L 1 SB 6149/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1258/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 6149/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 3. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht nur noch die Zuerkennung des Merkzeichens "G".

Der Kläger ist 1981 geboren und beantragte erstmals am 31. Oktober 2001 die Feststellung eines GdB, den er mit einem Morbus Scheuermann und dadurch bedingter Korsettversorgung seit Oktober 1996 begründete. Beigefügt waren mehrere Arztbriefe, aus denen u.a. ersichtlich war, dass der Kläger an Morbus Hodgkin litt. Mit Bescheid vom 20. März 2002 erkannte das Versorgungsamt Freiburg, Außenstelle Radolfzell (VA), einen GdB von 60 seit 1. November 2001 an (zugrundeliegende Behinderungen: Erkrankung des lymphatischen Systems [in Heilungsbewährung] und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule), lehnte zugleich die Feststellung von gesundheitlichen Merkmalen (Merkzeichen) ab.

Einen Verschlimmerungsantrag stellte der Kläger am 12. September 2002 und machte geltend, inzwischen sei eine erhebliche Gehbehinderung eingetreten. Nach Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Juni 2003 die Neufeststellung ab, ebenso die Feststellung von Merkzeichen.

Ein weiterer Verschlimmerungsantrag ging am 7. Oktober 2003 beim VA ein. Der um Auskunft gebetene Dr. K. teilte mit Befundschein vom 17. Februar 2004 mit, der Kläger sei in der Lage, ortsübliche Strecken (2 km) zu Fuß zurückzulegen. Er könne auch selbständig mit Bus, Straßenbahn und Eisenbahn fahren. Die rasche Ermüdbarkeit bei körperlicher Belastung sei aber weiterhin abklärungsbedürftig dahingehend, ob ein körperlicher Trainingsmangel bestehe oder der Kläger an den Folgen der vorausgegangenen Therapie leide. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2004 den Antrag auf Neufeststellung des GdB und die Feststellung von Merkzeichen ab. In dem dagegen geführten Widerspruchsverfahren holte das VA weitere ärztliche Unterlagen ein und half mit Teil-Abhilfebescheid vom 25. Februar 2005 dem Widerspruch insoweit ab, als ab 7. Oktober 2003 ein GdB von 70 anerkannt wurde. Nachdem der Kläger an der Zuerkennung eines GdB von 100 sowie der Merkzeichen "G" und "B" festhielt, wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2005 zurück. Dagegen hat der Kläger am 24. Mai 2005 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. K. hat unter dem 18. Januar 2006 mitgeteilt, der Kläger klage seit Behandlungsbeginn im Juni 2003 durchgängig, aber mit konstant abnehmender Intensität über Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Atemnot unter Belastung. Im Verlauf des Jahres 2005 habe sich die Belastbarkeit zunehmend gesteigert. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" lägen nicht vor. Beigefügt war u.a. der Entlassungsbericht aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme vom 4. Oktober 2005 (Diagnosen: Morbus Hodgkin, nodulär sklerosierende Form, initial IIb, ED 5/01 mit Rezidiven 6/02 und 5/04; Adipositas permagna; Vertebralsyndrom bei Skoliose). Darin wurde u.a. über ein leichtes Ausdauertraining berichtet, das der Kläger gut vertragen habe und das die allgemeine Leistungsfähigkeit erhöht habe. Das Universitätsklinikum Freiburg, Prof. Dr. F., berichtete unter dem 13. Februar 2006, im Rahmen des 2. Rezidivs der Erkrankung sei eine Hochdosischemotherapie erfolgt mit nachfolgender autologer Blutstammzelltransplantation im Juli 2004. Durch die Hochdosistherapie sei es zu einer weiteren Verschlechterung der allgemeinen Leistungsfähigkeit gekommen, die sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gebessert habe. Der Kläger sei momentan nicht in der Lage, längere Strecken zu Fuß zurückzulegen. Für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei keine Hilfe nötig.

Mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger liege ein Hodgkinlymphom im aktuellen Stadium der Remission, zuvor IIb vor. Deshalb sei der Teil-GdB mit 60 zugunsten des Klägers höher festgestellt worden, als er nach den Anhaltspunkten mit einem Teil-GdB von 50 hätte festgestellt werden dürfen. Dies sei in Übereinstimmung mit dem vä Dienst angesichts der aufgetretenen Rezidive allerdings zu rechtfertigen. Auch der Teil-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden sei zutreffend festgestellt. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" liege nicht vor. Auch eine ständige Begleitung im Sinne des Merkzeichens "B" könne nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht festgestellt werden.

Gegen den am 10. November 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Dezember 2006, einem Montag, Berufung eingelegt, beschränkt auf das Merkzeichen "G". Er führt zur Begründung aus, dass er zwar in der Reha leichtes Ausdauertraining durchgeführt habe. Allerdings sei dies schon 2005 gewesen und 2006 habe die Uniklinik bestätigt, dass sein Leistungsvermögen immer noch unzureichend gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 3. November 2006 und den Bescheid vom 20. April 2004 und vom 25. Februar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2005, abzuändern und dem Kläger das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Das Gericht hat den behandelnden Orthopäden, den Facharzt für Orthopädie Dr. M., und Prof. Dr. F. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Auf deren Stellungnahme vom 10. Dezember 2007 und vom 27. Dezember 2007 wird inhaltlich verwiesen. Des Weiteren wurde der Reha-Entlassungsbericht des Rentenversicherungsträgerse vom 29. September 2004 beigezogen. Der Beklagte hat die vä Stellungnahme vom 5. Mai 2008 vorgelegt.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales, Versorgungsamt B., hat den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 14. Februar 2008 samt einigen Arztberichten in Anlage vorgelegt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet. Das Merkzeichen "G" ist zu Recht nicht festgestellt worden.

Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert (§ 145 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz Sozialgesetzbuch Neuntes Buch [SGB IX]). In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen G geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist (§ 146 Abs. 1 SGB IX).

Bei der Prüfung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein, d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen, noch zu Fuß zurück gelegt werden. Nach der Rechtsprechung gilt als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (vgl. AP 2004 Nr. 30).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze, die der Senat zur Gleichbehandlung aller behinderten Menschen bei seiner Beurteilung zugrunde legt, liegen beim Kläger keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die seine Bewegungsfähigkeit so einschränken würden, dass er nicht mehr in der Lage wäre, eine Wegstrecke von etwa 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen.

Schon der behandelnde Orthopäde Dr. M. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Senat mitgeteilt, dass beim Kläger keine Erkrankungen vorliegen, die es dauerhaft ausschließen würden, eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurück zu legen. Insbesondere lassen auch die Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet, die sich im Wesentlichen auf Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule konzentrieren, keinen abweichenden Schluss zu. Soweit Dr. M. ausgeführt hat, bei einem akuten Beschwerdeschub sei durchaus möglich, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, die erforderliche Wegstrecke zurück zu legen, kann dies offen bleiben. Denn maßgeblich für die Feststellung eines Merkzeichens sind nicht Erkrankungen akuter Art, sondern Behinderungen, also Erkrankungen, die länger als 6 Monate bestehen und limitierend auf die Leistungsfähigkeit wirken. Dies ist bei akuten Beschwerdeschüben erkennbar nicht der Fall.

Entsprechend hat auch der behandelnde Arzt Dr. K. in seiner Stellungnahme gegenüber dem VA unter dem 17. Februar 2004 ausgeführt, dass der Kläger in der Lage sei, ortsübliche Strecken (2 km) zu Fuß zurückzulegen. Darüber hinaus hat der Kläger gegenüber Dr. K. am 15. Dezember 2004, also nach Abschluss der Blutstammzelltransplantation im Juli 2004 nach dem Rezidiv, auf gezieltes Befragen geäußert, dass er im heimatlichen Fußballclub mitspielen könne, nach 1 ½ Stunden völlig erschöpft sei; zugleich hat er gegenüber Dr. K. geäußert, der Weg von Zuhause ins Dorf (ca. 1,5 km) sei für ihn sehr anstrengend und er eine Stunde benötige. Diese Angaben sind durchaus widersprüchlich und daher für den Senat nicht im klägerischen Sinne als Nachweis einer nur eingeschränkten Gehfähigkeit zu werten.

