L 6 R 4403/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 R 4403/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit L 6 R 650/06 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente des Klägers und über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Mit Bescheid vom 23.02.1994 lehnte die Beklagte den Antrag des 1943 geborenen Klägers vom 10.12.1993 auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung ab, dass weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorliege. Weitere, in der Folgezeit gestellte Anträge auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit blieben ebenfalls erfolglos, zuletzt wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 06.12.2000 - L 2 RJ 2682/00). Mit Bescheid vom 09.02.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom 20.10.2003 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.02.2004. Wegen der Rentenhöhe legte der Kläger unter Bezugnahme auf eine Rentenauskunft aus dem Jahr 1993 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2004 zurückwies. Der geringere Rentenbetrag habe sich durch die Rentenabschläge wegen des früheren Rentenbeginns sowie die Auswirkungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes von 1997 ergeben. Des Weiteren seien bei der Rentenauskunft Zurechnungszeiten zugrunde gelegt worden, die bei der Altersrente nicht zu berücksichtigen seien. Andererseits habe der Kläger in der Zwischenzeit noch rentenrechtliche Zeiten zurückgelegt, die bei der Auskunft nicht berücksichtigt worden seien.

Am 11.10.2004 erhob der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage (S 4 RJ 4298/04). Er trug vor, die in der Rentenauskunft von 1993 aufgeführten Wehrdienstzeiten fehlten in späteren Versicherungsverläufen. Außerdem müsse die Arbeitslosigkeit im Jahr 2004 als Anrechungszeit berücksichtigt werden. Er legte u. a. auszugsweise die Rentenauskunft vom 10.12.1993, Wehrdienstbescheinigungen und die Jahresmeldung der Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2004 vor. Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie vertrat die Auffassung, die Wehrdienstzeiten seien korrekt bewertet, wie sich aus der Anlage zu dem Bescheid vom 09.02.2004 ergebe. Die geltend gemachte Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit könne nicht berücksichtigt werden, da durch die Arbeitslosigkeit eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden sei. Unter dem 16.03.2005 erließ die Beklagte einen Bescheid, mit dem der Überprüfungsantrag des Klägers gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in Bezug auf einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt wurde. Das SG wies die Klage gegen den Bescheid vom 09.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.2004 sowie gegen den Bescheid vom 16.03.2005 mit Urteil vom 19.01.2006 ab. Zur Begründung führte es aus, für die Wehrdienstzeiten habe die Beklagte zutreffend gemäß § 256 Abs. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) einen Entgeltpunkt pro Jahr, für die kürzeren Zeiten entsprechend anteilig, zugrunde gelegt. Aus der Rentenauskunft könne der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Bewertung herleiten, da sie nicht bindend sei. Für die Berücksichtigung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit im Jahr 2004 fehle es bereits am Merkmal der Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit. Der Bescheid vom 16.03.2005 sei gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Das SG schließe sich der Beurteilung im Urteil des LSG vom 06.12.2000 an, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seien nicht erfüllt.

Der Kläger legte hiergegen am 10.02.2006 Berufung bei dem LSG ein (L 6 R 650/06). Die damalige Berichterstatterin erörterte die Sach- und Rechtslage am 17.07.2006 mit den Beteiligten. Ausweislich der entsprechenden Niederschrift erklärte der Kläger in diesem Termin die Berufungsrücknahme.

Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 28.08.2006 sowie 08.09.2008 die Anträge des Klägers vom 21.01.2006 und 01.09.2008 auf Überprüfung des Bescheides vom 09.02.2004 und mit Bescheid vom 06.03.2008 den Antrag des Klägers auf Überprüfung des Bescheides vom 23.02.1994 ab.

Am 15.09.2008 ist bei dem Landessozialgericht ein Schreiben des Klägers eingegangen, in dem er Einwände gegen die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme erhoben und Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens gestellt hat. In diesem Schreiben gibt der Kläger an, in dem Erörterungstermin habe folgender Dialog zwischen Richterin und Kläger stattgefunden:

Richterin: "Herr Blei ich kann hier überhaupt nichts tun und Ihnen nur empfehlen, ihr Kreuz auf dem Wahlzettel an der richtigen Stelle zu machen."

Kläger: "Dann ist es wohl das Beste wir beenden diese Farce hier."

Richterin: "Soll das bedeuten, Sie nehmen die Berufung zurück?"

Kläger: "Tun Sie was Sie für richtig halten."

Richterin (spricht in das Mikrofon): "Der Kläger nimmt seine Berufung zurück."

Danach sei die Verhandlung zu Ende gewesen. Der Kläger trägt weiter vor, er habe bereits im Jahr 1993 Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gehabt und einen entsprechenden Antrag gestellt. Der Rentenbetrag, den er ab 01.02.2004 erhalten habe, sei gegenüber 1993 um 27 % gekürzt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.01.2006 und den Bescheid vom 09.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2004 sowie den Bescheid vom 16.03.2005 abzuändern und ihm unter höherer Bewertung seiner Wehrdienstzeiten vom 14.09. bis 10.10.1963, 06. - 26.09.1968, 13. - 26.09.1971 und 26.09. - 24.10.1973 sowie unter Berücksichtigung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit vom 01.01. - 31.12.2004 höhere Altersrente zu zahlen,

hilfsweise ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit anstelle der gezahlten Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu zahlen,

