiten dauernder Invalidität (§ 1253 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung vom 22.06.1942) eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht "unterbrechen" und keine Ausfallzeiten darstellen, ergibt sich nichts anderes. Der Begriff der Invalidität gem. § 154 RVO a.F. ("Als Invalide gilt der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte nicht imstande ist, durch eine Tätigkeit, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufs zugemutet werden kann, die Hälfte dessen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen") ist durch die Begriffe der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit ersetzt worden. Ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben liegt auch danach frühestens mit dem Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit vor. Soweit das BSG in der angeführten Entscheidung ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des BSG sei entscheidend, ob der Zustand der "Arbeitsunfähigkeit" ein dauernder oder ein vorübergehender Zustand sei, ist dies deshalb nur insoweit von Bedeutung, als diese Arbeitsunfähigkeit auch Invalidität bedingt hat.

Die Berufung ist nicht begründet, soweit die Anerkennung von Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit über den 28.06.2001 hinaus geltend gemacht wird. Ab dem 29.06.2001 kann der Kläger auf seiner letzten Tätigkeit vergleichbare Prüftätigkeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 7 kg verwiesen werden. Der Ausübung solcher Tätigkeiten stehen keine gesundheitlichen Gründe entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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