Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 VJ 328/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VJ 3207/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin Zahnschäden als weitere Impfschadensfolge festzustellen sind.
Die 1950 geborene Klägerin wurde am 4. Juni 1951 gegen Pocken geimpft. In der Folge entwickelte sich eine Enzephalopathie, die zu einer Teillähmung der Extremitäten führte. Im März 1988 beantragte sie Beschädigtenversorgung als Impfopfer. Das VA holte das neurologische Gutachten von Prof. Dr. H. vom 30. Juli 1991 ein. Darin beschrieb dieser eine postvakzinale Enzephalopathie, die zur Entwicklung einer spastischen Tetraparese geführt habe, die langsam progredient verlaufe. Mit dem Erstanerkennungsbescheid vom 29. Oktober 1991 anerkannte das Versorgungsamt Mainz (VA) als Schädigungsfolgen spastische Störungen im Bereich der Beine in Folge postvakzinaler Enzephalopathie. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 vom Hundert (v. H.). Bei den in den 80er Jahren aufgetretenen neurologischen Störung im Bereich der Arme handle es sich um schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen. Mit dem Abhilfebescheid vom 7. August 1992 anerkannte das VA als Impfschadensfolge spastische Störungen im Bereich der Beine mit Fußdeformitäten in Folge postvakzinaler Enzephalopathie und bewertete die MdE mit 60 v. H. Mit dem weiteren Abhilfebescheid vom 26. März 1993 wurde vom VA zusätzlich eine psychische Störung (mit einer Einzel-MdE 70 v.H.) als Impfschadensfolge anerkannt und die MdE ab März 1988 mit 100 v. H. bewertet.
Im Hinblick auf eine begehrte Kostenübernahme für eine zahnärztliche Behandlung beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 1993 bzw. 11. Januar 1994, bei ihr bestehende Zahnschäden als Impfschadensfolge anzuerkennen. Wegen der durch die Pockenimpfung verursachten Schmerzen, Beschwerden und Handicaps sei von ihr verlangt worden, "die Zähne zusammenzubeißen". Seit früher Kindheit habe sie nachts mit den Zähnen geknirscht. Der Bruxismus sei Ursache für die entstandene Parodontose und die Folgeschäden. Mit Schreiben vom 8. Februar 1996 wiederholte die Klägerin ihren Antrag.
Das VA zog den Befundbericht des behandelnden Zahnarzts Dr. B. vom 14. August 1996 bei. Auf Veranlassung des VA nahm die Zahnärztin Dr. K.-H. gutachtlich am 14. Oktober 1996 Stellung. Das Gebiss der Klägerin sei parodontal entzündlich geschädigt. Parodontopathien würden durch spezifische Erreger verursacht. Knirschen habe hierbei höchstens leicht verstärkende Folgen. Frühkindliches Knirschen sei physiologisch. Es sei daher nicht anzunehmen, dass der Zahnverlust bei der Klägerin durch den Impfschaden entstanden sei, sondern allein durch die Zahnbettentzündung und -erkrankung.
Nachdem der versorgungsärztliche Dienst dieser Einschätzung zugestimmt hatte, lehnte das VA mit Bescheid vom 20. November 1996 die Anerkennung eines Zahnschadens als Impfschadensfolge ab.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 17. Dezember 1996. Dr. von J. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. Januar 2001 nach Durchführung eines Gesprächs mit der Klägerin am 28. November 2000 aus, sie halte die gutachtliche Einschätzung von Dr. K.-H. auch heute noch für zutreffend. Die Klägerin sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie auch ohne Anerkennung eines Zahnschadens von der Versorgungsverwaltung die Kosten für eine notwendige zahnärztliche Versorgung auf Antrag erhalten könne. Aktuell trage die Klägerin ein Provisorium aus dem Jahr 1993. Darauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2002 zurück.
