L 7 AS 4178/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2380/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4178/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Juli 2008 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) eingelegten Beschwerden der Antragsteller sind zulässig. Dies gilt nicht nur für das Rechtsmittel der Antragstellerin zu 1, sondern auch für das des Antragstellers zu 2, dessen Ansprüche die Antragstellerin zu 1 als dessen gesetzliche Vertreterin sinngemäß im Beschwerdeverfahren und ebenso bereits erstinstanzlich geltend gemacht hat (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 22 Nr. 1; BSG, Urteil vom 19. März 2008 - B 11b AS 41/06 R - juris). Der Antragsteller zu 2 ist deshalb durch den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 29. Juli 2008 ebenfalls beschwert. Die Beschwerden sind jedoch nicht begründet; das SG hat im angefochtenen Beschluss den begehrten vorläufigen Rechtsschutz im Ergebnis zu Recht angelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Abs. 4 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927; zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - a.a.O. und vom 17. August 2005 - a.a.O.).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Das Beschwerdebegehren ist allerdings auslegungsbedürftig. Mit Blick auf die Anträge in der Beschwerdeschrift vom 20. August 2008 geht der Senat davon aus, das die Antragsteller für die Zeit des im Bescheid vom 26. Juni 2008 geregelten Bewilligungsabschnitts (Juli bis Dezember 2008) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) begehren. Die Antragstellerin zu 1 verlangt hierbei in ihrer Person, dass auf der Bedarfsseite - außer der bewilligten Mehrbedarfsleistung wegen Alleinerziehung (§ 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II) - die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II (i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2008 (BGBl. I S. 1102)) sowie der auf sie entfallende Anteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II; vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 55/06 R - juris) berücksichtigt werden soll; beide Antragsteller machen ferner geltend, dass der nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) an den Antragsteller zu 2 zu zahlende, aber nach Aktenlage bislang vom Jugendamt der Stadt Mannheim nicht geleistete Unterhaltsvorschuss bei der Leistungsberechnung der Mitglieder nicht zur Anrechnung gebracht werde. Darüber hinaus möchte die Antragstellerin zu 1 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin Umgangskosten für ihre drei älteren, nicht bei ihr lebenden Kinder für Zeiträume von September 2006 bis Januar 2008 gewährt haben. Mit den - wie dargestellt - auszulegenden Ansprüchen vermögen die Antragsteller im vorliegenden Verfahren indessen nicht durchzudringen.

a) Das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zu 1 auf Übernahme der Umgangskosten, zu deren Gewährung sie sich auf den am 10. Januar 2008 vor dem SG im Verfahren S 3 AS 1378/07 geschlossenen gerichtlichen Vergleich beruft, ist unzulässig. Denn dieses Begehren war bereits Gegenstand des Verfahrens auf eine einstweilige Anordnung beim SG (S 4 AS 1119/08 ER), welches mit dem rechtskräftig gewordenen Beschluss vom 29. April 2008 abgelehnt worden ist. Da eine Änderung der Sach- und Rechtslage in der Folgezeit nicht eingetreten ist, steht die Rechtskraft dieser Entscheidung dem neuerlichen Antrag der Antragstellerin zu 1 entgegen (vgl. hierzu Bundesfinanzhof BFHE 166, 114; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 45a m.w.N.).

b) Das einstweilige Verlangen der Antragstellerin zu 1 auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II scheitert bereits an der Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II und damit am Anordnungsanspruch. Nach der Bestimmung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass die Vorschrift allein auf die abstrakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung, also nicht auf die konkrete Förderungsfähigkeit der Person, abstellt (vgl. BSG, Urteile vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R und B 14/7b AS 36/06 R - (juris); ferner BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 28/07 R - (bislang lediglich im Terminbericht Nr. 48/08 vorliegend)). Dass die Antragstellerin zu 1 (geb. 1. Juni 1973) bezüglich ihres Studiums der Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie der Ethik und Kulturphilosophie an der Universität Mannheim wegen der Altersgrenzenregelung in § 10 BAföG möglicherweise keine Leistungen nach diesem Gesetz erhalten kann, ist sonach unerheblich. Ein Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II (i.V.m. § 2 Abs. 1a BAföG) liegt bei ihr nicht vor. Ferner sind die Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung nicht gegeben. Erforderlich sind insoweit besondere Umstände des Einzelfalls, die es auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen lassen, dem Hilfebedürftigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verweigern (vgl. BSG, Urteile vom 6. September 2007 a.a.O.). Derartige Umstände sind beim derzeitigen Erkenntnisstand unter Berücksichtigung auch der Angaben der Antragstellerin zu 1 nicht ersichtlich. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II kann etwa darin liegen, dass wegen einer Ausbildung ein Hilfebedarf für den Lebensunterhalt entstanden ist, der durch die Ausbildungsförderung nicht gedeckt werden kann und deswegen konkret zu befürchten ist, dass die kurz vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet und daher zukünftig Erwerbslosigkeit mit weiterer Hilfebedürftigkeit eintreten werde (BSG a.a.O.). Ein solcher Fall einer bereits fortgeschrittenen und bisher kontinuierlichen betriebenen Ausbildung, deren Abbruch droht, liegt hier jedoch nicht vor; vielmehr hat die Antragstellerin zu 1 ihr Studium erst zum Wintersemester 2007/2008 aufgenommen. Auch ist nicht erkennbar, dass dieses Studium ihre einzige Chance, Zugang zum Erwerbsleben zu erhalten, darstellt (vgl. nochmals BSG a.a.O.); objektiv belegbare Umstände, die solches begründen könnten, hat die Antragstellerin zu 1 jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Schließlich ergibt sich eine besondere Härte auch nicht daraus, dass sie alleinerziehende Mutter ist. Zunächst gefährdete die Aufnahme und Fortsetzung des Studiums offensichtlich nicht die Erziehung ihres am 8. Juni 2005 geborenen Sohnes Hannes, des Antragstellers zu 2 (vgl. hierzu auch § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II); im Gegenteil ist aus den von der Antragstellerin zu 1 mit Schreiben vom 8. September 2008 vorgelegten Unterlagen ersichtlich, dass die für den Zeitraum vom 12. Januar bis 7. Februar 2009 in der Redaktion des SWR 4 - Kurpfalz Radio - avisierte Hospitanz in Vollzeit durchgeführt werden soll. Des Weiteren dürfte eine Verzögerung des Ausbildungsbeginns wegen der Kindererziehung im Rahmen der persönlichen Förderungsfähigkeit der Antragstellerin zu 1 nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG zu berücksichtigen sein; eine derartige Ausbildungsverzögerung kann somit regelmäßig nicht über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeglichen werden. Objektive Anhaltspunkte für ein seitens der Antragsgegnerin gewecktes Vertrauen auf eine dauerhafte Sicherung des Bedarfs während des Studiums der Antragstellerin zu 1 (vgl. hierzu ebenfalls BSG a.a.O.) liegen gleichfalls nicht vor; diese wurde von der Antragsgegnerin schon frühzeitig (vgl. Schriftsatz vom 15. April 2008 im Verfahren S 4 AS 1119/08 ER) darüber informiert, dass mit Ablauf des Monats Juni 2008 wegen der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinsichtlich aller Leistungen des ausbildungsgeprägten Bedarfs auch ein Darlehen nicht mehr in Betracht komme. Aus all dem ergibt sich, dass die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren auch einen (vorläufigen) Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht durchzusetzen vermag; denn hierfür wäre Voraussetzung, dass sie Bundesausbildungsbeihilfe nach dem BAföG bezöge (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R -), was bei ihr indes nach Aktenlage nicht der Fall ist.

c) Für das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zu 2 fehlt es ebenfalls an den Anordnungsvoraussetzungen, und zwar zumindest am Anordnungsgrund. Bei den von ihm zwischenzeitlich beantragten Unterhaltsvorschuss nach dem UVG dürfte es sich um eine im Sinne des § 5 Abs. 1 SGB II vorrangige Sozialleistung handeln. Den Unterhaltsvorschuss hat der Antragsteller zu 2 zwar zwischenzeitlich auch beim Jugendamt beantragt, jedoch einen Ablehnungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung erhalten. Im Rahmen seiner Pflicht zur Selbsthilfe (vgl. hierzu Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 9 Rdnrn. 17 ff.) ist es ihm indes abzuverlangen, dass er seinen Mitwirkungspflichten (§ 60 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) im gesetzlich vorgesehenen Umfang nachkommt. Dass er dies in ausreichendem Maß getan hat oder dass er, sofern er meinen sollte, dass die vom Jugendamt verlangte Mitwirkung nicht rechtmäßig war, ggf. gerichtliche Schritte etwa in Form eines Eilantrags beim Verwaltungsgericht unternommen hat, lässt sich dem Vorbringen der Antragstellerin zu 2, seiner Mutter, indes nicht entnehmen. Damit ist aber eine Dringlichkeit für das vorliegende Verfahren ebenfalls nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Aus den oben genannten Gründen hat auch das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers keinen Erfolg (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung), weshalb es auf die weiteren Bewilligungsvoraussetzungen nicht mehr ankommt.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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