L 3 AL 410/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 1033/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 410/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Oktober 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten.

Der im Jahr 1954 geborene Kläger stand im März 1988, im August 1988 und von Oktober 1993 bis November 1993 bereits im Leistungsbezug bei der Beklagten. Nach seinen Angaben bezog er außerdem im Jahr 1982 für eine Umschulung Leistungen zur beruflichen (Weiter-) Bildung/Rehabilitation.

Vom 01.12.1993 bis 31.03.2001 war der Kläger als Pflegehelfer mit einem Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 3543,81 DM beschäftigt. Zwischen dem 01.04. und 31.08.2001 arbeitete er als Erzieher. Hierbei betrug das letzte Bruttoarbeitsentgelt 4253,08 DM. In der Zeit vom 21.09.2001 bis 21.10.2001 erhielt der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich DM 360,71 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von DM 970. Vom 22.10.2001 bis zum 31.03.2002 war der Kläger wieder als Pflegehelfer beschäftigt. Hierbei bezog er im November und Dezember 2001 ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von DM 4194,08, im Januar 2002 in Höhe von EUR 2153,97, im Februar 2002 in Höhe von EUR 2144,40 und im März 2002 in Höhe von EUR 2157,84. Vom 01.04. und 29.04.2002 erhielt er Krankengeld nach einem Regelentgelt von EUR 71,48 täglich und vom 30.04.2002 bis 21.05.2002 Übergangsgeld des Rentenversicherungsträgers wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ebenfalls nach einem Regelentgelt von EUR 71,48 täglich (kalendertäglicher Leistungssatz 31,05 EUR).

Am 12.03.2002 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld.

Außerdem beantragte der Kläger am 21.03.2002 die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme ("Berufspraktisches Seminar für arbeitssuchende schwerbehinderte Arbeitnehmer/- innen"). Teilnahmebeginn war der 22.05.2002. Mit der Antragstellung wurde dem Kläger das Merkblatt 6 "Förderung der beruflichen Weiterbildung" ausgehändigt, was er durch seine Unterschrift bestätigte.

Mit Bescheid vom 17.06.2002 wurde dem Kläger Unterhaltsgeld ab dem 22.05.2002 in Höhe von wöchentlich EUR 297,85 (kalendertäglich 42,55 EUR) nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von EUR 965 bewilligt. Durch Änderungsbescheid vom 25.09.2002 wurde der wöchentliche Leistungssatz und das gerundete wöchentliche Bemessungsentgelt an das erhöhte Lohnniveau angepasst und auf EUR 302,19 (kalendertäglich 43,17 EUR) bzw. EUR 985 vom 01.09.2002 bis zum Ende der Maßnahme am 08.12.2002 festgesetzt. Außerdem wurden dem Kläger neben den Lehrgangskosten in Höhe von 2536,31 EUR Fahrkosten in Höhe von insgesamt 1856,80 EUR, die in monatlichen Raten im Voraus entrichtet wurden, bewilligt (Bescheide vom 13.06.2002, 21.06.2002 und 15.08.2002).

Zu dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 03.07.2003, in dem die Beklagte dem Kläger mitteilte, dass ihm Unterhaltsgeld in Höhe von EUR 3293,04 zu Unrecht gezahlt worden sei, weil die der Leistung zugrunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden seien, nahm der Kläger am 28.07.2003 Stellung. Er führte aus, er habe auf den Bestand der Bescheide vertraut und keinen Anlass gehabt, in irgendeiner Art und Weise an der Höhe der Festsetzung zu zweifeln.

Mit Bescheid vom 23.10.2003 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Unterhaltsgeld für die Zeit vom 22.05. bis 08.12.2002 teilweise zurück und setzte die Erstattung zu Unrecht gezahlten Unterhaltsgelds auf 3293,04 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch einen Berechnungsfehler seien die der Leistung zugrunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden, so dass dem Kläger Unterhaltsgeld in fast doppelter Höhe bewilligt worden sei. Der Kläger habe die Überzahlung nicht verursacht, er hätte aber dennoch in Anbetracht der Höhe der bewilligten Leistung aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen erkennen können, dass ihm Unterhaltsgeld in dieser Höhe nicht zugestanden habe. (Teil-) Unterhaltsgeld könne nicht höher sein als das vorher bezogene Arbeitslosengeld bzw. die Arbeitslosenhilfe. Sofern er den Fehler nicht erkannt habe, weil er das ihm ausgehändigte Merkblatt "Förderung der beruflichen Weiterbildung" nicht gelesen habe, sei dies als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2004 zurückgewiesen.