Deswegen erhob die Klägerin am 22. Mai 2002 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage (S 3 VJ 2318/02). Mit Beschluss vom 10. Januar 2003 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Fortsetzung erfolgte mit Beschluss vom 24. Januar 2006 (S 3 VJ 328/06). Die Klägerin trug vor, sie habe ab ihrem vierten Lebensjahr Zahnprobleme gehabt. Es habe keine Erklärung für den schlechten Zahnzustand gegeben. Auch ein Sturz mit 11 oder 12 Jahren habe zu Schäden geführt. Sie habe nicht nur als Kleinkind geknirscht. Dies könne von Verwandten und ihrem geschiedenen Ehemann bestätigt werden. Durch ihre Gangstörung bedingte weitere Stürze hätten die Zähne zusätzlich gelockert. Ursachen der Zahnschäden seien die ständigen seelischen Belastungen und die Spastik in der Kaumuskulatur. Die Klägerin reichte verschiedene Zeitschriftenartikel und ein Informationsblatt ihres Zahnarztes zum Thema Folgen des Bruxismus ein.
Mit Urteil vom 23. Mai 2006 wies das SG die Klage ab. Es lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass für die bei der Klägerin bestehenden Zahnschäden das von ihr angeschuldigte Knirschen von Kindheit an, bedingt durch die psychischen Belastungen des Impfschadens, wesentlich ursächlich gewesen sei. Die begutachtende Zahnärztin habe in Übereinstimmung mit dem medizinischen Erkenntnisstand überzeugend dargelegt, dass es sich bei Parodontopathien meist um durch verschiedene Erreger ausgelöste, entzündliche Reaktionen des Zahnfleisches handle. Als weitere Ursachen könnten Funktionsstörungen des Kausystems, Störungen im allgemeinen Stoffwechsel, insbesondere auch Stress und auch mechanische Traumen in Betracht kommen. Da die Vorbefunde vor 1988 nicht mehr dokumentierbar seien, der angeschuldigte Vorgang mit entsprechenden Schädigungen jedoch bereits frühzeitig nach der Pockenschutzimpfung verursacht sein solle, könne nicht nachgewiesen werden, ob ein derartiger Befund frühzeitig vorgelegen habe. Die von der Klägerin dargestellte Fehlbelastung des Kausystems könnte mitursächlich für die Parodontose sein. Es lasse sich jedoch nicht die Schlussfolgerung treffen, dass für diesen Kausalverlauf mehr spreche als für den von der Gutachterin aufgezeigten Verlauf.
Gegen das ihr am 9. Juni 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Juni 2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Das SG sei ihrem Vorbringen hinsichtlich ihrer Zahnprobleme bereits vor dem 5. Lebensjahr, ihrem schweren Sturz im 11. oder 12. Lebensjahr mit der Folge, dass sämtliche Schneidezähne locker gewesen seien und die mittleren oberen Schneidezähne nach Abschleifen deutlich ungleichmäßig lang gewesen seien, nicht nachgegangen. Ihre Schwester könne hierzu als Zeugin entsprechende Angaben machen. Es sei herrschende medizinische Meinung, dass Zähneknirschen während des Schlafes schlimme Folgen haben könne. Das Knirschen selbst werde sehr oft durch seelische Belastungen ausgelöst. Darauf sei Dr. K.-H. überhaupt nicht eingegangen. Der Sachverhalt sei durch Einholung eines zusätzlichen Gutachtens weiter aufzuklären. Ferner sei von einer Beweislastumkehr auszugehen, da ihre mögliche Beweisnot eindeutig durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln bedingt sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 und unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29. April 2002 die bei ihr bestehenden Zahnschäden als Impfschadensfolge festzustellen, hilfsweise von Amts wegen hierüber ein zahnärztliches Gutachten einzuholen,
höchst hilfsweise die Schwester der Klägerin, S. L., K.-G.-Str. 30 in Frankfurt als Zeugin zu dem Sturz zu vernehmen, den sie im 11. oder 12. Lebensjahr erlitten hat. Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Entgegen dem SG ist im Hinblick auf die neu geltend gemachte Schädigungsfolge nicht von einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern von einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auszugehen. In der Sache ergibt sich dadurch jedoch keine Änderung.
Die Zahnschäden der Klägerin sind nicht als weitere Impfschadensfolge anzuerkennen. Der Bescheid vom 20. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt sowohl nach den Maßstäben der Vorschriften der §§ 51 ff. Bundesseuchengesetz (BSeuchG), die mit Wirkung vom 01.01.2001 außer Kraft getreten sind (Art. 5 des Seuchenrechts Neuordnungsgesetzes (SeuchRNeuG) vom 20.07.2000, BGBl. I S. 1045, 1076), als auch nach den Maßstäben des seitdem geltenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG; Art. 1 des SeuchRNeuG).
