L 11 R 2909/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 466/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2909/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. April 2008 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem am 20. Dezember 2004 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2011 sowie Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. Januar 2005 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der am 16. April 1973 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, der seit Juni 1996 in der Bundesrepublik Deutschland lebt, war von August 1997 bis August 2003 als Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er bis 23. November 2003 Krankengeld und stand anschließend bis zur Erschöpfung der Anspruchsdauer am 31. Dezember 2004 im Arbeitslosengeldbezug. Seit 01. Januar 2005 erhält er wegen fehlender Bedürftigkeit keine Sozialleistungen mehr.

Am 20. Dezember 2004 beantragte der Kläger, bei dem der Grad der Behinderung seit dem 23. November 1998 bei 80 liegt und bei dem das Merkzeichen G anerkannt ist, die Gewährung einer Rente wegen Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte gewährte ihm zunächst eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik H., aus der er als arbeitsfähig mit den Diagnosen eines Morbus Bechterew (röntgenologisches Spätstadium), einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion auf die Grunderkrankung, einem Nikotinabusus sowie einer Hypercholesterinämie entlassen wurde. Dem Kläger seien leichte Arbeiten vollschichtig überwiegend in wechselnder Körperhaltung ohne Arbeiten in Kopfreklinationshaltung, im Knien oder Kniehockestellung, in vorgebeugter Haltung verbunden mit häufigem Bücken sowie Gefährdung durch Kälte, Nässe oder Zugluft zumutbar.

Mit Bescheid vom 06. Juni 2005 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag mit der Begründung ab, bei dem Kläger liege weder volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vor.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Leistungsvermögen sei nicht zutreffend eingeschätzt worden. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme (es seien keine neuen medizinischen Fakten seit dem Rehabilitationsentlassungsbericht vorgetragen), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2006 den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein, wobei es nicht darauf ankomme, ob er einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz inne habe bzw. ob ihm ein solcher von der Agentur für Arbeit vermittelt werden könne. Die Anerkennung als Schwerbehinderter führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Grad der Behinderung gebe nur das Ausmaß der Beeinträchtigung der gesundheitlichen Unversehrtheit an und sage nichts darüber aus, wie sich diese auf die Leistungsfähigkeit im Sinne der Rentenversicherung auswirke.

Mit seiner dagegen am 07. Februar 2006 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine körperliche Belastbarkeit sei auf ein Minimum reduziert. Er leide auch an starken Schlafstörungen. Seit dem Rehabilitationsaufenthalt habe sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört und den Kläger anschließend orthopädisch und internistisch begutachten lassen.

Der Rheumatologe Dr. B., Oberarzt der Abteilung Innere Medizin des Universitätsklinikums H., hat über ambulante Behandlungen in einem Zeitabstand von drei Monaten seit 1999 berichtet. Der Kläger leide an einem weit fortgeschrittenen Stadium des Morbus Bechterew mit Versteifung der gesamten Wirbelsäule seit September 2004. Durch die chronischen Schmerzen und die Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule sei das Leistungsvermögen qualitativ eingeschränkt, da sich der Kläger nicht zur Seite drehen, bücken und über den Kopf greifen könne. Ein längeres Verharren in einer Position sei schmerzhaft, so dass häufiger Lagewechsel (Sitzen, Aufstehen) erforderlich wäre. Soweit diese Einschränkungen berücksichtigt werden könnten, könne er noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ganztags verrichten. Bei dem Kläger habe zunächst die Behandlung mit Remicade-Infusionen eine gute Wirkung mit deutlicher Besserung der Rückenschmerzen und der Beweglichkeit gezeigt. Diese sei jedoch bereits nach einem Jahr wirkungslos gewesen. Ab Juni 2006 werde er mit Enbrel-Injektionen behandelt, eine Alternative mit Humira werde im Juli 2006 zugelassen. Die Wegefähigkeit (Wegstrecken länger als 500 m) sei nicht eingeschränkt, wobei steile Treppen und hohe Stufen Probleme bereiten könnten.

Der behandelnde Hausarzt Dr. M., der den Kläger seit Juli 1996 hausärztlich betreut, hat hingegen die Auffassung vertreten, dass der Kläger auch leichte Arbeiten nicht mehr sechs Stunden täglich verrichten könne. Dies sei darin begründet, dass er nur wenige Minuten ohne Schmerzen stehen, sitzen und gehen könne. Er müsse alle drei bis vier Minuten seine Position ändern. Neben dem Morbus Bechterew liege eine Anpassungsstörung mit reaktiver Depression auf die Grunderkrankung vor.

