L 2 R 2481/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 4905/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2481/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer höheren Altersrente unter Zugrundelegung zusätzlicher Kindererziehungszeiten im Streit.

Die am 12. Juli 1946 geborene Klägerin beantragte am 3. Mai 2006 die Gewährung von Altersrente. Mit Bescheid vom 8. Juni 2006 gewährte die Beklagte diese Rente. Dabei berücksichtigte sie für das am 12. November 1976 geborene Kind T. als versicherungspflichtige Kindererziehungszeit den Zeitraum vom 1. Dezember 1976 bis 30. November 1977 und für das am 17. Februar 1981 geborene Kind J. den Zeitraum vom 1. März 1981 bis 28. Februar 1982. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 23. Juni 2006 Widerspruch ein und machte geltend, es könne nicht rechtens sein, dass für Kinder, die ab dem 1. Januar 1992 geboren worden seien, drei Jahre als Kindererziehungszeiten Berücksichtigung fänden, für die zuvor geborenen Kinder jedoch nur ein Jahr berücksichtigt werde. Diese Regelung verstoße gegen Artikel 3 und Artikel 6 des Grundgesetzes.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2006 zurück. Nach dem Gesetz bestehe für ein nach dem 31. Dezember 1991 geborenes Kind Versicherungspflicht in den ersten 36 Kalendermonaten nach Ablauf des Geburtsmonats. Für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind bestehe eine Kindererziehungszeit nur für die Dauer eines Jahres. Der Gesetzgeber habe eine Kindererziehungszeit in einem Umfang von einem Jahr zum 1. Januar 1986 durch das Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (HEZG) eingeführt. Ein weiterer Schritt zur Ausdehnung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre sei dann ab dem 1. Januar 1992 mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Einführung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992 -) vom 18. Dezember 1989 erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Ausdehnung der Kindererziehungszeiten in Schritten vorgenommen habe und nicht auch auf bereits vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder die dreijährige Kindererziehungszeit erstreckt habe (Beschluss vom 29. März 1996 - 1 BvR 1238/95 -). Eine andere Beurteilung folge auch nicht aus den Beschlüssen vom 10. November 1998 (2 BvR 1057/91) und 3. April 2001 (1 BvR 1629/94).

Die Klägerin hat ihr Begehren weiterverfolgt, am 5. Oktober 2006 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, das BVerfG habe im Beschluss vom 29. März 1996 ausdrücklich erklärt, dass der Gesetzgeber nach der Verfassung nicht darauf beschränkt sei, bei weiteren Reformschritten strukturelle Verbesserungen der Kindererziehungszeiten oder eine zeitliche Ausdehnung von Kindererziehungszeiten nur auf Tatbestände ab Inkrafttreten des jeweiligen Reformschrittes anzuwenden. Es sei ihm nicht verwehrt, diese Verbesserungen auch den Elternteilen zukommen zu lassen, die ihre Leistungen der Kindererziehung bereits vor Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelung erbracht hätten. Der Gesetzgeber habe es in den letzten 10 Jahren unterlassen, bei neuen Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, wie sich die Änderungen auf bestehende Anwartschaften auswirkten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung der Altersrente unter Anrechnung weiterer Kindererziehungszeiten nicht zu. Nach dem mit Wirkung vom 1. Januar 1992 durch Art. 1 RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) eingeführten § 56 seien Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren. Nach § 249 Abs. 1 SGB VI ende die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind 12 Monate nach Ablauf der Geburt. Da die Kinder der Klägerin vor dem 1. Januar 1992 geboren worden seien, habe die Beklagte zu Recht nur eine Kindererziehungszeit von jeweils einem Jahr zu Grunde gelegt. Die Unterschiedlichkeit der Regelungen für vor dem 1. Januar 1992 und seit dem 1. Januar 1992 geborene Kinder verstoße, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Recht darlegt habe, nicht gegen Verfassungsrecht. Für Versicherungsfälle vor dem 31. Dezember 1985 sei ein rentenversicherungsrechtlicher Ausgleich der mit der Kindererziehung verbundenen Nachteile für Zeiten vor und nach der Geburt eines Kindes nur in Form der Berücksichtigung einer Ausfallzeit vorgesehen gewesen (§§ 1259 Abs. 1 Nr. 2 RVO, 36 Abs. 1 Nr. 2 AVG). Durch das HEZG vom 11. Juli 1985 (BGBl. I 1450) sei mit Wirkung ab dem 1. Januar 1986 für Eltern der Geburtsjahrgänge nach 1920 als versicherungsrechtliche Zeit die Zeit der Kindererziehung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit für die Dauer eines Jahres gleichgestellt worden. Mit dem RRG 1992 sei eine unterschiedliche Länge der Kindererziehungszeiten für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder (§ 249 Abs. 1 SGB VI: 12 Monate) und nach dem 31. Dezember 1991 geborene Kinder (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI: 36 Monate) geregelt worden. Sämtliche Kindererziehungszeiten seien seither Pflichtbeitragszeiten. Die auf der zeitlich schrittweisen Berücksichtigung der Kindererziehung durch den Gesetzgeber beruhende Unterschiedlichkeit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten verstoße nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 29. März 1996 - 1 BvR 1238/95, SGb 1996, 427) nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Auch wenn das BVerfG in der Entscheidung ausgeführt habe, der Gesetzgeber sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht darauf beschränkt, strukturelle Verbesserungen der Kindererziehungszeiten nur auf Tatbestände ab Inkrafttreten der jeweiligen Reformschritte anzuwenden, so habe das BVerfG doch klargestellt, dass eine gegen das Grundgesetz verstoßende Ungleichbehandlung der Tatbestände der Kindererziehung in der Zeit vor Inkrafttreten des RRG 1992 und der Tatbestände der Kindererziehung ab Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 nicht vorliege. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers würde unzulässig beschränkt, wenn es ihm verwehrt würde, eine derart komplexe Reform wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Altersversorgung in mehreren Stufen zu verwirklichen.

