Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 17/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 1/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der zeitliche Anwendungsbereich einer Regelung bestimmt sich nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen, wenn das Gesetz keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält. Dies gilt auch für die Erweiterte Honorarverteilung (EHV) der KV Hessen.
2. Die zum 01.07.2012 in der EHV eingeführte Wartezeit von fünf Jahren (hier: bei Berufsunfähigkeit) kann zum Totalentzug der eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaft führen und ist ohne eine Übergangsregelung unzulässig.
2. Die zum 01.07.2012 in der EHV eingeführte Wartezeit von fünf Jahren (hier: bei Berufsunfähigkeit) kann zum Totalentzug der eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaft führen und ist ohne eine Übergangsregelung unzulässig.
1. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten von 07.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Teilnahme an der EHV ab dem 01.02.2014 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) der Beklagten ab dem 01.02.2014 und hierbei insb. um die Frage, ob die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren Leistungsvoraussetzung ist.
Die 1960 geb. und jetzt 45-jährige Klägerin war vom 01.10.1994 bis 31.03.1999, also insgesamt 4 ½ Jahre als Fachärztin für Laboratoriumsmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in C-Stadt zugelassen. Sie beendete ihre Zulassung aufgrund Verzichts. Anschließend arbeitete sie als Praxismanagerin für ein Gesundheitszentrum und als Aushilfe und Vertretung in einer laborärztlichen Praxis, z. T. in Form einer Teilzeitanstellung. Mit ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit erwarb sie für die EHV eine Anwartschaft von 8.105,5581 Punkten. Seit 04.12.2012 erhält sie eine - zunächst vorübergehende - Berufsunfähigkeitsrente von der Bayerischen Ärzteversorgung.
Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 24.01.2000 mit, sie habe sich durch ihre vertragsärztliche Tätigkeit für den Fall der Erreichung der in der EHV bestimmten Altersgrenze bzw. ihrer Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs Ansprüche nach § 1 GEHV erworben. Sie füge eine Aufstellung der erarbeiteten Punkte bei. Diese Mitteilung erfolge unter dem Vorbehalt, dass keine Änderung der ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse eintrete.
Die Klägerin beantragte mit Datum vom 13.01.2014 wegen ihrer ab dem 04.06.2012 bestehenden Berufsunfähigkeit die Teilnahme an der EHV. Soweit nach ihrem Ausscheiden aus der Kassenärztlichen Vereinigung eine Änderung der Rechtslage eingetreten sein sollte, gebe es sicherlich einen Bestandsschutz und Übergangsregelungen für Altfälle.
Die Beklagte lehnte eine Bewilligung zur Teilnahme an der EHV mit Bescheid vom 07.03.2014 ab, da gem. § 2 (1) a der Grundsätze der EHV, Stand: 01.07.2012 eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in ihrem Bereich von mindestens fünf Jahren Voraussetzung sei. Diese Mindestzeit erfülle die Klägerin nicht.
Hiergegen legte die Klägerin am 01.04.2014 Widerspruch ein, weil die Satzungsänderung erst nach ihrem Austritt aus der KV erfolgt sei. Zur Begründung trug sie vor, sie sei seit dem 04.06.2012 aufgrund von kognitiven Störungen nach Nachlassen der Gedächtnisleistung als Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie nach einer Chemotherapie berufsunfähig. Dieser Zustand dauere an, da die medikamentöse Therapie nach wie vor durchgeführt werde. Sie übersende hierzu verschiedene ärztliche Unterlagen. Der rückwirkende vollständige Versorgungsausschluss von Ärzten, die weniger als 5 Jahre in Hessen zugelassen seien, durch die Änderung der EHV-Grundsätze, Stand 01.07.2014, ohne jegliche Ausnahme-, Übergangs- und Härtefallregelung sei rechtswidrig. Sowohl zu der Zeit, zu der sie zugelassen gewesen sei, als auch zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Berufsunfähigkeit am 04.06.2012, fehle die Regelung in § 2 Abs. 1 der EHV-Grundsätze, wonach ein Arzt mindestens 5 Jahre in Hessen zugelassen gewesen sein müsse. Sie habe einen Versorgungsanspruch aufgrund ihrer Berufsunfähigkeit erworben, der ihr rückwirkend nicht mehr genommen werden könne. Sie habe nicht nur eine Kürzung ihres Honorars während ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit hinnehmen müssen, ihr werde nunmehr nachträglich rückwirkend der auf die EHV entfallende Teil ihrer Altersversorgung vollständig gestrichen, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, diese durch Aufstockung ihrer Beiträge zum Versorgungswerk der Ärztekammer auszugleichen. Sie habe auch keinerlei Möglichkeit mehr, die fehlenden Monate nachzuholen. Dies wäre auch unabhängig von ihrer Berufsunfähigkeit kaum möglich, da zwischenzeitlich auch für Fachärzte für Laboratoriumsmedizin eine Bedarfsplanung eingeführt worden sei und hessenweit eine Niederlassungssperre bestehe. Ihre Altersversorgungsansprüche im Rahmen der EHV seien durch die Eigentumsgarantie geschützt. Es liege ein Verstoß sowohl gegen die Honorarverteilungsgerechtigkeit als auch gegen die Eigentumsgarantie vor. Dem Gesetzesvorbehalt dieser Regelungen sei nicht Genüge getan worden. Auch in der echten Rückwirkung dieser Regelung, die in längst abgeschlossene, nicht mehr änderbare Sachverhalte und Ansprüche eingreife, liege ein Verstoß gegen das Grundgesetz vor. Sie sei ab dem Monat nach Eintritt ihrer Berufsunfähigkeit, also ab dem 01.07.2012 zur Teilnahme berechtigt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18.12.2014 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, der angegriffene Bescheid entspreche den Vorgaben der GEHV. Diese seien im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte kontinuierlich geändert worden, zuletzt grundlegend zum 01.07.2012. Voraussetzung sei eine fünfjährige vertragsärztliche Tätigkeit, die die Klägerin nicht erfülle. Ihr Vorstand habe in seiner Sitzung am 29.04.2013 eine Übergangsregelung für die Mindesttätigkeitsdauer von fünf Jahren beschlossen. Danach finde die zum 01.07.2012 neu als Teilnahmevoraussetzung eingeführte Fünf-Jahres-Regelung auf Vertragsärzte der Jahrgänge 1949 bis 1954, die weniger als fünf Jahre in ihrem Bereich tätig gewesen seien, keine Anwendung. Für die am 23.09.1960 geborene Klägerin greife diese Übergangsregelung nicht.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.01.2015 die Klage erhoben. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie habe zum Zeitpunkt ihres Verzichts auf die Zulassung im Jahre 1999 eine unverfallbare Anwartschaft erworben gehabt. Sie habe durch die rückwirkende Änderung nicht die Möglichkeit gehabt, durch Aufstockung ihrer Beiträge zum Versorgungswerk der Ärztekammer auszugleichen. Von ihrem Honorar seien über 250.000 DM einbehalten worden. Sie könne die fehlende Zeit auch nicht nachholen. Seit dem Ende der Chemotherapie am 04.06.2012 sei sie bis heute durchgehend berufsunfähig. Das Bayerische Versorgungswerk habe zunächst das Vorliegen einer vorübergehenden Berufsunfähigkeit ab dem 04.06.2012 festgestellt, dann eine dauernde Berufsunfähigkeit. Seit dem 04.12.2012 erhalte sie eine Berufsunfähigkeitsrente durch die ausgezahlt. Das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen habe zwar fehlerhaft festgestellt, dass Berufsunfähigkeit erst seit dem 01.05.2013 vorliege. Sie habe dies nicht angegriffen, da ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente erst ab dem Monat nach Antragstellung erfolge, also erst ab 01.06.2013. Die Wartezeit sei erst eingeführt worden, als sie schon berufsunfähig gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Zulassungsverzichts sei dies noch nicht absehbar gewesen, andernfalls hätte sie ihre vertragsärztliche Tätigkeit entsprechend länger ausgeübt. Es handele sich um eine unzulässige echte Rückwirkung. Es handele sich um einen Eingriff in die Eigentumsgarantie, was die Beklagte zwischenzeitlich auch gesehen und selbst im Beschluss-Protokoll der Vorstandssitzung vom 29.04.2013 festgestellt habe. Die Wartezeit sei auch willkürlich und mit fünf Jahren zu lang. Allenfalls sei eine Dauer von sechs Monaten zulässig. Ihr sei auch eine Rückkehr in die gesetzliche Rentenversicherung verschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten von 07.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Teilnahme an der EHV ab dem 01.02.2014 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, auf den Rechtscharakter des Vorstandsbeschlusses vom 29.04.2013 komme es nicht an, da dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Zur Frage, ab wann die Klägerin berufsunfähig sei, gebe sie keine Stellungnahme ab. Berufsunfähigkeit sei nicht zu prüfen, da die Klägerin nicht die geforderte Mindestzeit erfülle. Mit der Regelung über die Mindestzeit definiere sie das Berufsunfähigkeitsrisiko, das sie übernehmen möchte. Dies diene dem Erhalt der EHV. Wartezeiten seien im Allgemeinen eine typische Voraussetzung von Existenzsicherungssystemen. Eine Verpflichtung, für die Klägerin eine Ausnahme zu regeln, bestehe nicht. Die Klägerin habe bereits Ende der 90er Jahre ihre vertragsärztliche Tätigkeit in Hessen beendet. Sie sei noch jung genug gewesen, um die Wartezeit aufzufüllen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie der weiter beigezogenen Verwaltungsakte der Bayerischen Ärzteversorgung, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten von 07.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 ist rechtswidrig. Er war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung der Teilnahme an der EHV ab dem 01.02.2014 in gesetzlicher Höhe.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Teilnahme an der EHV sind die ab 01.07.2006 gültigen Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung in der ab Oktober 2011 gültigen Fassung (im Folgenden: GEHV 2011). Die durch Beschluss der Vertreterversammlung der Beklagten in den Sitzungen vom 10.03.2012 und 12.05.2012 mit Wirkung zum 01.07.2012 verabschiedeten und von dem aufsichtführenden Sozialministerium des Landes Hessen mit Schreiben vom 25.05.2012 genehmigte Fassung, veröffentlicht in info.doc Nr. 3, Juni 2012, sowie als EHV-Aktuell Rundschreiben vom Juni 2012 (im Folgenden: GEHV 2012) ist nicht anzuwenden, da Berufsunfähigkeit der Klägerin bereits zuvor eingetreten war.