Der Sachverständige Prof. Dr. F., Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie, hat in seinem Gutachten ausgeführt, der Kläger habe sich in einem reduzierten Kräfte- und Allgemeinzustand befunden. Seine Haltung sei aufrecht bei vorgeneigter Körperhaltung durch die Versteifung der Brust- und Halswirbelsäule. Der horizontale Blick könne noch erreicht werden. Sein Gangbild sei sehr langsam mit kurzer Schrittlänge. Ein Schonhinken sei offensichtlich. Er befinde sich im Endstadium eines Morbus Bechterew mit vollständiger Verknöcherung des Ileosacralgelenks, der Lenden- und Brustwirbelsäule sowie der unteren Halswirbelsäule. Seiner Auffassung nach könne der Kläger nur noch leichte Tätigkeiten unter 6-stündig verrichten, sofern Pausen wie häufiger Haltungswechsel durchgeführt würden. Die Beschwerden seien bei abgeschlossener Versteifung des Achsskelettes deutlich rückläufig. Bei dem Kläger bestünde ein erhebliches Beschwerdebild, welches durch die zusätzliche depressive Überlagerung hervorgerufen werde.

Der behandelnde Psychiater Dr. K., bei dem der Kläger seit Februar 2006 in Behandlung steht (nach längerer Unterbrechung zuletzt am 27.04.2007), hat über eine reaktive depressive Verstimmung berichtet. Allein aufgrund der chronischen Wirbelsäulenschmerzen sei der Kläger weniger als drei Stunden pro Tag zu irgendeiner Tätigkeit einsetzbar. Die Haupteinschränkung liege eindeutig beim Morbus Bechterew.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes (Dr. L.) vorgelegt, wonach es dem fachorthopädischen Gutachten an der Messung der Thoraxumfänge bei Inspiration und Exspiration ebenso wie einer Lungenfunktionsprüfung fehle. Für die Wirbelsäule ergebe sich eine etwas akzentuierte Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule. Eine Begutachtung auf dem Gebiet der Neuropsychiatrie sei erforderlich.

Das SG hat daraufhin ein weiteres Gutachten bei Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, eingeholt. Der Sachverständige hat eine Anpassungsstörung leichtgradiger Ausprägung sowie einen Morbus Bechterew beschrieben. Hinweise auf eine Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung, kognitive Defizite oder Einschränkung des Umstellungs- und Anpassungsvermögens lägen bei dem Kläger nicht vor. Aus seiner Sicht sei daher ein vollschichtiges Leistungsvermögen aus neurologisch-psychiatrischer und internistischer Sicht gegeben. Der Kläger habe ein ausgeprägtes Verdeutlichungsverhalten gezeigt.

