L 3 AL 3768/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 AL 662/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3768/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. März 2006 abgeändert. Die Klage gegen den Bescheid vom 25. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. Januar 2002 wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.03.2001 bis 30.05.2001 sowie ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ab dem 01.09.2001 streitig.

Der 1942 geborene türkische Kläger war ab 1976 bei der Firma S. Schleifmittel mit Sitz in F. als Produktionsmeister versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Tod des Inhabers W. R. wurde dessen Sohn M. R. 1993 Inhaber die Firma.

Im Februar 1994 gründeten dieser und der Kläger die Firma S. Schleifmittel Marmor- und Stahltrennscheiben Industrie und Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in A./Türkei. Vom Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 2 Milliarden türkische Lira (TL) übernahmen die beiden Gesellschafter jeweils die Hälfte. Nach § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages wurde der Kläger bis zu einem anders lautenden Beschluss von der Gesellschafterversammlung für die ersten fünf Jahre zum Geschäftsführer bestellt. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung sowie der Binnen- und Außenhandel mit Trenn-, Polier- und Schleifscheiben zum Trennen, Polieren und Schrubben von Steinen, Marmor, Eisen und Asphalt aller Art.

In der Folgezeit wurde dem Kläger weiterhin Arbeitsentgelt von der Firma S. Schleifmittel Deutschland bezahlt und es wurden für ihn Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Mit Schreiben vom 31.03.2001 stellte die Firma S. Schleifmittel der türkischen Firma "gemäß der Vereinbarung mit Herrn R." den "Lohn für Januar bis März 2001" für den Kläger in Höhe von 20.467,78 EUR in Rechnung.

Am 27.04.2001 stellte die Firma S. Schleifmittel Insolvenzantrag. Am 01.06.2001 wurde die Firma liquidiert. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch Arbeitgeberkündigung vom 31.05.2001 zum 31.08.2001 beendet. Am 07.06.2001 übernahm der seit dem 01.01.1999 als kaufmännischer Leiter tätige Herr U. den Geschäftsbetrieb in Deutschland als Neugründung unter der Firma S. Abrasives Germany GmbH.

Der Kläger meldete sich am 29.08.2001 zum 01.09.2001 arbeitslos, unterschrieb eine Erklärung über den Bezug von Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und erklärte am 06.09.2001, er beabsichtigte, sich vom 10.09.2001 bis 06.01.2002 auswärts aufzuhalten.

Nachdem die Polizeidirektion E. - Kriminalaußenstelle Nürtingen - mitgeteilt hatte, der Kläger habe den Betrieb in der Türkei geleitet und nicht in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet, die in Deutschland für den Kläger getätigten Lohnzahlungen seien der Firma S. in der Türkei in Rechnung gestellt worden, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.09.2001 den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld ab mit der Begründung, die Anwartschaftszeit sei nicht erfüllt, da der Kläger innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren vor dem 01.09.2001 nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Es bestehe auch kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.

Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage von Kopien der Lohnabrechnungen für die Jahre 1998 bis 2001 Widerspruch ein mit der Begründung, diesen Abrechnungen könne entnommen werden, dass er sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt worden seien. Es gehöre nicht zu den Leistungsvoraussetzungen nach § 117 SGB III, dass die Beschäftigung eines Arbeitnehmers im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sein müsse, dies könne auch durchaus im Ausland der Fall sein, ohne dass dies einem Leistungsanspruch entgegenstehe. Im Übrigen seien interne Verrechnungsklauseln zwischen verschiedenen Unternehmen durchaus üblich und würden so auch in Großkonzernen praktiziert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 08.02.2002 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, aus den bereits vorgelegten Lohnabrechnungen ergebe sich, dass er in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Er habe in Deutschland ein reguläres Arbeitsverhältnis gehabt. Es treffe nicht zu, dass er in Deutschland nicht gearbeitet habe, vielmehr habe er bei seinem Aufenthalt in Deutschland Arbeiten für die Firma S. Schleifmittel Deutschland erledigt. Dies habe der klaren Vereinbarung zwischen ihm und Herrn R. entsprochen. Schließlich seien von der Firma S. Türkei keine Zahlungen für seinen Arbeitslohn an die Firma S. Schleifmittel Deutschland erfolgt.

