L 4 R 2583/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 RJ 5537/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2583/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren als Sonderrechtsnachfolger ihrer am 10. Juli 2004 verstorbenen Mutter I. B. (im Folgenden Versicherte) die ungekürzte Auszahlung einer Hinterbliebenenrente.

Die 1936 geborene und am 10. Juli 2004 verstorbene Versicherte erhielt von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) ab dem 01. April 1998 eine große Witwenrente (Bescheid vom 07. Juli 1998). Nachdem Prof. Dr. T., Direktor der Psychiatrischen Klinik des B. S., im Rechtsstreit vor dem Landgericht Stuttgart 2 T 71/89 das Gutachten vom 03. August 1989 erstattet hatte, ordnete das Vormundschaftsgericht K. u. T. mit Beschluss vom 27. November 1989 (AZ: I GR N 1989 Nr. 572) bei der Versicherten "wegen geistiger Gebrechen" Pflegschaft gemäß § 1910 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ohne Einwilligung der Versicherten an, nachdem mangels Geschäftsfähigkeit eine Verständigung nicht möglich war. In Ziff. 2 des Beschlusses wird Folgendes angeordnet:

"Der Wirkungskreis der Pflegschaft umfasst die Vertretung von Frau B. bei Rechtsstreitigkeiten, die das im Grundbuch von K. u. T. Heft 6649 BV. Nr. 1 eingetragene Wohnungseigentum und das im Heft 7125 BV. Nr. 1 Teileigentum betreffen.

Der Pfleger ist berechtigt, über Versorgungs- und Rentenansprüche von Frau B. zu verfügen."

Als Pfleger wurde Herr Rechtsanwalt R.-R. M. in K. u. T. bestellt. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 27. November 1989 wurde durch das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 16. Februar 1990 (2 T 7/90) und die weiteren Beschwerden wurden durch das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschlüssen vom 03. Mai 1990 (8 W 135 + 136/90) und 03. Juli 1991 (8 W 54 + 55/91) zurückgewiesen.

Am 17. Oktober 2003 erhob die jetzige Klägerin zu 1) "im Namen meiner Mandantin I. B." Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Die Klageschrift enthielt lediglich die postalische Anschrift der Klägerin zu 1). Auf Nachfrage des SG teilte die Klägerin zu 1) mit, die Adresse der Versicherten sei dem SG bekannt. Begehrt wurde die Zahlung der ungekürzten Witwenrente. Hierzu wurde eine gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 15. Dezember 1993 vorgelegt, wonach die Versicherte in vollem Umfang schuld- und geschäftsfähig sei.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und teilte mit, die Verwaltungsakten lägen der Klägerin zu 1) bereits seit dem 30. April 2002 vor. Deshalb könne nur ein Teil der Verwaltungsakten (Bl. 36 bis 60), der bis zur Klageerhebung angefallen sei, übersandt werden.

Das SG wies die Beteiligten darauf hin, dass Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung der Klägerin zu 1) bestünden und bat Rechtsanwalt M. um Mitteilung, ob er als Betreuer die Klage nachträglich genehmige. Dieser teilte mit (Schreiben vom 10. Dezember 2003), die Versicherte stehe wegen aller gerichtlichen und außergerichtlichen Auseinandersetzungen, die ihr Wohnungseigentum sowie Versorgungs- und Rentenansprüche beträfen, unter seiner Betreuung. Die nächste Aufhebungsprüfung der Betreuung stehe erst am 26. Februar 2007 an. Die Versicherte sei geschäftsunfähig und es ginge der Klägerin zu 1) vermutlich alleine darum, dass zum Zwecke des Erhalts der Wohnung der Versicherten ein bestimmter Teil der Rente als Wohngeld an die Wohnungseigentümergemeinschaft abgeführt werde. Das Klageverfahren solle nicht durchgeführt werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 01. Februar 2005, der der Klägerin zu 1) laut Zustellungsurkunde am 24. Mai 2005 durch die Deutsche Post AG zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab. Die Klage sei unzulässig, da sie nicht ordnungsgemäß erhoben worden sei. Die Versicherte habe die Klägerin zu 1) nicht wirksam bevollmächtigen können, da sie geschäftsunfähig gewesen sei und unter Betreuung durch Rechtsanwalt M. gestanden habe. Die Versicherte sei nicht prozessfähig gewesen. Hieran ändere auch die Regelung des § 73 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nichts, da hierdurch nur die Erteilung einer schriftlichen Vollmacht entfalle, nicht hingegen die Notwendigkeit, die Bevollmächtigung wirksam durchführen zu können. Auch sei die Bevollmächtigung nicht durch den Betreuer nachträglich genehmigt worden. Des Weiteren sei keine ladungsfähige Anschrift der Versicherten benannt worden, sodass letztlich auch die örtliche Zuständigkeit nicht habe geprüft werden können. Auch sei die Rechtsnachfolge nach dem Tod der Versicherten nicht dargelegt worden.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin zu 1) - zugleich im Namen des Klägers zu 2) - am 24. Juni 2005 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie seien als gesetzliche Erben durch die "falschen Rentenbescheide der LVA" beschwert und begehrten Rentennachzahlungen, wobei die Höhe durch die Pflichtverletzung behördlicher- und gerichtlicherseits bislang nicht beziffert werden könne. Die Geschäftsfähigkeit sei rechtsstaatlich weder vom SG noch vom Vormundschaftsgericht überprüft worden. Rechtsanwalt M. verfüge über keine Bestallungsurkunde in Sozialrechtssachen und sei nicht befugt, die vorliegende Klage zu genehmigen. Im Übrigen diene die Klage auch der Überprüfung der Betreuungstätigkeit des Rechtsanwalts M ... Auch habe sich das SG nicht mit dem Gutachten des Dr. L. vom 15. Dezember 1993 auseinandergesetzt. Hierauf hat die Klägerin in Ihrem Schreiben vom 16. September 2008 nochmals hingewiesen. In der mündlichen Verhandlung am 17. September 2008 hat die Klägerin Aktenteile der Verwaltungsakten, die sie von der Beklagten erhalten hatte, dem Senat übergeben.

Die Kläger beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die der Versicherten (I. B.) bis zu deren Tode gewährte Witwenrente ungekürzt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Klägerin zu 1) sei weiterhin nicht in der Lage, ihre Klageberechtigung zu beweisen.

Mit Schreiben vom 15. Februar 2008 hat der Senat die Kläger darauf hingewiesen, dass sie wegen des gleichen Haushalts mit der Verstorbenen - als Sonderrechtsnachfolger den Rechtsstreit fortführen.

Der Senat hat die Betreuungsakten der Versicherten beim Vormundschaftsgericht K. u. T. sowie die LSG-Akten zu den Verfahren L 3 An 892/79, L 3 An 912/82, L 9 Kg 1659/87, L 6 An 1106/88, L 3 Kg 1782/89, L 6 An 725/90, L 8 VS 946/93 und L 6 An 40/93 eA beigezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorhandene Verwaltungsakte der Beklagten, auf die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz und auf die beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig, aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 01. Februar 2005 ist im Ergebnis zutreffend und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

1. Die Kläger sind als Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) befugt, den Rechtsstreit ihrer verstorbenen Mutter fortzuführen. Sonderrechtsnachfolger sind gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I u.a. die Kinder des verstorbenen Berechtigten, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Nach den vorliegenden Unterlagen wohnten die beiden Kläger zur Zeit des Todes der Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt.

2. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Klage unzulässig ist. Denn die Versicherte war prozessunfähig.

Nach § 71 Abs. 1 SGG ist ein Beteiligter prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. Die Prozessfähigkeit ist hierbei ebenso wie die Beteiligtenfähigkeit Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen berücksichtigt und geprüft werden muss (§ 71 Abs. 6 SGG i.V.m. § 56 Abs. 1 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Dass die Versicherte prozessunfähig war, ergibt sich bereits aus dem Urteil des 6. Senats des LSG vom 19. November 1991 (L 6 An 725/90), dass der Feststellung der Prozessunfähigkeit der Versicherten auf vorangegangene Entscheidungen sowie das Gutachten des Prof. Dr. T. vom 03.August 1989 stützte. Der Senat schließt sich den Ausführungen in diesem Urteil (S. 4) an. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Versicherte bis zur Klageerhebung oder bis zu ihrem Tod am 10. Juli 2004 wieder Prozessfähigkeit erlangt hat. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. T. in seinem Gutachten vom 03. August 1989 zu der Einschätzung gelangt ist, dass es zu einer Korrektur des Wahnsystems nicht mehr kommen könne. Nur eine fachpsychiatrische Behandlung könne zu Veränderungen im Zustandsbild führen, wobei eine Behandlung die Zustimmung der Versicherten voraussetze. Anhaltspunkte dafür, dass eine fachpsychiatrische Behandlung stattgefunden und diese zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Versicherte wieder Prozessfähigkeit erlangte, sind nicht ersichtlich; dies wird von den Klägern auch nicht behauptet. Hiergegen spricht insbesondere die Auskunft des Rechtsanwalts M. vom 10. Dezember 2003, der bestätigte, dass die Versicherte weiterhin geschäftsunfähig gewesen sei, und dass die angeordnete Betreuung - die angeordnete Pflegschaft nach § 1910 BGB wandelte sich nach Art. 9 § 1 Abs. 4 des Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (BtG) vom 12. September 1990 (BGBl. I, S. 2002) in eine Betreuung um - zu diesem Zeitpunkt weiterhin bestand. Die nächste Aufhebungsprüfung der Betreuung stand vielmehr erst am 26. Februar 2007 an. Die Prozessunfähigkeit der Versicherten führte dazu, dass die Klage als unzulässig abzuweisen war.