Der zeitliche Anwendungsbereich einer Regelung bestimmt sich nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen, wenn das Gesetz keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält. Eine Neuregelung ist danach nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (vgl. BSG, Urt. v. 22.6.2010 - B 1 KR 29/09 R - SozR 4-2500 § 275 Nr. 4 = ZMGR 2010, 381 = NZS 2011, 336, juris Rdnr. 13 f.). Allgemein gilt im Sozialversicherungsrecht daher das Leistungsfall- bzw. Versicherungsfallprinzip. Es ist nur dann nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (vgl. BSG, Urt. v. 04.09.2013 - B 10 EG 6/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, juris Rdnr. 38 m.w.N.). Ausdruck des Versicherungsfallprinzips ist z. B. § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, und es wird zwischen Stammrecht und Zahlungsanspruch unterschieden (vgl. LSG Hamburg, Urt. v. 05. 09.2012 - L 2 R 50/10 - juris Rdnr. 22; Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 75 SGB VI Rdnr. 13). Die Grundsätze des intertemporalen Rechts gellten auch allgemein im Vertragsarztrecht. Für die rechtliche Beurteilung kommt es maßgeblich auf das jeweils geltende Recht an (vgl. BSG, Urt. v. 22.10.2014 - B 6 KA 8/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 49 = GesR 2015, 234, juris Rdnr. 28 ff.). Im Bereich der EHV ist ebf. zwischen dem Stammrecht bzw. der Anwartschaft als erworbenem "Anspruch auf Teilhabe in einem bestimmten Umfang" und dem konkreten Auszahlungsbetrag zu unterscheiden (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 79, juris Rdnr. 51; s. auch BSG, Urt. v. 16.07.2008 - B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 43, juris Rdnr. 53). Weder die GEHV 2011 noch die GEHV 2012 regeln in gesonderten Bestimmungen, welches Recht anzuwenden ist. § 12 GEHV 2011 bzw. § 11 GEHV 2012 regeln nur den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Die Übergangsregelung nach § 10 GEHV betrifft lediglich die Umrechnung der bisher bestehenden Anwartschaften und Ansprüche. Maßgeblich für das Bestehen einer Anwartschaft ist daher allein das EHV-Satzungsrecht der Beklagten, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit gegolten hat.
Berufsunfähigkeit der Klägerin ist zum 04.06.2012 eingetreten. Die Kammer begründet ihre Auffassung aus der Auswertung der medizinischen Unterlagen in den beigezogenen Verwaltungsakten unter Heranziehung des medizinischen Sachverstands der beiden vertragsärztlichen Beisitzer. Von daher konnte die Kammer von der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens absehen.
Bei der Klägerin wurde erstmals im Januar 2012 die Erstdiagnose eines invasiv duktalen Mammakarzinoms links gestellt. Vom Februar bis Juni 2012 wurde eine Chemotherapie appliziert. Anschließend erfolgte im Juli die Mastektomie links mit Axilladissektion. Postoperativ erfolgte von August bis September 2012 eine Bestrahlung der Thoraxwand links des Lymphabflussgebietes.
Dr. D. stellte in der ärztlichen Stellungnahme auf dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie vom 11.06.2013 fest, es bestehe zudem eine medikamenteninduzierte milde kognitive und mnestische Störung und ein psychovegetatives Überlastungssyndrom. In der Anamnese wird angegeben, die Klägerin klage über die Störungen seit Ende ihrer Chemotherapie. Ihr fielen immer wieder medizinische Begriffe und Namen, auch Normwerte in der Labormedizin etc. nicht wie üblich ein, sie könne sich zwar Minuten später daran erinnern, aber viele Dinge hätte sie auf Abruf nicht parat. Bei unentgeltlichen Arbeitsversuchen als Laborärztin seien ihr Fehler unterlaufen, auch konzentrativ gebe es Probleme, Verwechslungen von Patientennamen etc. Dr. D. gelangte zum Ergebnis, die Störungen seien nachvollziehbar als Nebenwirkung der hochdosierten Chemotherapie, insb. der Taxan-Behandlung, anzusehen. Ein Ruhen der beruflichen Tätigkeit sei erforderlich für mindestens ein Jahr. Mit einer Besserung der Defizite sei erst im Laufe mehrerer Monate zu rechnen. Ähnlich äußerte sich Frau Prof. Dr. med. C. vom Klinikum Darmstadt in ihren ärztlichen Stellungnahmen vom 29.07.2013, 24.09.2013 und 03.06.2014, die von einer Berufsunfähigkeit seit dem Ende der Chemotherapie am 04.06.2012 ausging.