Mit Urteil vom 16. April 2008, der Beklagten zugestellt am 18. Juni 2008, hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. April 2005 zu gewähren. Bei dem Kläger, der nicht vor dem 02. Januar 1961 geboren sei, scheide zwar eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus, so dass es nicht darauf ankomme, ob er seinen bisherigen Beruf noch ausüben könne. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. Dr. F. könne er aber nicht mehr sechs Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten ausüben und sei deswegen erwerbsgemindert. Sein Leistungsvermögen sei aufgrund der objektiv nachweisbaren und eindeutig vorliegenden Erkrankung an Morbus Bechterew auf drei bis unter sechs Stunden eingeschränkt. Dass er häufig seine Körperhaltung wechseln müsse, sei Folge der Krankheit und ergebe sich außerdem übereinstimmend aus mehreren Stellungnahmen behandelnder Ärzte. Es sei plausibel, dass eine solche Erkrankung aufgrund der damit verbundenen besonderen Belastung zu einer Reduktion des zeitlichen Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt führe. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. B. habe die Notwendigkeit eines besonders häufigen Positionswechsels begründet, der alle fünf bis zehn Minuten erforderlich sei. Dass das neurologisch-psychiatrische Gutachten eine übertriebene Darstellung des Klägers bei der Untersuchung beschreibe, vermöge die aufgrund der zweifelsohne vorliegenden Versteifung der Wirbelsäule bedingten Einschränkungen nicht zu entkräften noch die hieraus bedingten Leistungseinschränkungen zu relativieren. Der Kläger sei daher voll erwerbsgemindert, wobei die Erkrankung nicht reversibel sei und daher die Rente konsequenterweise unbefristet zu leisten sei. Es sei aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Dies ergebe sich ebenfalls aus dem Gutachten von Prof. Dr. F., welches mit den ärztlichen Befunden in Einklang stehe. Das bei völliger Versteifung der Wirbelsäule oft subjektiv eine Besserung des Beschwerdebildes eintrete, führe nicht zu einer anderen Prognose im Hinblick auf das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Mit ihrer dagegen am 19. Juni 2008 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, sowohl das Gutachten von Dr. S. wie auch der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H. und die sachverständige Zeugenaussage von Dr. B. sprächen dagegen, dass der Kläger nur noch weniger als sechs Stunden erwerbstätig sein könne. Sie hat hierzu eine weitere Stellungnahme von Dr. L. vorgelegt, wonach sich die geltend gemachte Verschlechterung nicht durch objektive Befunde belegen lassen. Diese sei allenfalls aufgrund einer depressiven Verstimmung reaktiv im Rahmen einer Anpassungsstörung erkennbar, die aber ihrerseits nicht zu einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens führe. Zwar werde 2004 eine Einschränkung der Beweglichkeit des knöchernen Brustkorbs bei der Atmung beschrieben, die nur noch in geringem Umfang möglich sei. Dies könne allerdings ausreichend durch die Zwerchfellatmung ausgeglichen werden, so dass zumindest für leichte körperliche Arbeiten daraus keine Einschränkung resultierte. Im Bericht der R.-Klinik 2006 werde eine Bodyplethysmographie dahingehend beschrieben, dass Hinweise auf eine mittelgradige Restriktion bestünden. Die Untersuchung sei aber mitarbeitsabhängig, allein aufgrund dieses Befundes könne eine Minderung der Leistungsfähigkeit nicht belegt werden. Neuere Befunde beschrieben keine Angaben über eine Luftnot. Die Behandler hätten deswegen offensichtlich keine Notwendigkeit gesehen, den Befund zu kontrollieren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung in Anbetracht des Gutachtend von Prof. Dr. F. für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass es aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich sei, dass sich sein Gesundheitszustand bessere, so dass durchgehend von einem für ihn verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt ausgegangen werden müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die Berufung einen Zeitraum von mehr als einem Jahr umfasst. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist indessen nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat aufgrund eines am 20. Dezember 2004 eingetretenen Leistungsfalls Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nur für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2011 und im Übrigen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. Januar 2005.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I S. 554). Dies folgt aus § 300 Abs. 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs. 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Voraussetzungen der genannten Vorschriften sind bei dem Kläger erfüllt. Er kann nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dies hat das SG zutreffend festgestellt, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Senat stützt seine Überzeugung auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten von Prof. Dr. F ... Danach befindet sich der Kläger bereits in einem reduzierten Allgemein- und Kräftezustand. Im Vordergrund der leistungseinschränkenden Befunde steht die Erkrankung des Morbus Bechterew, die sich im Endstadium mit völliger Versteifung der Brust- und Lendenwirbelsäule (bambusförmige Fusionierung sämtlicher Brust- und Lendenwirbelkörper) - ohne Beteiligung der Extremitätengelenke - befindet. Deswegen ist die Rumpfvorwärtsneigung pathologisch aufgehoben und ihm ist bereits das Aufrichten ohne Klettergriffe nicht mehr möglich. Der horizontale Blick kann noch erreicht werden. Auch die Kopfrotation ist erheblich reduziert, der Kläger kann den Kopf nur noch um 10 Grad drehen. Dies hat bereits die körperliche Untersuchung erheblich erschwert, die mehrfach unterbrochen werden musste. Durch die mit der Versteifung der Wirbelsäule einhergehende schnellere Ermüdung kommt es auch zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit, was bereits in der Zuerkennung des Merkzeichens "G" zum Ausdruck kommt. Der Sachverständige schildert ein sehr langsames Gangbild mit kurzer Schrittfolge und Schonhinken.