Am 05.04.2004 hat der Kläger beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und die Aufhebung der Rücknahme- und Erstattungsentscheidung der Beklagten begehrt. Zur Begründung hat er vorgetragen, grobe Fahrlässigkeit sei ihm nicht vorzuwerfen. Nach seiner Erinnerung habe er von der Beklagten kein Merkblatt erhalten. Im Internet sei das Merkblatt erst nach langwieriger Suche erhältlich. Die entsprechende Datei umfasse 56 Seiten und sei entsprechend unübersichtlich. Die Lektüre führe keinesfalls mit der von der Beklagten geschilderten Zwangsläufigkeit zur Erkenntnis der Zuvielzahlung. Eine solche ergebe sich erst nach eingehendem Studium und setze den Betrieb eines bedeutenden zeitlichen wie intellektuellen Aufwands voraus. Es dürfe bezweifelt werden, ob ein durchschnittlicher Leistungsempfänger überhaupt in der Lage sei, die Vorschriften im notwendigen Maße zu verstehen. In Wirklichkeit liege ein versteckter interner Rechenfehler vor, der sogar den Fachleuten der Beklagten selbst monatelang nicht aufgefallen sei. Zu beachten sei außerdem, dass die Zuvielzahlungen nicht dem Euro-Umrechnungsfaktor von rund 1,95 entsprächen. Es liege ein Umrechnungsfaktor von 1,61 vor. Hinzu komme, dass der Bezugszeitraum immerhin 5 Monate nach der Euroumstellung begonnen habe. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Beklagten nach so langer Zeit keine Umrechnungsfehler mehr unterliefen. Dies dürfe der Empfänger nach Treu und Glauben erwarten. Im Übrigen habe die Beklagte auch ihr Ermessen fehlerhaft angewandt. Aufgrund des langen Zeitraums zwischen Auszahlung und Rücknahme und weil er - der Kläger - selbst den Rechenfehler nicht verursacht habe, sei er schutzwürdig. Hinzu komme, dass er die Mehrleistungen im Vertrauen auf den Fortbestand längst verbraucht habe und die Rückzahlung für ihn eine unbillige, weil mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten verbundene, Härte bedeutete.

Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, dass der Kläger im März 2002, wie er unterschriftlich bestätigt habe, das Merkblatt für Arbeitslose und das Merkblatt zur Förderung der Fortbildung und Umschulung erhalten habe. Die Erläuterungen zur Höhe der Leistungen seien übersichtlich und auch für einen Laien verständlich. Aber auch ohne eingehendes Studium der Merkblätter hätte der Kläger erkennen können, dass die Leistung deutlich überhöht bewilligt worden sei. Einfachste Überlegungen hätten ihm deutlich machen müssen, dass die Bemessungsgrundlage von 965 EUR wöchentlich gerundetes Entgelt weder dem zuvor bezogenen Arbeitsentgelt von rund 2150 EUR im Monat noch dem auf dieser Grundlage bewilligten Kranken- und Übergangsgeld (Regelentgelt hier ebenfalls rund 2150 EUR) entsprechen könne. Dies hätte sich geradezu aufdrängen müssen. Auch für den Fall, dass der Kläger davon ausgegangen wäre, dass er Unterhaltsgeld unter Berücksichtigung des zuletzt gewährten Arbeitslosengeldes bekomme, hätte es sich ihm aufdrängen müssen, dass die Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes von 965 DM nicht 965 EUR entsprechen könne. Diese offenkundigen Unstimmigkeiten hätte der Kläger bemerken müssen, egal, ob die Zuvielzahlung exakt dem Euro-Umrechnungsfaktor entspreche oder die Entscheidung im Januar, Februar oder später ergehe. Die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung sei ihr nach § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) verwehrt.

Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger erklärt, dass er den Bescheid nicht konkret durchgeschaut habe. Wenn er von einer Behörde einen Bescheid bekomme, dann gehe er davon aus, dass das seine Richtigkeit habe.