Der Neurologe und Psychiater Dr. E. gelangte in seinem urkundenbeweislich verwertbaren Gutachten im Auftrag vom 15.04.2014 aufgrund eigener Untersuchung zu dem Ergebnis, die Klägerin leide u.a. an einer leichten kognitiven Störung, medikamenteninduziert, einer leichten Anpassungsstörung, Schmerzen im Bereich der Wirbelsäure bei degenerativen Veränderungen, Osteoporose, subjektivem Drehschwindelgefühl bei Lageänderung, ohne organisch fassbares Korrelat, auch gebe es Hinweise auf eine distal-symmetrische Polyneuropathie. Die Psychopathologie sei gekennzeichnet durch das subjektive Gefühl der Beeinträchtigung der Konzentration und Merkfähigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit differenzierten Anforderungen im Berufsleben als Laborärztin. Eine durchgehend depressive Verstimmung lasse sich nicht sicher eruieren. Zusätzliche Erschöpfbarkeit, Ermüdbarkeit, Gewichtsveränderung und Schwindel könnten Ausdruck der folgenden Behandlung auf organischer Ebene sein, z. B. durch Radiatio und Chemietherapie, andererseits aber auch Ausdruck einer psychoreaktiven Begleitreaktion. Aus diesem Grund habe die Klägerin auch eine neurologisch-psychiatrische Beratung erhalten. Zusätzlich habe sie psychologische Termine aufgenommen. Er habe die Klägerin einer psychodiagnostischen Untersuchung unterzogen. Die Auswertung habe eine leicht überdurchschnittliche geistige Leistungsfähigkeit erbracht. Es liege kein vorzeitiger Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit vor. Die kognitive Leistungsgeschwindigkeit sei als sehr gering zu bezeichnen. Die psychologische Leitungsfähigkeit sei unter kurzzeitigen Stressbedingungen gering. Auf neurologischer Grundlage ergäben sich keine signifikanten Funktionsstörungen und Behinderungen. In psychopathologischer Hinsicht liege eine leicht kognitive Störung vor, wobei anzunehmen sei, dass sich organische Anteile, ausgelöst durch Chemotherapie, Radiatio, überlagert durch psychoreaktive Störungen auswirkten. Daraus ergäben sich Einschränkungen der psychischen und kognitiven Belastbarkeit. Eine medikamentöse Behandlung sei derzeit nicht erforderlich. Die ambulante Therapie stehe im Vordergrund und in diesem Fall sei verhaltenstherapeutische und neuropsychologische Therapie indiziert. Damit könne eine Besserung des Gesundheitszustandes erreicht werden. Mit einer Behandlungsdauer von 12 Monaten sei aller Voraussicht nach zu rechnen. Es sei zu erwarten, dass die Berufsfähigkeit wieder hergestellt werden könne, die Klägerin sei nach Therapie fähig, den ärztlichen Beruf auszuüben. Notdiensttätigkeiten könnten nicht geleistet werden. Treppensteigen und das Führen eines KFZ seien möglich. Tätigkeiten, die die Gebrauchsfertigkeiten beider Hände erforderten, seien möglich. Für Tätigkeiten ausschließlich im Sitzen bestünden keine Einschränkungen. Die ärztlichen Tätigkeiten könnten derzeit weniger als halbtägig ausgeübt werden. Ausschlaggebend für diese Einschätzung seien die geringe psychophysische Leistungsfähigkeit und die Einschränkung der kognitiven Leistungsgeschwindigkeit. Diese Defizite fänden sich durchgehend in unterschiedlichen testpsychologischen Ergebnissen und seien auch kompatibel mit früheren Untersuchungen. Insofern seien diese Ergebnisse konsistent und reproduzierbar. In den Tests falle auf, dass die Aufgaben mit vielen Fehlern belastet gewesen seien, zum Beispiel im ZVT und im d2-Test. Deswegen brauche die Klägerin bei ihren möglichen Tätigkeiten strikte Supervision und Kontrolle. Nur so sei es zu verhindern, dass es zu Fehlern komme, die unter Umständen Patienten in Gefahr bringen könnten. Eine eigenverantwortliche und selbständige Tätigkeit sei der Klägerin auf Grund der derzeitigen geringen kognitiven Leistungsfähigkeit nicht möglich. Stundenweise Wiedereingliederung sei möglich nach einer Behandlungsdauer von ca. 12 Monaten. Nach medizinischer Befundlage könnte die Klägerin zwar eine irgendwie geartete fortlaufende Tätigkeit ausführen, allerdings nur unter strikter Supervision, damit mögliche Fehler bei ihrer Tätigkeit die ihr anvertrauten Patienten nicht gefährdeten. So könne sie z. B. als angestellte Ärztin arbeiten. In einem anderen Sachgebiet, nach einer Ortsveränderung oder nach einer Umschulung könne sie nicht tätig sein, weil dafür ihre kognitive Leistungsfähigkeit zu gravierend eingeschränkt sei. Anpassungsstörung, Flexibilität und Belastbarkeit seien für diese Anforderung zu gering. Außerdem sei die Verweisung auf eine andere ärztliche Tätigkeit unter dem derzeitigen geringen kognitiven Leistungsvermögen eingeschränkt, da Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit reduziert seien. Für diese Einschätzung spreche auch, dass ein hospitierender Arbeitsversuch unter Belastung auf Grund auftretender Fehler und erlebter Defizite habe abgebrochen werden müssen. Aus medizinischer Sicht seien damit die Kriterien für Berufsunfähigkeit erfüllt. Der Beginn sei auf Mai 2013 zu datieren. Dieser Zeitpunkt ergebe sich aus Beendigung des Arbeitsversuches, mangelnder psychophysischer und kognitiver Belastbarkeit.
Im Entlassungsbrief der Frau Dr. med. F., Ärztin für Neurologie, Rehabilitationswesen, Chefärztin Neurologie am Zentrum für ambulante Rehabilitation am katholischen Klinikum ZU. GmbH vom 17.12.2014 wird als Abschlussbefund festgehalten, es bestünden weiterhin erhebliche Störungen der Aufmerksamkeit und Belastbarkeit. Auf Grund der bereits angebahnten ambulanten neuropsychologischen Therapie und entsprechend nach Angaben der Klägerin bereits erfolgter Testung werde keine Abschlussuntersuchung durchgeführt, da die Aussagefähigkeit fraglich wäre. Für die ambulante Therapie werde die Fortführung der Aufmerksamkeitstherapie empfohlen. Außerdem sei eine psychotherapeutische Unterstützung in der Krankheitsbewältigung dringend erforderlich.
Im Verfahren vor der Landesärztekammer wurde ferner auf Vorschlag der Klägerin Frau PD Dr. phil. Dipl.-Psych. G. mit einer neuropsychologischen Begutachtung beauftragt. In ihrem Gutachten vom 13.08.2014 gelangt diese zu dem Ergebnis, es hätten Beeinträchtigungen in der kognitiven Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden können. Diese lägen vor allem in der Konzentration und Aufmerksamkeit, der mentalen Flexibilität und dem verbalen Gedächtnis. Die ermittelten Ergebnisse objektivierten die von der Klägerin subjektiv beklagten Einschränkungen. Hinzu komme eine als schwergradig einzustufende Erschöpfungssymptomatik, die sich mit Depressionen und Angst vergesellschafte. Auf Grund der neurokognitiv auffälligen Werte in den genannten kognitiven Domänen könne die Klägerin ihren erlernten Beruf als Ärztin bis auf weiteres nicht ausüben. Es sei anzunehmen, dass die Defizite das Resultat der erfolgten Mammakarzinomtherapie darstellten. Derartige Veränderungen seien in der Literatur bereits eingehend beschrieben worden und im Sinne einer Neurotoxizität zu verstehen. Auch sei davon auszugehen, dass die Folgebehandlung mit Tamoxifen diesen negativen Kreislauf weiterhin unterhalte. Da die Klägerin nach den Angaben des behandelnden Onkologen 5 Jahre Tamoxifen einnehmen solle, sei in dieser Zeit nicht mit einer signifikanten Besserung des kognitiven Status zu rechnen. Eine weiterführende Behandlung nach der 5-jährigen Tamoxifen-Behandlung sei derzeit mit Letrozol geplant. Ergebnisse zu den Auswirkungen von Letrozol auf die kognitive Leistungsfähigkeit seien widersprüchlich, sodass derzeit keine Aussage über den möglichen weiteren Verlauf des kognitiven Zustandsbildes gemacht werden könne. Eine Reevaluation wäre nach 6 bis 12 monatiger Einnahme von Letrozol sinnvoll. In Folge ihrer kognitiven Beeinträchtigung sei die Klägerin bis auf weiteres zur Ausübung des ärztlichen Berufs nicht fähig.
Damit ist davon auszugehen, dass die Klägerin spätestens nach Abschluss der Chemotherapie am 04.06.2012 unter den kognitiven Störungen leidet, die letztlich die Verringerung der Leistungsfähigkeit verursachen und es ihr unmöglich machen, den Beruf einer Ärztin auszuüben. Eine spätere Datierung - Mai 2013 -, die die Landesärztekammer offensichtlich übernommen hat, wird vom Sachverständigen Dr. D. nicht nachvollziehbar begründet. Der spätere Arbeitsversuch zeigte nicht einen neuen Einschnitt in die Krankheitsgeschichte der Klägerin, sondern bestätigte nur ihre kognitiven und bereits zuvor bestehenden Einschränkungen, die es ihr unmöglich machen, den Beruf als Ärztin, der ohne eine gewisse Selbständigkeit nicht auskommt, weiterhin auszuüben. Auch die geht in ihrem Schreiben vom 21.01.2014 an die Landesärztekammer Hessen, Versorgungswerk, von einem Eintritt der Berufsunfähigkeit am 04.06.2012 aus.
Für die materiellrechtlichen Voraussetzungen ist daher auf die am 04.06.2012 bestehende Rechtslage abzustellen. Die GEHV 2011 sah aber noch keine Wartezeit vor, so dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Teilnahme an der EHV erfüllt.