Es mag zwar sein, dass die Schmerzhaftigkeit dieser Erkrankung mit zunehmendem Stadium abnimmt. Das ist aber bei dem Kläger nicht der Fall. Auch Dr. B. sieht den nicht behandelbaren Schmerz als leistungseinschränkenden Befund. Im Jahr 2005 wurde der Wirkungsverlust der Remicade-Therapie bereits nach einem Jahr beschrieben wird. Selbst der Einsatz vom Humira ab Juni 2006 hat das klinische Beschwerdebild nicht mehr entscheidend beeinflussen können. Das R.-Zentrum B.-B. (Entlassungsbericht über den stationären Aufenthalt im September 2006) hat demzufolge die Etablierung einer Schmerzbehandlung mit Kombination von retardiertem Diclofenac in Höchstdosis mit niedrig potenten Opioiden in Form von Valoron retard eingeleitet, welche der Kläger aber in höheren Einzeldosen nicht toleriert hat. Auch die zusätzliche Gabe von Mydocalm führte zu keiner zusätzlichen Linderung und musste deswegen wieder aufgegeben werden. Dies bestätigt ebenfalls, dass der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom leidet. Für den Senat ist es deshalb erwiesen, dass der Kläger schmerzbedingt etwa alle fünf bis zehn Minuten seine Lage wechseln muss. Dies schränkt das Leistungsvermögen des Klägers auch in quantitativer Hinsicht ein. Darüber hinaus führt die Versteifung der Wirbelsäule zu Ermüdungserscheinungen, die ihrerseits die Leistungseinschränkung limitieren. Der Kläger hat den Sachverständigen von seinen glaubhaften Schlafproblemen berichtet, weil er nur noch auf einer Seite und nicht mehr auf dem Bauch oder Rücken schlafen kann. Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers auf drei bis unter sechs Stunden gesunken ist.

Dieser Einschätzung des Leistungsvermögens steht nicht entgegen, dass der Kläger noch bis 2001 gearbeitet hat. Denn zum einen wird erst danach über einen Auffahrunfall berichtet, der sich negativ auf den Gesundheitszustand ausgewirkt hat. Zum anderen beschreibt der behandelnde Rheumatologe Dr. B., dass es erst im September 2004 zu einer weit fortgeschrittenen Versteifung der Wirbelsäule gekommen ist. Mithin ist erst ab diesem Zeitpunkt von einer erheblichen Verschlechterung des Leistungsvermögens auszugehen. Damals stand der Kläger nicht mehr im Erwerbsleben, so dass die tatsächliche Berufsausübung auch nicht einen stärkeren Beweiswert haben kann als das eingeholte Gutachten von Prof. Dr. F ...

Der Richtigkeit des Gutachtens steht weiter nicht entgegen, dass der Sachverständige den Thoraxumfang nicht erhoben hat und keine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt hat. Zum einen beschreibt Prof. Dr. F. durchaus einen Thoraxkompressionsschmerz. Auch der Sachverständige Dr. S. hat eine ganz oberflächliche Atmung bei der Prüfung der Thoraxdehnung angegeben. Zum anderen wurden die erforderlichen Daten bereits im R.-Zentrum B.-B. erhoben und eine mittelgradige Restriktion (Vitalkapazität 56 % Soll) beschrieben. Dieser Befund ist auf Grund der völligen Versteifung der Brustwirbelsäule auch schlüssig. Er wird überdies bestätigt durch den Bericht der Rheumaambulanz H. vom 03.10.2004, in dem Atemexkursionsbreite Inspiration/Expiration von 92/91 cm festgehalten wird. Dass neuere Messungen nicht erfolgten, steht auch deswegen der Richtigkeit der Beurteilung nicht entgegen, weil es sich um einen progredienten Gesundheitszustand handelt. Denn der Morbus Bechterew befindet sich nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. weiterhin in einem entzündlichen Stadium.

