L 12 AL 607/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 3808/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 607/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.01.2008 werden zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu einem Viertel zu erstatten.

3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) im Streit.

Der 1940 geborene Kläger besitzt ebenso wie seine am 10.03.1938 geborene Ehefrau die türkische Staatsangehörigkeit. Der Kläger hat sechs volljährige Kinder, darunter den inzwischen 40 Jahre alten E. A ... Der Kläger arbeitete vom 30.07.1973 bis zum 13.01.1994 (Eintritt der Arbeitsunfähigkeit) als Lackschleifer für die D. AG in deren Werk in S ... Zum 31.05.1994 schied der Kläger gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 93.800,00 DM aus seinem Arbeitsverhältnis aus.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger unter teilweiser Anrechnung der Abfindung Arbeitslosengeld ab dem 14.01.1995 und nach Erschöpfung des Anspruchs ab dem 01.10.1997 bis zum 31.03.2000 Arbeitslosenhilfe in Höhe von zuletzt 410,27 DM wöchentlich (58,61 DM täglich). In seinem Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 06.10.1997 hatte der Kläger bestätigt, das Merkblatt 1 der Beklagten für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Als Vermögen hat er in seinem Antrag lediglich das selbstbewohnte Wohngrundstück in der E.straße in H. angegeben.

In den Fortzahlungsanträgen vom 25.09.1998 und 15.09.1999 gab der Kläger gleichfalls das Fehlen von Vermögen und den erneuten Erhalt des Merkblattes 1 an. Arbeitslosenhilfe wurde dem Kläger bis zum 31.03.2000 bewilligt. Seit dem 01.04.2000 bezieht der Kläger eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung.

Das Hauptzollamt S. teilte der Beklagten im Mai 2005 mit, dass zu Gunsten des Klägers zum Zeitpunkt des Beginns des Bezugs von Arbeitslosenhilfe auf Konten der Türkischen Nationalbank (TCMB) 40.000 DM (Konto Nr. 68188, Einzahlung am 02.06.1993) und 60.000 DM (Konto Nr. 25515, Einzahlung am 12.07.1994) angelegt waren. Die Beklagte errechnete hieraus zuzüglich eines zwischenzeitlich angegebenen Sparvermögens von 1.853,08 DM ein Gesamtvermögen von 101.853,08 DM, wobei sie abzüglich zweier Freibeträge von je 8.000 DM ein anzurechnendes Vermögen des Klägers von 85.853,08 DM annahm und den Kläger dazu anhörte, dass insoweit die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe beabsichtigt sei.

Der Kläger hat sich auf das Anhörungsschreiben der Beklagten nicht gemeldet. Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2005 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.10.1997 bis zum 22.03.1999 und für die Zeit vom 23.03.1999 bis zum 31.03.2000 teilweise nach § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB X zurück. Gleichzeitig wurden vom Kläger die Erstattung von 20.345,64 EUR Arbeitslosenhilfe sowie von 5.192,58 EUR Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung (insgesamt 25.538,22 EUR) verlangt. Der Kläger habe in dem Arbeitslosenhilfeantrag vom 06.10.1997 sowie in seinen Folgeanträgen vom 25.09.1998 und 15.09.1999 zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt, dass er Vermögen in der Türkei habe.

Der Sohn des Klägers I. A. erhob am 08.09.2005 zur Niederschrift bei der Arbeitsagentur Widerspruch im Namen seines Vaters, welcher sich in der Türkei befand. Die Geldanlage in der Türkei sei nicht allein für den Kläger, sondern auch noch für zwei seiner Kinder bestimmt. Die genauen Unterlagen befänden sich beim Steuerberater, welcher zur Zeit nicht erreichbar sei, und würden nachgereicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2005 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig, da die Widerspruchsfrist am 16.08.2005 geendet habe. Rechtfertigende Gründe für das Fristversäumnis bzw. eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht erkennbar.