Jedes zugelassene ärztliche Mitglied der KV Hessen nimmt auch im Falle der Anerkennung seiner Berufsunfähigkeit und/oder nach Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung (inaktiver Vertragsarzt) weiterhin an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. Der Anspruch errechnet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV beginnt ohne Antrag für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres folgt (§ 1 Abs. 2 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV ist im Übrigen zu beantragen. Wird ein Antrag auf Teilnahme an der EHV später als drei Monate nach Eintritt des Versorgungsfalles gestellt, beginnen die Zahlungen vom Ersten des auf den Eingang des Antrages folgenden Monats (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 GEHV 2011). Der Anspruch auf Teilnahme an der EHV besteht für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit folgt (§ 1 Abs. 3 Satz 5 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV setzt ferner voraus:
a) eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen,
b) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme an der EHV beantragt wird,
c) vor der Vollendung des 65. Lebensjahres zusätzlich die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes.
Die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes (Berufsunfähigkeit) liegt dann vor, wenn dem Arzt unter Berücksichtigung seines Alters und aller sonstigen Umstände eine fortlaufende ärztliche Tätigkeit, sei es z. B. als angestellter Arzt oder in einem anderen Fachgebiet - gegebenenfalls auch nach einer Umschulungsfrist -, nicht zugemutet werden kann. Die Berufsunfähigkeit wird in der Regel durch zwei unabhängige Gutachter festgestellt. Die Gutachter sollen Mitglieder der KV Hessen sein; sie werden vom Vorstand der KV Hessen benannt. Der Vorstand der KV Hessen kann im Einzelfall beschließen, dass auch Nichtmitglieder der KV Hessen die Begutachtung durchführen können. Der antragstellende Arzt kann für die Erstbegutachtung von mehreren ihm vom Vorstand der KV Hessen benannten Gutachtern einen Gutachter seiner Wahl bestimmen. Der Vorstand der KV Hessen kann im Zweifelsfall ein Obergutachten einholen. Soweit ein Arzt bereits Bezüge aus der EHV wegen Berufsunfähigkeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze erhält, kann die KV Hessen die Fortdauer der Berufsunfähigkeit durch erneute Begutachtung durch zwei Gutachter überprüfen lassen (§ 2 Abs. 3 GEHV 2011).
Die Klägerin ist, wie bereits ausgeführt, berufsunfähig seit 04.06.2012. Auch die übrigen Voraussetzungen liegen vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Teilnahme ist der auf den Eingang des Antrages folgende Monat, da die Klägerin den Antrag mehr als drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt hat, nämlich erst am 13.01.2014, also der 01.02.2014. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für den Beginn der EHV-Teilnahme die GEHV 2012 maßgebend sind, soweit man die Regelung zum Antrag als Verfahrensvorschriften ansieht, da insofern entsprechende Regelungen gelten (§ 1 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 5 GEHV 2012).
Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass die GEHV 2012 anzuwenden ist, besteht ein Anspruch der Klägerin, da die erstmals geltende Wartezeitregelung ohne ein Übergangsrecht eingeführt wurde. Nach § 2 Abs. 1 Buchstabe a) GEHV 2012 setzt die Teilnahme an der EHV eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit von mindestens fünf Jahren voraus, was die Klägerin nicht erfüllt. Eine Übergangsregelung besteht nicht. Der von der Beklagten angeführte Vorstandsbeschluss hat keine Rechtswirkung, da der Vorstand nicht befugt ist, Satzungsrecht abzuändern oder zu ergänzen. Ein Vorstand hat keine Befugnis, allgemeine Regelungen zur Honorarverteilung oder zur EHV zu erlassen, er kann allenfalls zu konkretisierenden Regelungen und Einzelfallentscheidungen ermächtigt werden (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 31, juris Rdnr. 35 f.; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 71/97 R - BSGE 83, 52 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28, juris Rdnr. 28; BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 50, juris Rdnr. 26 f.), woran es im Übrigen ebf. fehlt.
Die Einführung einer Wartezeit zur Teilnahme an der EHV greift in die eigentumsrechtlich geschützte Anwartschaft der Vertragsärzte (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 79, juris Rdnr. 47 m.w.N.) ein. Für Vertragsärzte, die die Wartezeit nicht erfüllen, handelt es sich um einen Totalentzug der Anwartschaft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.04.1987 - 1 BvR 564/84 u. a. - BVerfGE 75, 78 = SozR 2200 § 1246 Nr. 142, juris Rdnr. 61). Bei Eintritt der Berufsunfähigkeit hätte die Klägerin nach bisherigem Recht einen Teilnahmeanspruch an der EHV erworben. Auch bei Kenntnis der Regelung hätte sie die bisher erworbene Anwartschaft nicht erhalten können. Selbst bei Wiederzulassung im Bezirk der Beklagten hätte die Anwartschaft erst bei Erreichen der Wartezeit erhalten werden können.
Es ist bereits zweifelhaft, ob ein solcher entschädigungsloser Totalentzug unter Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 14 GG zulässig wäre. Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Gesetzgeber darf derartige Bestimmungen treffen, jedoch mit ihnen eigentumsrechtlich geschützte Positionen nicht beliebig umgestalten. Vielmehr sind Regelungen, die zu Eingriffen in solche Positionen führen, nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Dabei müssen die Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 62). Solche Gründe hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Sie hat lediglich lapidar darauf hingewiesen, mit der Regelung über die Mindestzeit definiere sie das Berufsunfähigkeitsrisiko, das sie übernehmen möchte. Dies diene dem Erhalt der EHV. Solche allgemeinen Behauptungen sind mangels Substantiierung einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich, insbesondere kann es nicht Aufgabe der Kammer sein, durch Ermittlungen oder Hinweise die Substantiierung nachzuholen. Hinsichtlich der Schaffung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984, die bei einer Unterbrechung der Versicherungsbiographie von 24 Monaten innerhalb von fünf Jahren zum vollständigen Verlust der Anwartschaft führen konnte (vgl. aktuell für eine Erwerbsminderungsrente § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI), geht das Bundesverfassungsgericht von einem schwerwiegenden Eingriff in Rechtspositionen der Anwartschaftsberechtigten aus, da der Versicherungsschutz im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ein wesentlicher Teil der von der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringenden Leistungen ist. Für den Versicherten ist die Frage, ob er im Versicherungsfall einen Rentenanspruch hat, von erheblicher Bedeutung. Der Fortfall solcher Ansprüche ist jedenfalls für den dadurch Betroffenen wesentlich einschneidender als andere gesetzliche Eingriffe, die bisher unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes vom Bundesverfassungsgericht geprüft und unbeanstandet geblieben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung letztlich nicht beanstandet, weil die Versicherten durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge die Möglichkeit hatten, die Anwartschaft zu erhalten (BVerfG, a.a.O. Rdnr. 64 ff.). Hätte der Gesetzgeber die angegriffenen Regelungen getroffen, ohne den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, ihre Anwartschaften durch die Leistung monatlicher Mindestbeiträge aufrechtzuerhalten, so hätten diese, auch wenn sie zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele als geeignet und erforderlich erscheinen, den Anforderungen des Art. 14 GG an eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht entsprochen (so BVerfG, a.a.O., Rdnr. 72).
Für die EHV der Beklagten folgt hieraus, dass sie jedenfalls ein Übergangsrecht schaffen muss. Der Fall der Klägerin zeigt auch, dass von der geringen Beitragszeit unter fünf Jahren nicht generell auf eine geringe Anwartschaft geschlossen werden kann. Die Normalstaffel nach Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 b) GEHV 2011 ging von einer dreißigjährigen Tätigkeit zur Erreichung des Höchstanspruchssatzes bei einem durchschnittlichen Umsatz aus. Die von der Klägerin erreichte Anwartschaft von 8.105,5581 Punkten entsprach einer Tätigkeit von über 20 Jahren bei einem durchschnittlichen Umsatz. Hinzu kommt, dass das fehlende Übergangsrecht Vertrauensschutzgesichtspunkte außer Acht lässt. Auch bei Eintritt einer Berufsunfähigkeit unmittelbar nach Inkrafttreten der GEHV 2012 oder wenige Jahre danach besteht keine Möglichkeit, einen adäquaten Ersatz für die Anwartschaft zu erlangen. Nur der Vertragsarzt, der unter Geltung der Wartezeit mit dem Erwerb der Anwartschaft beginnt, kann sich darauf einstellen, dass er in den ersten fünf Jahren keinen Schutz für den Fall der Berufsunfähigkeit durch die EHV hat. Gleiches gilt für Vertragsärzte, die vor Erreichen der Wartezeit ihre vertragsärztliche Tätigkeit beendet haben. Der Vorstandsbeschluss der Beklagten erfasst aber weder die vollständige Anwartschaftsvernichtung noch die Fälle einer Berufsunfähigkeit und würde daher auch als Satzungsregelung nicht den eigentumsrechtlichen Anforderungen genügen.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) der Beklagten ab dem 01.02.2014 und hierbei insb. um die Frage, ob die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren Leistungsvoraussetzung ist.