Soweit der klägerische Bevollmächtigte im Berufungsverfahren vorgetragen hat, die Feststellung im Entlassungsbericht aus der Rehabilitationsmaßnahme im September/Oktober 2005 würden nur eine augenblickliche Situation darstellen und verkennen, dass der Kläger arbeitsunfähig aus der Maßnahme entlassen worden sei, vermochten diese Einwendungen nicht zu überzeugen. Vergleicht man die Befunde und die Beschreibung des Allgemeinzustands des Klägers im Entlassungsbericht vom 29. September 2004 mit dem vom 4. Oktober 2005 wird bereits eine deutliche Besserung des Gesundheitszustands und des körperlichen Leistungsvermögens sichtbar. Darüber hinaus ist das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit seitens der Rehaklinik damit begründet worden, dass mehrere Rezidive der Systemerkrankung und noch fehlender Heilungsbewährung vorliegen würden, die die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit noch ausschließen würden. Dem vermag auch der Senat nichts entgegen zu setzen, zumal der Kläger für seine schweren Erkrankungen einen GdB von 70 zuerkannt bekommen hat. Diese Beurteilung genügt aber noch nicht, um auch eine für das Merkzeichen "G" relevante Einschränkung der Wegefähigkeit begründen zu können.

Soweit durch die Uniklinik F. ausgeführt worden ist, dass aus onkologischer Sicht die eingeschränkte Diffusionskapazität der Lunge als Behinderung für eine eingeschränkte Belastungsfähigkeit sorgt, nicht aber eine Behinderung der Gehfähigkeit bedeutet, schließt sich der Senat auch dieser Auffassung an. Soweit auf Rückenbeschwerden des Klägers abgestellt wird, die durch einen Orthopäden abgeklärt werden müssten, hat der behandelnde Orthopäde Dr. M. bereits gegenüber dem Senat festgestellt, dass die Einschränkungen ohne Auswirkungen auf die Gehfähigkeit sind. Insoweit ist auch aus der Stellungnahme des Universitätsklinikums Freiburg nichts abzuleiten, was das Merkzeichen "G" begründen könnte.

Soweit in der vä Stellungnahme vom 5. Mai 2008 darauf hingewiesen worden ist, dass möglicherweise wegen der eingeschränkten Diffusionskapazität der Lunge weitere Kontrollen durchgeführt worden sind, hat sich der Kläger auf Bitte des Gerichts, entsprechende Ärzte zu benennen, nicht geäußert. Von Amts wegen wurde kein Anlass zu weiteren Ermittlungen gesehen, da auch von der Universitätsklinik F. trotz eingeschränkter Diffusionskapazität keine Limitierung des Gehvermögens angenommen worden ist.

Auch die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales B. vorgelegten ärztlichen Unterlagen vermögen eine abweichende Bewertung nicht zu rechtfertigen. Insbesondere der Arztbericht des Dr. M. vom 13. März 2008 belegt die bereits bekannten Diagnosen im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers, die bei der Bemessung des GdB zwar berücksichtigt worden sind, nicht aber Anhaltspunkte für eine dadurch bedingte Einschränkung des Gehvermögens. Im Bericht des Universitätsklinikums F. vom 26. September 2007 wird unter "aktueller Anamnese" u.a. angegeben, dass der Kläger über ein recht gutes Allgemeinbefinden berichtet habe, dass er zweimal täglich 30 Minuten spazieren. Auch diese Befunde geben somit nichts für ein derart eingeschränktes Leistungsvermögen her, dass das Merkzeichen "G" festgestellt werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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