L 6 SB 2092/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 6156/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2092/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.

Der 1961 geborene Kläger beantragte am 13. Mai 2004 beim damals zuständigen Versorgungsamt S. (VA) wegen Kniebeschwerden, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, einem Zustand nach einer Handoperation sowie Depression die Feststellung seines GdB. Das VA holte Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. St., Dr. D. und Dr. L. ein und zog Arztbriefe von Dr. R. und Dr. St. bei. Mit Bescheid vom 18. April 2005 stellte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Landratsamt E. beim Kläger einen GdB von 40 seit 13. Mai 2004 wegen nachfolgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: 1. Funktionelle Organbeschwerden, depressive Verstimmung, 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, chronisches Schmerzsyndrom, 3. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke. Dem lag die vorsorgungsärztliche Stellungnahme des Arztes H. vom 13. April 2005 zu Grunde, der die Funktionsbeeinträchtigungen Nr. 1 und 2 mit einem Teil-GdB von jeweils 30 und die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 3 mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hatte.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 23. Mai 2005. Er trug vor, seine Depression, die Wirbelsäulenbeschwerden sowie die beidseitigen Kniebeschwerden seien mit einem Teil-GdB von jeweils 40 zu bewerten. Für das Schmerzsyndrom sei ein Teil-GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Der Gesamt-GdB liege bei 50. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2005 wies das Regierungspräsidium S. (RP), gestützt auf die ergänzende versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. R. vom 28. Juli 2005, den Widerspruch des Klägers zurück. Die depressive Verstimmung sei mit einem GdB von 30 großzügig bewertet. Das Wirbelsäulenleiden sei unter Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms mit einem GdB von 30 ausreichend eingestuft. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen könnten keinen höheren GdB als 40 begründen. Hiergegen erhob der Kläger am 21. September 2005 beim Sozialgericht S. (SG) Klage. Die Depression sowie die Wirbelsäulenbeschwerden nebst Schmerzsyndrom seien mit einem Teil-GdB von jeweils 40, die Kniebeschwerden mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten.

Das beklagte Land Baden-Württemberg trat der Klage entgegen. Es legte die ergänzenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 28. August 2006, 20. Februar 2007 und 8. Februar 2008 vor. In der zuletzt genannten Stellungnahme widersprach Dr. W. der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie der Bewertung der Beschwerden auf dem psychiatrischen Fachgebiet mit einem GdB von 40.

Das SG holte die sachverständigen Zeugenaussagen des Facharztes für Orthopädie Dr. V., des Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und psychotherapeutische Medizin Dr. St., des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R., des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L. und der Ärztin für HNO-Heilkunde Dr. C. ein. Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG den Arzt für Psychiatrie im Zentrum für Psychiatrie Münsterklinik Zwiefalten Dr. V. mit der Erstattung des Gutachtens vom 12. November 2007. Dr. V. diagnostizierte eine Anpassungsstörung auf dem Boden einer durchgemachten posttraumatischen Belastungsstörung nach lang andauerndem Mobbing und in der Folge eines sozialen Abstiegs nach Verlust des Arbeitsplatzes sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die er mit einem GdB von mindestens 40 bewertete.

Mit Urteil vom 27. Februar 2008 wies das SG die Klage ab. Der Kläger leide an einer Anpassungsstörung und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Inwieweit die Voraussetzungen für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt seien, könne dahinstehen, da allein die aus der Erkrankung resultierenden Beeinträchtigungen entscheidungserheblich seien. Die psychische Erkrankung einschließlich der somatoformen Schmerzstörung sei mit einem GdB von 30 zu bewerten. Zwar lägen beim Kläger wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Diese seien jedoch nicht so erheblich, als dass die Störung eine Tendenz zu einer schweren Störung aufweise. Nach der Einschätzung des sachverständigen Zeugen Dr. St. habe keine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorgelegen. Gemäß der Aussage des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. R. habe der Kläger unter rezidivierenden reaktiven depressiven Stimmungsschwankungen mit depressiver Stimmungslabilität, affektiver Reizbarkeit, Unruhe, Ein- und Durchschlafstörungen gelitten. Es habe sich aber nur um vorübergehende Einschränkungen gehandelt. Dauerhafte Einschränkungen habe er nicht gesehen. Den vom versorgungsärztlichen Dienst anerkannten GdB von 30 habe Dr. R. als eher hoch bewertet eingeschätzt. Dr. V. sei in seinem Gutachten ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass sich die Depression wesentlich gebessert habe. Nach den von ihm erhobenen Befunden hätten zum Gutachtenszeitpunkt allerdings noch wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestanden, so dass trotz der Stellungnahme der behandelnden Ärzte Dr. St. und Dr. R. vom durchgehenden Vorliegen wesentlicher Einschränkungen ausgegangen werde. Allerdings rechtfertigten diese nicht die Zuerkennung eines GdB von 40. In der Begutachtungssituation hätten sich keine Störungen der Aufmerksamkeit, der Konzentrationsfähigkeit oder der allgemeinen Auffassungsgabe gezeigt. Hinweise auf eine schwere psychiatrische Störung hätten sich nicht gefunden. Aufgrund der somatoformen Schmerzstörung sei der Kläger insoweit beeinträchtigt, als er unter Schulter-, Knie- und Kopfschmerzen leide. Es sei auch ein sozialer Rückzug feststellbar. Dieser beruhe allerdings nur teilweise auf der psychischen Erkrankung, teilweise stünden auch finanzielle Probleme und andere äußere Umstände dahinter. Es bestehe eine volle Integration innerhalb der Familie. Ein erheblicher sozialer Rückzug sei nicht feststellbar. Aktivitäten des täglichen Lebens würden vom Kläger unproblematisch bewältigt. Er kümmere sich insbesondere um die anstehenden Dinge im Haushalt. Die Zuerkennung eines GdB von 30 sei insoweit ausreichend. Die Wirbelsäulenerkrankung sei mit einem GdB von 20 zu bewerten. Es lägen nur Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) vor. Zwar habe Dr. D. im Verwaltungsverfahren über Monate lang anhaltende Schmerzen im Kreuz mit Ausstrahlung wechselseitig in beide Beine berichtet. Der Kläger habe sich bei ihm allerdings letztmalig am 7. Juni 2004 vorgestellt. Dies spreche gegen das Bestehen erheblicher Einschränkungen im Bereich der LWS. Dr. V. habe keine motorischen Einschränkungen sowie keine Störung der Sensibilität objektiviert. Die beim Kläger bestehende Nasenmuschelhyperplasie, die nach der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. C. mit einer mittelgradigen bis starken Atembehinderung verbunden sei, sei nach den Maßstäben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Schwerbehindertenrecht und nach dem sozialen Entschädigungsrecht (AHP, Fassung 2008) mit einem GdB von 20, der nur knapp erreicht werde, zu bewerten. Zusammenfassend liege ein Gesamt-GdB von 40 vor. Eine weitere Erhöhung auf 50 komme nicht in Betracht, da sich die Funktionsbeeinträchtigungen der LWS weitgehend mit den Beeinträchtigungen aufgrund der Anpassungsstörung mit anhaltender somatoformer Schmerzstörung überschnitten und der GdB von 20 für die Nasenmuschelhyperplasie nur knapp erreicht werde. Zudem sei der Kläger nicht in dem Ausmaß beeinträchtigt, wie beim Verlust aller fünf Finger einer Hand oder bei Verlust eines Beines im Unterschenkel, für die nach den AHP ein GdB von 50 zuzuerkennen wären. Auf den weiteren Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 7. April 2008 zugestellten Urteils wird Bezug genommen.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Mai 2008 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das SG habe bei seiner Entscheidung verkannt, dass Dr. V. bereits auf seinem Fachgebiet zu einem GdB von 40 gekommen sei. Berücksichtige man den vom SG für die orthopädischen Leiden und die Leiden auf HNO-ärztlichem Fachgebiet zugrunde gelegten GdBen von jeweils 20, so wäre ein Gesamt-GdB von mindestens 50 angezeigt gewesen. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, weshalb das SG auf der einen Seite die anhaltenden somatogenen Schmerzstörungen niedriger bewerte als Dr. V., andererseits hinsichtlich der Bildung des Gesamt-GdB von einer erheblichen Überschneidung der Funktionsbeeinträchtigungen der LWS mit der Anpassungsstörung nebst anhaltender somatoformer Schmerzstörung ausgehe. Dr. V. sei in seinem Gutachten bei der Diagnose der anhaltenden somatogenen Schmerzstörung von Kopf-, Schulter- und Knieschmerzen ausgegangen. Funktionsbeeinträchtigungen der LWS habe er nicht erwähnt und damit auch nicht einbezogen.