Die 1960 geb. und jetzt 45-jährige Klägerin war vom 01.10.1994 bis 31.03.1999, also insgesamt 4 ½ Jahre als Fachärztin für Laboratoriumsmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in C-Stadt zugelassen. Sie beendete ihre Zulassung aufgrund Verzichts. Anschließend arbeitete sie als Praxismanagerin für ein Gesundheitszentrum und als Aushilfe und Vertretung in einer laborärztlichen Praxis, z. T. in Form einer Teilzeitanstellung. Mit ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit erwarb sie für die EHV eine Anwartschaft von 8.105,5581 Punkten. Seit 04.12.2012 erhält sie eine - zunächst vorübergehende - Berufsunfähigkeitsrente von der Bayerischen Ärzteversorgung.
Die Beklagte teilte der Klägerin unter Datum vom 24.01.2000 mit, sie habe sich durch ihre vertragsärztliche Tätigkeit für den Fall der Erreichung der in der EHV bestimmten Altersgrenze bzw. ihrer Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs Ansprüche nach § 1 GEHV erworben. Sie füge eine Aufstellung der erarbeiteten Punkte bei. Diese Mitteilung erfolge unter dem Vorbehalt, dass keine Änderung der ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse eintrete.
Die Klägerin beantragte mit Datum vom 13.01.2014 wegen ihrer ab dem 04.06.2012 bestehenden Berufsunfähigkeit die Teilnahme an der EHV. Soweit nach ihrem Ausscheiden aus der Kassenärztlichen Vereinigung eine Änderung der Rechtslage eingetreten sein sollte, gebe es sicherlich einen Bestandsschutz und Übergangsregelungen für Altfälle.
Die Beklagte lehnte eine Bewilligung zur Teilnahme an der EHV mit Bescheid vom 07.03.2014 ab, da gem. § 2 (1) a der Grundsätze der EHV, Stand: 01.07.2012 eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in ihrem Bereich von mindestens fünf Jahren Voraussetzung sei. Diese Mindestzeit erfülle die Klägerin nicht.
Hiergegen legte die Klägerin am 01.04.2014 Widerspruch ein, weil die Satzungsänderung erst nach ihrem Austritt aus der KV erfolgt sei. Zur Begründung trug sie vor, sie sei seit dem 04.06.2012 aufgrund von kognitiven Störungen nach Nachlassen der Gedächtnisleistung als Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie nach einer Chemotherapie berufsunfähig. Dieser Zustand dauere an, da die medikamentöse Therapie nach wie vor durchgeführt werde. Sie übersende hierzu verschiedene ärztliche Unterlagen. Der rückwirkende vollständige Versorgungsausschluss von Ärzten, die weniger als 5 Jahre in Hessen zugelassen seien, durch die Änderung der EHV-Grundsätze, Stand 01.07.2014, ohne jegliche Ausnahme-, Übergangs- und Härtefallregelung sei rechtswidrig. Sowohl zu der Zeit, zu der sie zugelassen gewesen sei, als auch zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Berufsunfähigkeit am 04.06.2012, fehle die Regelung in § 2 Abs. 1 der EHV-Grundsätze, wonach ein Arzt mindestens 5 Jahre in Hessen zugelassen gewesen sein müsse. Sie habe einen Versorgungsanspruch aufgrund ihrer Berufsunfähigkeit erworben, der ihr rückwirkend nicht mehr genommen werden könne. Sie habe nicht nur eine Kürzung ihres Honorars während ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit hinnehmen müssen, ihr werde nunmehr nachträglich rückwirkend der auf die EHV entfallende Teil ihrer Altersversorgung vollständig gestrichen, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, diese durch Aufstockung ihrer Beiträge zum Versorgungswerk der Ärztekammer auszugleichen. Sie habe auch keinerlei Möglichkeit mehr, die fehlenden Monate nachzuholen. Dies wäre auch unabhängig von ihrer Berufsunfähigkeit kaum möglich, da zwischenzeitlich auch für Fachärzte für Laboratoriumsmedizin eine Bedarfsplanung eingeführt worden sei und hessenweit eine Niederlassungssperre bestehe. Ihre Altersversorgungsansprüche im Rahmen der EHV seien durch die Eigentumsgarantie geschützt. Es liege ein Verstoß sowohl gegen die Honorarverteilungsgerechtigkeit als auch gegen die Eigentumsgarantie vor. Dem Gesetzesvorbehalt dieser Regelungen sei nicht Genüge getan worden. Auch in der echten Rückwirkung dieser Regelung, die in längst abgeschlossene, nicht mehr änderbare Sachverhalte und Ansprüche eingreife, liege ein Verstoß gegen das Grundgesetz vor. Sie sei ab dem Monat nach Eintritt ihrer Berufsunfähigkeit, also ab dem 01.07.2012 zur Teilnahme berechtigt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18.12.2014 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, der angegriffene Bescheid entspreche den Vorgaben der GEHV. Diese seien im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte kontinuierlich geändert worden, zuletzt grundlegend zum 01.07.2012. Voraussetzung sei eine fünfjährige vertragsärztliche Tätigkeit, die die Klägerin nicht erfülle. Ihr Vorstand habe in seiner Sitzung am 29.04.2013 eine Übergangsregelung für die Mindesttätigkeitsdauer von fünf Jahren beschlossen. Danach finde die zum 01.07.2012 neu als Teilnahmevoraussetzung eingeführte Fünf-Jahres-Regelung auf Vertragsärzte der Jahrgänge 1949 bis 1954, die weniger als fünf Jahre in ihrem Bereich tätig gewesen seien, keine Anwendung. Für die am 23.09.1960 geborene Klägerin greife diese Übergangsregelung nicht.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.01.2015 die Klage erhoben. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie habe zum Zeitpunkt ihres Verzichts auf die Zulassung im Jahre 1999 eine unverfallbare Anwartschaft erworben gehabt. Sie habe durch die rückwirkende Änderung nicht die Möglichkeit gehabt, durch Aufstockung ihrer Beiträge zum Versorgungswerk der Ärztekammer auszugleichen. Von ihrem Honorar seien über 250.000 DM einbehalten worden. Sie könne die fehlende Zeit auch nicht nachholen. Seit dem Ende der Chemotherapie am 04.06.2012 sei sie bis heute durchgehend berufsunfähig. Das Bayerische Versorgungswerk habe zunächst das Vorliegen einer vorübergehenden Berufsunfähigkeit ab dem 04.06.2012 festgestellt, dann eine dauernde Berufsunfähigkeit. Seit dem 04.12.2012 erhalte sie eine Berufsunfähigkeitsrente durch die ausgezahlt. Das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen habe zwar fehlerhaft festgestellt, dass Berufsunfähigkeit erst seit dem 01.05.2013 vorliege. Sie habe dies nicht angegriffen, da ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente erst ab dem Monat nach Antragstellung erfolge, also erst ab 01.06.2013. Die Wartezeit sei erst eingeführt worden, als sie schon berufsunfähig gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Zulassungsverzichts sei dies noch nicht absehbar gewesen, andernfalls hätte sie ihre vertragsärztliche Tätigkeit entsprechend länger ausgeübt. Es handele sich um eine unzulässige echte Rückwirkung. Es handele sich um einen Eingriff in die Eigentumsgarantie, was die Beklagte zwischenzeitlich auch gesehen und selbst im Beschluss-Protokoll der Vorstandssitzung vom 29.04.2013 festgestellt habe. Die Wartezeit sei auch willkürlich und mit fünf Jahren zu lang. Allenfalls sei eine Dauer von sechs Monaten zulässig. Ihr sei auch eine Rückkehr in die gesetzliche Rentenversicherung verschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten von 07.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Teilnahme an der EHV ab dem 01.02.2014 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, auf den Rechtscharakter des Vorstandsbeschlusses vom 29.04.2013 komme es nicht an, da dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Zur Frage, ab wann die Klägerin berufsunfähig sei, gebe sie keine Stellungnahme ab. Berufsunfähigkeit sei nicht zu prüfen, da die Klägerin nicht die geforderte Mindestzeit erfülle. Mit der Regelung über die Mindestzeit definiere sie das Berufsunfähigkeitsrisiko, das sie übernehmen möchte. Dies diene dem Erhalt der EHV. Wartezeiten seien im Allgemeinen eine typische Voraussetzung von Existenzsicherungssystemen. Eine Verpflichtung, für die Klägerin eine Ausnahme zu regeln, bestehe nicht. Die Klägerin habe bereits Ende der 90er Jahre ihre vertragsärztliche Tätigkeit in Hessen beendet. Sie sei noch jung genug gewesen, um die Wartezeit aufzufüllen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie der weiter beigezogenen Verwaltungsakte der Bayerischen Ärzteversorgung, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten von 07.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 ist rechtswidrig. Er war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung der Teilnahme an der EHV ab dem 01.02.2014 in gesetzlicher Höhe.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Teilnahme an der EHV sind die ab 01.07.2006 gültigen Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung in der ab Oktober 2011 gültigen Fassung (im Folgenden: GEHV 2011). Die durch Beschluss der Vertreterversammlung der Beklagten in den Sitzungen vom 10.03.2012 und 12.05.2012 mit Wirkung zum 01.07.2012 verabschiedeten und von dem aufsichtführenden Sozialministerium des Landes Hessen mit Schreiben vom 25.05.2012 genehmigte Fassung, veröffentlicht in info.doc Nr. 3, Juni 2012, sowie als EHV-Aktuell Rundschreiben vom Juni 2012 (im Folgenden: GEHV 2012) ist nicht anzuwenden, da Berufsunfähigkeit der Klägerin bereits zuvor eingetreten war.