Mit Urteil vom 21.10.2005 hat das SG den Bescheid vom 23.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit der zu hohen Bewilligung des Unterhaltsgeldes nicht ohne weiteres erkennen können. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger seit seinem letzten Arbeitslosengeldbezug im Oktober 2001, wofür er rund 1565 DM bzw. 811 EUR im Monat an Leistungen bezogen habe, in den Monaten November und Dezember ein Nettogehalt in Höhe von 1312,21 EUR gehabt habe. Im Anschluss daran habe er bis zur Aufnahme der Maßnahme Krankengeld und Übergangsgeld in Höhe von 71,48 EUR täglich erhalten. Es könne nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass das Unterhaltsgeld grundsätzlich niedriger sein müsse als das zuletzt bezogene Nettoentgelt. Dass sich die Höhe des Unterhaltsgeldes im konkreten Fall auch weiterhin nach der Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes im Jahr 2001 richte und nicht nach den anderen zuvor bezogenen Lohnersatzleistungen dürfte erst nach Studium der gesetzlichen Grundlagen feststehen und ergebe sich so auch nicht aus dem entsprechenden Bewilligungsbescheid. Auch die Erläuterungen und Hinweise im Bewilligungsbescheid vom 17.06.2002 führten nicht dazu, dass sich Zweifel an der Höhe des gewährten Unterhaltsgeldes hätten aufdrängen müssen.

Gegen die ihr am 05.01.2006 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 25.01.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, auch bezüglich des Unterhaltsgeldes müsse als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, dass dieses grundsätzlich niedriger sein müsse als das zuletzt bezogene Nettoentgelt. Dies ergebe sich bereits aus dem Merkblatt "Förderung der beruflichen Weiterbildung". Im Übrigen begründe sich grobe Fahrlässigkeit auch schon allein daraus, dass der Kläger zugegangene Bescheide nicht wirklich zur Kenntnis genommen habe. Er habe hierzu in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er den Bescheid nicht konkret durchgeschaut habe. Dazu wäre er jedoch verpflichtet gewesen. Insbesondere hätte von ihm erwartet werden können, dass er den im Bescheid genannten Betrag der Höhe der bewilligten Leistung als wesentlichen Bestandteil des Bescheides zur Kenntnis nehme. Der Kläger habe jedoch angegeben, ihm sei nicht aufgefallen, dass die gezahlten Leistungen in etwa mit seinem letzten Nettogehalt vergleichbar gewesen seien. Bei Kenntnisnahme des Bescheids hätte ihm klar sein müssen, dass der Bescheid rechtswidrig sei, denn das zugrunde gelegte Bemessungsentgelt von 965 EUR wöchentlich habe niemals einem monatlichen Bemessungsentgelt von 2150 EUR entsprechen können. Da hier annähernd der doppelte Betrag zugrunde gelegt worden sei, hätte sich eine Nachfrage geradezu aufdrängen müssen. Dies auch um so mehr, als bei der Umstellung von DM auf Euro zu Beginn des Jahres 2002 von jedermann zu erwarten gewesen sei, die für die Zukunft mitgeteilten Zahlungen daraufhin zu überprüfen, ob die mitgeteilten Euro-Beträge richtig ermittelt seien. Unerheblich sei, ob die unrichtige Bewilligung der Höhe auf einem Fehler der Arbeitsagentur beruhe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, ihm könne grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Zutreffend habe das SG ausgeführt, dass auch die Erläuterungen und Hinweise im Bescheid vom 17.06.2002 nicht dazu führten, dass sich Zweifel an der Höhe des gewährten Unterhaltsgelds hätten aufdrängen müssen.

Die Beteiligen haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligen gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig.

Die Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des SG durfte die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Bewilligungsentscheidung über Unterhaltsgeld für die Zeit vom 22.05.2002 bis 08.12.2002 teilweise zurücknehmen und einen Betrag von EUR 3293,04 zur Erstattung fordern.

Verfahrensrechtliche Grundlage für die Teilrücknahme eines Verwaltungsaktes (hier der Bescheide vom 17.06. und 25.09.2002) ist § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Vorschrift darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nach Unanfechtbarkeit, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Auf Vertrauensschutz unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme (vgl. Abs. 2 Satz 1 und 2) kann sich gemäß Abs. 2 Satz 3 der Begünstigte nicht berufen, soweit (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstige die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Eine Ermessenausübung ist - auch bei fehlerhaftem Verwaltungshandeln - unter diesen Voraussetzungen im Bereich des Arbeitsförderungsrechtes nicht vorgesehen (vgl. § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III - ).

Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSG in BSGE 42, 184, 178; BSGE 62, 32, 35). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Dabei besteht zu Lasten des durch einen Verwaltungsakt Begünstigten die aus dem Sozialrechtsverhältnis herzuleitende Obliegenheit, die erteilten Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, wobei - so das Bundessozialgericht - der Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im allgemeinen jedoch nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein dürfte, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R - in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt.

In Ansehung dessen ist die Beklagte zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die zugunsten des Klägers erfolgte Bewilligung von Unterhaltsgeld in dem von ihr geltend gemachten Umfang teilweise rechtswidrig war. Die hier streitige Leistung des Unterhaltsgeldes hätte nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von EUR 495 bzw. EUR 505 anstelle von EUR 965 bzw. EUR 985 gezahlt werden müssen. Der Ansatz des höheren Bemessungsentgeltes ist offenkundig dadurch zustande gekommen, dass die Beklagte - fehlerhaft - keine Umrechnung des DM-Betrags in Euro vorgenommen hat. Der Bewilligungsbescheid war damit schon bei seinem Erlass rechtswidrig.

Diese teilweise Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids hat der Kläger grob fahrlässig verkannt. Er hätte bei Erhalt des Bescheids aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen erkennen können, dass ihm unter Zugrundelegung eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 965 EUR eine zu hohe Leistung bewilligt worden ist, nachdem ihm bis 21.10.2001 Arbeitslosengeld nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 970 DM gewährt worden war und das Unterhaltsgeld damit fast doppelt so hoch wie das Arbeitslosengeld war. Das Unterhaltsgeld war mit 42,55 EUR bzw. 43,17 EUR täglich (1276,50 EUR bzw. 1295,10 EUR monatlich) auch fast genauso hoch wie das bis Januar 2001 bezogene Nettoarbeitsentgelt (Berechnung des SG: 1312,21 EUR) und auch deutlich höher als das nachfolgende Kranken- bzw. Übergangsgeld des Rentenversicherungsträgers mit kalendertäglich 31,05 EUR, was monatlich 931,50 EUR entspricht. Unter Berücksichtigung des Fahrgelds in Höhe von monatlich etwa 250 EUR, das dem Kläger von der Beklagten darüber hinaus gewährt wurde, erhielt er sogar deutlich mehr Geld als in der Zeit, in der er sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Dass für die Berechnung auch des Unterhaltsgelds das Bemessungsentgelt maßgeblich ist, ergibt sich aus dem Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 17.06.2002. In den Hinweisen ist dies als erster Punkt vermerkt. Aufgrund dieses Hinweises und nicht zuletzt auch wegen des früheren Bezugs von Arbeitslosengeld und auch von Unterhaltsgeld war dem Kläger die Bedeutung des Bemessungsentgeltes für die Berechnung der Leistung bekannt. Aus dem dem Kläger ausweislich des Antrags ausgehändigten Merkblatt, dem an mehreren Stellen unter dem Punkt "Höhe des Unterhaltsgeldes/Teilunterhaltsgeld" in einfachen Worten zu entnehmen ist, dass sich die Höhe des Unterhaltsgeldes grundsätzlich nach den entsprechenden Vorschriften über das Arbeitslosengeld richtet, folgte ebenfalls, dass die Höhe des Unterhaltsgeldes grundsätzlich dem Arbeitslosengeld entspricht. Zudem bestand aufgrund der Umstellung von DM - auf Euro-Beträge zum Jahreswechsel 2002 mehrere Monate lang, auch noch im Juni 2002, allgemein eine erhöhte Sensibilität dafür, ob konkrete Umrechnungen stattfanden. Insgesamt handelt es sich deshalb hier um einen ins Auge springenden "Fehler", der dem Kläger, auch wenn er zutreffende Angaben gemacht hat, auffallen musste. Es entlastet den Kläger insoweit nicht, dass er den Bescheid nach seinen Angaben nicht konkret durchgeschaut und auf dessen Richtigkeit vertraut hat. Ihn dürfte in diesem Fall zwar nicht die Pflicht treffen, den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit zu prüfen, dies entbindet ihn jedoch nicht von der Obliegenheit, den Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Dabei hätte er schon bei einer einfachen überschlägigen Berechnung erkennen können und müssen, dass das von der Beklagten gezahlte Unterhaltsgeld zu hoch ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht auf Grund der Anpassung des Bemessungsentgelts zum 01.01.2002. Denn ein Bemessungsentgelt von zuletzt 970 DM konnte sich auch unter Berücksichtigung einer Anpassung zum Jahreswechsel nicht auf 965 EUR erhöhen. Zu seiner Entlastung kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass ihm von der Beklagten gesagt worden sei, dass das Unterhaltsgeld höher sei als das, was er bekommen würde, wenn er keine Arbeit hätte. Abgesehen davon, dass diese Aussage auch so verstanden werden kann, dass damit nur gemeint war, dass er mehr bekommt als wenn er ohne jegliche Bezüge ist, führt diese Aussage nicht dazu, dass der Kläger davon ausgehen konnte, dass sein Unterhaltsgeld doppelt so hoch wie das Arbeitslosengeld, das er noch acht Monate davor bezog, ist, fast die gleiche Höhe wie das Nettoarbeitsentgelt für die versicherungspflichtige Beschäftigung erreichte und auch das Kranken- und Übergangsgeld deutlich überstieg. Auch unter Beachtung dieses Hinweises der Beklagten hätte der Kläger die Höhe des Unterhaltsgeldes hinterfragen und dabei zu der Feststellung gelangen müssen, dass es zu hoch ist. Hiervon ist auch nicht deshalb abzuweichen, weil es sich hier um Unterhalts- und nicht Arbeitslosengeld gehandelt hat. Einzuräumen ist insoweit, dass Unterhaltsgeld seltener als Arbeitslosengeld gewährt wird und die Voraussetzungen deshalb weniger bekannt sind, doch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger schon öfter im Leistungsbezug stand, die Parallelen zum Arbeitslosengeld eindeutig sind und der Kläger im Übrigen in der Vergangenheit auch schon Unterhaltsgeld erhalten hat, weshalb er, auch wenn es sich hier nur um Unterhaltsgeld und nicht um Arbeitslosengeld gehandelt hat, sofort hätte erkennen können und müssen, dass das Unterhaltsgeld zu hoch ist.

