Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 3235/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1171/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Begrenzung auf "120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall" in § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V ist so zu verstehen, dass bei einer über drei Jahre hinausgehenden Behandlungs-bedürftigkeit mit Beginn des nächsten Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt und damit wiederum ein Anspruch auf Soziotherapie im Umfang von maximal 120 Stunden besteht.
(beim BSG anhängig unter dem Az.: B 3 KR 21/08 R)
(beim BSG anhängig unter dem Az.: B 3 KR 21/08 R)
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie der Bescheid vom 1. Februar 2007 aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die weitere Gewährung von Soziotherapie nach § 37a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).
Bei der 1945 geborenen Klägerin besteht seit Jahrzehnten eine psychische Erkrankung, die nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten 10 (ICD-10) derzeit als "Schizophrenes Residuum (F 20.5)" bezeichnet wird. Die Klägerin musste deshalb auch mehrmals stationär behandelt werden, ua vom 17. Dezember 2001 bis 2. April 2002 sowie auch im Februar 2007. Am 21. Mai 2003 stellte der behandelnde Facharzt für Psychiatrie Dr. S. erstmals eine "Verordnung Soziotherapie gem. § 37a SGB V" aus und reichte diese am 27. Mai 2003 bei der Beklagten ein. Als Schweregrad nach der "Global Assessment of Functioning Scale (GAF-Skala) gab er den Wert 31 an. Er begründete seine Verordnung ua damit, dass der Erhalt des Funktionsniveaus bei der Klägerin nicht ausreichend sei, weitere Krankenhausaufenthalte würden folgen. Eine Besserung sei ausschließlich durch eine intensive Betreuung der Patientin zu erreichen. Eine Verwahrlosung müsse ausgeschlossen werden. Nachdem die Beklagte die Gewährung der verordneten Leistung zunächst abgelehnt hatte, gewährte sie schließlich mit Bescheiden vom 18. September 2003 und vom 19. Juli 2004 jeweils 30 Einheiten Soziotherapie, die die Klägerin erstmals am 22. Mai 2003 und zuletzt am 17. Mai 2007 in Anspruch nahm. Die bewilligten 60 Therapiestunden sind annähernd ausgeschöpft.
Die Klägerin hält die Fortsetzung der Soziotherapie für dringend erforderlich. Dr. S. bestätigte dies mit Attest vom 25. März 2006. Die Beklagte lehnte jedoch die Gewährung von Soziotherapie über den 20. Mai 2005 hinaus durch Bescheid vom 15. Mai 2006 und Widerspruchsbescheid vom 1. August 2006 ab, da § 37a SGB V den Behandlungszeitraum auf maximal drei Jahre begrenze.
Die Klägerin hat hiergegen am 31. August 2006 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und geltend gemacht, die bisher in Anspruch genommenen Therapiestunden reichten nicht aus. Nach § 37a SGB V könnten nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist beim gleichen Krankheitsfall weitere 120 Stunden Soziotherapie verordnet werden.
Dr. S. hat die Notwendigkeit der Fortsetzung der Therapie mit Attest vom 9. November 2006 erneut bestätigt und - aufgrund der gleichen Erkrankung - am 18. Januar 2007 erneut Soziotherapie verordnet. Den auf diese Verordnung gestellten Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 2007 abgelehnt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. September 2007 abgewiesen, da der Wortlaut des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V die Gewährung von Soziotherapie auf einen Zeitraum von drei Jahren begrenze.
Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 13. Februar 2008 zugestellte Urteil am 7. März 2008 Berufung eingelegt und mit dieser ihre Rechtsansicht wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie den Bescheid vom 1. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten vergleichsweise Einigkeit darüber erzielt, dass bei der Klägerin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V sowie die Anforderungen nach den Soziotherapie-Richtlinien erfüllt sind und lediglich noch darüber gestritten werde, ob dem geltend gemachten Anspruch § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V entgegensteht.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie der Bescheid vom 1. Februar 2007 sind rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren bzw. die verordnete Soziotherapie zu genehmigen.