Bereits zuvor hatte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.03.2001 bis 30.05.2001 bewilligt. Mit Bescheid vom 21.02.2002 nahm sie die Bewilligung zurück und forderte die Leistung zurück. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2003 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 14.07.2003 Klage zum SG erhoben (S 2 AL 3720/03).

Das SG hat die beiden Verfahren mit Beschluss vom 19.01.2005 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

In seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 04.08.2005 hat Herr U., kaufmännischer Leiter der Firma S. Deutschland bis 30.05.2001 und Geschäftsführer der am 07.06.2001 gegründeten S. Abrasives Germany GmbH angegeben, der Kläger sei bei der Firma W. R., Schleifmittel, abhängig beschäftigt gewesen, er sei mehrmals jährlich im Rahmen von Besprechungen (Produktion, Logistik) im Werk F. anzutreffen gewesen. Seine Tätigkeiten im Werk F. hätten nur in Besprechungen mit der alten Geschäftsleitung bestanden. In diesen Besprechungen seien in erster Linie Punkte und Problematiken der Niederlassung Türkei diskutiert worden. Er sei im Auftrag der Firma W. R., Schleifmittelwerk, als verantwortlicher Ansprechpartner der türkischen Niederlassung abgestellt gewesen und sei, da er im Auftrag der deutschen Firma diese Tätigkeit ausgeführt habe, bei der deutschen Sozialversicherung gemeldet gewesen. Nach seiner Kenntnis seien Lohn gegen Rechnungen nur für die in der Anfangsphase häufig auftretenden Nacharbeiten in Deutschland gestellt worden.

Der Kläger hat hierzu in der Weise Stellung genommen, der Zeuge habe bestätigt, dass er im Auftrag der Firma W. R. in deren türkischer Niederlassung tätig gewesen sei und mehrmals jährlich im Werk F. gewesen sei.

In der mündlichen Verhandlung am 30.03.2006 hat das SG die Zeugen P., U. und R. vernommen. Die Zeugin P., ehemalige Versandleiterin der Firma S. Schleifmittel, hat angegeben, sie habe mit dem Kläger im Bereich der Logistik zusammengearbeitet. Etwa ein bis zwei Mal im Jahr sei er in Deutschland gewesen, sie habe dann mit ihm logistische Dinge besprochen. Seit Mitte der 90er Jahre sei der Kläger in der Türkei gewesen.

Der Zeuge U. hat angegeben, der Kläger sei für die Strukturierung der türkischen Firma zuständig gewesen. Seit etwa 1998 habe er sich weitgehend in der Türkei aufgehalten und sei nur sporadisch in Deutschland zu Besprechungen gewesen. Er habe weiterhin seine Bezüge aus Deutschland erhalten. Seines Wissens sei der Kläger eine Art Abgesandter für die türkische Niederlassung gewesen.

Der Zeuge R. hat angegeben, er habe 1993 die Idee gehabt, die Produktion in einem ausländischen Betrieb durchführen zu lassen. Der Kläger habe sich bereit erklärt, in der Türkei in diesem Betrieb für die Logistik zu sorgen und die Qualität der Rohstoffe zu prüfen. Er habe auch die Produktion und die Qualität überwacht und sei als Ansprechpartner vor Ort dafür zuständig gewesen, die Qualitätsvorgabe durchzuhalten. Seit 1994 sei er vor Ort in der Türkei gewesen und gelegentlich zu Besprechungen nach Deutschland gekommen. Anfänglich sei geplant gewesen, dass er sich nur einige Zeit in der Türkei aufhalte. Eine vertragliche Vereinbarung über die Dauer des Aufenthalts in der Türkei sei nicht getroffen worden. Wegen der Fluktuation in der Türkei habe sich sein Aufenthalt dort dann immer wieder verlängert. Er selbst habe sich etwa drei bis vier Monate im Jahr in der Türkei aufgehalten. Eine Vereinbarung wie in der Abrechnung vom 31.03.2001 beschrieben habe nicht bestanden. Ab etwa 1997 oder 1998 sei der Hauptteil der Arbeit in der Türkei erledigt gewesen. Man hätte ab diesem Zeitpunkt auch einen anderen Arbeitnehmer in die Türkei entsenden können. Dies sei jedoch unterblieben, weil sich der Kläger bewährt habe. Auf die Zeugenaussagen im Übrigen wird Bezug genommen.

Ausweislich des Gründungsvertrages vom 03.02.1994 der S. Schleifmittel GmbH in Y./Türkei war der Kläger an deren Stammkapital von 2 Millionen türkische Lira (TL) mit einem Anteil von 1 Mio. TL beteiligt. Nach § 9 Abs. 2 des Vertrages war er bis zu einem anders lautenden Beschluss der Gesellschafterversammlung für die ersten fünf Jahre zum Geschäftsführer bestellt.

Mit Urteil vom 30.03.2006 hat das SG den Bescheid vom 21.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2003 sowie den Bescheid vom 25.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 29.08.2001 dem Grunde nach zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen sowohl für die Gewährung von Insolvenzgeld als auch für die Gewährung von Arbeitslosengeld seien erfüllt. Insbesondere habe der Kläger die Anwartschaftszeit nach § 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung erfüllt, da er in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Er sei von der deutschen Firma S. Schleifmittel von August 1998 bis August 2001 gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Lohnabrechnungen sowie den Aussagen des Zeugen U., nach denen bis Dezember 2000 bzw. Januar 2001 tatsächlich noch das Gehalt durch die deutsche Firma gezahlt worden sei. Eine Verrechnung der Lohnzahlungen mit Ansprüchen gegen die türkische Firma sei nicht nachgewiesen. Der Kläger sei auch in persönlicher Abhängigkeit von der deutschen Firma tätig gewesen, und zwar nicht nur bei den gelegentlichen Besprechungen in Deutschland, sondern auch bei der ab 1994 in der Türkei ausgeübten Tätigkeit. Auch der Umstand, dass die Tätigkeit des Klägers ab 1994 überwiegend im Ausland erbracht worden sei, stehe der Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht entgegen. Die Entsendung des Klägers sei infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im voraus zeitlich begrenzt gewesen, so dass die Voraussetzungen einer Ausstrahlung nach § 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erfüllt seien. Die Entsendung in die Türkei sei im Hinblick auf den Zweck (Aufbau der Produktion in der türkischen Firma) im Voraus zeitlich begrenzt gewesen. Auch wäre die inländische Weiterbeschäftigung des Klägers nach dessen Rückkehr gewährleistet gewesen. Schließlich seien auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld erfüllt. Insbesondere habe eine Beschäftigung im Inland vorgelegen bzw. sei der Kläger unter Weitergeltung des deutschen Sozialversicherungsrechts gemäß § 4 SGB IV ins Ausland entsandt worden.

Gegen das am 27.06.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.07.2006 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Kläger sei in der Zeit von August 1998 bis August 2001 bei der Firma S. Schleifmittel nicht abhängig beschäftigt gewesen. Er habe vielmehr den 1994 in der Türkei gegründeten Betrieb Firma S. Schleifmittel Türkei eigenverantwortlich geführt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. März 2006 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts E. Az: 1 in 93/01 bezüglich des Insolvenzverfahrens M. R. beigezogen. Im Anhörungstermin vom 16.05.2001 hatte dieser u.a. angegeben: "Wir wollten in der Türkei eine Qualitätsüberwachung machen und unser Mitarbeiter war nur bereit, dies zu tun, wenn er von Deutschland aus bezahlt wird; wenn seine Bezüge über Deutschland weiterlaufen."

Am 15.04.2008 ist der Zeuge R. vernommen worden. Auf die Niederschrift wird insoweit Bezug genommen.

Die Insolvenzgeldakten sind von der Beklagten nicht vorgelegt worden. Auf die Aktenanforderung hat die Beklagte mitgeteilt, das SG habe die Insolvenzgeldakte an die Staatsanwaltschaft Stuttgart übersandt. Ihr liege die Akte nicht vor. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat unter dem 18.08.2008 mitgeteilt, dort sei eine Insolvenzgeldakte nicht auffindbar.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalt wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosengeld abgelehnt.

Anspruch auf Arbeitslosengeld haben gemäß § 117 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die

1. arbeitslos sind, 2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.

Fraglich ist bereits, ob der Kläger in der Zeit ab dem 01.09.2001 arbeitslos war. Nach § 118 Abs. 1 SGB III ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, der u.a. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), wobei eine selbständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger einer Beschäftigung gleichsteht. Zwar war der Kläger im streitigen Zeitraum nicht mehr bei der Firma S. Deutschland beschäftigt. In Betracht kommt jedoch, dass er für die Firma S. Schleifmittel in der Türkei tätig war. Anhaltspunkte für eine Einstellung der Tätigkeit der Firma S. Schleifmittel Türkei, die von dem Insolvenzereignis der deutschen Firma nicht betroffen war, liegen nicht vor. Vielmehr hat der Kläger bzw. einer seiner Söhne kurz vor der Insolvenz der deutschen Firma die vormaligen Anteile von Herrn M. R. erworben. Eine Tätigkeit für die S. Türkei würde bereits Arbeitslosigkeit ausschließen.

Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Einem Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld steht jedenfalls entgegen, dass er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat. Nach § 123 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt nach § 124 Abs. 1 drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Rahmenfrist dauert vorliegend, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, vom 30.08.1998 bis zum 29.08.2001.

In der Rahmenfrist war der Kläger nicht wenigstens 12 Monate versicherungspflichtig beschäftigt. Nur Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses nach § 124 SGB III dienen der Erfüllung der Anwartschaftszeit. Ob Beiträge abgeführt worden sind, ist nicht entscheidend. Ausreichend ist, dass der Arbeitslose in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Anwartschaftszeit ist jedoch nicht erfüllt, wenn zwar Beiträge gezahlt worden sind, eine Versicherungspflicht aber objektiv nicht bestanden hat, da die Arbeitslosenversicherung keine Formalversicherung kennt und sich der Arbeitslose insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen kann (BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 8; Brand in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 123 Rz. 5).

Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger in einem Versicherungspflichtverhältnis mit der Firma S. GmbH in Deutschland gestanden hat oder für die Firma S. Türkei tätig war, da er jedenfalls während der Rahmenfrist im Ausland tätig war, kein Fall der Ausstrahlung nach § 4 SGB IV vorlag und er deshalb nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

Nach § 25 Abs. 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (versicherungspflichtige Beschäftigung). Dies gilt grundsätzlich nur für eine Beschäftigung im Inland. Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie nach § 4 Abs. 1 SGB IV auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

Hiervon abweichende zwischenstaatliche oder sonstige Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei bestehen nicht, so dass die gesetzliche Regelung maßgeblich ist.

Eine Entsendung liegt vor, wenn sich ein Beschäftigter auf Weisung seines Arbeitgebers vom Inland ins Ausland begibt. Zur Überzeugung des Senats hat die Beweisaufnahme vor dem SG und dem Senat ergeben, dass der Kläger seit 1994 in der Türkei gearbeitet hat und nur gelegentlich zu Besprechungen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, hier jedoch nicht mehr gearbeitet hat. Die Zeugin P., ehemalige Versandleiterin der Firma S. Schleifmittel Deutschland, hat angegeben, der Kläger sei etwa ein bis zwei Mal jährlich in Deutschland gewesen, sie habe dann logistische Fragen mit ihm besprochen. Diese Angabe hat der Zeuge U. bei seiner schriftlichen Vernehmung bestätigt und mitgeteilt, der Kläger sei weitgehend in der Türkei tätig gewesen und nur sporadisch in Deutschland zu Besprechungen anwesend gewesen. Der Zeuge U. hat weiter angegeben, seines Wissens sei der Kläger eine Art Abgesandter für die türkische Niederlassung gewesen. Der Zeuge R. hat bei seiner Vernehmung durch das SG angegeben, der Kläger, der sich durch seine Tätigkeit im deutschen Produktionsbetrieb das nötige Know-How angeeignet habe, habe bereits eine Art Vorsprecherposition erworben gehabt und sich dann bereit erklärt, im Betrieb in der Türkei für die Logistik zu sorgen und die Qualität der Rohstoffe zu prüfen. Er habe die Produktion und Qualität überwacht, sei für die Einhaltung der Qualitätsvorgaben zuständig und Ansprechpartner vor Ort gewesen. Ab 1994 sei er vor Ort in der Türkei gewesen und habe sich nur gelegentlich zu Besprechungen in Deutschland aufgehalten. Der Senat hält diese Angaben für glaubhaft und zutreffend. Soweit der Zeuge R. demgegenüber bei seiner Vernehmung im Erörterungstermin am 15.04.2008 angegeben hat, der Kläger habe sich öfter in Deutschland aufgehalten und hier insbesondere in der Produktion wieder mitgearbeitet, hält der Senat dies nicht für glaubhaft. Insbesondere ist die Aussage, der Kläger habe in Deutschland gearbeitet, wenn die Produktion in der Türkei geruht habe, nicht glaubhaft, da dann in der Regel auch in Deutschland keine Arbeiten anfielen. Der Senat hält auch die Angabe, die Produktion in der Türkei habe der Pufferung der Produktion gedient, nicht für zutreffend. Den vorliegenden Unterlagen kann vielmehr entnommen werden, dass es sich um eine Verlagerung der Produktion von Deutschland in die Türkei gehandelt hat. Nicht glaubhaft ist deshalb auch der weitere Vortrag, der Kläger habe dann in Deutschland gearbeitet, wenn es - z.B. durch Verzögerungen der Rohstofflieferungen - zu einer Einschränkung der Produktion in der Türkei kam.

Die Entsendung des Klägers in die Türkei war, wie der Zeuge R. angegeben hat, nicht vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt.

Die Entsendung war auch nicht infolge der Eigenart der Beschäftigung im Voraus zeitlich begrenzt. Erforderlich hierfür ist, dass die Dauer der Tätigkeit im Ausland bereits vor der Entsendung abschätzbar ist. Zu berücksichtigen hierbei ist auch, ob nach Beendigung der Auslandsbeschäftigung eine Wieder- oder Weiterbeschäftigung beim entsendenden Arbeitgeber gewährleistet ist (Seewald in Kassler Kommentar § 4 SGB VI Rz. 11).

Dahingestellt bleiben kann, ob zunächst eine zeitlich begrenzte Entsendung des Klägers geplant war, bis der Produktionsbetrieb in der Türkei aufgebaut war. Hierzu hat der Zeuge R. angegeben, anfänglich, d.h. im Jahr 1994, sei geplant gewesen, dass der Kläger nur einige Zeit in der Türkei bleibe. Wegen der Fluktuation in der Türkei habe sich sein Aufenthalt dann immer wieder verlängert. Ab etwa 1997 oder 1998 sei der Hauptteil der Arbeit in der Türkei erledigt gewesen und man hätte einen anderen Arbeitsnehmer anstelle des Klägers entsenden können. Dies sei jedoch unterblieben, weil sich dieser bewährt habe. Damit liegt spätestens seit 1998 keine Entsendung mehr vor, da eine zeitliche Begrenzung infolge der Eigenart der Beschäftigung nicht mehr gegeben war, der Kläger vielmehr dauerhaft in der Türkei eingesetzt war. Mangels versicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnis hat der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Dahingestellt bleiben kann deshalb auch, ob der Erfüllung der Anwartschaftszeit zudem entgegensteht, dass der Kläger in der Rahmenfrist nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, sondern als Gesellschafter der S. Schleifmittel Türkei selbständig tätig war. Nach § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages vom 03.02.1994 war er bis zu einem anders lautenden Beschluss der Gesellschafterversammlung für die ersten fünf Jahre zum Geschäftsführer bestellt worden.

Soweit sich die Klage gegen die Rücknahme und Rückforderung von Insolvenzgeld richtet, ist die Berufung der Beklagten nicht begründet. Es mag zwar naheliegend sein, dass die Bewilligung von Insolvenzgeld rechtswidrig war, da ein Anspruch auf Insolvenzgeld mangels eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt (§ 183 Abs. 1 SGB III) - wie ausgeführt - nicht bestand. Es lässt sich jedoch nicht mehr feststellen, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung gem. § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorgelegen haben.

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf gem. § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) ist nicht nachgewiesen. Der Kläger musste nicht wissen, dass er nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, wenn er nur noch in der Türkei tätig war, da das Arbeitsentgelt von der deutschen Firma weiterhin an ihn ausbezahlt worden ist und die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind. Auch die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 SGB X sind ohne Kenntnis des Inhalts der Verwaltungsakten bzw. der darin enthaltenen Angaben des Klägers und den Hinweisen der Beklagten nicht nachgewiesen. Nachdem sich die Insolvenzgeldakte nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft befindet und auch von der Beklagten nicht vorgelegt werden konnte, war eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht mehr möglich. Die Nichtaufklärbarkeit geht zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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