Der zeitliche Anwendungsbereich einer Regelung bestimmt sich nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen, wenn das Gesetz keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält. Eine Neuregelung ist danach nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (vgl. BSG, Urt. v. 22.6.2010 - B 1 KR 29/09 R - SozR 4-2500 § 275 Nr. 4 = ZMGR 2010, 381 = NZS 2011, 336, juris Rdnr. 13 f.). Allgemein gilt im Sozialversicherungsrecht daher das Leistungsfall- bzw. Versicherungsfallprinzip. Es ist nur dann nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (vgl. BSG, Urt. v. 04.09.2013 - B 10 EG 6/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, juris Rdnr. 38 m.w.N.). Ausdruck des Versicherungsfallprinzips ist z. B. § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, und es wird zwischen Stammrecht und Zahlungsanspruch unterschieden (vgl. LSG Hamburg, Urt. v. 05. 09.2012 - L 2 R 50/10 - juris Rdnr. 22; Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 75 SGB VI Rdnr. 13). Die Grundsätze des intertemporalen Rechts gellten auch allgemein im Vertragsarztrecht. Für die rechtliche Beurteilung kommt es maßgeblich auf das jeweils geltende Recht an (vgl. BSG, Urt. v. 22.10.2014 - B 6 KA 8/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 49 = GesR 2015, 234, juris Rdnr. 28 ff.). Im Bereich der EHV ist ebf. zwischen dem Stammrecht bzw. der Anwartschaft als erworbenem "Anspruch auf Teilhabe in einem bestimmten Umfang" und dem konkreten Auszahlungsbetrag zu unterscheiden (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 79, juris Rdnr. 51; s. auch BSG, Urt. v. 16.07.2008 - B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 43, juris Rdnr. 53). Weder die GEHV 2011 noch die GEHV 2012 regeln in gesonderten Bestimmungen, welches Recht anzuwenden ist. § 12 GEHV 2011 bzw. § 11 GEHV 2012 regeln nur den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Die Übergangsregelung nach § 10 GEHV betrifft lediglich die Umrechnung der bisher bestehenden Anwartschaften und Ansprüche. Maßgeblich für das Bestehen einer Anwartschaft ist daher allein das EHV-Satzungsrecht der Beklagten, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit gegolten hat.
Berufsunfähigkeit der Klägerin ist zum 04.06.2012 eingetreten. Die Kammer begründet ihre Auffassung aus der Auswertung der medizinischen Unterlagen in den beigezogenen Verwaltungsakten unter Heranziehung des medizinischen Sachverstands der beiden vertragsärztlichen Beisitzer. Von daher konnte die Kammer von der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens absehen.
Bei der Klägerin wurde erstmals im Januar 2012 die Erstdiagnose eines invasiv duktalen Mammakarzinoms links gestellt. Vom Februar bis Juni 2012 wurde eine Chemotherapie appliziert. Anschließend erfolgte im Juli die Mastektomie links mit Axilladissektion. Postoperativ erfolgte von August bis September 2012 eine Bestrahlung der Thoraxwand links des Lymphabflussgebietes.
Dr. D. stellte in der ärztlichen Stellungnahme auf dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie vom 11.06.2013 fest, es bestehe zudem eine medikamenteninduzierte milde kognitive und mnestische Störung und ein psychovegetatives Überlastungssyndrom. In der Anamnese wird angegeben, die Klägerin klage über die Störungen seit Ende ihrer Chemotherapie. Ihr fielen immer wieder medizinische Begriffe und Namen, auch Normwerte in der Labormedizin etc. nicht wie üblich ein, sie könne sich zwar Minuten später daran erinnern, aber viele Dinge hätte sie auf Abruf nicht parat. Bei unentgeltlichen Arbeitsversuchen als Laborärztin seien ihr Fehler unterlaufen, auch konzentrativ gebe es Probleme, Verwechslungen von Patientennamen etc. Dr. D. gelangte zum Ergebnis, die Störungen seien nachvollziehbar als Nebenwirkung der hochdosierten Chemotherapie, insb. der Taxan-Behandlung, anzusehen. Ein Ruhen der beruflichen Tätigkeit sei erforderlich für mindestens ein Jahr. Mit einer Besserung der Defizite sei erst im Laufe mehrerer Monate zu rechnen. Ähnlich äußerte sich Frau Prof. Dr. med. C. vom Klinikum Darmstadt in ihren ärztlichen Stellungnahmen vom 29.07.2013, 24.09.2013 und 03.06.2014, die von einer Berufsunfähigkeit seit dem Ende der Chemotherapie am 04.06.2012 ausging.
Der Neurologe und Psychiater Dr. E. gelangte in seinem urkundenbeweislich verwertbaren Gutachten im Auftrag vom 15.04.2014 aufgrund eigener Untersuchung zu dem Ergebnis, die Klägerin leide u.a. an einer leichten kognitiven Störung, medikamenteninduziert, einer leichten Anpassungsstörung, Schmerzen im Bereich der Wirbelsäure bei degenerativen Veränderungen, Osteoporose, subjektivem Drehschwindelgefühl bei Lageänderung, ohne organisch fassbares Korrelat, auch gebe es Hinweise auf eine distal-symmetrische Polyneuropathie. Die Psychopathologie sei gekennzeichnet durch das subjektive Gefühl der Beeinträchtigung der Konzentration und Merkfähigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit differenzierten Anforderungen im Berufsleben als Laborärztin. Eine durchgehend depressive Verstimmung lasse sich nicht sicher eruieren. Zusätzliche Erschöpfbarkeit, Ermüdbarkeit, Gewichtsveränderung und Schwindel könnten Ausdruck der folgenden Behandlung auf organischer Ebene sein, z. B. durch Radiatio und Chemietherapie, andererseits aber auch Ausdruck einer psychoreaktiven Begleitreaktion. Aus diesem Grund habe die Klägerin auch eine neurologisch-psychiatrische Beratung erhalten. Zusätzlich habe sie psychologische Termine aufgenommen. Er habe die Klägerin einer psychodiagnostischen Untersuchung unterzogen. Die Auswertung habe eine leicht überdurchschnittliche geistige Leistungsfähigkeit erbracht. Es liege kein vorzeitiger Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit vor. Die kognitive Leistungsgeschwindigkeit sei als sehr gering zu bezeichnen. Die psychologische Leitungsfähigkeit sei unter kurzzeitigen Stressbedingungen gering. Auf neurologischer Grundlage ergäben sich keine signifikanten Funktionsstörungen und Behinderungen. In psychopathologischer Hinsicht liege eine leicht kognitive Störung vor, wobei anzunehmen sei, dass sich organische Anteile, ausgelöst durch Chemotherapie, Radiatio, überlagert durch psychoreaktive Störungen auswirkten. Daraus ergäben sich Einschränkungen der psychischen und kognitiven Belastbarkeit. Eine medikamentöse Behandlung sei derzeit nicht erforderlich. Die ambulante Therapie stehe im Vordergrund und in diesem Fall sei verhaltenstherapeutische und neuropsychologische Therapie indiziert. Damit könne eine Besserung des Gesundheitszustandes erreicht werden. Mit einer Behandlungsdauer von 12 Monaten sei aller Voraussicht nach zu rechnen. Es sei zu erwarten, dass die Berufsfähigkeit wieder hergestellt werden könne, die Klägerin sei nach Therapie fähig, den ärztlichen Beruf auszuüben. Notdiensttätigkeiten könnten nicht geleistet werden. Treppensteigen und das Führen eines KFZ seien möglich. Tätigkeiten, die die Gebrauchsfertigkeiten beider Hände erforderten, seien möglich. Für Tätigkeiten ausschließlich im Sitzen bestünden keine Einschränkungen. Die ärztlichen Tätigkeiten könnten derzeit weniger als halbtägig ausgeübt werden. Ausschlaggebend für diese Einschätzung seien die geringe psychophysische Leistungsfähigkeit und die Einschränkung der kognitiven Leistungsgeschwindigkeit. Diese Defizite fänden sich durchgehend in unterschiedlichen testpsychologischen Ergebnissen und seien auch kompatibel mit früheren Untersuchungen. Insofern seien diese Ergebnisse konsistent und reproduzierbar. In den Tests falle auf, dass die Aufgaben mit vielen Fehlern belastet gewesen seien, zum Beispiel im ZVT und im d2-Test. Deswegen brauche die Klägerin bei ihren möglichen Tätigkeiten strikte Supervision und Kontrolle. Nur so sei es zu verhindern, dass es zu Fehlern komme, die unter Umständen Patienten in Gefahr bringen könnten. Eine eigenverantwortliche und selbständige Tätigkeit sei der Klägerin auf Grund der derzeitigen geringen kognitiven Leistungsfähigkeit nicht möglich. Stundenweise Wiedereingliederung sei möglich nach einer Behandlungsdauer von ca. 12 Monaten. Nach medizinischer Befundlage könnte die Klägerin zwar eine irgendwie geartete fortlaufende Tätigkeit ausführen, allerdings nur unter strikter Supervision, damit mögliche Fehler bei ihrer Tätigkeit die ihr anvertrauten Patienten nicht gefährdeten. So könne sie z. B. als angestellte Ärztin arbeiten. In einem anderen Sachgebiet, nach einer Ortsveränderung oder nach einer Umschulung könne sie nicht tätig sein, weil dafür ihre kognitive Leistungsfähigkeit zu gravierend eingeschränkt sei. Anpassungsstörung, Flexibilität und Belastbarkeit seien für diese Anforderung zu gering. Außerdem sei die Verweisung auf eine andere ärztliche Tätigkeit unter dem derzeitigen geringen kognitiven Leistungsvermögen eingeschränkt, da Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit reduziert seien. Für diese Einschätzung spreche auch, dass ein hospitierender Arbeitsversuch unter Belastung auf Grund auftretender Fehler und erlebter Defizite habe abgebrochen werden müssen. Aus medizinischer Sicht seien damit die Kriterien für Berufsunfähigkeit erfüllt. Der Beginn sei auf Mai 2013 zu datieren. Dieser Zeitpunkt ergebe sich aus Beendigung des Arbeitsversuches, mangelnder psychophysischer und kognitiver Belastbarkeit.
Im Entlassungsbrief der Frau Dr. med. F., Ärztin für Neurologie, Rehabilitationswesen, Chefärztin Neurologie am Zentrum für ambulante Rehabilitation am katholischen Klinikum ZU. GmbH vom 17.12.2014 wird als Abschlussbefund festgehalten, es bestünden weiterhin erhebliche Störungen der Aufmerksamkeit und Belastbarkeit. Auf Grund der bereits angebahnten ambulanten neuropsychologischen Therapie und entsprechend nach Angaben der Klägerin bereits erfolgter Testung werde keine Abschlussuntersuchung durchgeführt, da die Aussagefähigkeit fraglich wäre. Für die ambulante Therapie werde die Fortführung der Aufmerksamkeitstherapie empfohlen. Außerdem sei eine psychotherapeutische Unterstützung in der Krankheitsbewältigung dringend erforderlich.
Im Verfahren vor der Landesärztekammer wurde ferner auf Vorschlag der Klägerin Frau PD Dr. phil. Dipl.-Psych. G. mit einer neuropsychologischen Begutachtung beauftragt. In ihrem Gutachten vom 13.08.2014 gelangt diese zu dem Ergebnis, es hätten Beeinträchtigungen in der kognitiven Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden können. Diese lägen vor allem in der Konzentration und Aufmerksamkeit, der mentalen Flexibilität und dem verbalen Gedächtnis. Die ermittelten Ergebnisse objektivierten die von der Klägerin subjektiv beklagten Einschränkungen. Hinzu komme eine als schwergradig einzustufende Erschöpfungssymptomatik, die sich mit Depressionen und Angst vergesellschafte. Auf Grund der neurokognitiv auffälligen Werte in den genannten kognitiven Domänen könne die Klägerin ihren erlernten Beruf als Ärztin bis auf weiteres nicht ausüben. Es sei anzunehmen, dass die Defizite das Resultat der erfolgten Mammakarzinomtherapie darstellten. Derartige Veränderungen seien in der Literatur bereits eingehend beschrieben worden und im Sinne einer Neurotoxizität zu verstehen. Auch sei davon auszugehen, dass die Folgebehandlung mit Tamoxifen diesen negativen Kreislauf weiterhin unterhalte. Da die Klägerin nach den Angaben des behandelnden Onkologen 5 Jahre Tamoxifen einnehmen solle, sei in dieser Zeit nicht mit einer signifikanten Besserung des kognitiven Status zu rechnen. Eine weiterführende Behandlung nach der 5-jährigen Tamoxifen-Behandlung sei derzeit mit Letrozol geplant. Ergebnisse zu den Auswirkungen von Letrozol auf die kognitive Leistungsfähigkeit seien widersprüchlich, sodass derzeit keine Aussage über den möglichen weiteren Verlauf des kognitiven Zustandsbildes gemacht werden könne. Eine Reevaluation wäre nach 6 bis 12 monatiger Einnahme von Letrozol sinnvoll. In Folge ihrer kognitiven Beeinträchtigung sei die Klägerin bis auf weiteres zur Ausübung des ärztlichen Berufs nicht fähig.
Damit ist davon auszugehen, dass die Klägerin spätestens nach Abschluss der Chemotherapie am 04.06.2012 unter den kognitiven Störungen leidet, die letztlich die Verringerung der Leistungsfähigkeit verursachen und es ihr unmöglich machen, den Beruf einer Ärztin auszuüben. Eine spätere Datierung - Mai 2013 -, die die Landesärztekammer offensichtlich übernommen hat, wird vom Sachverständigen Dr. D. nicht nachvollziehbar begründet. Der spätere Arbeitsversuch zeigte nicht einen neuen Einschnitt in die Krankheitsgeschichte der Klägerin, sondern bestätigte nur ihre kognitiven und bereits zuvor bestehenden Einschränkungen, die es ihr unmöglich machen, den Beruf als Ärztin, der ohne eine gewisse Selbständigkeit nicht auskommt, weiterhin auszuüben. Auch die geht in ihrem Schreiben vom 21.01.2014 an die Landesärztekammer Hessen, Versorgungswerk, von einem Eintritt der Berufsunfähigkeit am 04.06.2012 aus.
Für die materiellrechtlichen Voraussetzungen ist daher auf die am 04.06.2012 bestehende Rechtslage abzustellen. Die GEHV 2011 sah aber noch keine Wartezeit vor, so dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Teilnahme an der EHV erfüllt.
Jedes zugelassene ärztliche Mitglied der KV Hessen nimmt auch im Falle der Anerkennung seiner Berufsunfähigkeit und/oder nach Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung (inaktiver Vertragsarzt) weiterhin an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. Der Anspruch errechnet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV beginnt ohne Antrag für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres folgt (§ 1 Abs. 2 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV ist im Übrigen zu beantragen. Wird ein Antrag auf Teilnahme an der EHV später als drei Monate nach Eintritt des Versorgungsfalles gestellt, beginnen die Zahlungen vom Ersten des auf den Eingang des Antrages folgenden Monats (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 GEHV 2011). Der Anspruch auf Teilnahme an der EHV besteht für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit folgt (§ 1 Abs. 3 Satz 5 GEHV 2011). Die Teilnahme an der EHV setzt ferner voraus:
a) eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen,
b) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme an der EHV beantragt wird,
c) vor der Vollendung des 65. Lebensjahres zusätzlich die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes.
