L 7 AS 4247/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 2453/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4247/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen Heizkostenbeihilfe 2008/2009 wird abgetrennt. Das Landessozialgericht erklärt sich insoweit für sachlich unzuständig und verweist das Verfahren an das sachlich zuständige Sozialgericht Reutlingen.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin auf gerichtliche Nachfrage, welche Leistungen konkret begehrt werden, mit Schreiben vom 29. September 2008 geantwortet, es gehe um die Heizölbeschaffung vom 1. Dezember 2005 "bis dato", an anderer Stelle bezieht sie sich auf die Zeit bis zum 29. Mai 2008, an dem nochmals eine Heizöllieferung erfolgt war. Da zu diesem Zeitpunkt die Heizperiode 2007/2008 bereits beendet war, muss davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz auch bezogen auf die aktuell laufende Heizperiode begehrt. Über dieses erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemachte Begehren einer Beihilfe zur Heizölbeschaffung für die Heizperiode 2008/2009 hat das Sozialgericht (SG) jedoch nicht entschieden und auch nicht entscheiden können. Dieses Begehren ist daher einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht zugänglich.

Für eine erstinstanzliche Entscheidung ist das Landessozialgericht (LSG) jedoch sachlich nicht zuständig. Nach § 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, die Sozialgerichte im ersten Rechtszug über alle sozialgerichtlichen Streitigkeiten. Nach § 86b Abs. 2 SGG ist das Gericht der Hauptsache für den Erlass einstweiliger Anordnungen zuständig. Gericht der Hauptsache in diesem Sinne ist vor der Klageerhebung das Gericht, das zuständig wäre, danach das mit der Sache befasste Gericht (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 11), also regelmäßig das Gericht des ersten Rechtszuges. Das LSG ist nach § 86b Abs. 2 Satz 3 des SGG als Berufungsgericht nur zuständig, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren bereits anhängig ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG ist diesbezüglich mangels Vorliegens eines gesetzlich geregelten Ausnahmefalles nicht gegeben. Zuständig ist insoweit mithin das SG Reutlingen. Die Bewilligung einer Heizkostenbeihilfe durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2008 hat die Rechtshängigkeit des Rechtsschutzbegehrens nicht entfallen lassen, da die Antragstellerin eine das Verfahren insoweit beendende Erklärung nicht abgegeben hat. Für die begehrte Heizkostenbeihilfe 2008/2009 ist das Verfahren daher auf der Grundlage des hier unmittelbar anzuwendenden § 98 Satz 1 SGG (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-1500 § 166 Nr. 5) i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1 und 2 Gerichtsverfassungsgesetz an das örtlich und sachlich zuständige SG Reutlingen zu verweisen.

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 SGG (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) am 1. September 2008 beim SG eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist das Begehren der Antragstellerin auf Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 1. Dezember 2005 einschließlich der Nebenkosten, letztere mit Ausnahme für das Jahr 2007. Die gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz beschränkt sich bei bereits bewilligten Leistungen zwar grundsätzlich auf den Zeitraum des jeweiligen Bewilligungsabschnittes (vgl. Senatsbeschluss vom 28. April 2008 - L 7 AS 1707/08 ER-B -). Denn auch in der Hauptsache würden Bewilligungsbescheide über sich anschließende Zeiträume nicht kraft Gesetzes gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand eines Berufungsverfahrens (BSG SozR 4/4200 § 22 Nr. 1). Gleiches gilt für weitere Ablehnungsbescheide, die auf einen neuen Leistungsantrag ergehen (BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1; Urteil vom 31. Oktober 2007 - -B 14/11b AS 59/06 R - (juris)). Nach § 86b Abs. 3 SGG kann einstweiliger Rechtsschutz jedoch schon vor Klageerhebung beantragt und damit auch gewährt werden. Das SG ist daher nicht gehindert, in seine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch Folgezeiträume einzubeziehen. Eine dies hindernde Bestandskraft der Bewilligungsbescheide ist wegen der Anfechtung durch die Antragstellerin nicht eingetreten. Vorliegend hat das SG im angefochtenen Beschluss vom 29. Juli 2008 über die laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung ab 1. Dezember 2005 bis zum Abschluss des im Entscheidungszeitpunkt laufenden Bewilligungsabschnittes, mithin bis zum 31. Dezember 2008 (Bewilligungsbescheid vom 13. Juni 2008) mit Ausnahme der erst später beantragten Heizkostenbeihilfe 2008/2009, entschieden.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927; zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - a.a.O. und vom 17. August 2005 - a.a.O.).