Nach § 51 Abs. 1 BSeuchG/§ 60 Abs. 1 IfSG erhält, wer durch eine im einzelnen näher bezeichnete Impfung/Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG/§ 2 Nr. 11 IfSG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden bzw. eine gesundheitliche Schädigung durch die Schutzimpfung. Ein Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens setzt voraus, dass die Impfung als schädigende Einwirkung, die dadurch aufgetretene gesundheitliche Schädigung (Impfschaden, unübliche Impfreaktion) und die bestehende Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sind (vgl. BSGE 60, 58, 59), während zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend (§ 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG/§ 61 Satz 1 IfSG), aber auch erforderlich ist. Wahrscheinlich ist der ursächliche Zusammenhang dann, wenn mehr für als gegen ihn spricht, wenn also die für den Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen (vgl. BSGE 45, 1, 9/10; 60, 58, 59). Ist ein Sachverhalt nicht erweisbar, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast der Beteiligte die Folge zu tragen, der daraus Rechte herleitet, bei anspruchsbegründenden Tatsachen also die Klägerin. Eine Umkehr der Beweislast gibt es im Bereich des Impfschadensrechts nicht (vgl. BSG SozR 3850 § 52 BSeuchG Nr. 1, 1500 § 160 SGG Nr. 51 und 3850 § 51 BSeuchG Nrn. 9 und 10; Urteil vom 27.08.1998 B 9 VJ 2/97 R).
Bei der Klägerin kam es infolge der Pockenschutzimpfung im Jahr 1951 zu einem Impfschaden in Form einer postvakzinalen Enzephalopathie. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. An dauerhaften Schädigungsfolgen sind u.a. eine spastische Störung im Bereich der Beine mit Fußdeformitäten und eine psychische Störung anerkannt. Der Senat konnte sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin und in Übereinstimmung mit dem SG nicht davon überzeugen, dass durch diese dauerhaften Schädigungsfolgen die Zahnschäden der Klägerin, die den paradontalen Erkrankungen zuzuordnen sind, mittelbar verursacht wurden. Dabei lässt der Senat dahingestellt, ob von Seiten des Beklagten die Schädigungsfolgen hinsichtlich der Spastik zu Recht nur auf die Beine bezogen wurden - was schon im Ansatz schädigungsbedingte Zahnschäden aufgrund einer spastischen Störung der Kaumuskulatur ausschließen würde. Gegen die Einschränkung der Spastik auf den Bereich der Beine könnten die gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. H. sprechen, der im Gutachten vom 30. Juli 1991 die Entwicklung einer langsam progredient verlaufenden spastischen Tetraparese beschrieb und im Gutachten vom 30. Januar 2002 eine Neigung zu Muskelkrämpfen - allerdings im Zusammenhang mit den Extremitäten, v.a. der Beine - erwähnte. Denn selbst wenn das von der Klägerin beschriebene Zähneknirschen, die Stürze und eine Spastik der Kaumuskulatur unterstellt wird, womit sich eine weitere Beweisaufnahme erübrigt, steht - wie das SG im Ergebnis richtig erkannt hat - nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Zahnschäden, die auch die Klägerin selbst als parodontale Erkrankung beschreibt, als mittelbare Schädigungsfolge anzusehen sind.
Der Senat hält die Auffassung von Dr. K.-H., dass Parodontopathien durch spezifische Erreger ausgelöst werden, für überzeugend. Daran hatte auch Dr. von J., die für den versorgungsärztlichen Dienst nach einem Gespräch mit der Klägerin am 24. Januar 2001 Stellung nahm, keine Zweifel. Soweit sich nach den Ausführungen von Dr. K.-H., denen sich der Senat anschließt, ein Zähneknirschen bei Paradontopathien nur leicht verstärkend auswirken kann, ist es nicht als rechtlich wesentliche Bedingung für die Krankheitsentstehung anzusehen. Die von der Klägerin vorgelegten Zeitschriftenartikel sind ersichtlich keinen wissenschaftlichen Publikationen entnommen. Die darin enthaltene Behauptung, mehr als die Hälfte aller Patienten mit Parodontose habe sich die Erkrankung durch nächtliches Zähneknirschen zugezogen, wird schon in den Veröffentlichungen selbst durch den Zusatz "wahrscheinlich" in Frage gestellt. Ihr steht die mit ärztlichem Sachverstand geäußerte Auffassung von Dr. K.-H., die zudem auf die Beurteilung des konkreten Zahnstatus der Klägerin gestützt ist, entgegen. Im Übrigen hat Dr. K.-H., wie eben erwähnt, einen möglichen verstärkenden Faktor des Zähneknirschens gerade nicht ausgeschlossen. Bei der Auswertung der Röntgenbilder beschrieb Dr. K.-H. auch keine erkennbare Folgen von Sturzereignissen. Eine direkte Zahnsubstanzschädigung aufgrund eines oder mehrerer Sturzereignisse ist nicht streitgegenständlich. Darüber liegt keine überprüfbare Verwaltungsentscheidung vor. Die Klägerin hat auch keinen dahingehenden Antrag gestellt. Gegenstand der Prüfung durch den Beklagten war vielmehr allein, ob der allgemeine, durch eine paradontale Entzündung und deren Folgen gekennzeichnete Zahnstatus als weitere Impfschadensfolge anzusehen ist. Aus diesem Grunde erübrigte sich die höchst hilfsweise beantragte Vernehmung von S. L. als Zeugin. Das von der Klägerin vorgelegte Informationsblatt ihres Zahnarztes zu den Gefahren des Zähneknirschens, das zwangsläufig ebenfalls allgemein gehalten ist, ist nicht geeignet, das Gutachten von Dr. K.-H. zu entkräften. Es ist ersichtlich darauf gerichtet, den "Knirscher oder selbstzerstörerischen Leerkauer" zu der "unbedingt" erforderlichen fachärztlichen Behandlung zu bewegen und hat damit neben einer sicher gut gemeinten Ratgeberfunktion doch auch deutlich die Zielsetzung einer Patientenrekrutierung.
Die Einholung eines weiteren Gutachtens war nach alledem nicht erforderlich. Das im Rahmen des Urkundenbeweises verwertete Gutachten von Dr. K.-H. stellt eine ausreichende Entscheidungsgrundlage dar.
Die Berufung war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin Zahnschäden als weitere Impfschadensfolge festzustellen sind.
Die 1950 geborene Klägerin wurde am 4. Juni 1951 gegen Pocken geimpft. In der Folge entwickelte sich eine Enzephalopathie, die zu einer Teillähmung der Extremitäten führte. Im März 1988 beantragte sie Beschädigtenversorgung als Impfopfer. Das VA holte das neurologische Gutachten von Prof. Dr. H. vom 30. Juli 1991 ein. Darin beschrieb dieser eine postvakzinale Enzephalopathie, die zur Entwicklung einer spastischen Tetraparese geführt habe, die langsam progredient verlaufe. Mit dem Erstanerkennungsbescheid vom 29. Oktober 1991 anerkannte das Versorgungsamt Mainz (VA) als Schädigungsfolgen spastische Störungen im Bereich der Beine in Folge postvakzinaler Enzephalopathie. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 vom Hundert (v. H.). Bei den in den 80er Jahren aufgetretenen neurologischen Störung im Bereich der Arme handle es sich um schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen. Mit dem Abhilfebescheid vom 7. August 1992 anerkannte das VA als Impfschadensfolge spastische Störungen im Bereich der Beine mit Fußdeformitäten in Folge postvakzinaler Enzephalopathie und bewertete die MdE mit 60 v. H. Mit dem weiteren Abhilfebescheid vom 26. März 1993 wurde vom VA zusätzlich eine psychische Störung (mit einer Einzel-MdE 70 v.H.) als Impfschadensfolge anerkannt und die MdE ab März 1988 mit 100 v. H. bewertet.
Im Hinblick auf eine begehrte Kostenübernahme für eine zahnärztliche Behandlung beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 1993 bzw. 11. Januar 1994, bei ihr bestehende Zahnschäden als Impfschadensfolge anzuerkennen. Wegen der durch die Pockenimpfung verursachten Schmerzen, Beschwerden und Handicaps sei von ihr verlangt worden, "die Zähne zusammenzubeißen". Seit früher Kindheit habe sie nachts mit den Zähnen geknirscht. Der Bruxismus sei Ursache für die entstandene Parodontose und die Folgeschäden. Mit Schreiben vom 8. Februar 1996 wiederholte die Klägerin ihren Antrag.
Das VA zog den Befundbericht des behandelnden Zahnarzts Dr. B. vom 14. August 1996 bei. Auf Veranlassung des VA nahm die Zahnärztin Dr. K.-H. gutachtlich am 14. Oktober 1996 Stellung. Das Gebiss der Klägerin sei parodontal entzündlich geschädigt. Parodontopathien würden durch spezifische Erreger verursacht. Knirschen habe hierbei höchstens leicht verstärkende Folgen. Frühkindliches Knirschen sei physiologisch. Es sei daher nicht anzunehmen, dass der Zahnverlust bei der Klägerin durch den Impfschaden entstanden sei, sondern allein durch die Zahnbettentzündung und -erkrankung.
Nachdem der versorgungsärztliche Dienst dieser Einschätzung zugestimmt hatte, lehnte das VA mit Bescheid vom 20. November 1996 die Anerkennung eines Zahnschadens als Impfschadensfolge ab.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 17. Dezember 1996. Dr. von J. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. Januar 2001 nach Durchführung eines Gesprächs mit der Klägerin am 28. November 2000 aus, sie halte die gutachtliche Einschätzung von Dr. K.-H. auch heute noch für zutreffend. Die Klägerin sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie auch ohne Anerkennung eines Zahnschadens von der Versorgungsverwaltung die Kosten für eine notwendige zahnärztliche Versorgung auf Antrag erhalten könne. Aktuell trage die Klägerin ein Provisorium aus dem Jahr 1993. Darauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2002 zurück.
Deswegen erhob die Klägerin am 22. Mai 2002 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage (S 3 VJ 2318/02). Mit Beschluss vom 10. Januar 2003 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Fortsetzung erfolgte mit Beschluss vom 24. Januar 2006 (S 3 VJ 328/06). Die Klägerin trug vor, sie habe ab ihrem vierten Lebensjahr Zahnprobleme gehabt. Es habe keine Erklärung für den schlechten Zahnzustand gegeben. Auch ein Sturz mit 11 oder 12 Jahren habe zu Schäden geführt. Sie habe nicht nur als Kleinkind geknirscht. Dies könne von Verwandten und ihrem geschiedenen Ehemann bestätigt werden. Durch ihre Gangstörung bedingte weitere Stürze hätten die Zähne zusätzlich gelockert. Ursachen der Zahnschäden seien die ständigen seelischen Belastungen und die Spastik in der Kaumuskulatur. Die Klägerin reichte verschiedene Zeitschriftenartikel und ein Informationsblatt ihres Zahnarztes zum Thema Folgen des Bruxismus ein.
Mit Urteil vom 23. Mai 2006 wies das SG die Klage ab. Es lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass für die bei der Klägerin bestehenden Zahnschäden das von ihr angeschuldigte Knirschen von Kindheit an, bedingt durch die psychischen Belastungen des Impfschadens, wesentlich ursächlich gewesen sei. Die begutachtende Zahnärztin habe in Übereinstimmung mit dem medizinischen Erkenntnisstand überzeugend dargelegt, dass es sich bei Parodontopathien meist um durch verschiedene Erreger ausgelöste, entzündliche Reaktionen des Zahnfleisches handle. Als weitere Ursachen könnten Funktionsstörungen des Kausystems, Störungen im allgemeinen Stoffwechsel, insbesondere auch Stress und auch mechanische Traumen in Betracht kommen. Da die Vorbefunde vor 1988 nicht mehr dokumentierbar seien, der angeschuldigte Vorgang mit entsprechenden Schädigungen jedoch bereits frühzeitig nach der Pockenschutzimpfung verursacht sein solle, könne nicht nachgewiesen werden, ob ein derartiger Befund frühzeitig vorgelegen habe. Die von der Klägerin dargestellte Fehlbelastung des Kausystems könnte mitursächlich für die Parodontose sein. Es lasse sich jedoch nicht die Schlussfolgerung treffen, dass für diesen Kausalverlauf mehr spreche als für den von der Gutachterin aufgezeigten Verlauf.
Gegen das ihr am 9. Juni 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Juni 2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Das SG sei ihrem Vorbringen hinsichtlich ihrer Zahnprobleme bereits vor dem 5. Lebensjahr, ihrem schweren Sturz im 11. oder 12. Lebensjahr mit der Folge, dass sämtliche Schneidezähne locker gewesen seien und die mittleren oberen Schneidezähne nach Abschleifen deutlich ungleichmäßig lang gewesen seien, nicht nachgegangen. Ihre Schwester könne hierzu als Zeugin entsprechende Angaben machen. Es sei herrschende medizinische Meinung, dass Zähneknirschen während des Schlafes schlimme Folgen haben könne. Das Knirschen selbst werde sehr oft durch seelische Belastungen ausgelöst. Darauf sei Dr. K.-H. überhaupt nicht eingegangen. Der Sachverhalt sei durch Einholung eines zusätzlichen Gutachtens weiter aufzuklären. Ferner sei von einer Beweislastumkehr auszugehen, da ihre mögliche Beweisnot eindeutig durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln bedingt sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2006 und unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29. April 2002 die bei ihr bestehenden Zahnschäden als Impfschadensfolge festzustellen, hilfsweise von Amts wegen hierüber ein zahnärztliches Gutachten einzuholen,
höchst hilfsweise die Schwester der Klägerin, S. L., K.-G.-Str. 30 in Frankfurt als Zeugin zu dem Sturz zu vernehmen, den sie im 11. oder 12. Lebensjahr erlitten hat. Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Entgegen dem SG ist im Hinblick auf die neu geltend gemachte Schädigungsfolge nicht von einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern von einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auszugehen. In der Sache ergibt sich dadurch jedoch keine Änderung.
Die Zahnschäden der Klägerin sind nicht als weitere Impfschadensfolge anzuerkennen. Der Bescheid vom 20. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt sowohl nach den Maßstäben der Vorschriften der §§ 51 ff. Bundesseuchengesetz (BSeuchG), die mit Wirkung vom 01.01.2001 außer Kraft getreten sind (Art. 5 des Seuchenrechts Neuordnungsgesetzes (SeuchRNeuG) vom 20.07.2000, BGBl. I S. 1045, 1076), als auch nach den Maßstäben des seitdem geltenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG; Art. 1 des SeuchRNeuG).
Nach § 51 Abs. 1 BSeuchG/§ 60 Abs. 1 IfSG erhält, wer durch eine im einzelnen näher bezeichnete Impfung/Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG/§ 2 Nr. 11 IfSG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden bzw. eine gesundheitliche Schädigung durch die Schutzimpfung. Ein Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens setzt voraus, dass die Impfung als schädigende Einwirkung, die dadurch aufgetretene gesundheitliche Schädigung (Impfschaden, unübliche Impfreaktion) und die bestehende Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sind (vgl. BSGE 60, 58, 59), während zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend (§ 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG/§ 61 Satz 1 IfSG), aber auch erforderlich ist. Wahrscheinlich ist der ursächliche Zusammenhang dann, wenn mehr für als gegen ihn spricht, wenn also die für den Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen (vgl. BSGE 45, 1, 9/10; 60, 58, 59). Ist ein Sachverhalt nicht erweisbar, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast der Beteiligte die Folge zu tragen, der daraus Rechte herleitet, bei anspruchsbegründenden Tatsachen also die Klägerin. Eine Umkehr der Beweislast gibt es im Bereich des Impfschadensrechts nicht (vgl. BSG SozR 3850 § 52 BSeuchG Nr. 1, 1500 § 160 SGG Nr. 51 und 3850 § 51 BSeuchG Nrn. 9 und 10; Urteil vom 27.08.1998 B 9 VJ 2/97 R).
Bei der Klägerin kam es infolge der Pockenschutzimpfung im Jahr 1951 zu einem Impfschaden in Form einer postvakzinalen Enzephalopathie. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. An dauerhaften Schädigungsfolgen sind u.a. eine spastische Störung im Bereich der Beine mit Fußdeformitäten und eine psychische Störung anerkannt. Der Senat konnte sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin und in Übereinstimmung mit dem SG nicht davon überzeugen, dass durch diese dauerhaften Schädigungsfolgen die Zahnschäden der Klägerin, die den paradontalen Erkrankungen zuzuordnen sind, mittelbar verursacht wurden. Dabei lässt der Senat dahingestellt, ob von Seiten des Beklagten die Schädigungsfolgen hinsichtlich der Spastik zu Recht nur auf die Beine bezogen wurden - was schon im Ansatz schädigungsbedingte Zahnschäden aufgrund einer spastischen Störung der Kaumuskulatur ausschließen würde. Gegen die Einschränkung der Spastik auf den Bereich der Beine könnten die gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. H. sprechen, der im Gutachten vom 30. Juli 1991 die Entwicklung einer langsam progredient verlaufenden spastischen Tetraparese beschrieb und im Gutachten vom 30. Januar 2002 eine Neigung zu Muskelkrämpfen - allerdings im Zusammenhang mit den Extremitäten, v.a. der Beine - erwähnte. Denn selbst wenn das von der Klägerin beschriebene Zähneknirschen, die Stürze und eine Spastik der Kaumuskulatur unterstellt wird, womit sich eine weitere Beweisaufnahme erübrigt, steht - wie das SG im Ergebnis richtig erkannt hat - nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Zahnschäden, die auch die Klägerin selbst als parodontale Erkrankung beschreibt, als mittelbare Schädigungsfolge anzusehen sind.
Der Senat hält die Auffassung von Dr. K.-H., dass Parodontopathien durch spezifische Erreger ausgelöst werden, für überzeugend. Daran hatte auch Dr. von J., die für den versorgungsärztlichen Dienst nach einem Gespräch mit der Klägerin am 24. Januar 2001 Stellung nahm, keine Zweifel. Soweit sich nach den Ausführungen von Dr. K.-H., denen sich der Senat anschließt, ein Zähneknirschen bei Paradontopathien nur leicht verstärkend auswirken kann, ist es nicht als rechtlich wesentliche Bedingung für die Krankheitsentstehung anzusehen. Die von der Klägerin vorgelegten Zeitschriftenartikel sind ersichtlich keinen wissenschaftlichen Publikationen entnommen. Die darin enthaltene Behauptung, mehr als die Hälfte aller Patienten mit Parodontose habe sich die Erkrankung durch nächtliches Zähneknirschen zugezogen, wird schon in den Veröffentlichungen selbst durch den Zusatz "wahrscheinlich" in Frage gestellt. Ihr steht die mit ärztlichem Sachverstand geäußerte Auffassung von Dr. K.-H., die zudem auf die Beurteilung des konkreten Zahnstatus der Klägerin gestützt ist, entgegen. Im Übrigen hat Dr. K.-H., wie eben erwähnt, einen möglichen verstärkenden Faktor des Zähneknirschens gerade nicht ausgeschlossen. Bei der Auswertung der Röntgenbilder beschrieb Dr. K.-H. auch keine erkennbare Folgen von Sturzereignissen. Eine direkte Zahnsubstanzschädigung aufgrund eines oder mehrerer Sturzereignisse ist nicht streitgegenständlich. Darüber liegt keine überprüfbare Verwaltungsentscheidung vor. Die Klägerin hat auch keinen dahingehenden Antrag gestellt. Gegenstand der Prüfung durch den Beklagten war vielmehr allein, ob der allgemeine, durch eine paradontale Entzündung und deren Folgen gekennzeichnete Zahnstatus als weitere Impfschadensfolge anzusehen ist. Aus diesem Grunde erübrigte sich die höchst hilfsweise beantragte Vernehmung von S. L. als Zeugin. Das von der Klägerin vorgelegte Informationsblatt ihres Zahnarztes zu den Gefahren des Zähneknirschens, das zwangsläufig ebenfalls allgemein gehalten ist, ist nicht geeignet, das Gutachten von Dr. K.-H. zu entkräften. Es ist ersichtlich darauf gerichtet, den "Knirscher oder selbstzerstörerischen Leerkauer" zu der "unbedingt" erforderlichen fachärztlichen Behandlung zu bewegen und hat damit neben einer sicher gut gemeinten Ratgeberfunktion doch auch deutlich die Zielsetzung einer Patientenrekrutierung.
Die Einholung eines weiteren Gutachtens war nach alledem nicht erforderlich. Das im Rahmen des Urkundenbeweises verwertete Gutachten von Dr. K.-H. stellt eine ausreichende Entscheidungsgrundlage dar.
Die Berufung war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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