Streitgegenstand ist auch der Bescheid vom 1. Februar 2007, mit dem die Beklagte erneut eine Gewährung von Soziotherapie über den 20. Mai 2006 hinaus abgelehnt hat. Er wird nach § 96 Abs. 1 SGG in der hier noch anwendbaren, bis 31. März 2008 geltenden Fassung (also vor der Änderung durch das Gesetz vom 26. März 2008, BGB1. 1 S. 444) Gegenstand des Verfahrens, denn mit ihm hat die Beklagte die Gewährung erneut und mit der gleichen rechtlichen Begründung abgelehnt.
Versicherte, die wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbständig in Anspruch zu nehmen, haben nach § 37a Abs. 1 SGB V Anspruch auf Soziotherapie, wenn dadurch Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder wenn diese geboten, aber nicht ausführbar ist. Die Soziotherapie umfasst im Rahmen des Absatzes 2 die im Einzelfall erforderliche Koordinierung der verordneten Leistungen sowie Anleitung und Motivation zu deren Inanspruchnahme. Der Anspruch besteht für höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall. § 37a Abs. 2 SGB V regelt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (früher: Ausschuss der Ärzte und Krankenkassen) in den Richtlinien nach § 92 SGB V (RL) das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Versorgung nach Absatz 1 bestimmt, insbesondere 1. die Krankheitsbilder, bei deren Behandlung im Regelfall Soziotherapie erforderlich ist, 2. die Ziele, den Inhalt, den Umfang, die Dauer und die Häufigkeit der Soziotherapie, 3. die Voraussetzungen, unter denen Ärzte zur Verordnung von Soziotherapie berechtigt sind, 4. die Anforderungen an die Therapiefähigkeit des Patienten, 5. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Arztes mit dem Leistungserbringer.
Die Voraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V sind bei der Klägerin erfüllt. Sie leidet an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, für die nach Abschnitt II Nr. 9 der RL eine Indikation für Soziotherapie gegeben ist. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch Fähigkeitsstörungen wie zB eine Störung des Antriebs, eine Unfähigkeit zu strukturieren (Desorganisation) und Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit, deren Schwere den Wert 40 auf der GAF-Skala nicht überschreitet (Abschnitt II Nr. 10 und 11 der RL). Dennoch steht zu erwarten, dass die Klägerin die Therapieziele erreicht. Dies alles ergibt sich nachvollziehbar und schlüssig aus der ärztlichen Verordnung des Dr. S. vom 18. Januar 2007 (Bl. 42 der SG-Akte). Dr. S. bezeichnete in dieser Verordnung den Schweregrad nach der GAF-Skala mit 35. Auch von der Beklagten wird das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht in Abrede gestellt. Sie hat dies in dem in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Teilvergleich außer Streit gestellt.
Dem geltend gemachten Anspruch steht auch die Regelung in § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach der Anspruch "für höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall" besteht, nicht entgegen. Diese Regelung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu verstehen, dass eine Gewährung über einen Leistungszeitraum von drei Jahren hinaus bei identischer Indikation ausscheidet. Dies folgt weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus Sinn und Zweck der Bestimmung. Die Regelung begrenzt den Leistungsumfang lediglich auf 120 Stunden innerhalb von drei Jahren, nicht aber auf eine Leistung nur während der ersten drei Jahre nach einer erstmaligen Bewilligung von Soziotherapie.
Unter Krankheitsfall versteht der Senat in Übereinstimmung mit Abschnitt IV Nr. 17 letzter Satz der RL eine "Phase der Behandlungsbedürftigkeit" bei einer der in Abschnitt II aufgeführten Indikationen von bis zu drei Jahren. Die Formulierung "je Krankheitsfall" und das Abstellen auf die Behandlungsbedürftigkeit (die in mehrere, zeitlich jeweils auf drei Jahre begrenzte Phasen aufgeteilt werden kann) bedeuten, dass nach Ablauf eines Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt, wenn erneut eine Behandlungsbedürftigkeit auftritt, wobei nur entscheidend ist, dass die Behandlungsbedürftigkeit auf eine der in Abschnitt II genannten Indikationen zurückzuführen ist. Dabei kann es sich - was angesichts der aufgeführten Indikationen sogar der Normalfall sein wird - selbstverständlich um dieselbe Indikation handeln. Die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V käme nur in Betracht, wenn der Begriff Krankheitsfall auf die Indikation bzw. die Diagnose zu beziehen wäre. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Abzustellen ist vielmehr auf die Behandlungsbedürftigkeit. Damit kann auch kein Umkehrschluss aus dem Wortlaut § 48 SGB V gezogen werden, der zwar einerseits die Gewährung von Krankengeld auf längstens 78 Wochen innerhalb von "je" drei Jahren begrenzt, allerdings nicht auf den "Krankheitsfall" abstellt, sondern auf die "Krankheit".
Je Krankheitsfall bedeutet also, dass bei einer über drei Jahre hinausgehenden Behandlungsbedürftigkeit mit Beginn des nächsten Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt und damit wiederum ein Anspruch auf Soziotherapie im Umfang von maximal 120 Stunden besteht (ebenso Zipperer in: GKV-Kommentar, § 37a SGB V Rdnr. 10). Bestätigt wird diese Auffassung auch durch die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 14/1245, S. 66), in denen als Grund für die Einführung dieser Betreuungsleistung die Vermeidung wiederkehrender stationärer Aufenthalte (sogenannter "Drehtüreffekt") genannt wird. Dieser Zweck der an der Nahtstelle zwischen Krankenbehandlung und allgemeiner Lebenshilfe angesiedelten, ergänzenden Leistung ohne medizinischen Inhalt (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 25. September 2007, GS 1/06, Juris-Rdnr. 20) kann auch nach Ablauf eines Drei-Jahreszeitraums noch erreicht werden. Dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Anliegen des Gesetzgebers, die Leistung zeitlich zu begrenzen, trägt die Limitierung auf höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren in ausreichendem Maße Rechnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind. Wie die zeitliche Begrenzung in § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V zu verstehen ist, war bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die weitere Gewährung von Soziotherapie nach § 37a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).
Bei der 1945 geborenen Klägerin besteht seit Jahrzehnten eine psychische Erkrankung, die nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten 10 (ICD-10) derzeit als "Schizophrenes Residuum (F 20.5)" bezeichnet wird. Die Klägerin musste deshalb auch mehrmals stationär behandelt werden, ua vom 17. Dezember 2001 bis 2. April 2002 sowie auch im Februar 2007. Am 21. Mai 2003 stellte der behandelnde Facharzt für Psychiatrie Dr. S. erstmals eine "Verordnung Soziotherapie gem. § 37a SGB V" aus und reichte diese am 27. Mai 2003 bei der Beklagten ein. Als Schweregrad nach der "Global Assessment of Functioning Scale (GAF-Skala) gab er den Wert 31 an. Er begründete seine Verordnung ua damit, dass der Erhalt des Funktionsniveaus bei der Klägerin nicht ausreichend sei, weitere Krankenhausaufenthalte würden folgen. Eine Besserung sei ausschließlich durch eine intensive Betreuung der Patientin zu erreichen. Eine Verwahrlosung müsse ausgeschlossen werden. Nachdem die Beklagte die Gewährung der verordneten Leistung zunächst abgelehnt hatte, gewährte sie schließlich mit Bescheiden vom 18. September 2003 und vom 19. Juli 2004 jeweils 30 Einheiten Soziotherapie, die die Klägerin erstmals am 22. Mai 2003 und zuletzt am 17. Mai 2007 in Anspruch nahm. Die bewilligten 60 Therapiestunden sind annähernd ausgeschöpft.
Die Klägerin hält die Fortsetzung der Soziotherapie für dringend erforderlich. Dr. S. bestätigte dies mit Attest vom 25. März 2006. Die Beklagte lehnte jedoch die Gewährung von Soziotherapie über den 20. Mai 2005 hinaus durch Bescheid vom 15. Mai 2006 und Widerspruchsbescheid vom 1. August 2006 ab, da § 37a SGB V den Behandlungszeitraum auf maximal drei Jahre begrenze.
Die Klägerin hat hiergegen am 31. August 2006 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und geltend gemacht, die bisher in Anspruch genommenen Therapiestunden reichten nicht aus. Nach § 37a SGB V könnten nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist beim gleichen Krankheitsfall weitere 120 Stunden Soziotherapie verordnet werden.
Dr. S. hat die Notwendigkeit der Fortsetzung der Therapie mit Attest vom 9. November 2006 erneut bestätigt und - aufgrund der gleichen Erkrankung - am 18. Januar 2007 erneut Soziotherapie verordnet. Den auf diese Verordnung gestellten Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 2007 abgelehnt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. September 2007 abgewiesen, da der Wortlaut des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V die Gewährung von Soziotherapie auf einen Zeitraum von drei Jahren begrenze.
Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 13. Februar 2008 zugestellte Urteil am 7. März 2008 Berufung eingelegt und mit dieser ihre Rechtsansicht wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie den Bescheid vom 1. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten vergleichsweise Einigkeit darüber erzielt, dass bei der Klägerin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V sowie die Anforderungen nach den Soziotherapie-Richtlinien erfüllt sind und lediglich noch darüber gestritten werde, ob dem geltend gemachten Anspruch § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V entgegensteht.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie der Bescheid vom 1. Februar 2007 sind rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren bzw. die verordnete Soziotherapie zu genehmigen.
Streitgegenstand ist auch der Bescheid vom 1. Februar 2007, mit dem die Beklagte erneut eine Gewährung von Soziotherapie über den 20. Mai 2006 hinaus abgelehnt hat. Er wird nach § 96 Abs. 1 SGG in der hier noch anwendbaren, bis 31. März 2008 geltenden Fassung (also vor der Änderung durch das Gesetz vom 26. März 2008, BGB1. 1 S. 444) Gegenstand des Verfahrens, denn mit ihm hat die Beklagte die Gewährung erneut und mit der gleichen rechtlichen Begründung abgelehnt.
Versicherte, die wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbständig in Anspruch zu nehmen, haben nach § 37a Abs. 1 SGB V Anspruch auf Soziotherapie, wenn dadurch Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder wenn diese geboten, aber nicht ausführbar ist. Die Soziotherapie umfasst im Rahmen des Absatzes 2 die im Einzelfall erforderliche Koordinierung der verordneten Leistungen sowie Anleitung und Motivation zu deren Inanspruchnahme. Der Anspruch besteht für höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall. § 37a Abs. 2 SGB V regelt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (früher: Ausschuss der Ärzte und Krankenkassen) in den Richtlinien nach § 92 SGB V (RL) das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Versorgung nach Absatz 1 bestimmt, insbesondere 1. die Krankheitsbilder, bei deren Behandlung im Regelfall Soziotherapie erforderlich ist, 2. die Ziele, den Inhalt, den Umfang, die Dauer und die Häufigkeit der Soziotherapie, 3. die Voraussetzungen, unter denen Ärzte zur Verordnung von Soziotherapie berechtigt sind, 4. die Anforderungen an die Therapiefähigkeit des Patienten, 5. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Arztes mit dem Leistungserbringer.
Die Voraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V sind bei der Klägerin erfüllt. Sie leidet an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, für die nach Abschnitt II Nr. 9 der RL eine Indikation für Soziotherapie gegeben ist. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch Fähigkeitsstörungen wie zB eine Störung des Antriebs, eine Unfähigkeit zu strukturieren (Desorganisation) und Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit, deren Schwere den Wert 40 auf der GAF-Skala nicht überschreitet (Abschnitt II Nr. 10 und 11 der RL). Dennoch steht zu erwarten, dass die Klägerin die Therapieziele erreicht. Dies alles ergibt sich nachvollziehbar und schlüssig aus der ärztlichen Verordnung des Dr. S. vom 18. Januar 2007 (Bl. 42 der SG-Akte). Dr. S. bezeichnete in dieser Verordnung den Schweregrad nach der GAF-Skala mit 35. Auch von der Beklagten wird das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht in Abrede gestellt. Sie hat dies in dem in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Teilvergleich außer Streit gestellt.
Dem geltend gemachten Anspruch steht auch die Regelung in § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach der Anspruch "für höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall" besteht, nicht entgegen. Diese Regelung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu verstehen, dass eine Gewährung über einen Leistungszeitraum von drei Jahren hinaus bei identischer Indikation ausscheidet. Dies folgt weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus Sinn und Zweck der Bestimmung. Die Regelung begrenzt den Leistungsumfang lediglich auf 120 Stunden innerhalb von drei Jahren, nicht aber auf eine Leistung nur während der ersten drei Jahre nach einer erstmaligen Bewilligung von Soziotherapie.
Unter Krankheitsfall versteht der Senat in Übereinstimmung mit Abschnitt IV Nr. 17 letzter Satz der RL eine "Phase der Behandlungsbedürftigkeit" bei einer der in Abschnitt II aufgeführten Indikationen von bis zu drei Jahren. Die Formulierung "je Krankheitsfall" und das Abstellen auf die Behandlungsbedürftigkeit (die in mehrere, zeitlich jeweils auf drei Jahre begrenzte Phasen aufgeteilt werden kann) bedeuten, dass nach Ablauf eines Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt, wenn erneut eine Behandlungsbedürftigkeit auftritt, wobei nur entscheidend ist, dass die Behandlungsbedürftigkeit auf eine der in Abschnitt II genannten Indikationen zurückzuführen ist. Dabei kann es sich - was angesichts der aufgeführten Indikationen sogar der Normalfall sein wird - selbstverständlich um dieselbe Indikation handeln. Die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V käme nur in Betracht, wenn der Begriff Krankheitsfall auf die Indikation bzw. die Diagnose zu beziehen wäre. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Abzustellen ist vielmehr auf die Behandlungsbedürftigkeit. Damit kann auch kein Umkehrschluss aus dem Wortlaut § 48 SGB V gezogen werden, der zwar einerseits die Gewährung von Krankengeld auf längstens 78 Wochen innerhalb von "je" drei Jahren begrenzt, allerdings nicht auf den "Krankheitsfall" abstellt, sondern auf die "Krankheit".
Je Krankheitsfall bedeutet also, dass bei einer über drei Jahre hinausgehenden Behandlungsbedürftigkeit mit Beginn des nächsten Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt und damit wiederum ein Anspruch auf Soziotherapie im Umfang von maximal 120 Stunden besteht (ebenso Zipperer in: GKV-Kommentar, § 37a SGB V Rdnr. 10). Bestätigt wird diese Auffassung auch durch die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 14/1245, S. 66), in denen als Grund für die Einführung dieser Betreuungsleistung die Vermeidung wiederkehrender stationärer Aufenthalte (sogenannter "Drehtüreffekt") genannt wird. Dieser Zweck der an der Nahtstelle zwischen Krankenbehandlung und allgemeiner Lebenshilfe angesiedelten, ergänzenden Leistung ohne medizinischen Inhalt (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 25. September 2007, GS 1/06, Juris-Rdnr. 20) kann auch nach Ablauf eines Drei-Jahreszeitraums noch erreicht werden. Dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Anliegen des Gesetzgebers, die Leistung zeitlich zu begrenzen, trägt die Limitierung auf höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren in ausreichendem Maße Rechnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind. Wie die zeitliche Begrenzung in § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V zu verstehen ist, war bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung.
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