Der rheumatologische Befund wird noch überlagert von einer leichten depressiven Episode, wie sie bereits in dem Entlassungsbericht des R.Zentrums B.-B. beschrieben wird. Diese Diagnose begründet zwar ihrerseits keine Erwerbsminderung, wie auch der Sachverständige Dr. S. ausgeführt hat, erschwert aber insgesamt die Krankheitssituation des Klägers, insbesondere die Krankheitsverarbeitung und Schmerzbewältigung. Der Senat konnte im Übrigen der abweichenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. S. nicht folgen. Bereits die von ihm erhobenen Befunde sind in sich widersprüchlich. So beschreibt der Gutachter einerseits eine ausgeglichene Stimmungslage des Klägers, verneint deswegen eine Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung, andererseits sieht er aber eine zeitweilige Niedergeschlagenheit, sogar Weinerlichkeit. Letzteres ist angesichts des Lebenssituation des Klägers, in jungen Jahren an einer erheblich progredienten chronischen Krankheit zu erkranken, über deren Verlauf er, wie dies dem Rehabilitationsentlassungsbericht zu entnehmen ist, genau informiert ist, und in deren Folge den Beruf, den Freundeskreis sowie teilweise den Rückhalt in der Familie zu verlieren, auch Hobbys nicht mehr nachgehen zu können, durchaus nachvollziehbar und glaubhaft. Insofern ist auch kaum vorstellbar, dass sich der Kläger in einer ausgeglichenen Stimmungslage befindet. Es ist daher aus Sicht des Senats nicht überzeugend, hier von einer Anpassungsstörung zu sprechen. Vielmehr dürfte der von dem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. K. verwendete Begriff einer reaktiven depressiven Verstimmung, der im Übrigen auch in Übereinstimmung mit der Diagnostik von Prof. Dr. Fink wie dem Entlassungsbericht des R.-Zentrums Baden-Baden steht, den Krankheitszustand des Klägers besser treffen.

All dies belegt auch zur Überzeugung des Senats die Erwerbsminderung des Klägers ab Antragstellung. Zu diesem Zeitpunkt ist der Versicherungsfall eingetreten.

Das auf mehr als drei bis weniger als sechs Stunden täglich verminderte Leistungsvermögen des Klägers erfüllt zwar nur den Tatbestand einer teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Da jedoch auch bei Erwerbsminderungsrenten die konkrete Situation des Arbeitsmarktes berücksichtigt werden muss, ist bei einem leistungsgeminderten Versicherten, bei dem zumindest eine teilweise Beschäftigung noch für möglich gehalten wird, zu prüfen, ob entsprechend seinem Restleistungsvermögen noch eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich wäre (Gabke in jurisPK-SGB VI § 43 RdNr. 25). Dies ist bei einem zeitlich auf drei bis weniger als sechs Stunden eingeschränkten Leistungsvermögen zu verneinen, da insoweit auch weiterhin von einer Verschlossenheit des (Teilzeit-)Arbeitsmarktes auszugehen ist. Damit schlägt die teilweise Erwerbsminderung auf volle Erwerbsminderung durch (KassKomm-Niesel § 43 SGB VI RdNr. 34 - Stand Januar 2002).

Der Rentenbeginn hängt davon ab, ob die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit befristet oder unbefristet zu leisten ist (vgl. §§ 99, 101 SGB VI). Dies wiederum beurteilt sich nach § 102 Abs. 2 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 32 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I S. 554). Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden danach grundsätzlich auf Zeit geleistet (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Eine unbefristete Rente kommt nur in Betracht, wenn der Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht (§ 102 Abs. 2 Satz 5). Dies ist in Bezug auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung - wie dargelegt - nicht der Fall. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs. 1 SGB VI); für den vorliegenden Fall, in dem der Leistungsfall am 20. Dezember 2004 eingetreten ist, bedeutet dies, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Juli 2005 beginnt.

Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Die Rente wegen voller Erwerbsminderung würde demnach zunächst am 30. Juni 2008 enden. Die Rente kann jedoch verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach Ablauf der vorherigen Frist (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Da zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14. Oktober 2008, auf den zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, der 3-Jahreszeitraum bereits abgelaufen war, ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit um weitere drei Jahre bis 30. Juni 2011 zu verlängern. Auf die Berufung der Beklagten war daher das angefochtene Urteil des SG dahingehend abzuändern, dass dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung nur für die Zeit vom 01. Juli 2005 bis 31. Juni 2011 zu gewähren ist.

Daneben erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist nicht von der Arbeitsmarktlage abhängig, dieser Rentenanspruch kann daher unbefristet bestehen. Die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung kommt in Betracht, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5). Unwahrscheinlich iS des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG, Urteil vom 29. März 2006, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr. 2). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erfüllt. Der Morbus Bechterew, auf den die Erwerbsminderung im Wesentlichen beruht, ist eine chronisch progrediente Erkrankung, die im Fall des Klägers bereits das Endstadium erreicht hat. Die Behandlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Daher steht dem Kläger ab 1. Januar 2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu. Diese Rente wird jedoch neben der Rente wegen voller Erwerbsminderung, dh hier für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2011 nicht gezahlt (§ 89 Abs. 1 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat erachtet es als sachgerecht, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang trägt, da der Kläger mit seinem Begehren ganz überwiegend erfolgreich war.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved