L 13 AL 4947/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 1898/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 4947/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. September 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt einen Gründungszuschuss.

Nachdem der 1965 geborene Kläger von August 1995 bis Oktober 1998 als Maschinenführer abhängig beschäftigt war, bezog er ab November 1998 bis zur Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. April 2000 Unterhaltsgeld, Anschlussunterhaltsgeld und anschließend Arbeitslosenhilfe bis zum 30. September 2000. In der Zeit vom 1. Oktober 2000 bis zum 15. Februar 2002 (Gewerbeabmeldung) war er als selbständiger Investmentberater tätig, meldete sich ab 29. Januar 2002 erneut arbeitslos und bezog vom 29. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2004 Arbeitslosenhilfe. Anschließend war er - nach den Angaben in seinem Lebenslauf bereits ab 2003 - als selbständiger Agenturinhaber für den D. R. tätig.

Vom 1. Dezember 2005 bis zum 30. November 2006 war er bei der D. nochmals abhängig beschäftigt. Das befristete Arbeitsverhältnis wurde am 22. November 2006 zum 30. November 2006 beendet. Der Kläger meldete sich am 1. Dezember 2006 arbeitsuchend und arbeitslos. Weiterhin beantragte er die Gewährung von Alg. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 wurde dem Kläger ab dem 1. Dezember 2006 Alg für die Dauer von 180 Tagen gewährt. Mit Bescheid vom gleichen Tag stellte die Beklagte wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung eine Sperrzeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 7. Dezember 2006 fest und teilte mit, dass sich der Anspruch auf Alg hierdurch um sieben Tage mindere.

Am 12. Februar 2007 beantragte der Kläger im Hinblick auf die zum 1. März 2007 beabsichtigte Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Versicherungsvertreter bei der Beklagten die Gewährung eines Gründungszuschusses nach § 57 SGB III. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. März 2007 ab und führte aus, der Kläger habe bei Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit am 1. März 2007 nur noch einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 89 Tagen gehabt. Hiergegen legte der Kläger am 12. März 2007 Widerspruch ein und trug vor, er habe seinen Antrag bereits am 12. Februar 2007 gestellt und in der Folge mehrfach mit der zuständigen Sachbearbeiterin darüber gesprochen. Der Gründungszuschuss sei für ihn und seine Familie bzw. seine selbständige Tätigkeit von existentiellem Wert. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, dass der Kläger über die Voraussetzungen des § 57 SGB III durch ein Merkblatt vorab informiert worden sei. Im Hinblick darauf, dass bereits die erforderliche Restanspruchsdauer des Alg nicht gegeben gewesen sei, sei auch die Einholung einer Stellungnahme der IHK hinfällig gewesen.

Der Kläger hat sein Begehren weiterverfolgt, am 29. Mai 2007 Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben und geltend gemacht, er habe zuletzt am 27. Februar 2007 bei der AA in M. vorgesprochen und sei zur IHK geschickt worden. Bei der IHK habe ein Gespräch stattgefunden und die Unterlagen für den Gründungszuschuss seien als sehr gut befunden worden. Daraufhin habe er beim Gewerbeamt vorgesprochen und entsprechend einer Empfehlung das Gewerbe zum 1. März 2007 angemeldet. Er gehe somit davon aus, dass er hinsichtlich des Beginns seiner selbständigen Tätigkeit von der Beklagten falsch belehrt worden sei. Die Beklagte hat vorgetragen, auf die Einholung der Stellungnahme der IHK sei verzichtet worden, da bereits ein gesetzlicher Versagungsgrund vorgelegen habe. Ergänzend hat die Beklagte nochmals darauf hingewiesen, dass dem Kläger das entsprechende Merkblatt ausgehändigt worden sei, aus dem sich ergebe, dass der Anspruch auf den Gründungszuschuss voraussetze, dass bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch ein Restanspruch auf Alg von mindestens 90-tägiger Dauer bestehe.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. September 2007 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2007 verurteilt, dem Kläger ab dem 1. März 2007 einen Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, wenn die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid auf § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III stütze, sei dies rechtsmissbräuchlich. Es treffe zwar zu, dass der Gründungszuschuss nur dann geleistet werde, wenn der Arbeitnehmer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Alg von mindestens 90 Tagen verfüge. Da der Beklagten jedoch insoweit ein Beratungsfehler anzulasten sei, stehe der Umstand, dass der Kläger am 1. März 2007 bei Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit nur noch über einen Restanspruch auf Alg von 89-tägiger Dauer verfügte, dem Anspruch ausnahmsweise nicht entgegen. Die aktenkundigen Beratungsvermerke belegten, dass der Kläger erstmals am 12. Februar 2007 mit der zuständigen Arbeitsagentur Kontakt aufgenommen und mitgeteilt habe, dass er einen Gründungszuschuss beantragen wolle. In dem von ihm am 20. Februar 2007 unterzeichneten Antragsvordruck habe der Kläger sodann als Beginn der selbständigen Tätigkeit den 1. März 2007 angegeben. Die Beratungsvermerke belegten, dass der Kläger diesen Antrag sodann am 27. Februar 2007 auf der Arbeitsagentur abgegeben habe und dabei auch eine Erörterung der Angelegenheit stattgefunden habe. Sodann sei durch die zuständige Sachbearbeiterin wohl am 28. Februar 2007 festgestellt worden, dass am 1. Februar 2007 die Mindestanspruchsdauer des Alg von 90 Tagen nicht mehr gegeben gewesen sei. Daraufhin sei der Ablehnungsbescheid ergangen. Es sei Sache der Beklagten gewesen, zeitnah im Zusammenhang mit der Antragstellung (12. Februar 2007) die "versicherungsrechtlichen" Anspruchsvoraussetzungen des Gründungszuschusses zu überprüfen und den Kläger ggf. darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch nur dann bestehe, wenn er seine selbständige Tätigkeit spätestens am 28. Februar 2007 aufnehmen würde. Dies hätte sich der Beklagten ohne weiteres aufdrängen müssen. Alleine der Umstand, dass der Kläger ein entsprechendes Merkblatt erhalten habe, in dem die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erläutert würden, entbinde die Beklagte von ihren Beratungspflichten nicht. Im Übrigen wäre es spätestens bei der persönlichen Beratung des Klägers am 27. Februar 2007 geboten gewesen, den erforderlichen Hinweis zu erteilen. Dieses - persönliche - Gespräch habe um 11.49 Uhr stattgefunden. Wenn der Kläger seinerzeit darauf hingewiesen worden wäre, dass er die selbständige Tätigkeit spätestens am Folgetag aufnehmen müsse, wäre es für den Kläger sicher noch möglich gewesen, die entsprechende Gewerbeanmeldung rechtzeitig sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund sei es der Beklagten verwehrt, dem Anspruch des Klägers den Einwand entgegenzusetzen, er habe seine selbständige Tätigkeit um einen Tag verspätet aufgenommen. Aus dem auch im Sozialrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) folge nämlich, dass es rechtsmissbräuchlich sei, eine Sozialleistung aus Gründen zu verweigern, die in wesentlicher Weise auf einem eigenen Fehlverhalten der Sozialbehörde beruhten. Aus demselben Grund stehe dem Anspruch des Klägers auch nicht entgegen, dass eine positive Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung nicht vorliege. Die Ermittlungen des Gerichtes hätten nämlich ergeben, dass die Sachverhaltsschilderung des Klägers hierzu zutreffe. Da die Beklagte die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen insoweit dadurch vereitelt habe, dass sie unzutreffender Weise keine Veranlassung gesehen habe, eine Stellungnahme bei der IHK anzufordern, könne dies nun nicht zu Lasten des Klägers gehen. Zudem habe die Beklagte auch im Laufe des Gerichtsverfahrens keinerlei Zweifel an der Tragfähigkeit der Existenzgründung angemeldet. Vor diesem Hintergrund sehe das Gericht keine Veranlassung, diesen Umstand von Amts wegen weiter aufzuklären. Insgesamt ergebe sich daher, dass die Klage erfolgreich sei. Daher sei die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Regelanspruchsdauer von 90 Tagen den Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers werde die Beklagte zudem zu entscheiden haben, ob der Kläger den Gründungszuschuss für weitere sechs Monate beanspruchen könne.

Gegen diesen ihr am 17. September 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 15. Oktober 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und im Wesentlichen ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht vorlägen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. September 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend und wiederholt im Wesentlichen sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend macht er geltend, dass er im Vertrauen auf den Gründungszuschuss die selbständige Tätigkeit aufgenommen und Investitionen getätigt habe. Nach sechs Monaten habe er aufgeben und sich wieder arbeitsuchend melden müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der SG-Akte und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das SG hätte die Beklagte nicht verurteilen dürfen, dem Kläger einen Gründungszuschuss ab dem 1. März 2007 zu gewähren. Der vom Kläger mit der Klage angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf den von ihm mit der Klage begehrten Gründungszuschuss.

Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, haben zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss (§ 57 Abs. 1 SGB III). Der Gründungszuschuss wird nach § 57 Abs. 2 SGB III u. a. geleistet, wenn der Arbeitnehmer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Alg von mindestens 90 Tagen verfügt (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III). Letzteres war bereits zum frühesten Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit des Klägers am 1. März 2007 nicht mehr der Fall. Denn die Beklagte hatte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 ab 1. Dezember 2006 Alg nach einer vorangegangenen genau einjährigen versicherungspflichtigen Beschäftigung zutreffend - ein Restanspruch aus einem früheren Anspruch bestand nicht mehr - für die Dauer von 180 Tagen bewilligt. Weiterhin hatte sie mit bindendem Bescheid vom 13. Dezember 2006 eine einwöchige Sperrzeit festgestellt, wodurch sich die Anspruchsdauer um 7 Tage auf 173 minderte. Damit hätte der Kläger bis zum 22. Mai 2007 Anspruch auf Alg gehabt. Am 1. März 2007 hatte er dementsprechend nur noch einen Anspruch auf Alg für die Dauer von 82 Tage (ohne Sperrzeit 89 Tage).

Das Gewerbe des Klägers wurde von ihm zum 1. März 2007 angemeldet und konnte schon deswegen, unabhängig davon, ab wann er tatsächlich hauptberuflich selbständig tätig geworden ist, jedenfalls nicht früher aufgenommen werden. Der tatsächliche Umstand der Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit kann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs dahingehend ersetzt werden, als habe er sich bereits am 21. Februar 2007 (bzw. 28. Februar 2007) ereignet. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist geklärt, dass für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum verbleibt, wenn ein eingetretener Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (BSG SozR 3-8825 § 2 Nr. 3; BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4; SozR 4-2600 § 58 Nr. 3 m.w.N.). Dementsprechend können insbesondere tatsächliche Gegebenheiten nicht mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus der Welt bzw. in die Welt geschafft werden (vgl. auch BSG SozR 3-4100 § 125 Nr. 1 m.w.N.). Auch wenn eine Fehlberatung der Beklagten vorliegen würde und diese zudem kausal für das Fehlen des Anspruchs auf den begehrten Gründungszuschuss wäre, wäre damit eine Korrektur im Wege des Herstellungsanspruchs hier schon deshalb nicht möglich, weil eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen, denen gestaltende Entscheidungen des Antragstellers zugrunde liegen, auf ein gesetzwidriges Handeln des Leistungsträgers hinauslaufen würde (vgl. BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4; BSG SozR 4-4300 § 137 Nr. 1; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 – B 11a AL 15/05 R –). Entsprechendes gilt für den Grundsatz von Treu und Glauben. Auch dieser kann die Verwaltung nicht aus ihrer Bindung an das Gesetz lösen, wonach sie gesetzlich geregelte Leistungen nicht gewähren darf, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Dementsprechend steht selbst einem durch schuldhafte Amtspflichtverletzung geschädigten Bürger lediglich ein auf Schadensersatz gerichteter Amtshaftungsanspruch zu und kein Anspruch auf Abhilfe in Form eines - weiteren - gesetzwidrigen Handelns der Behörde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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