Soweit sich die Kläger auf die Stellungnahme des Dr. L. vom 15. Dezember 1993 berufen, ändert dies hieran nichts. Auch wenn dieser zu der Einschätzung gelangte, dass eine ernsthafte psychiatrische Erkrankung bei der Versicherten nicht vorgelegen habe und sie deshalb in vollem Umfang schuld- und geschäftsfähig sei, war das SG an die weiterhin geltende, durch das Vormundschaftsgericht K. unter T. angeordnete Betreuung gebunden. Die Betreuung wurde bis zum Tod der Versicherten ausweislich der vom Vormundschaftsgericht K. unter T. übersandten Akten nicht aufgehoben.

Das SG war auch nicht verpflichtet, für die Versicherte einen besonderen Vertreter zu bestellen. Nach § 72 Abs. 1 SGG kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, wenn der Beteiligte nicht prozessfähig ist. Hat der nicht prozessfähige Beteiligte bereits einen Betreuer, dessen Aufgabenkreis sich auf die Führung des Rechtsstreits bezieht, so scheidet die Möglichkeit der Bestellung eines besonderen Vertreters jedoch aus (vgl. hierzu Behn SozVers 1992, 309, 311). Für die Versicherte war bereits mit Beschluss vom 27. November 1989 vom Vormundschaftsgericht K. unter T. ein Pfleger gemäß § 1910 Abs. 2 BGB bestellt. Nach Art. 9 § 1 Abs. 4 BtG vom 12. September 1990 (BGBl. I, S. 2002) wurde die Pflegschaft nach § 1910 BGB in eine Betreuung umgewandelt, wobei der Aufgabenkreis dem bisherigen Wirkungskreis mit Ausnahme der Entscheidung über eine Einwilligung in eine Sterilisation des Betreuten entspricht. Der Beschluss des Vormundschaftsgerichts K. unter T. vom 27. November 1989 wurde bis zum Tode der Versicherten auch nicht aufgehoben. Daraus ergibt sich, dass Rechtsanwalt M. weiterhin der - auch für Rentenangelegenheiten der Versicherten - zuständige Betreuer war.

Der Betreuer, Rechtsanwalt M., war nach Ziff. 2 des Beschlusses vom 27. November 1989 mithin weiterhin befugt, Rechtsstreitigkeiten, die das Wohnungs- und Teileigentum der Versicherten sowie Versorgungs- und Rentenansprüche betreffen, zu führen. Die Berechtigung, über Versorgungs- und Rentenansprüche der Versicherten zu verfügen, schließt die Befugnis, Rechtsstreitigkeiten wegen Rentenansprüchen der Versicherten vor den Sozialgerichten zu führen, mit ein.

Nachdem der Betreuer der Versicherten, Rechtsanwalt M., auf Nachfrage des SG mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 mitgeteilt hat, dass die Klage nicht geführt werden solle, ist die Klage auch nicht nachträglich zulässig geworden.

Die Klägerin zu 1) konnte auch nicht nach § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG (in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) wirksam für die Versicherte Klage erheben. Die Beteiligten können sich zwar durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG (in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) wurde bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie die Bevollmächtigung unterstellt. Diese Regelung diente aber nur insofern der verfahrensmäßigen Erleichterung, als die Erteilung einer schriftlichen Vollmacht entfiel. Voraussetzung war jedoch, dass die Bevollmächtigung wirksam ist. Wie bereits dargelegt, konnte die Versicherte die Klägerin zu 1) mangels Geschäftsfähigkeit nicht wirksam bevollmächtigen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved