Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 4013/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4034/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.7.2007 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2005 und in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3.5.2006 wird auch hinsichtlich des Zeitraums vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (noch) über das Bestehen von Versicherungspflicht als Selbständiger gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Zeit vom 1.8.2002 bis 13.12.2003.
Der 1957 geborene Kläger war bis 31.12.2003 als Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt; er übte bei der Firma R. GmbH eine Vertretertätigkeit aus (SG-Akte S. 39) und verdiente dabei ausweislich des bei der Beklagten abgespeicherten Versicherungsverlaufs 2002 32.278,00 EUR bzw. 2003 26.054 EUR. Unter dem 15.11.2002 meldete er bei der zuständigen Verwaltungsbehörde (außerdem) zum 1.8.2002 ein Gewerbe als freier Handelsvertreter an (Verwaltungsakte S. 4). Der Kläger hatte am 19./29.7.2002 mit der Firma T.-Schuhfabrikation GmbH, Pirmasens, einen Handelsvertretervertrag geschlossen (Verwaltungsakte S. 14). Darin ist ihm das Alleinvertriebsrecht für die von dem Unternehmen vertriebenen Kinderschuhe in dem in § 2 des Vertrags näher bezeichneten Vertragsgebiet übertragen (§ 1 des Vertrags). Die Übernahme weiterer Handelsvertretungen gleichartiger Produktgruppen war untersagt; die Ausübung von die Vertretertätigkeit möglicherweise beeinflussenden anderen Tätigkeiten war an die Zustimmung des Unternehmens gebunden (§ 3 des Vertrags).
Mit Schreiben vom 28.5.2004 (Verwaltungsakte S. 1) teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe sich zum 1.1.2004 als freier Handelsvertreter selbstständig gemacht. Dem Schreiben war ein Handelsvertretervertrag mit der Firma D. Schuhvertriebs GmbH, C.-R., vom 28.1.2004 (auszugsweise, vollständiger Vertragstext Verwaltungsakte S. 21) beigefügt. Danach übernahm der Kläger als Bezirksvertreter die Vertretung des Unternehmens im Bezirk Baden-Württemberg. Außerdem legte der Kläger die Gewerbeanmeldung vom 15.11.2002 vor.
Mit Schreiben vom 3.6.2004 forderte die Beklagte den Kläger auf, den (ihm übersandten) Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige auszufüllen.
Nachdem der Kläger (auch auf ein Erinnerungsschreiben vom 15.7.2004) nicht geantwortet hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.8.2004 (Verwaltungsakte S. 9) fest, dass der Kläger ab 1.8.2002 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig ist. Dem Bescheid war als dessen Bestandteil eine Beitragsrechnung über die seit 1.8.2002 zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge (223,95 EUR monatlich - halber Regelbeitrag) beigefügt. Außerdem gab die Beklagte dem Kläger auf, für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.8.2004 rückständige Beiträge in Höhe von 5.788,03 EUR zu zahlen.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, den ihm übersandten Fragebogen habe er aus geschäftlichen Gründen nicht fristgerecht ausfüllen können. Die selbstständige Tätigkeit als freier Handelsvertreter im Nebenerwerb habe er seit 1.8.2002 völlig unabhängig von seiner bis 31.12.2003 noch bestehenden abhängigen Beschäftigung ausgeübt. Mittlerweile verfüge er über drei unterschiedliche Handelsvertretungen aus der Schuhbranche, aufgeteilt in Damen-, Herren- und Kinderkollektion. In seiner Branche sei kein Handelsvertreter pflichtversichert; allenfalls würden freiwillige Beiträge gezahlt. Es sei auch keineswegs ungewöhnlich, als Handelsvertreter nur ein Unternehmen zu repräsentieren. Im günstigsten Fall bleibe für weitere Vertretungen keine Zeit, im ungünstigsten Fall könne man zu jeder Zeit mit anderen Unternehmen Vereinbarungen abschließen.
Der Kläger legte den Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige (Verwaltungsakte S. 13) vor. Darin gab er an, bis 31.12.2003 sei er nebenberuflich und seit 1.1.2004 hauptberuflich als selbstständiger Handelsvertreter auf Provisionsbasis tätig. Arbeitnehmer beschäftige er nicht. Er sei nicht nur für einen Auftraggeber tätig und erhalte auf Dauer nicht mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte von einem seiner Auftraggeber. Außerdem legte der Kläger einen unter dem 26.4.2004 abgeschlossenen Handelsvertretervertrag mit der Firma S. A/S, La Cours Vej 6, Ikast, vor (Verwaltungsakte S. 28).
Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger seine Gehaltsabrechnung für 2002 (Verwaltungsakte S. 44: Gesamtbrutto: 33.506,06 EUR, Steuerbrutto: 32.278,94 EUR)) sowie eine Verkaufsaufstellung der Firma T.-Schuhfabrikation GmbH vom 4.11.2002 mit Auftragswerten und Provisionswerten (Verwaltungsakte S. 45: Gesamtprovisionswert: 18.271 EUR) vor.
Mit Schreiben vom 25.11.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach den vorliegenden Unterlagen (Handelsvertreterverträgen) sei von einer Tätigkeit für mehrere Auftraggeber frühestens ab Januar 2004 auszugehen. Der Kläger habe außerdem nicht nachgewiesen, dass er auf Dauer nicht mindestens 5/6 seiner Einkünfte aus der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber beziehe.
Unter dem 8.1.2005 gab der Kläger unter Vorlage des Einkommensteuerbescheids 2002 (Verwaltungsakte S. 54: Einkünfte aus Gewerbebetrieb: -1.887 EUR; Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit: 32.278 EUR) hierzu ergänzend an, seit der Gewerbeanmeldung zum 1.8.2002 habe er bei seiner Tätigkeit als freier Handelsvertreter im Nebenerwerb bis 31.12.2003 nur für einen Auftraggeber gearbeitet. Als Handelsvertreter müsse man sich zunächst am Markt etablieren und Vertrauen gewinnen, bevor man lukrative Vertretungen erhalten könne; es sei völlig abwegig, von Anfang an gleich für mehrere Unternehmen tätig zu sein. Der finanzielle Aufwand für eine selbstständige Vertretung sei enorm, da die Provisionen erst mit Auslieferung der Ware, also etwa sechs bis acht Monate nach dem Verkauf, gutgeschrieben würden. Deshalb sei der schrittweise Aufbau der Handelsvertretung aus einem Angestelltenverhältnis heraus der wirtschaftlich sicherste Weg. Er habe seine selbstständige Handelsvertretung sukzessive aufgebaut und in relativ kurzer Zeit von zunächst einer Vertretung auf drei Unternehmen erweitert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI seien selbstständig Erwerbstätige kraft Gesetzes versicherungspflichtig, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400 EUR übersteige, und wenn sie auf Dauer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig seien. Ein Selbstständiger sei auch dann im Wesentlichen von einem Auftraggeber abhängig, wenn er mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber beziehe. Der Kläger habe Nachweise über die Höhe seiner Einkünfte aus den jeweiligen Auftragsverhältnissen trotz Aufforderung vom 21.10.2004, 25.11.2004 und 31.1.2005 nicht vorgelegt. Daher habe nicht geprüft werden können, ob er im Wesentlichen und auf Dauer für mehr als einen Auftraggeber tätig sei. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger mit einem am 6.10.2005 zur Post gegebenen einfachen Brief bekannt gegeben.
Mit einem bei der Beklagten am 4.11.2005 eingegangenen Schreiben vom 3.11.2005 (SG-Akte S. 11), das an das Sozialgericht Reutlingen gerichtet war, wandte sich der Kläger erneut gegen die Forderungen der Beklagten; er "erhebe Einspruch gegen den zurückgewiesenen Widerspruch vom 6.10.2005". Unter dem 4.11.2005 (SG-Akte S. 5) übersandte die Beklagte dem Kläger eine Eingangsbestätigung; außerdem führte sie aus, wie vom Kläger telefonisch mitgeteilt, solle das Schreiben nicht als Klage, sondern als Überprüfungsantrag gelten. Die telefonisch angekündigten Unterlagen mögen innerhalb von 14 Tagen übersandt werden.
Am 24.11.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Er trug vor, im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 4.11.2005 habe er es unterlassen, den Widerspruchsbescheid binnen Monatsfrist anzufechten. Wegen einer offensichtlich falschen Auskunft müsse er so gestellt werden, als sei die Klagefrist gewahrt.
Der Kläger legte Provisionsabrechnungen für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.8.2004 vor. Danach erhielt er von der Firma T.-Schuhfabrikation Provisionen von 17.868,55 EUR (August bis Dezember 2002), 19.381,05 EUR (Januar bis Dezember 2003) und 17.226,20 EUR (Januar bis Mai 2004) und von der Firma D. Schuhvertriebs GmbH 6.787,17 EUR (Januar bis September 2004).
Mit Schriftsatz vom 3.5.2006 (SG-Akte S. 38) erkannte die Beklagte an, dass für die Zeit ab 1.1.2004 keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht. Für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 bleibe es hingegen bei der Versicherungspflicht, weil eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber nicht nachgewiesen sei. Der Kläger nahm das Teilanerkenntnis an. Im Übrigen machte er geltend, während der Zeit ab 1.8.2002 habe er für die Übernahme zusätzlicher Vertretungen neben der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma R. GmbH und der Tätigkeit als freier Handelsvertreter für die Firma T.-Schuhfabrikation keine Zeit mehr gehabt. Er habe sich von vornherein zum Ziel gesetzt, für mehrere Unternehmen als Handelsvertreter zu arbeiten. Er sei nie von einem einzigen Auftraggeber wirtschaftlich abhängig gewesen. Bis zum 31.12.2003 habe er sich über seine versicherungspflichtige Beschäftigung abgesichert. Eine weitere Versicherungspflicht wegen selbstständiger Erwerbstätigkeit sei daher nicht notwendig.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.7.2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, auch während der Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 habe Versicherungspflicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI bestanden. Für die Frage, ob der Kläger nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei, müsse allein auf die selbstständige Erwerbstätigkeit abgestellt werden. Das Versicherungspflichtverhältnis aus der Beschäftigung bei der Firma R. GmbH sei insoweit nicht von Belang. Denn eine Pflichtversicherung als Selbstständiger gem. § 2 SGB VI sei neben der Pflichtversicherung als Arbeitnehmer nach § 1 SGB VI möglich. Außerdem sei die Firma R. seinerzeit Arbeitgeber und nicht Auftraggeber des Klägers i. S. des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI gewesen. Bis zum 31.12.2003 habe der Kläger als selbstständiger Handelsvertreter auch dauerhaft nur für einen Auftraggeber (Firma T.-Schuhfabrikation) gearbeitet. Dauerhaftigkeit liege insoweit vor, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolge, wobei neben zeitlichen auch wirtschaftliche Kriterien zu beachten seien. Maßgeblich sei, dass der Betroffene mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden selbstständigen Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten beziehe. Nur wenn die selbstständige Tätigkeit, etwa der Auftrag bezüglich eines bestimmten Projekts, im voraus auf einen Zeitraum von weniger als einem Jahr begrenzt sei, stelle sich überhaupt die Frage der Dauerhaftigkeit (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.8.2006, - L 9 R 4947/04 -). Das Auftragsverhältnis des Klägers zur Firma T.-Schuhfabrikation seien nicht im voraus zeitlich begrenzt gewesen. Danach bestehe vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 Versicherungspflicht; die Höhe der Beiträge sei rechtsfehlerfrei festgesetzt worden. Eine etwaige Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI hätte innerhalb von drei Monaten, hier also bis 30.10.2002, beantragt werden müssen; andernfalls sei eine rückwirkende Befreiung ab Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht möglich. Als Befreiungsantrag könne allenfalls das Widerspruchschreiben des Klägers vom 6.9.2004 gewertet werden; zu dieser Zeit habe Versicherungspflicht allerdings bereits nicht mehr bestanden.
Auf den ihm am 19.7.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.8.2007 Berufung eingelegt. Ergänzend trägt er vor, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI seien zwar erfüllt. Die Vorschrift solle nach ihrem Sinn und Zweck für ihn aber nicht gelten. Denn es sollten arbeitnehmerähnliche Selbstständige geschützt werden. Dieses Schutzes bedürfe er nicht, da er seinerzeit neben seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Daraus habe er ein ausreichendes Einkommen erzielt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Um die Befreiungsmöglichkeit des § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI bzw. um das Bestehen von Versicherungspflicht habe er nicht gewusst. Das Sozialgericht habe schließlich auch das Merkmal der Dauerhaftigkeit verkannt. Nach der einschlägigen Kommentarliteratur werde hierauf abgestellt, um Existenzgründungen nicht zu erschweren; neben zeitlichen müssten auch wirtschaftliche Kriterien und branchenspezifische Besonderheiten beachtet werden. Im Übrigen sei ausschlaggebend, ob der Auftragnehmer nach seinem Unternehmenskonzept die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebe und dies nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Erfolg verspreche. Er habe nach seinem Unternehmenskonzept von vornherein Vertragsverhältnisse mit mehreren Auftraggebern erstrebt. Dies sei ab Januar 2004 auch gelungen. Damit könne von dauerhafter Tätigkeit für nur einen Auftraggeber nicht die Rede sein.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.7.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.10.2005, beide in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3.5.2006, auch hinsichtlich des Zeitraums vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit habe der Kläger die abhängige Beschäftigung offenbar deutlich reduziert und auch erheblich geringere Entgelte aus der Beschäftigung erzielt, sodass ein ergänzendes rentenrechtliches Schutzbedürfnis bestanden habe. Von einer von vornherein zeitlich begrenzten Tätigkeit für nur einen Auftraggeber sei nicht auszugehen. Dafür genüge die bloße Absicht, künftig für weitere Auftraggeber arbeiten zu wollen, nicht, wenn diese Absicht erst etwa eineinhalb Jahre später verwirklicht werde.
Der Kläger trägt abschließend vor, er habe seinerzeit schon mit Anmeldung des Gewerbes als selbstständiger Handelsvertreter aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma R. ausscheiden und für diese als selbstständiger Vertreter arbeiten wollen; Sein Arbeitgeber habe dies allerdings nicht gewünscht. Er habe seine Angestelltentätigkeit auch nicht erheblich reduziert (Einkommen 2002: 32.278 EUR; 2003:26.054 EUR).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat gegen den Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 bzw. deren Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 auch im Hinblick auf die Wahrung der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs. 1 SGG) zulässigerweise Klage erhoben; die Wahrung der Klagefrist ist zwar nicht für die Zulässigkeit, wohl aber für die Begründetheit der Berufung von Belang. Die angefochtenen Bescheide sind, soweit sie noch Gegenstand des Verfahrens sind, rechtswidrig. Der Kläger war in der streitigen Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht als selbständig Tätiger versicherungspflichtig; die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind nicht erfüllt.
Die Klage des Klägers war zulässig, insbesondere ist die Klagefrist (§ 87 Abs. 1 SGG) gewahrt. Dem steht nicht entgegen, dass der dem Kläger mit einfachem Brief übersandte Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 gem. § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) als am 9.10.2005, dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (am 6.10.2005), bekanntgegeben gilt und die mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids beginnende einmonatige Klagefrist (§ 89 Abs. 2 SGG) daher bereits verstrichen war, als am 24.11.2005 zur Klageerhebung (§§ 90, 94 SGG) eine Klageschrift beim Sozialgericht einging. Denn die Frist für die Erhebung der Klage gilt gem. § 91 Abs. 1 SGG als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Klagefrist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit (u.a.) bei einem Versicherungsträger eingegangen ist. Das war nach Auffassung des Senats hier der Fall. Der Kläger hatte sich nämlich mit dem bei der Beklagten am 4.11.2005 und damit innerhalb der bis 9.11.2005 laufenden Klagefrist eingegangenen und an das Sozialgericht gerichteten Schreiben vom 3.11.2005 gegen den Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 gewandt und dagegen "Einspruch" erhoben. Das Schreiben stellt damit eine Klageschrift dar. Die Beklagte, die neue Ermittlungen in der Sache grundsätzlich nicht anstellen darf (dazu etwa Meyer-Ladewig, SGG § 91 Rdnr. 5a), muss in verfahrensrechtlicher Hinsicht lediglich durch Auslegung des bei ihr eingegangenen Schreibens (Hk-SGG/Binder, § 91 Rdnr. 4) feststellen, ob eine Klage überhaupt vorliegt, sofern dafür in Zweifelsfällen hinreichend Anlass besteht. Hier war angesichts der Form und des Inhalts sowie der Adressierung des Schreibens vom 3.11.2005 freilich ohne Zweifel von einer Klageschrift auszugehen. Das Schreiben musste deshalb gem. § 91 Abs. 2 SGG ohne weitere Erhebungen oder telefonische Rückfragen unverzüglich dem Gericht zugeleitet werden. Hätte sich sodann - was ersichtlich nicht der Fall war - beim Sozialgericht herausgestellt, dass in Wahrheit eine Klage nicht vorliegt, hätte das Gericht das Schreiben der Beklagten zurückgegeben (Meyer-Ladewig, a. a. O.). Da die Klagefrist damit gem. § 91 Abs. 1 SGG als gewahrt gilt, kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist (§ 67 SGG) zu gewähren wäre.
Die danach zulässige Klage des Klägers war auch begründet. Das Sozialgericht hätte sie nicht abweisen dürfen, weshalb sein Urteil keinen Bestand haben kann. Der Kläger war in der streitigen Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht als selbständig Tätiger versicherungspflichtig.
Gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI (in den für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 geltenden Gesetzesfassungen) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die (a) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 325 EUR (Gesetzesfassung bis 31.12.2002) bzw. 400 EUR (Gesetzesfassung bis 31.12.2003) im Monat übersteigt, und (b) auf Dauer im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Die Beklagte hat gegen die genannte Bestimmung allerdings nicht deshalb verstoßen, weil sie mit den angefochtenen Bescheiden nur einzelne Elemente des Versicherungspflichttatbestands festgestellt hätte (vgl. dazu BSG, Urt. v. 24.11.2005, - B 12 KR 18/04 R -). Sie hat über die Versicherungspflicht des Klägers vielmehr insgesamt entschieden und außerdem die geschuldeten Beiträge festgesetzt (vgl. §§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 169 Nr. 1, 173 SGB VI).
Die Beklagte hat für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aber zu Unrecht das Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Grund selbständiger Erwerbstätigkeit angenommen. Der Kläger hatte seinerzeit, neben der Beschäftigung als Angestellter der Firma R. GmbH, zwar ohne eigene Arbeitnehmer das selbständige Gewerbe des Handelsvertreters ausgeübt, weshalb der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9a SGB VI erfüllt ist. Er war jedoch im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI nicht (auf Dauer und) im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, unbeschadet dessen, dass er nur Produkte der Firma T.-Schuhfabrikation vertrieben hatte. Wegen des seinerzeit noch bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses als Beschäftigter bestand für die Begründung eines weiteren Versicherungspflichtverhältnisses als Selbständiger kein sozialer Schutzbedarf (zur an sich grundsätzlich möglichen Mehrfachversicherung KassKomm-Gürtner, SGB VI § 1 Rdnr. 6).
Der Kläger war ab 1.8.2002 als Handelsvertreter (§ 84 Abs 1 Satz 2 HGB - zur Anknüpfung an die Wertungen des HGB etwa BSG, Urt. v. 22.6.2005, - B 12 KR 28/03 R -) - ohne eigene Arbeitnehmer - selbständig erwerbstätig. Hierüber streiten die Beteiligten zu Recht nicht. Hinsichtlich des im Handelsvertretervertrag mit der Firma T.-Schuhfabrikation vom 19./29.7.2002 näher geregelten Vertriebs von Kinderschuhen war der Kläger von einem Arbeitgeber nicht persönlich abhängig, insbesondere in einen fremden Betrieb nicht eingegliedert, und einem auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung gerichteten Weisungsrecht nicht unterworfen. Vielmehr konnte er über seine Arbeitskraft frei verfügen, seine Tätigkeit und Arbeitszeit frei gestalten. Schließlich trug er ein Unternehmer- und kein für den abhängig Beschäftigten typisches Arbeitsplatzrisiko (vgl. dazu etwa BSG, Urt. v. 25.1.2006, - B 12 KR 30/04 R -; Urt. v. 19.6.2001, - B 12 KR 44/00 R - m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 13.6.2007, - L 5 KR 2782/06 -; vom 25.4.2007, - L 5 KR 2056/06 -, vom 14.2.2007, - L 5 R 3363/06 -, vom 1.2.2006, - L 5 KR 3432/05 - und vom 11.10.2006, - L 5 KR 5117/04).
Der Kläger war in der maßgeblichen Zeit jedoch nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig (§ 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI). Dafür sind folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:
Bei der Auslegung des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI müssen im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber den von dieser Vorschrift erfassten selbstständig Tätigen sozialen, namentlich wirtschaftlichen Schutz durch die gesetzliche Rentenversicherung zukommen lassen will (vgl. BT.-Drs. 14/45 S. 20), vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Daher sind für das - Existenzgründungen erleichternde (vgl. BT.-Drs. 14/1855, S. 6 f.) - Erfordernis der dauerhaften Bindung an einen Auftraggeber nicht nur zeitliche Kriterien maßgeblich, sondern auch branchenspezifische Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftszweiges und ein etwaiges (hinreichend erfolgversprechendes) Unternehmenskonzept des Betroffenen von Belang (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 39). Hinsichtlich des hier im Vordergrund stehenden Erfordernisses, im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig zu sein, ist der Bestand rechtlicher, insbesondere vertraglicher Bindungen nicht allein ausschlaggebend. Es genügt auch eine tatsächliche - wirtschaftliche - Abhängigkeit im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber. (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 41; Boecken, in GK-SGB VI § 2 Rdnr. 201; vgl. auch BT.-Drs. 14/45 S. 20). Für diese Frage ist nicht auf die eingesetzte Arbeitszeit, sondern auf das erzielte Einkommen des Betroffenen abzustellen, da hierin maßgeblich der Grad wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Ausdruck kommt (vgl. Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84; anders Hanau, ZIP 1999, 252, 253). Eine für alle Fallgestaltungen gleichermaßen gültige, zahlenmäßig exakte Festlegung der (einkommensbezogenen) Wesentlichkeitsgrenze des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI ist nicht möglich. Auf jeden Fall muss das Einkommen aus der zu beurteilenden selbständigen Tätigkeit aber deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens ausmachen (so auch Fichte, a. a. O.). Die Spitzenorganisation der Sozialversicherung hat im Gemeinsamen Rundschreiben vom 20.12.1999 (NZA 2000, 190 ff., dort Abt. 3.5.2) nähere Regelungen für die Verwaltungspraxis erlassen. Danach ist von wirtschaftlicher Abhängigkeit im beschriebenen Sinne auszugehen, wenn der Betroffene mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten erzielt. Der Berechnung sind die Bruttoeinkünfte zugrunde zu legen. Diese Festlegungen binden die Gerichte bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI freilich nicht, können allerdings Interpretationshilfen geben.
Nach Auffassung des Senats sind bei der Anwendung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI - soweit dafür auf die Einkünfte des Betroffenen abgestellt wird - die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Denn mit dem Wesentlichkeitsmerkmal soll der Kreis derjenigen Selbständigen festgelegt werden, die nach Auffassung des Gesetzgebers den sozialen Schutz der Rentenversicherung benötigen (zur wirtschaftlichen Lage als Parameter der sozialen Schutzbedürftigkeit auch BSG, Urt. v. 10.5.2006, - B 12 RA 2/05 R - m. w. N. zur Rspr.). Ein solches Schutzbedürfnis ist anzunehmen, wenn die selbständig Tätigen die zur Lebensführung insgesamt erforderlichen Einkünfte im Wesentlichen von einem Auftraggeber beziehen, von diesem also in vergleichbarer Weise wirtschaftlich abhängig sind wie Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber. Das Maß wirtschaftlicher Abhängigkeit und das daran anknüpfende Maß sozialer Schutzbedürftigkeit ist zutreffend aber nur dann zu bestimmen, wenn neben den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit auch etwaige weitere Einkünfte aus (rentenversicherungspflichtigen) abhängigen Beschäftigungen in die Würdigung einbezogen werden. Der Gesetzeswortlaut des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI steht dem nicht entgegen (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 30.6.2004, - L 11 KR 519/04 -, und Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84).
Hiervon ausgehend war der Kläger in der Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI im Wesentlichen für einen Auftraggeber, die Firma T.-Schuhfabrikation, tätig. Seinerzeit übte er noch eine gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Angestellter bei der Firma R. GmbH aus. Sein daraus erzieltes Bruttogehalt betrug im Jahr 2002 32.278 und im Jahr 2003 26.054 EUR. Aus der selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreter erzielte er, wie aus den im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Provisionsabrechnungen hervorgeht, im Jahr 2002 (1.8. bis 31.12.2002) 17.868,55 EUR und im Jahr 2003 19.381,05 EUR (brutto). Für das Jahr 2002 stehen (ab 1.8.2002) monatlichen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit von 3.573,71 EUR (17.868,55 EUR / 5 Monate) monatliche Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung von 2.689 EUR gegenüber. Im Jahr 2003 erzielte der Kläger Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 19.381,05 EUR (brutto) bei einem Bruttoeinkommen aus abhängiger Beschäftigung von 26.054 EUR. Im Jahr 2002 entfällt auf das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit bei auf den Monat bezogener Betrachtungsweise ein Anteil 57 % des Gesamteinkommens; für das Jahr 2003 beträgt die Quote etwa 42 %. Damit macht das aus der Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter für die Firma T.-Schuhfabrikation in der hier streitigen Zeit erzielte Einkommen aber in jedem Fall nicht deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens aus. Hierfür braucht der Senat eine verbindliche Quote nicht abschließend festzulegen und er muss auch über die Maßgeblichkeit der von der Beklagten praktizierten (bei Weitem nicht erreichten) "5/6-Grenze" nicht befinden.
Da die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aus den vorstehenden Erwägungen folgt, kommt es nicht mehr darauf an, ob im vorliegenden Fall eine dauerhafte Tätigkeit für nur einen Auftraggeber i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI anzunehmen wäre; hinsichtlich der Existenzgründungsphase, die nach dem eingangs Gesagten mit diesem Erfordernis unterstützt werden soll, geht die Verwaltungspraxis in Anlehnung an die Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI von einem Zeitraum von 3 Jahren aus (vgl. das Rundschreiben der Spitzenorganisation der Sozialversicherung, NZA 2000, 190, sowie Boecken, in GK-SGB VI § 2 Rdnr. 202). Ebenso ist die Frage einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 a Nr. 1, Abs. 4 SGB VI nicht von Belang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine § 4 Nr. 2 Künstlersozialversicherungsgesetz vergleichbare Regelung enthält das SGB VI nicht. Die hier maßgebliche Rechtsfrage zur Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI bei gleichzeitigem Bezug von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und aus abhängiger Beschäftigung ist in der Rechtsprechung des BSG soweit ersichtlich nicht geklärt. Im Urteil des BSG vom 24.11.2005 (- B 12 KR 18/04 R -), das auf die im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.6.2004 (- L 11 KR 519/04 -) wegen der gleichen Rechtsfrage zugelassene Revision ergangen ist, ist eine Entscheidung hierzu nicht getroffen worden, da die Revision aus anderen Gründen erfolgreich war.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (noch) über das Bestehen von Versicherungspflicht als Selbständiger gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Zeit vom 1.8.2002 bis 13.12.2003.
Der 1957 geborene Kläger war bis 31.12.2003 als Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt; er übte bei der Firma R. GmbH eine Vertretertätigkeit aus (SG-Akte S. 39) und verdiente dabei ausweislich des bei der Beklagten abgespeicherten Versicherungsverlaufs 2002 32.278,00 EUR bzw. 2003 26.054 EUR. Unter dem 15.11.2002 meldete er bei der zuständigen Verwaltungsbehörde (außerdem) zum 1.8.2002 ein Gewerbe als freier Handelsvertreter an (Verwaltungsakte S. 4). Der Kläger hatte am 19./29.7.2002 mit der Firma T.-Schuhfabrikation GmbH, Pirmasens, einen Handelsvertretervertrag geschlossen (Verwaltungsakte S. 14). Darin ist ihm das Alleinvertriebsrecht für die von dem Unternehmen vertriebenen Kinderschuhe in dem in § 2 des Vertrags näher bezeichneten Vertragsgebiet übertragen (§ 1 des Vertrags). Die Übernahme weiterer Handelsvertretungen gleichartiger Produktgruppen war untersagt; die Ausübung von die Vertretertätigkeit möglicherweise beeinflussenden anderen Tätigkeiten war an die Zustimmung des Unternehmens gebunden (§ 3 des Vertrags).
Mit Schreiben vom 28.5.2004 (Verwaltungsakte S. 1) teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe sich zum 1.1.2004 als freier Handelsvertreter selbstständig gemacht. Dem Schreiben war ein Handelsvertretervertrag mit der Firma D. Schuhvertriebs GmbH, C.-R., vom 28.1.2004 (auszugsweise, vollständiger Vertragstext Verwaltungsakte S. 21) beigefügt. Danach übernahm der Kläger als Bezirksvertreter die Vertretung des Unternehmens im Bezirk Baden-Württemberg. Außerdem legte der Kläger die Gewerbeanmeldung vom 15.11.2002 vor.
Mit Schreiben vom 3.6.2004 forderte die Beklagte den Kläger auf, den (ihm übersandten) Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige auszufüllen.
Nachdem der Kläger (auch auf ein Erinnerungsschreiben vom 15.7.2004) nicht geantwortet hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.8.2004 (Verwaltungsakte S. 9) fest, dass der Kläger ab 1.8.2002 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig ist. Dem Bescheid war als dessen Bestandteil eine Beitragsrechnung über die seit 1.8.2002 zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge (223,95 EUR monatlich - halber Regelbeitrag) beigefügt. Außerdem gab die Beklagte dem Kläger auf, für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.8.2004 rückständige Beiträge in Höhe von 5.788,03 EUR zu zahlen.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, den ihm übersandten Fragebogen habe er aus geschäftlichen Gründen nicht fristgerecht ausfüllen können. Die selbstständige Tätigkeit als freier Handelsvertreter im Nebenerwerb habe er seit 1.8.2002 völlig unabhängig von seiner bis 31.12.2003 noch bestehenden abhängigen Beschäftigung ausgeübt. Mittlerweile verfüge er über drei unterschiedliche Handelsvertretungen aus der Schuhbranche, aufgeteilt in Damen-, Herren- und Kinderkollektion. In seiner Branche sei kein Handelsvertreter pflichtversichert; allenfalls würden freiwillige Beiträge gezahlt. Es sei auch keineswegs ungewöhnlich, als Handelsvertreter nur ein Unternehmen zu repräsentieren. Im günstigsten Fall bleibe für weitere Vertretungen keine Zeit, im ungünstigsten Fall könne man zu jeder Zeit mit anderen Unternehmen Vereinbarungen abschließen.
Der Kläger legte den Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige (Verwaltungsakte S. 13) vor. Darin gab er an, bis 31.12.2003 sei er nebenberuflich und seit 1.1.2004 hauptberuflich als selbstständiger Handelsvertreter auf Provisionsbasis tätig. Arbeitnehmer beschäftige er nicht. Er sei nicht nur für einen Auftraggeber tätig und erhalte auf Dauer nicht mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte von einem seiner Auftraggeber. Außerdem legte der Kläger einen unter dem 26.4.2004 abgeschlossenen Handelsvertretervertrag mit der Firma S. A/S, La Cours Vej 6, Ikast, vor (Verwaltungsakte S. 28).
Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger seine Gehaltsabrechnung für 2002 (Verwaltungsakte S. 44: Gesamtbrutto: 33.506,06 EUR, Steuerbrutto: 32.278,94 EUR)) sowie eine Verkaufsaufstellung der Firma T.-Schuhfabrikation GmbH vom 4.11.2002 mit Auftragswerten und Provisionswerten (Verwaltungsakte S. 45: Gesamtprovisionswert: 18.271 EUR) vor.
Mit Schreiben vom 25.11.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach den vorliegenden Unterlagen (Handelsvertreterverträgen) sei von einer Tätigkeit für mehrere Auftraggeber frühestens ab Januar 2004 auszugehen. Der Kläger habe außerdem nicht nachgewiesen, dass er auf Dauer nicht mindestens 5/6 seiner Einkünfte aus der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber beziehe.
Unter dem 8.1.2005 gab der Kläger unter Vorlage des Einkommensteuerbescheids 2002 (Verwaltungsakte S. 54: Einkünfte aus Gewerbebetrieb: -1.887 EUR; Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit: 32.278 EUR) hierzu ergänzend an, seit der Gewerbeanmeldung zum 1.8.2002 habe er bei seiner Tätigkeit als freier Handelsvertreter im Nebenerwerb bis 31.12.2003 nur für einen Auftraggeber gearbeitet. Als Handelsvertreter müsse man sich zunächst am Markt etablieren und Vertrauen gewinnen, bevor man lukrative Vertretungen erhalten könne; es sei völlig abwegig, von Anfang an gleich für mehrere Unternehmen tätig zu sein. Der finanzielle Aufwand für eine selbstständige Vertretung sei enorm, da die Provisionen erst mit Auslieferung der Ware, also etwa sechs bis acht Monate nach dem Verkauf, gutgeschrieben würden. Deshalb sei der schrittweise Aufbau der Handelsvertretung aus einem Angestelltenverhältnis heraus der wirtschaftlich sicherste Weg. Er habe seine selbstständige Handelsvertretung sukzessive aufgebaut und in relativ kurzer Zeit von zunächst einer Vertretung auf drei Unternehmen erweitert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI seien selbstständig Erwerbstätige kraft Gesetzes versicherungspflichtig, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400 EUR übersteige, und wenn sie auf Dauer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig seien. Ein Selbstständiger sei auch dann im Wesentlichen von einem Auftraggeber abhängig, wenn er mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber beziehe. Der Kläger habe Nachweise über die Höhe seiner Einkünfte aus den jeweiligen Auftragsverhältnissen trotz Aufforderung vom 21.10.2004, 25.11.2004 und 31.1.2005 nicht vorgelegt. Daher habe nicht geprüft werden können, ob er im Wesentlichen und auf Dauer für mehr als einen Auftraggeber tätig sei. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger mit einem am 6.10.2005 zur Post gegebenen einfachen Brief bekannt gegeben.
Mit einem bei der Beklagten am 4.11.2005 eingegangenen Schreiben vom 3.11.2005 (SG-Akte S. 11), das an das Sozialgericht Reutlingen gerichtet war, wandte sich der Kläger erneut gegen die Forderungen der Beklagten; er "erhebe Einspruch gegen den zurückgewiesenen Widerspruch vom 6.10.2005". Unter dem 4.11.2005 (SG-Akte S. 5) übersandte die Beklagte dem Kläger eine Eingangsbestätigung; außerdem führte sie aus, wie vom Kläger telefonisch mitgeteilt, solle das Schreiben nicht als Klage, sondern als Überprüfungsantrag gelten. Die telefonisch angekündigten Unterlagen mögen innerhalb von 14 Tagen übersandt werden.
Am 24.11.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen. Er trug vor, im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 4.11.2005 habe er es unterlassen, den Widerspruchsbescheid binnen Monatsfrist anzufechten. Wegen einer offensichtlich falschen Auskunft müsse er so gestellt werden, als sei die Klagefrist gewahrt.
Der Kläger legte Provisionsabrechnungen für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.8.2004 vor. Danach erhielt er von der Firma T.-Schuhfabrikation Provisionen von 17.868,55 EUR (August bis Dezember 2002), 19.381,05 EUR (Januar bis Dezember 2003) und 17.226,20 EUR (Januar bis Mai 2004) und von der Firma D. Schuhvertriebs GmbH 6.787,17 EUR (Januar bis September 2004).
Mit Schriftsatz vom 3.5.2006 (SG-Akte S. 38) erkannte die Beklagte an, dass für die Zeit ab 1.1.2004 keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht. Für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 bleibe es hingegen bei der Versicherungspflicht, weil eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber nicht nachgewiesen sei. Der Kläger nahm das Teilanerkenntnis an. Im Übrigen machte er geltend, während der Zeit ab 1.8.2002 habe er für die Übernahme zusätzlicher Vertretungen neben der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma R. GmbH und der Tätigkeit als freier Handelsvertreter für die Firma T.-Schuhfabrikation keine Zeit mehr gehabt. Er habe sich von vornherein zum Ziel gesetzt, für mehrere Unternehmen als Handelsvertreter zu arbeiten. Er sei nie von einem einzigen Auftraggeber wirtschaftlich abhängig gewesen. Bis zum 31.12.2003 habe er sich über seine versicherungspflichtige Beschäftigung abgesichert. Eine weitere Versicherungspflicht wegen selbstständiger Erwerbstätigkeit sei daher nicht notwendig.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.7.2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, auch während der Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 habe Versicherungspflicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI bestanden. Für die Frage, ob der Kläger nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei, müsse allein auf die selbstständige Erwerbstätigkeit abgestellt werden. Das Versicherungspflichtverhältnis aus der Beschäftigung bei der Firma R. GmbH sei insoweit nicht von Belang. Denn eine Pflichtversicherung als Selbstständiger gem. § 2 SGB VI sei neben der Pflichtversicherung als Arbeitnehmer nach § 1 SGB VI möglich. Außerdem sei die Firma R. seinerzeit Arbeitgeber und nicht Auftraggeber des Klägers i. S. des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI gewesen. Bis zum 31.12.2003 habe der Kläger als selbstständiger Handelsvertreter auch dauerhaft nur für einen Auftraggeber (Firma T.-Schuhfabrikation) gearbeitet. Dauerhaftigkeit liege insoweit vor, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolge, wobei neben zeitlichen auch wirtschaftliche Kriterien zu beachten seien. Maßgeblich sei, dass der Betroffene mindestens 5/6 der gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden selbstständigen Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten beziehe. Nur wenn die selbstständige Tätigkeit, etwa der Auftrag bezüglich eines bestimmten Projekts, im voraus auf einen Zeitraum von weniger als einem Jahr begrenzt sei, stelle sich überhaupt die Frage der Dauerhaftigkeit (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.8.2006, - L 9 R 4947/04 -). Das Auftragsverhältnis des Klägers zur Firma T.-Schuhfabrikation seien nicht im voraus zeitlich begrenzt gewesen. Danach bestehe vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 Versicherungspflicht; die Höhe der Beiträge sei rechtsfehlerfrei festgesetzt worden. Eine etwaige Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI hätte innerhalb von drei Monaten, hier also bis 30.10.2002, beantragt werden müssen; andernfalls sei eine rückwirkende Befreiung ab Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht möglich. Als Befreiungsantrag könne allenfalls das Widerspruchschreiben des Klägers vom 6.9.2004 gewertet werden; zu dieser Zeit habe Versicherungspflicht allerdings bereits nicht mehr bestanden.
Auf den ihm am 19.7.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.8.2007 Berufung eingelegt. Ergänzend trägt er vor, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI seien zwar erfüllt. Die Vorschrift solle nach ihrem Sinn und Zweck für ihn aber nicht gelten. Denn es sollten arbeitnehmerähnliche Selbstständige geschützt werden. Dieses Schutzes bedürfe er nicht, da er seinerzeit neben seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Daraus habe er ein ausreichendes Einkommen erzielt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Um die Befreiungsmöglichkeit des § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI bzw. um das Bestehen von Versicherungspflicht habe er nicht gewusst. Das Sozialgericht habe schließlich auch das Merkmal der Dauerhaftigkeit verkannt. Nach der einschlägigen Kommentarliteratur werde hierauf abgestellt, um Existenzgründungen nicht zu erschweren; neben zeitlichen müssten auch wirtschaftliche Kriterien und branchenspezifische Besonderheiten beachtet werden. Im Übrigen sei ausschlaggebend, ob der Auftragnehmer nach seinem Unternehmenskonzept die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebe und dies nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Erfolg verspreche. Er habe nach seinem Unternehmenskonzept von vornherein Vertragsverhältnisse mit mehreren Auftraggebern erstrebt. Dies sei ab Januar 2004 auch gelungen. Damit könne von dauerhafter Tätigkeit für nur einen Auftraggeber nicht die Rede sein.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.7.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.10.2005, beide in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3.5.2006, auch hinsichtlich des Zeitraums vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit habe der Kläger die abhängige Beschäftigung offenbar deutlich reduziert und auch erheblich geringere Entgelte aus der Beschäftigung erzielt, sodass ein ergänzendes rentenrechtliches Schutzbedürfnis bestanden habe. Von einer von vornherein zeitlich begrenzten Tätigkeit für nur einen Auftraggeber sei nicht auszugehen. Dafür genüge die bloße Absicht, künftig für weitere Auftraggeber arbeiten zu wollen, nicht, wenn diese Absicht erst etwa eineinhalb Jahre später verwirklicht werde.