Gegen dieses ihr am 23. April 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den 26. Mai 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass Mütter, deren Kinder vor dem 1. Januar 1992 geboren sind, in ungerechtfertigter Weise benachteiligt würden. Sie hat sich auf ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) berufen und hilfsweise begehrt, die Frage der Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung dem BVerfG erneut vorzulegen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 8. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2006 zu verurteilen, ihr eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 1. Dezember 1977 bis 30. November 1979 und 1. März 1982 bis 28. Februar 1984 als versicherungspflichtige Erziehungszeiten zu gewähren; hilfsweise die Frage der Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und ihren Bescheid für rechtmäßig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Klageakten des SG und der Berufungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Berufungsbeschränkungen nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bestehen nicht. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Zwar ist die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung bei dem Sozialgericht oder dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg ist der Klägerin am 23. April 2008 ordnungsgemäß mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Die Frist begann für sie damit am 24. April 2008 und endete am Freitag, den 23. Mai 2008 (§ 64 Abs. 3 SGG). Das Rechtsmittel ist zwar erst am Montag, dem 26. Mai 2008, mithin verspätet, beim Landessozialgericht eingegangen. Der Klägerin ist aber wegen der Versäumung der Berufungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist kann das Gericht von Amts wegen gewähren, wenn eine Wiedereinsetzung rechtfertigende Tatsachen glaubhaft sind, und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt ist (§ 67 Abs. 2 SGG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin, deren Berufung am 26. Mai 2008 eingegangen ist, war ohne Verschulden verhindert, rechtzeitig Berufung einzulegen (§ 67 Abs. 1 SGG). Denn die Klägerin durfte damit rechnen, dass das ausweislich des Poststempels am Mittwoch, den 21. Mai 2008 zur Post gegebene Einwurf-Einschreiben am Freitag, den 23. Mai 2008 bei Gericht eingehen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. September 2000 - 1 BvR 1059/00 -; Beschluss vom 11. Juni 1993 - 1 BvR 1240/92 - beide veröffentlicht in Juris) und der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 1996 - 10 RAr 1/96 -; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Mai 2004 - V ZB 62/03 - m.w.N.; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Juni 1994 - 10 AZR 425/93 -; BFH, Urteil vom 28. Oktober 2008 - VIII R 36/04 - alle veröffentlicht in Juris) kann der Bürger auf die für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten vertrauen. Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post sind dem Kläger daher dann nicht als Verschulden anzurechnen, wenn sein Schriftstück, wie hier, ordnungsgemäß adressiert und frankiert so rechtzeitig zur Post gegeben wird, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgemäß erreicht hätte. Insoweit darf man sich darauf verlassen, dass Briefe von der Deutschen Post AG spätestens am darauf folgenden Werktag bei den Empfängergerichten eingehen (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Mai 2004 a.a.O.; BFH, Urteil vom 28. Oktober 2008 a.a.O.). Der nächste Werktag wäre Freitag, der 23. Mai 2008 und damit der letzte Tag innerhalb der Frist gewesen. Auch wenn die Deutsche Post AG keine Garantie für die fristgemäße Weiterleitung von Briefen übernimmt, ergibt sich daraus noch kein Verschulden eines Klägers, der auf die üblichen Laufzeiten vertraut. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht im Hinblick darauf, dass das Einschreiben am Tag vor Fronleichnam aufgegeben wurde. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass Differenzierungen danach, ob eine eingetretene Verzögerung auf einer zeitweise besonders starken Beanspruchung der Leistungsfähigkeit der Post (etwa vor Feiertagen), auf einer verminderten Dienstleistung der Post (beispielsweise an Wochenenden) oder auf der Nachlässigkeit eines Bediensteten beruht, unzulässig sind und die Gerichte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagen dürfen, der Betroffene habe "nach Sachlage" oder "erfahrungsgemäß" mit einer Verzögerung der Sendung rechnen müssen (BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 - 1 BvR 2104/99 -, veröffentlicht in Juris).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2006 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2006 ist, soweit er angegriffen wurde, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Altersrente unter Berücksichtigung der Zeiten vom 1. Dezember 1977 bis zum 30. November 1979 und vom 1. März 1982 bis zum 28. Februar 1984 als Erziehungszeiten. Dieser Anspruch steht ihr nicht zu.

Die Klägerin hat derzeit keinen Anspruch auf eine weitergehende Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Für ihre 1976 und 1981 geborenen Kinder hat die Beklagte entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI jeweils eine zwölfmonatige Erziehungszeit als Beitragszeit berücksichtigt. Zwar sieht § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI inzwischen im Grundsatz die rentenrechtliche Berücksichtigung einer dreijährigen Erziehungszeit vor; der Zusammenhang mit der Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI macht aber deutlich, dass eine dreijährige Kindererziehungszeit nur bei solchen Kindern anzurechnen ist, die erst in den Jahren ab 1992 geboren worden sind. Diese eindeutige einfach-gesetzliche Rechtslage begegnet auch nach Ansicht des Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch dies hat das SG zutreffend dargelegt. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 Satz 1 SGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend ist lediglich festzustellen, dass sich die Klägerin, die sich mit Müttern vergleicht, die ihre Kinder nach dem 1. Januar 1992 geboren und erzogen haben, damit gegen den vom Gesetzgeber für das Inkrafttreten des Neuregelungsgesetzes festgelegten Zeitpunkt wendet. Die verfassungsrechtliche Prüfung einer derartigen Stichtagsregelung muss sich darauf beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (vgl. BVerfGE 44, 1 (21 f.)). Nach diesem Maßstab lässt sich ein Gleichheitsverstoß nicht feststellen. Hier hat sich der Gesetzgeber bei dem Ausbau familienbezogener Elemente vor dem Hintergrund des am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes, mit dem erstmals ein Versicherungsjahr für die Erziehung jedes Kindes bei allen Müttern ab Geburtsjahrgang 1921, die ab 1986 Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld erhalten, anerkannt wurde (BT-Drucks. 11/4124, S. 142), bewusst und ausdrücklich gegen eine rückwirkende Anwendung des zweiten und dritten Erziehungsjahrs entschieden. Demgegenüber hat die Berücksichtigungszeit, die dazu dient, einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ohne Beitragszahlung während der Erziehung zu erhalten, auch die Erziehung vor 1992 geborener Kinder auf zehn Jahre verlängert (BT-Drucks. 11/4124, S. 142). Eine Vorverlegung der Ausweitung der Kindererziehungszeit durch das RRG 1992 war jedenfalls in Ansehung der Situation der Klägerin verfassungsrechtlich nicht geboten. Ihre Kinder sind 1976 und 1981 geboren worden und damit zu einer Zeit, in der Erziehungszeiten noch keine rentenrechtliche Berücksichtigung fanden, so dass kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine - rückwirkende - Gewährung der hier geltend gemachten - dreijährigen - Kindererziehungszeiten entstehen konnte, dem der Gesetzgeber durch nachträgliche Einbeziehung hätte Rechnung tragen müssen. Weiterhin hat der Beklagten-Vertreter in der mündlichen Verhandlung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Nichteinbeziehung der Erziehungszeiten für bereits vor Inkrafttreten der Regelung geborene Kinder in die Erweiterung der versicherungspflichtigen Zeit dadurch gerechtfertigt ist, dass die Neuregelung in der Zukunft auch einen Anreiz für erwerbstätige Frauen schaffen sollte, Kinder zu bekommen und wegen der Kindererziehung - vorübergehend - ganz oder teilweise auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, der sich rückwirkend nicht mehr auswirken konnte. Das dritte Erziehungsjahr war bei den Kindern der Klägerin auch jeweils bereits lange vor dem 1. Januar 1992 beendet, so dass, anders als z.B. im Falle 1991 geborener Kinder, auch keine Ungleichbehandlung gegenüber Eltern, die im gleichen Zeitraum, wie sie Kinder erzogen haben, gegeben ist. Die Frage der Gleichheit der Beitragszahler stellt sich hier nicht, auch wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten hat, sie habe in "Kind" eingezahlt. Diese Vorstellung entspricht nicht der Konzeption der Rentenversicherung, die weiterhin maßgebend von dem Grundsatz der Lohn- und Beitragsbezogenheit bestimmt wird, auch wenn daneben die Leistungen der Kindererziehung berücksichtigt werden sollen, die über einen Bundeszuschuss und damit aus Steuermitteln finanziert werden.