Nachdem der Kläger bereits während des Verfahrens vor dem SG nach Bayern verzogen war, wurde im Berufungsverfahren der Beteiligtenwechsel auf Seiten des Beklagten nachvollzogen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts S. vom 27. Februar 2008 und Abänderung des Bescheids vom 18. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 5. September 2005 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu Erwiderung trägt er vor, die vom SG angenommenen Teil-GdB von jeweils 20 würden beide Male nur knapp erreicht und wirkten sich daher nicht unbedingt auf den Gesamt-GdB aus. Außerdem gehe Dr. V. in seinem Gutachten selbst von einer deutlichen Überschneidung zwischen den Gesundheitsstörungen auf dem psychiatrischen und dem orthopädischen Gebiet aus.

Die Beteiligten wurden auf die Absicht des Senats, die Sache durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, hingewiesen. Sie haben sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

II.

Die gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gem. § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid vom 18. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 5. September 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den GdB beim Kläger zutreffend mit 40 bewertet. Die Gesamtheit der beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigt nicht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50).

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs sowie die Bedeutung der AHP (unter Berücksichtigung der neuesten Fassung 2008) im einzelnen dargelegt und hinsichtlich der verschiedenen zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen mit ausführlicher und zutreffender Begründung unter Einbeziehung aller ärztlicher Äußerungen, insbesondere auch unter Einbeziehung des Gutachtens von Dr. V. jeweils einen angemessenen Teil-GdB angesetzt und die Gesamtheit der Einschränkungen mit dem Gesamt-GdB von 40 überzeugend bewertet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der gesamten Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung, dem er sich im vollem Umfang anschließt. Diesen ausführlichen Darstellungen ist an sich nichts hinzuzufügen.

Ergänzend ist zum Berufungsvorbringen lediglich anzumerken, dass das SG sehr genau begründete, weswegen es der Einschätzung von Dr. V. hinsichtlich der Bewertung der psychiatrischen Erkrankung nebst somatoformer Schmerzstörung nicht gefolgt ist und statt dem von Dr. V. hierfür angesetzten GdB von 40 in Übereinstimmung mit der Bewertung des versorgungsärztlichen Dienstes sowie gestützt auf die sachverständigen Zeugenaussagen lediglich einen GdB von 30 angenommen hat.

Entgegen dem Berufungsvorbringen ist auch nachvollziehbar, weshalb das SG von einer erheblichen Überschneidung der Funktionsbeeinträchtigung der LWS mit der Funktionsbeeinträchtigung aufgrund der Anpassungsstörung und der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung ausgeht. Es trifft zwar zu, dass Dr. V. die eben genannten Diagnosen getrennt aufführte und hinsichtlich der anhaltenden somatogenen Schmerzstörung lediglich Kopf-, Schulter- und Knieschmerzen erwähnte (Beantwortung Frage 5 auf Seite 21 des Gutachtens). Nachfolgend vertrat er jedoch ausdrücklich die Ansicht, dass eine deutliche Überschneidung zwischen der Diagnose somatoforme (Schmerz-)Störung und den Diagnosen auf dem orthopädischen/chirurgischen Gebiet besteht (Beantwortung Frage 6 ebenfalls auf Seite 21 des Gutachtens, unten). Mit den von Dr. V. erwähnten Diagnosen auf dem orthopädisch/chirurgischen Gebiet können nur die LWS-Beschwerden gemeint gewesen sein. Er hat diese Beschwerden somit zwar nicht der somatogenen Schmerzstörung, die er auf seinem Fachgebiet diagnostizierte, zugeordnet. Jedoch hat er gleichwohl eine Überschneidung angenommen. Darauf hat der Beklagte in der Berufungserwiderung zutreffend hingewiesen.

Die Berufung war mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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