Unter Beachtung dieser Vorgaben liegt ein Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit nicht vor. Soweit die Antragstellerin Leistungen für mittlerweile vergangene Zeiträume begehrt, fehlt es nach den Umständen des Falles bereits an dem nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Gegenwartsbezug und damit auch am Anordnungsgrund. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind (vgl. schon Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 2005 - L 7 SO 2060/05 ER-B - (juris) und vom 1. August 2005 a.a.O.; ferner Senatsbeschluss vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B- (juris)). Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen, ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 a.a.O.; ferner Krodel, NZS 2007, 20, 21 (m.w.N. aus der Rechtsprechung)). Die Antragstellerin begehrt die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit ab 1. Dezember 2005, also ab einem Zeitpunkt, der bei Einlegung der Beschwerde fast drei Jahre zurückliegt. Der Senat verkennt nicht, dass der mittlerweile verstrichene Zeitraum zu einem wesentlichen Teil darauf beruht, dass das SG über den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erst nach zwei Jahren entschieden hat. Dennoch kann der Senat nicht unbeachtet lassen, dass die Antragstellerin die begehrten Kosten der Unterkunft und Heizung seit mittlerweile drei Jahren nicht erhalten hat, ohne dass ihr hieraus erhebliche Nachteile erwachsen sind. Sie selbst hatte den ersten - vorliegend streitigen - Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erst über acht Monate nach dem Zeitpunkt gestellt, ab dem die Leistungen begehrt werden. Ein relevanter Nachholbedarf zur Sicherung der Existenz ist weder von der Antragstellerin substantiiert bezeichnet worden noch sonst erkennbar. Dies gilt sowohl für Kosten der Unterkunft als auch der im Beschwerdeverfahren streitigen Kosten der Heizung.

Nach Überzeugung des Senats ist es der Antragstellerin auch im Übrigen zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Nach ihrer eigenen Darstellung ist die Antragstellerin verpflichtet, dem Eigentümer der Wohnung aufgrund einer "Nutzungsvereinbarung" - die Antragstellerin spricht gelegentlich auch von einem Mietvertrag - ein monatliches Nutzungsentgelt zu zahlen, das auch die Nebenkosten umfasst; Wasser- und Abwasserkosten habe sie ebenfalls an diesen zu entrichten, da der Versorgungsvertrag mit den Stadtwerken vom Wohnungseigentümer abgeschlossen worden sei. Die fortbestehende Eilbedürftigkeit begründet die Antragstellerin damit, dass bei Zahlungsrückständen ihrerseits jederzeit die Möglichkeit der Kündigung des Mietvertrages und der Zwangsräumung, also des Wohnungsverlustes drohe. Gerade dies ist aber nach dem bisherigen Verlauf nicht erkennbar. Zwar kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Gläubiger von den ihm gesetzlich zustehenden Rechten Gebrauch macht. Aufgrund des tatsächlichen Geschehensablaufes im vorliegenden Verfahren besteht jedoch für diese Annahme derzeit kein Raum. Der Wohnungseigentümer hat bislang - mithin über drei Jahre hinweg - nicht zu erkennen gegeben, dass er den Mietvertrag oder die Gebrauchsüberlassung der Wohnung wegen eines bestehenden oder im Falle weiteren Zahlungsverzugs beenden werde; auch Vollstreckungsmaßnahmen wurden nicht in Aussicht gestellt. Der Antragstellerin drohen damit derzeit weder der Verlust der Unterkunft oder Heizung noch eine Einstellung der Versorgungsleistungen Wasser/Abwasser.

Hiernach ist der angefochtene Beschluss des SG bereits mit Blick darauf zu bestätigen, dass jedenfalls eine Eilbedürftigkeit für das Begehren der Antragstellerin nicht erkennbar ist. Deshalb bedarf keiner Vertiefung, ob der Antrag auf eine einstweilige Anordnung nicht auch wegen des Fehlens eines Anordnungsanspruchs abzulehnen ist.

Eine Interessen- und Folgenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis. Würde die Antragsgegnerin entsprechend dem Antrag der Antragstellerin - vorläufig - verpflichtet, die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, stellte sich aber im Hauptsacheverfahren heraus, dass die Antragstellerin hierauf keinen Anspruch hat, wäre die Rückabwicklung der erbrachten Leistungen aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin erheblich erschwert oder gar gefährdet. Im umgekehrten Falle drohten der Antragstellerin hingegen aus den genannten Gründen aufgrund des bisherigen Verhaltens des Vermieters keine erheblichen Nachteile, auch wenn sie zwischenzeitlich außerstande wäre, tatsächlich geschuldeten Mietzins zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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