Die Beklagte hat auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Diese läuft nicht ab dem Tag, an dem der Fehler der Beklagen unterlaufen ist, hier also im Juni 2002, sondern sie beginnt erst zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger die teilweise Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers hatte. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die dem Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendigen Tatsachen besteht (BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R -). Diese Kenntnis lag hier frühestens mit dem Eingang des Schreibens des Klägers vom 28.07.2003 im Rahmen der Anhörung vor, so dass mit dem Bescheid vom 23.10.2003 die Jahresfrist gewahrt ist.

Anders verhält es sich auch nicht mit Blick auf den Bescheid vom 25.09.2002. Hierbei handelt es sich nur um eine bloße Anpassung einer bereits erfolgten Leistungsbewilligung. Eine erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungsmerkmale lag - ohne weiteres ersichtlich - diesem Bescheid nicht zugrunde (vgl. zum begrenzten Regelungsgehalt von Anpassungsbescheiden BSG, Urteile vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R - in SozR 3-1300 § 45 Nr. 42 und vom 04.02.1998 - B 9 V 24/96 R - in SozR 3-1300 § 45 Nr. 39 und Urteil des erkennenden Senats vom 05.04.2006 - L 3 AL 1948/05 -).

Einschränkungen der Urteils- und Kritikfähigkeit des Klägers sind nicht ersichtlich. Dass die Fehlerhaftigkeit von der Beklagten verursacht worden ist, hindert, da nach § 330 Abs. 2 SGB III Ermessenserwägungen auch bei grobem Verschulden der Behörde nicht erforderlich sind, nicht den Vorhalt grober Fahrlässigkeit.

Der gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur erstattende Betrag von insgesamt 3293,04 EUR ist zutreffend errechnet. Auf Verbrauch der Leistung oder Fähigkeit zur Erstattung kommt es vorliegend nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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