Der Kläger trägt abschließend vor, er habe seinerzeit schon mit Anmeldung des Gewerbes als selbstständiger Handelsvertreter aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma R. ausscheiden und für diese als selbstständiger Vertreter arbeiten wollen; Sein Arbeitgeber habe dies allerdings nicht gewünscht. Er habe seine Angestelltentätigkeit auch nicht erheblich reduziert (Einkommen 2002: 32.278 EUR; 2003:26.054 EUR).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat gegen den Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 bzw. deren Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 auch im Hinblick auf die Wahrung der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs. 1 SGG) zulässigerweise Klage erhoben; die Wahrung der Klagefrist ist zwar nicht für die Zulässigkeit, wohl aber für die Begründetheit der Berufung von Belang. Die angefochtenen Bescheide sind, soweit sie noch Gegenstand des Verfahrens sind, rechtswidrig. Der Kläger war in der streitigen Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht als selbständig Tätiger versicherungspflichtig; die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind nicht erfüllt.
Die Klage des Klägers war zulässig, insbesondere ist die Klagefrist (§ 87 Abs. 1 SGG) gewahrt. Dem steht nicht entgegen, dass der dem Kläger mit einfachem Brief übersandte Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 gem. § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) als am 9.10.2005, dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (am 6.10.2005), bekanntgegeben gilt und die mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids beginnende einmonatige Klagefrist (§ 89 Abs. 2 SGG) daher bereits verstrichen war, als am 24.11.2005 zur Klageerhebung (§§ 90, 94 SGG) eine Klageschrift beim Sozialgericht einging. Denn die Frist für die Erhebung der Klage gilt gem. § 91 Abs. 1 SGG als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Klagefrist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit (u.a.) bei einem Versicherungsträger eingegangen ist. Das war nach Auffassung des Senats hier der Fall. Der Kläger hatte sich nämlich mit dem bei der Beklagten am 4.11.2005 und damit innerhalb der bis 9.11.2005 laufenden Klagefrist eingegangenen und an das Sozialgericht gerichteten Schreiben vom 3.11.2005 gegen den Widerspruchsbescheid vom 6.10.2005 gewandt und dagegen "Einspruch" erhoben. Das Schreiben stellt damit eine Klageschrift dar. Die Beklagte, die neue Ermittlungen in der Sache grundsätzlich nicht anstellen darf (dazu etwa Meyer-Ladewig, SGG § 91 Rdnr. 5a), muss in verfahrensrechtlicher Hinsicht lediglich durch Auslegung des bei ihr eingegangenen Schreibens (Hk-SGG/Binder, § 91 Rdnr. 4) feststellen, ob eine Klage überhaupt vorliegt, sofern dafür in Zweifelsfällen hinreichend Anlass besteht. Hier war angesichts der Form und des Inhalts sowie der Adressierung des Schreibens vom 3.11.2005 freilich ohne Zweifel von einer Klageschrift auszugehen. Das Schreiben musste deshalb gem. § 91 Abs. 2 SGG ohne weitere Erhebungen oder telefonische Rückfragen unverzüglich dem Gericht zugeleitet werden. Hätte sich sodann - was ersichtlich nicht der Fall war - beim Sozialgericht herausgestellt, dass in Wahrheit eine Klage nicht vorliegt, hätte das Gericht das Schreiben der Beklagten zurückgegeben (Meyer-Ladewig, a. a. O.). Da die Klagefrist damit gem. § 91 Abs. 1 SGG als gewahrt gilt, kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist (§ 67 SGG) zu gewähren wäre.
Die danach zulässige Klage des Klägers war auch begründet. Das Sozialgericht hätte sie nicht abweisen dürfen, weshalb sein Urteil keinen Bestand haben kann. Der Kläger war in der streitigen Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht als selbständig Tätiger versicherungspflichtig.
Gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI (in den für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 geltenden Gesetzesfassungen) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die (a) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 325 EUR (Gesetzesfassung bis 31.12.2002) bzw. 400 EUR (Gesetzesfassung bis 31.12.2003) im Monat übersteigt, und (b) auf Dauer im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Die Beklagte hat gegen die genannte Bestimmung allerdings nicht deshalb verstoßen, weil sie mit den angefochtenen Bescheiden nur einzelne Elemente des Versicherungspflichttatbestands festgestellt hätte (vgl. dazu BSG, Urt. v. 24.11.2005, - B 12 KR 18/04 R -). Sie hat über die Versicherungspflicht des Klägers vielmehr insgesamt entschieden und außerdem die geschuldeten Beiträge festgesetzt (vgl. §§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 169 Nr. 1, 173 SGB VI).
Die Beklagte hat für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aber zu Unrecht das Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Grund selbständiger Erwerbstätigkeit angenommen. Der Kläger hatte seinerzeit, neben der Beschäftigung als Angestellter der Firma R. GmbH, zwar ohne eigene Arbeitnehmer das selbständige Gewerbe des Handelsvertreters ausgeübt, weshalb der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9a SGB VI erfüllt ist. Er war jedoch im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI nicht (auf Dauer und) im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, unbeschadet dessen, dass er nur Produkte der Firma T.-Schuhfabrikation vertrieben hatte. Wegen des seinerzeit noch bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses als Beschäftigter bestand für die Begründung eines weiteren Versicherungspflichtverhältnisses als Selbständiger kein sozialer Schutzbedarf (zur an sich grundsätzlich möglichen Mehrfachversicherung KassKomm-Gürtner, SGB VI § 1 Rdnr. 6).
Der Kläger war ab 1.8.2002 als Handelsvertreter (§ 84 Abs 1 Satz 2 HGB - zur Anknüpfung an die Wertungen des HGB etwa BSG, Urt. v. 22.6.2005, - B 12 KR 28/03 R -) - ohne eigene Arbeitnehmer - selbständig erwerbstätig. Hierüber streiten die Beteiligten zu Recht nicht. Hinsichtlich des im Handelsvertretervertrag mit der Firma T.-Schuhfabrikation vom 19./29.7.2002 näher geregelten Vertriebs von Kinderschuhen war der Kläger von einem Arbeitgeber nicht persönlich abhängig, insbesondere in einen fremden Betrieb nicht eingegliedert, und einem auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung gerichteten Weisungsrecht nicht unterworfen. Vielmehr konnte er über seine Arbeitskraft frei verfügen, seine Tätigkeit und Arbeitszeit frei gestalten. Schließlich trug er ein Unternehmer- und kein für den abhängig Beschäftigten typisches Arbeitsplatzrisiko (vgl. dazu etwa BSG, Urt. v. 25.1.2006, - B 12 KR 30/04 R -; Urt. v. 19.6.2001, - B 12 KR 44/00 R - m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 13.6.2007, - L 5 KR 2782/06 -; vom 25.4.2007, - L 5 KR 2056/06 -, vom 14.2.2007, - L 5 R 3363/06 -, vom 1.2.2006, - L 5 KR 3432/05 - und vom 11.10.2006, - L 5 KR 5117/04).
Der Kläger war in der maßgeblichen Zeit jedoch nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig (§ 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI). Dafür sind folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:
Bei der Auslegung des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI müssen im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber den von dieser Vorschrift erfassten selbstständig Tätigen sozialen, namentlich wirtschaftlichen Schutz durch die gesetzliche Rentenversicherung zukommen lassen will (vgl. BT.-Drs. 14/45 S. 20), vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Daher sind für das - Existenzgründungen erleichternde (vgl. BT.-Drs. 14/1855, S. 6 f.) - Erfordernis der dauerhaften Bindung an einen Auftraggeber nicht nur zeitliche Kriterien maßgeblich, sondern auch branchenspezifische Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftszweiges und ein etwaiges (hinreichend erfolgversprechendes) Unternehmenskonzept des Betroffenen von Belang (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 39). Hinsichtlich des hier im Vordergrund stehenden Erfordernisses, im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig zu sein, ist der Bestand rechtlicher, insbesondere vertraglicher Bindungen nicht allein ausschlaggebend. Es genügt auch eine tatsächliche - wirtschaftliche - Abhängigkeit im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber. (KassKomm-Gürtner, SGB VI § 2 Rdnr. 41; Boecken, in GK-SGB VI § 2 Rdnr. 201; vgl. auch BT.-Drs. 14/45 S. 20). Für diese Frage ist nicht auf die eingesetzte Arbeitszeit, sondern auf das erzielte Einkommen des Betroffenen abzustellen, da hierin maßgeblich der Grad wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Ausdruck kommt (vgl. Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84; anders Hanau, ZIP 1999, 252, 253). Eine für alle Fallgestaltungen gleichermaßen gültige, zahlenmäßig exakte Festlegung der (einkommensbezogenen) Wesentlichkeitsgrenze des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI ist nicht möglich. Auf jeden Fall muss das Einkommen aus der zu beurteilenden selbständigen Tätigkeit aber deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens ausmachen (so auch Fichte, a. a. O.). Die Spitzenorganisation der Sozialversicherung hat im Gemeinsamen Rundschreiben vom 20.12.1999 (NZA 2000, 190 ff., dort Abt. 3.5.2) nähere Regelungen für die Verwaltungspraxis erlassen. Danach ist von wirtschaftlicher Abhängigkeit im beschriebenen Sinne auszugehen, wenn der Betroffene mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten erzielt. Der Berechnung sind die Bruttoeinkünfte zugrunde zu legen. Diese Festlegungen binden die Gerichte bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI freilich nicht, können allerdings Interpretationshilfen geben.
Nach Auffassung des Senats sind bei der Anwendung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI - soweit dafür auf die Einkünfte des Betroffenen abgestellt wird - die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Denn mit dem Wesentlichkeitsmerkmal soll der Kreis derjenigen Selbständigen festgelegt werden, die nach Auffassung des Gesetzgebers den sozialen Schutz der Rentenversicherung benötigen (zur wirtschaftlichen Lage als Parameter der sozialen Schutzbedürftigkeit auch BSG, Urt. v. 10.5.2006, - B 12 RA 2/05 R - m. w. N. zur Rspr.). Ein solches Schutzbedürfnis ist anzunehmen, wenn die selbständig Tätigen die zur Lebensführung insgesamt erforderlichen Einkünfte im Wesentlichen von einem Auftraggeber beziehen, von diesem also in vergleichbarer Weise wirtschaftlich abhängig sind wie Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber. Das Maß wirtschaftlicher Abhängigkeit und das daran anknüpfende Maß sozialer Schutzbedürftigkeit ist zutreffend aber nur dann zu bestimmen, wenn neben den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit auch etwaige weitere Einkünfte aus (rentenversicherungspflichtigen) abhängigen Beschäftigungen in die Würdigung einbezogen werden. Der Gesetzeswortlaut des § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI steht dem nicht entgegen (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 30.6.2004, - L 11 KR 519/04 -, und Fichte, in Hauck/Noftz, SGB VI § 2 Rndr. 84).
Hiervon ausgehend war der Kläger in der Zeit vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 nicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI im Wesentlichen für einen Auftraggeber, die Firma T.-Schuhfabrikation, tätig. Seinerzeit übte er noch eine gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Angestellter bei der Firma R. GmbH aus. Sein daraus erzieltes Bruttogehalt betrug im Jahr 2002 32.278 und im Jahr 2003 26.054 EUR. Aus der selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreter erzielte er, wie aus den im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Provisionsabrechnungen hervorgeht, im Jahr 2002 (1.8. bis 31.12.2002) 17.868,55 EUR und im Jahr 2003 19.381,05 EUR (brutto). Für das Jahr 2002 stehen (ab 1.8.2002) monatlichen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit von 3.573,71 EUR (17.868,55 EUR / 5 Monate) monatliche Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung von 2.689 EUR gegenüber. Im Jahr 2003 erzielte der Kläger Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 19.381,05 EUR (brutto) bei einem Bruttoeinkommen aus abhängiger Beschäftigung von 26.054 EUR. Im Jahr 2002 entfällt auf das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit bei auf den Monat bezogener Betrachtungsweise ein Anteil 57 % des Gesamteinkommens; für das Jahr 2003 beträgt die Quote etwa 42 %. Damit macht das aus der Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter für die Firma T.-Schuhfabrikation in der hier streitigen Zeit erzielte Einkommen aber in jedem Fall nicht deutlich mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens aus. Hierfür braucht der Senat eine verbindliche Quote nicht abschließend festzulegen und er muss auch über die Maßgeblichkeit der von der Beklagten praktizierten (bei Weitem nicht erreichten) "5/6-Grenze" nicht befinden.
Da die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aus den vorstehenden Erwägungen folgt, kommt es nicht mehr darauf an, ob im vorliegenden Fall eine dauerhafte Tätigkeit für nur einen Auftraggeber i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI anzunehmen wäre; hinsichtlich der Existenzgründungsphase, die nach dem eingangs Gesagten mit diesem Erfordernis unterstützt werden soll, geht die Verwaltungspraxis in Anlehnung an die Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI von einem Zeitraum von 3 Jahren aus (vgl. das Rundschreiben der Spitzenorganisation der Sozialversicherung, NZA 2000, 190, sowie Boecken, in GK-SGB VI § 2 Rdnr. 202). Ebenso ist die Frage einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 a Nr. 1, Abs. 4 SGB VI nicht von Belang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine § 4 Nr. 2 Künstlersozialversicherungsgesetz vergleichbare Regelung enthält das SGB VI nicht. Die hier maßgebliche Rechtsfrage zur Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI bei gleichzeitigem Bezug von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und aus abhängiger Beschäftigung ist in der Rechtsprechung des BSG soweit ersichtlich nicht geklärt. Im Urteil des BSG vom 24.11.2005 (- B 12 KR 18/04 R -), das auf die im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30.6.2004 (- L 11 KR 519/04 -) wegen der gleichen Rechtsfrage zugelassene Revision ergangen ist, ist eine Entscheidung hierzu nicht getroffen worden, da die Revision aus anderen Gründen erfolgreich war.
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