Die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes (Berufsunfähigkeit) liegt dann vor, wenn dem Arzt unter Berücksichtigung seines Alters und aller sonstigen Umstände eine fortlaufende ärztliche Tätigkeit, sei es z. B. als angestellter Arzt oder in einem anderen Fachgebiet - gegebenenfalls auch nach einer Umschulungsfrist -, nicht zugemutet werden kann. Die Berufsunfähigkeit wird in der Regel durch zwei unabhängige Gutachter festgestellt. Die Gutachter sollen Mitglieder der KV Hessen sein; sie werden vom Vorstand der KV Hessen benannt. Der Vorstand der KV Hessen kann im Einzelfall beschließen, dass auch Nichtmitglieder der KV Hessen die Begutachtung durchführen können. Der antragstellende Arzt kann für die Erstbegutachtung von mehreren ihm vom Vorstand der KV Hessen benannten Gutachtern einen Gutachter seiner Wahl bestimmen. Der Vorstand der KV Hessen kann im Zweifelsfall ein Obergutachten einholen. Soweit ein Arzt bereits Bezüge aus der EHV wegen Berufsunfähigkeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze erhält, kann die KV Hessen die Fortdauer der Berufsunfähigkeit durch erneute Begutachtung durch zwei Gutachter überprüfen lassen (§ 2 Abs. 3 GEHV 2011).
Die Klägerin ist, wie bereits ausgeführt, berufsunfähig seit 04.06.2012. Auch die übrigen Voraussetzungen liegen vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Teilnahme ist der auf den Eingang des Antrages folgende Monat, da die Klägerin den Antrag mehr als drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt hat, nämlich erst am 13.01.2014, also der 01.02.2014. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für den Beginn der EHV-Teilnahme die GEHV 2012 maßgebend sind, soweit man die Regelung zum Antrag als Verfahrensvorschriften ansieht, da insofern entsprechende Regelungen gelten (§ 1 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 5 GEHV 2012).
Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass die GEHV 2012 anzuwenden ist, besteht ein Anspruch der Klägerin, da die erstmals geltende Wartezeitregelung ohne ein Übergangsrecht eingeführt wurde. Nach § 2 Abs. 1 Buchstabe a) GEHV 2012 setzt die Teilnahme an der EHV eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit von mindestens fünf Jahren voraus, was die Klägerin nicht erfüllt. Eine Übergangsregelung besteht nicht. Der von der Beklagten angeführte Vorstandsbeschluss hat keine Rechtswirkung, da der Vorstand nicht befugt ist, Satzungsrecht abzuändern oder zu ergänzen. Ein Vorstand hat keine Befugnis, allgemeine Regelungen zur Honorarverteilung oder zur EHV zu erlassen, er kann allenfalls zu konkretisierenden Regelungen und Einzelfallentscheidungen ermächtigt werden (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 31, juris Rdnr. 35 f.; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 71/97 R - BSGE 83, 52 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28, juris Rdnr. 28; BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 50, juris Rdnr. 26 f.), woran es im Übrigen ebf. fehlt.
Die Einführung einer Wartezeit zur Teilnahme an der EHV greift in die eigentumsrechtlich geschützte Anwartschaft der Vertragsärzte (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 79, juris Rdnr. 47 m.w.N.) ein. Für Vertragsärzte, die die Wartezeit nicht erfüllen, handelt es sich um einen Totalentzug der Anwartschaft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.04.1987 - 1 BvR 564/84 u. a. - BVerfGE 75, 78 = SozR 2200 § 1246 Nr. 142, juris Rdnr. 61). Bei Eintritt der Berufsunfähigkeit hätte die Klägerin nach bisherigem Recht einen Teilnahmeanspruch an der EHV erworben. Auch bei Kenntnis der Regelung hätte sie die bisher erworbene Anwartschaft nicht erhalten können. Selbst bei Wiederzulassung im Bezirk der Beklagten hätte die Anwartschaft erst bei Erreichen der Wartezeit erhalten werden können.
Es ist bereits zweifelhaft, ob ein solcher entschädigungsloser Totalentzug unter Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 14 GG zulässig wäre. Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Gesetzgeber darf derartige Bestimmungen treffen, jedoch mit ihnen eigentumsrechtlich geschützte Positionen nicht beliebig umgestalten. Vielmehr sind Regelungen, die zu Eingriffen in solche Positionen führen, nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Dabei müssen die Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 62). Solche Gründe hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Sie hat lediglich lapidar darauf hingewiesen, mit der Regelung über die Mindestzeit definiere sie das Berufsunfähigkeitsrisiko, das sie übernehmen möchte. Dies diene dem Erhalt der EHV. Solche allgemeinen Behauptungen sind mangels Substantiierung einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich, insbesondere kann es nicht Aufgabe der Kammer sein, durch Ermittlungen oder Hinweise die Substantiierung nachzuholen. Hinsichtlich der Schaffung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984, die bei einer Unterbrechung der Versicherungsbiographie von 24 Monaten innerhalb von fünf Jahren zum vollständigen Verlust der Anwartschaft führen konnte (vgl. aktuell für eine Erwerbsminderungsrente § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI), geht das Bundesverfassungsgericht von einem schwerwiegenden Eingriff in Rechtspositionen der Anwartschaftsberechtigten aus, da der Versicherungsschutz im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ein wesentlicher Teil der von der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringenden Leistungen ist. Für den Versicherten ist die Frage, ob er im Versicherungsfall einen Rentenanspruch hat, von erheblicher Bedeutung. Der Fortfall solcher Ansprüche ist jedenfalls für den dadurch Betroffenen wesentlich einschneidender als andere gesetzliche Eingriffe, die bisher unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes vom Bundesverfassungsgericht geprüft und unbeanstandet geblieben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung letztlich nicht beanstandet, weil die Versicherten durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge die Möglichkeit hatten, die Anwartschaft zu erhalten (BVerfG, a.a.O. Rdnr. 64 ff.). Hätte der Gesetzgeber die angegriffenen Regelungen getroffen, ohne den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, ihre Anwartschaften durch die Leistung monatlicher Mindestbeiträge aufrechtzuerhalten, so hätten diese, auch wenn sie zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele als geeignet und erforderlich erscheinen, den Anforderungen des Art. 14 GG an eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht entsprochen (so BVerfG, a.a.O., Rdnr. 72).
Für die EHV der Beklagten folgt hieraus, dass sie jedenfalls ein Übergangsrecht schaffen muss. Der Fall der Klägerin zeigt auch, dass von der geringen Beitragszeit unter fünf Jahren nicht generell auf eine geringe Anwartschaft geschlossen werden kann. Die Normalstaffel nach Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 b) GEHV 2011 ging von einer dreißigjährigen Tätigkeit zur Erreichung des Höchstanspruchssatzes bei einem durchschnittlichen Umsatz aus. Die von der Klägerin erreichte Anwartschaft von 8.105,5581 Punkten entsprach einer Tätigkeit von über 20 Jahren bei einem durchschnittlichen Umsatz. Hinzu kommt, dass das fehlende Übergangsrecht Vertrauensschutzgesichtspunkte außer Acht lässt. Auch bei Eintritt einer Berufsunfähigkeit unmittelbar nach Inkrafttreten der GEHV 2012 oder wenige Jahre danach besteht keine Möglichkeit, einen adäquaten Ersatz für die Anwartschaft zu erlangen. Nur der Vertragsarzt, der unter Geltung der Wartezeit mit dem Erwerb der Anwartschaft beginnt, kann sich darauf einstellen, dass er in den ersten fünf Jahren keinen Schutz für den Fall der Berufsunfähigkeit durch die EHV hat. Gleiches gilt für Vertragsärzte, die vor Erreichen der Wartezeit ihre vertragsärztliche Tätigkeit beendet haben. Der Vorstandsbeschluss der Beklagten erfasst aber weder die vollständige Anwartschaftsvernichtung noch die Fälle einer Berufsunfähigkeit und würde daher auch als Satzungsregelung nicht den eigentumsrechtlichen Anforderungen genügen.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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