Am 15.09.2005 stellte der Kläger wiederum über seinen Sohn den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 13.07.2005 nach § 44 SGB X. Der Kläger legte Bescheinigungen in türkischer Sprache mit entsprechenden beglaubigten Übersetzungen vor, die er und seine beiden Kinder M. A. und S. B. angefertigt haben. Danach habe er von diesen beiden Kindern am 15.04.1993 sowie am 23.05.1994 jeweils zur Anlage bei der TCMB 30.000 bzw. 25.000 DM erhalten, da die beiden Kinder zu dem Zeitpunkt in der Türkei gelebt und keine Berechtigung zur Anlage bei der TCMB gehabt hätten, Devisen zu hohem Zinssatz anzulegen. Die Anlage der Ersparnisse der Kinder in dieser gewinnbringenden Weise sei deswegen auf den Namen des Klägers erfolgt. Am Ende der Laufzeit sei vereinbart, das Geld zusammen mit den Zinsen an die Kinder zurückzugeben.

Mit Bescheid vom 19.09.2005 lehnte die Beklagte eine Abänderung des Bescheides vom 13.07.2005 nach § 44 SGB X ab. Der Bescheid vom 13.07.2005 sei nicht zu beanstanden. Die Angaben über die Übergabe des Geldes am 15.04.1993 und am 23.05.1994 an den Kläger von seinen Kindern stimmten nicht mit den Anlagedaten des Geldes bei der TCMB überein. Die Geldanlagen seien auf den Namen des Klägers erfolgt. Der Kläger habe jederzeit über die Geldbeträge verfügen können, weswegen das Vermögen ihm zuzurechnen sei. Hierbei sei bezeichnend, dass der Kläger auf das Anhörungsschreiben vom 25.05.2005 überhaupt nicht und auf den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13.07.2005 erst verspätet am 08.09.2005 reagiert habe. Die vorgelegten Bescheinigungen könnten nicht als geeignete Nachweise über die Eigentumsverhältnisse der Geldanlagen gewertet werden.

Der Kläger hat wiederum vertreten durch seien Sohn I. am 22.09.2005 Widerspruch eingelegt. Das gesamte Guthaben bei der TCMB habe er "zu 3" angelegt. Mit der Rückforderung sei er daher nicht einverstanden, da er hierdurch für andere bestraft werde. Er habe seinerzeit im Jahre 1991 bei der Kreissparkasse H. ein Darlehen aufgenommen und das entsprechende Geld bei der TCMB angelegt. Der Kläger legte eine Bescheinigung der Kreissparkasse Haigerloch vom 03.04.1992 vor, wonach er 1991 Zinsen in Höhe von 3.996,29 DM und 8.280 DM Bearbeitungsgebühr für ein Darlehen habe aufwenden müssen. Nach einem weiteren Schreiben der Kreissparkasse H. vom 15.07.1994 habe das Darlehen ursprünglich einen Betrag von 138.000 DM umfasst, wobei lediglich noch 29.815,86 DM offen seien. Die neue Zins- und Tilgungsrate ab dem 30.07.1994 betrage daher 2.000 DM monatlich.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005 wies die Beklagte auch diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Erstattungsentscheidung spreche.

Der Kläger hat durch seinen Bevollmächtigten gegen die Widerspruchsbescheide vom 12.09. und 19.10.2005 am 09.11.2005 beim Sozialgericht R. (SG) Klage erhoben, mit der zugleich für den Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt wurde, weil der Beklagten der Auslandsaufenthalt des Kläger bekannt gewesen sei. Der Kläger habe zwischen 1973 und 1993 einen Betrag von 40.000 DM ansparen können. Dieses Geld habe er 1993 als Sparguthaben auf dem Konto Nr. 68188 bei der TCMB angelegt. Schließlich habe er 60.000 DM aus seiner Abfindung von ca. 85.000 DM im Jahr 1997 auf das Konto mit der Nr. 25515 bei der TCMB übertragen. Der Restbetrag sei für Renovierungsarbeiten des im Jahre 1991 erworbenen Hauses verwendet worden. Die Geldanlagen hätten seiner Alterssicherung gedient. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. Schonvermögen wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ihm unter Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 und Absatz 4 Alhi-VO Alhi zu gewähren, da schon damals ein Schonvermögen von ca. 51.000 DM für zwei Personen angemessen gewesen sei. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zum Zeitpunkt der Antragstellung sei ein Schonvermögen in Höhe von 85.853,08 DM zuzüglich behaupteter Zinseinnahmen in Höhe von 16.742,80 für ihn und seine Ehefrau nicht unangemessen gewesen. Die Beklagte übersehe, dass politisch und gesellschaftlich erwünscht sei, zusätzlich zur Rente eine eigene Altersvorsorge zu treffen, wobei die Alhi-VO nicht vorschreibe, in welcher Form er die Abfindung bzw. das Sparguthaben habe anlegen müssen, damit es unter das privilegierte Vermögen falle.

Aufgrund dieses Vortrags räumte die Beklagte dem Kläger einen Freibetrag auf Sozialabfindungen in Höhe von 10.000 DM (vgl. § 7 Abs. 1 Alhi-VO) ein, was zu einem verminderten anzurechnenden Vermögen von 75.853,08 DM führte. Der Erstattungsbetrag verminderte sich hierdurch auf 22.378,32 EUR, was die Beklagte in ihrem Änderungsbescheid vom 19.05.2006 entsprechend umsetzte.

Die Beklagte vertrat vor dem SG die Auffassung, dass der Kläger keine ausreichende subjektive Zweckbestimmung im Sinne von § 6 Abs. 4 Nr. 4 Alhi-VO getroffen habe, dass das Vermögen für die Zeit eines Ruhestands zurückgelegt werden solle. Das bei der TCMB angelegte Vermögen sei nicht besonders gebunden, sondern jederzeit frei verfügbar gewesen. Erst durch die Klageschrift sei bekannt geworden, dass es sich um Vermögen einer Sozialabfindung gehandelt habe, weswegen dementsprechend ein weiterer Freibetrag eingeräumt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger seine Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.09.2005 zurückgenommen.

Das SG hat mit Urteil vom 24.01.2008 den Bescheid der Beklagten vom 19.09.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, den Änderungsbescheid vom 19.05.2006 im Wege eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X in Höhe von 4.536,03 EUR aufzuheben, und die Klage im übrigen abgewiesen. Während des streitgegenständlichen Zeitraums habe der Kläger für die Zeit vom 01.10.1997 bis zum 12.01.1999 keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe und anschließend nur noch teilweise Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 13.01.1999 bis zum 31.03.2000 gehabt.

Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe seien die §§ 190 ff. SGB III. Einschlägig sei hierzu vorliegend die Arbeitslosenhilfeverordnung in der Fassung vom 24.06.1996 (BGBl. I S. 878), da die Alhi-VO 2002 erst ab dem 01.01.2002 in Kraft getreten sei. Nach § 6 Abs. 1 der Alhi-VO sei das Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit es verwertbar sei, die Verwertung zumutbar sei und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar sei, jeweils 8.000 DM übersteige. Nicht zumutbar sei insbesondere die Verwertung von Vermögen, das zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Altersicherung bestimmt sei, § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO. Diese Regelung sei ab dem 29.06.1999 in § 6 Abs. 4 Alhi-VO dahingehend konkretisiert worden, dass Vermögen im Sinne von Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift dann für eine Alterssicherung bestimmt sei, wenn der Arbeitslose und sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte dieses nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verwenden wollten und eine der Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen hätten; für die Alterssicherung angemessen sei das Vermögen, soweit es 1.000 DM je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten nicht übersteige.

Nach § 7 Abs. 1 Alhi-VO sei zudem für die Dauer von 5 Jahren Vermögen aus einmaligen Sozialleistungen (Abfindungen) nicht verwertbar, soweit es 10.000 DM nicht übersteige. Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen sei der Kläger in der Zeit vom 01.10.1997 bis zum 12.01.1999 nicht bedürftig gewesen. Ausgehend von dem von der Beklagten zutreffend zugrunde gelegten Ausgangsvermögen von 101.853,08 DM sei ein Grundfreibetrag von 16.000 DM für das Ehepaar sowie ein weiterer Freibetrag aus der Sozialabfindung in Höhe von 10.000 DM anzunehmen, womit sich ein anzurechnendes Vermögen von 75.853,08 DM ergebe. Unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgeltes von 1.130 DM ergebe sich, dass der Kläger (75.853,08 DM dividiert durch 1.130 DM) 67 volle Wochen, d.h. für die Zeit vom 01.10.1997 bis zum 19.01.1999 nicht bedürftig gewesen sei.

Das SG sei der Überzeugung, dass die Kapitalanlagen des Klägers bei der TCMB dem Kläger selbst und nicht seinen in der Türkei lebenden Kindern M. A. und S. B. zuzuordnen sei. Abgesehen davon, dass die mitgeteilten Beträge lange Zeit vor der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe angelegt worden seien, stimmten die Geldübergabedaten nicht mit den Anlagedaten bei der TCMB überein. Darüber hinaus fehlten jegliche Angaben über die Dauer der Anlage, ihren Zweck und die Rückgabe der Beträge an die Kinder. Demgegenüber sei es plausibel, dass der Kläger aus der Sozialabfindung, die er am 31.05.1994 in Höhe von 93.800 DM erhalten habe, die Kapitalanlage von zusammen 100.000 DM (jedenfalls im wesentlichen) gebildet habe. Der Kläger müsse nach der Überzeugung des SG die Folgen der begrenzten Aufklärungsmöglichkeiten für die Vergangenheit tragen. Es handele sich um Vorgänge, die in seiner Sphäre wurzelten, wobei durch seine unterbliebenen zeitnahen Angaben eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts inzwischen unmöglich sei (unter Berufung auf BSG, Urteil vom 13.09.2006 - B 11a AL 19/06 R -).

Die Kapitalanlagen seien auch nicht privilegiert im Sinne von § 6 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 3 der Alhi-VO, weil der Kläger keine ausreichende subjektive Zweckbestimmung der Kapitalanlagen für das Alter getroffen habe. Die Kapitalanlagen hätten ganz offensichtlich dazu gedient, möglichst hohe Zinsleistungen zu erzielen. Eine Festlegung bis zum mutmaßlichen Beginn einer Altersrente sei demgegenüber nicht erfolgt. Vielmehr habe der Kläger jederzeit - allerdings unter Zinsverlust - über die Kapitalanlagen verfügen können. Für den Zeitraum vom 13.01.1999 bis zum 31.03.2000 seien die Rücknahmevoraussetzungen nur teilweise erfüllt. Anzurechnen seien für diesen Zeitraum lediglich zugeflossene Kapitalerträge (Zinsen), die unzweifelhaft dem Lebensunterhalt zu dienen bestimmt seien und ebenso zweifelsfrei zumutbar hätten verwertet werden können. Kapitalerträge seien zu 1/52 des Jahresbetrages bzw. 1/104 des Zweijahresbetrages für jede Woche zeitversetzt in dem auf den Zufluss folgenden Bewilligungsabschnitt anzurechnen. Nach den vorliegenden Unterlagen seien dem Kläger am 12.07.1998 10.146 DM zugeflossen. Dies seien (10.146 DM durch 104 Wochen) 97,56 DM wöchentliche Zinsen. Hieraus habe die Beklagte zutreffend errechnet, dass dem Kläger deswegen vom 13.01.1999 bis 31.03.2000 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 6.188,09 DM (= 3.163,92 EUR) zuviel gezahlt worden sei. Am 02.06.1999 seien dem Kläger weitere 6.596,80 DM an Zinsen für zwei Jahre zugeflossen. Daraus ergäben sich (6.596,80 DM durch 104 Wochen) 36,43 DM wöchentliche Zinsen, weswegen der Kläger für die Zeit vom 01.10.1999 bis zum 31.03.2000 weitere 1.658,24 DM (8.47,84 EUR) zuviel an Alhi erhalten habe. Der Kläger sei nicht schutzwürdig im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X, da die fehlerhafte Arbeitslosenhilfebewilligung ausschließlich auf seinen zumindest grob fahrlässigen unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben beruhe (unter Hinweis auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger habe fehlerhaft die einfache Frage, ob er über "Bankguthaben" verfüge, verneint. Auch bei den Fortzahlungsanträgen auf Arbeitslosenhilfe habe er die Frage verneint, und keine Angaben zu seien Kapitalanlagen bei der TCMB gemacht. Hierbei habe dem Kläger auch klar sein müssen, dass auch im Ausland angelegtes Vermögen seine Bedürftigkeit in Deutschland ausschlösse.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X in Verbindung mit § 50 Abs. 1 SGB X seien erfüllt. Die Beklagte habe die einjährige Handlungsfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt. Die Klage sei lediglich hinsichtlich der Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge begründet. Für die Zeit des Arbeitslosenhilfebezugs gebe es für die Erstattung insoweit keine Rechtsgrundlage mehr, nachdem mit Wirkung vom 01.01.2005 in der vormals maßgeblichen Rechtsgrundlage des § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 SGB III das Wort "Arbeitslosenhilfe" gestrichen worden sei. Die Streichung sei auch wirksam für die Zeiträume des Bezugs von Arbeitslosenhilfe vor dem 01.01.2005. Zwar sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dieses Ergebnis nicht beabsichtigt habe, doch sei nach dem unmissverständlichen Wortlaut des Gesetzes diese Folge nicht zu vermeiden (unter Berufung auf Niesel, SGB III, § 335 RdNr. 1). Das Urteil wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 04.02.2008 und der Beklagten am 01.02.2008 zugestellt.

Die Beklagte hat am 07.02.2008 Berufung eingelegt. Hinsichtlich der Folgen der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III gehe die Beklagte davon aus, dass die Gesetzesänderung der Rückforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe jedenfalls für die Zeiträume vor dem 01.01.2005 nicht entgegenstehe.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 03.03.2008 Berufung eingelegt. Die Klage müsse vollen Erfolg haben, da die Beklagte zum Zeitpunkt der Gewährung von Arbeitslosenhilfe sämtliche erforderlichen Informationen besessen habe. Der Vorwurf, der Kläger habe durch unterbliebene Angaben bei der Antragstellung eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht, sei weder begründet noch nachvollziehbar. Der Sachverhalt habe sich aus den Akten ergeben, ein weiterer Klärungsbedarf habe nicht bestanden. Die Beklagte habe über die Herkunft des Vermögens, welches den Ruhestand des Klägers und seine Frau in der Türkei absichern sollte, Bescheid gewusst. Das SG habe fehlerhaft das Vorliegen von Schonvermögen verneint und auch fehlerhaft grobe Fahrlässigkeit des Klägers angenommen. Eine entsprechende subjektive Zweckbestimmung sei anzunehmen, da der Kläger sich inzwischen in der Türkei zur Ruhe gesetzt habe und dies von Anfang auch so gewollt habe. Eine Altersicherung könne auch in Stufen ermöglicht werden (unter Berufung auf BSG, Urteil vom 17.10.1996 - 7 R AR 2/96 -; BSG, Urteil vom 29.01.1997 - 11 Rar 21/96 -).

Die Beklagte beantragt, teils sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.01.2008 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen, sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, teils sinngemäß,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.01.2008 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 13.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2005 sowie den Änderungsbescheid vom 19.05.2006 im Wege eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X aufzuheben, soweit die Beklagte hierzu in dem angefochtenen Urteil noch nicht verpflichtet worden ist.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaften und zulässigen Berufungen sind nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, denn die Beklagte hat die Bewilligung zu Recht in der vom SG festgestellten Höhe aufgehoben und zurückgenommen und insoweit die Erstattung zu Unrecht bewilligter Leistungen geltend gemacht. Das SG hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und überzeugend und umfassend ausgeführt und berechnet, dass und in welcher Höhe von dem Kläger Leistungen der Beklagten zu erstatten sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Urteil des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass für die Zeit vom 01.10.1997 bis zum 31.12.1997 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe nicht aufgrund des SGB III, sondern des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erfolgt ist (vgl. §§ 134 ff. AFG). Für die vom SG zutreffend zitierte und angewendete Alhi-VO vom 24.06.1996 (BGBl. I S. 878) ergeben sich insofern im Ergebnis jedoch keine Unterschiede.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers zu den streitbefangenen Geldanlagen ganz erheblich darunter leidet, dass er nicht nur ursprünglich seine beiden Bankkonten in der Türkei gegenüber der Beklagten verschwiegen hat, sondern noch im Widerspruchsverfahren Bescheinigungen zweier seiner Kinder über die Angabe deren Geldvermögens in der Türkei vorgelegt hat, die nach seinem eigenen Vortrag vor dem SG inhaltlich nicht richtig sein können.

Zum Berufungsvorbringen der Beklagten ist anzumerken, dass es ebenfalls nicht geeignet ist, die angefochtene Entscheidung des SG als unrichtig erscheinen zu lassen. Auch nach Ansicht des Senats ist im vorliegenden Fall keine erweiternde oder analoge Anwendung der Rechtsnorm des § 335 SGB III möglich (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 15.12.2006 - L 12 AL 3427/06 - mit Zulassung der Revision für die Beklagte). Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass dadurch, dass es nach dem 01.01.2005 keine Erstattungsforderung bezüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei überzahlter Arbeitslosenhilfe mehr gibt, eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden ist. Damit jedoch eine planwidrige Gesetzeslücke im Wege der Auslegung oder der Analogie "planvoll geschlossen" werden kann, muss es sich um eine unbeabsichtigte oder unbewusste Gesetzeslücke handeln. Davon kann hier keinesfalls die Rede sein. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 335 Abs. 1 SGB III bewusst das Wort Arbeitslosenhilfe gestrichen und hat dies sogar ausdrücklich als "Folgeänderung zur Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe auf Grund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zweiten Buch" bezeichnet. Der Gesetzgeber wollte die Arbeitslosenhilfe aus § 335 Abs. 1 SGB III streichen und hat dies bewusst und begründet getan. Bei dieser Sachlage kann nicht durch Rechtsauslegung oder Analogiebildung die Rechtsnorm so gelesen werden, als habe der Gesetzgeber die Änderung nicht vorgenommen. Eine erweiternde Auslegung oder eine Analogie ist vorliegend nicht möglich, weil die von der Beklagten gewünschte Auslegung im Wortlaut des Gesetzes keinerlei Anklang gefunden hat. Für Eingriffe in die Rechte Betroffener ist eine klare gesetzliche Grundlage zu fordern, an der es hier gerade fehlt. Aus dem in Art. 20 GG normierten Rechtsstaatsprinzip folgt ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes bei staatlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen von Betroffenen. Wenn eine staatliche Maßnahme in Grundrechte eingreift, gerät der Stufenbau der Rechtsordnung durcheinander, weil Grundrechte Verfassungsrang haben und auch nur durch einfaches Recht eingeschränkt werden können. Für Grundrechtseingriffe ist also stets eine spezielle Ermächtigung in der Form eines Gesetzes zu fordern (siehe hierzu Umbach/Clemens, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rdnr. 73 ff.). Auch die Kommentarliteratur hält demzufolge eine Auslegung in dem von der Beklagten gewünschten Sinne nicht für möglich. Z. B. weist Niesel in der 3. Auflage des SGB III-Kommentars darauf hin, dass ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Alhi-Bewilligung mehr besteht, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 bezieht ("Dieses wohl kaum beabsichtigte Ergebnis (das bei der Aufhebung der Uhg-Bestimmungen zum 1.1.2004 vermieden wurde, indem § 335 nicht geändert wurde) ist de lege lata nicht zu vermeiden").

Sofern die Beklagte ergänzend vorträgt, dass die Gesetzesänderung der Rückforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe jedenfalls für die Zeiträume vor dem 01.01.2005 nicht entgegen stehe, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn für den Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen ist eine wirksame Ermächtigungsgrundlage zum Zeitpunkt des Eingriffs und nicht zu einem irgendwann in der Vergangenheit gelegenen Zeitpunkt erforderlich. Maßgeblich ist insoweit die Rechtslage bei Erlass des Bescheides (BSG, Urteil vom 27.08.2008 - B 11 AL 11/07 R -). Etwas anderes gilt nach der bisher vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu dieser Thematik lediglich in den Fällen, in denen der Erstattungsanspruch noch zu Zeiten entstanden ist, als § 335 SGB III für den Erstattungsanspruch eine Ermächtigungsgrundlage vorsah, also bei Geltendmachung durch den Erstattungsbescheid spätestens am 31.12.2004 (BSG a.a.O.). Diese Fallgestaltung ist vorliegend aber nicht gegeben. Der Hinweis der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11.09.2008, in der mündlichen Verhandlung zu dem obengenannten Urteil des Bundessozialgerichts habe es "Signale" gegeben, dass auch ein Aufhebungsbescheid im Jahr 2005 insoweit noch ausreichend gewesen sein könnte, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen im Falle der Berufung des Klägers nicht vor. Für die Beklagte wird die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Auslegung von § 335 SGB III aufgeworfenen Rechtsfrage zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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