höchst hilfsweise ihm zu einem späteren Zeitpunkt Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit L 6 R 650/06 durch Berufungsrücknahme erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Sie geht von der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme aus und hält im Übrigen das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2008 die Berichterstatterin in dem Verfahrens L 6 R 650/06, Richterin am Landessozialgericht S. (S.), und die Terminsvertreterin der Beklagten im Erörterungstermin vom 17.07.2006, Oberregierungsrätin D. (D.), als Zeuginnen vernommen. Wegen der Einzelheiten der Zeugenaussagen wird auf die Niederschrift vom 11.12.2008 Bezug genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über den hier vorliegenden Streit, ob das Verfahren L 6 R 650/06 durch Berufungsrücknahme erledigt worden ist, hatte der Senat durch Fortführung des Berufungsverfahrens zu entscheiden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 156 Rn. 6). Dabei ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die Berufung im Erörterungstermin vom 17.07.2006 wirksam zurückgenommen hat. Allerdings gehören die Ausführungen "Daraufhin erklärt der Kläger: Ich nehme die Berufung zurück" in der Niederschrift vom 17.07.2006 nicht zu den Förmlichkeiten, bezüglich derer nach § 122 SGG i. V. m. § 165 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) nur der Nachweis der Fälschung des Protokolls zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.1963 - 9 RV 962/61 = SozR Nr. 4 zu § 102 SGG). Die Beweisaufnahme hat aber ergeben, dass der Kläger jedenfalls konkludent die Rücknahme seiner Berufung erklärt hat. Dabei hält es der Senat für möglich, dass der vom Kläger angegebene Dialog stattgefunden hat; der Kläger hat aber, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2008 eingeräumt hat, den Ablauf des Erörterungstermins nicht vollständig wiedergegeben. Wie sich aus der Aussage der Zeugin D. ergibt, hat die Zeugin S. im damaligen Termin auf die Aussage des Klägers "Tun Sie was Sie für richtig halten" nachgefragt, was dies bedeuten solle. Zwar kann heute nicht mehr im Einzelnen geklärt werden, wie der Kläger auf diese Nachfrage reagiert hat. Nach Aussage der Zeugin D. hat der Kläger möglicherweise daraufhin kundgetan, dass ihm dann nichts Anderes übrig bleibe als eine Rücknahme der Berufung. Im Ergebnis ging die Zeugin D. jedoch auf Grund des Verlaufs des Termins, der eine ausführliche Erörterung beinhaltete, von einer konkludent erklärten Berufungsrücknahme aus. Dies hat sie spontan und für den Senat überzeugend zu Beginn ihrer Aussage erklärt. Ein bloßes Schweigen des Klägers, das allein nicht als Rücknahmeerklärung auszulegen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.1963 a. a. O.; Hennig, Kommentar zum SGG, § 102 Rdnr. 10), nimmt der Senat deshalb nicht an. Dass beide Zeuginnen heute nicht mehr eindeutig wiedergeben können, in welcher Form der Kläger seine Rücknahme kundtat, verwundert angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit nicht. Wenn der Kläger nunmehr angibt, er habe eine Rücknahme weder ausdrücklich erklärt, noch auf entsprechende Nachfrage genickt, so widerspricht dies der Annahme einer konkludenten Rücknahme angesichts des im Einzelnen nicht mehr rekonstruierbaren Hergangs des Termins nicht. Denn sowohl die Zeugin S., wie sich schon aus ihrem Diktat ins Protokoll ergibt, der Kläger habe die Rücknahme seiner Berufung erklärt, als auch die Zeugin D. waren am Ende des Termins vom 17.07.2006 überzeugt, der Kläger habe seinen dem entsprechenden Willen zum Ausdruck gebracht. Dieses Ergebnis wird ferner dadurch bestätigt, dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2008 angegeben hat, nach dem Erörterungstermin kein Urteil mehr erwartet hat. Vielmehr ging er offensichtlich selbst davon aus, dass das Berufungsverfahren beendet war. Auch die Tatsache, dass er bereits unter dem Datum des Folgetages einen Antrag nach § 44 SGB X stellte, bestätigt den Abschluss des Berufungsverfahrens am 17.07.2006 aus der Sicht des Klägers, ebenso wie der Umstand, dass er seinen Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens erst mehr als zwei Jahre nach dem Erörterungstermin gestellt hat. Offensichtlich erwartete er in der Zwischenzeit nach Erhalt des Protokolls, aus dem die Rücknahme im Übrigen an hervorgehobener Stelle ersichtlich ist, so dass bei einer Unrichtigkeit des Protokolls ein umgehender Berichtigungsantrag des Klägers zu erwarten gewesen wäre, keine weiteren Mitteilungen des Berufungsgerichts. Dass der Kläger sich in der Folgezeit an die Petitionsausschüsse des Deutschen Bundestages und des Landtages von B.-W. gewandt hat, zeigt, dass er sein Anliegen nunmehr auf anderen Wegen weiter verfolgen wollte. Der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme steht im Übrigen nicht entgegen, dass die Richterin die Förmlichkeit des § 162 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO, § 122 SGG (Abspielen und Vermerk der Genehmigung) nicht beachtet hat. (vgl. BSG, Urteil vom 12.03.1981 - 11 RA 52/80 = SozR 1500 § 102 Nr. 4). Wäre dies allerdings erfolgt, hätte sich die Beweiskraft des Protokolls auf die Genehmigung der abgespielten Berufungsrücknahme erstreckt (vgl. Münchener Kommentar, ZPO, 2. Auflage 2000, § 165 Rdnr. 2), so dass der Kläger nur durch den Nachweis der Fälschung die Richtigkeit der Niederschrift hätte erschüttern können.

Da somit eine wirksame Rücknahme erklärt wurde, ist das Berufungsverfahren L 6 R 650/06 erledigt. Eine Entscheidung in der Sache scheidet aus. Lediglich am Rande weist der Senat jedoch darauf hin, dass der Kläger im Ergebnis auch in der Sache keine günstigere Entscheidung hätte erwarten können. Denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Nach alledem war festzustellen, dass der Rechtsstreit L 6 R 650/06 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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