Zu ergänzen ist schließlich, dass auch der Vortrag der Klägerin, es liege ein Verstoß gegen die EMRK vor, zu keinem anderen Ergebnis führt. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Schutzbereich eines Konventionsrechts hier berührt wird. Die Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI greift nicht belastend in bestehende Rechtspositionen ein. Sie regelt die rentenrechtliche Berücksichtigung von Erziehungszeiten, die weder grundrechtlich (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u.a. -, Rn. 121ff. veröffentlicht in Juris) noch konventionsrechtlich gefordert ist, in einer Weise, die hinsichtlich der Klägerin zu keiner Verschlechterung der bis dahin für sie geltenden Rechtslage führt, auch wenn sie nicht in die ab dem 1. Januar 1992 erfolgte Ausweitung der rentenrechtlichen Berücksichtigung einbezogen wurde. Die sich aus der Stichtagsregelung ergebende unterschiedliche Behandlung gegenüber Müttern, deren Kinder nach dem 31. Dezember 1991 geboren wurden, lässt einen Konventionsverstoß ebenfalls nicht erkennen. Der allgemeine Gleichheitssatz des 12. Zusatzprotokolls ist im Bundesgebiet noch nicht in Kraft getreten. Das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK ist akzessorisch zu den in der Konvention garantierten Freiheitsrechten, d.h. es muss zumindest der Schutzbereich eines Freiheitsrechts berührt sein, was, wie dargelegt, im Falle der hier vorliegenden begünstigenden rentenrechtlichen Berücksichtigung von Erziehungszeiten nicht der Fall ist.

Aber auch wenn ein Verstoß gegen geltendes Konventionsrecht anzunehmen wäre, könnte dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, der durch Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, S. 685, 953) gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transponiert worden ist. Seither ist sie Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987 - 2 BvR 740/81 -; Beschluss vom 14. Oktober 2004 2 BvR 1481/04 -, Rn. 31 jeweils veröffentlicht in Juris) und gilt mit unmittelbarer Wirkung. Sie nimmt jedoch am Vorrang des Gesetzes teil. Ein Anwendungsvorrang kommt ihr anders als unmittelbar geltendem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht zu (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O., Rn. 31, 32, 62); es besteht aber die Pflicht, solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O., Rn. 62; Beschluss vom 26. März 1987 a.a.O.). Dabei geht der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung auch der Anwendung des Grundsatzes des lex posterior vor (BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987 a.a.O.). Dementsprechend sind auch Gesetze im Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, die zeitlich später erlassen worden sind, als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Denn es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, nicht von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987 a.a.O.). Mit seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2004 (a.a.O.) hat das BVerfG jedoch ausdrücklich klargestellt, dass auch die völkerrechtsfreundliche Auslegung ihre Grenze in der methodisch vertretbaren Gesetzesauslegung findet.

Nach diesen Grundsätzen wäre auch dann, wenn ein Verstoß gegen die EMRK vorläge, keine andere Entscheidung möglich. Denn eine völkerrechtsfreundliche Auslegung der hier maßgeblichen Vorschrift scheidet aus, weil sie methodisch nicht vertretbar wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O., Rn. 47, 62). Der Tatbestand der Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI enthält weder offene Rechtsbegriffe noch sonstige sprachlich bedingte Auslegungsspielräume. Die Regelung lässt auch auf der Rechtsfolgenseite keinen Zweifel daran, dass die gesetzesgebundene Verwaltung nur eine zwölfmonatige Erziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigen darf. Die Rechtsfolge ist weder auf den Regelfall beschränkt noch ist der Verwaltung ein Ermessensspielraum eingeräumt. In solchen Fällen bleibt es bei der Anwendung des aus dem rechtsstaatlichen Postulat der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung abgeleiteten ungeschriebenen, aber gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatz "lex posterior derogat legi priori" im Verhältnis von einfachem Bundesgesetzesrecht zu völkerrechtlichem Vertragsrecht, das nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht mit dem Range einfachen Bundesrechts transformiert worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 - 5 C 29/98 -, BVerwGE 111, 200 m.w.N.). Zudem ist die hier maßgebliche Norm auch gegenüber den Bestimmungen der EMRK die speziellere Regelung. Damit wäre dem Senat eine Entscheidung zugunsten der Klägerin auch dann nicht möglich, wenn ein Verstoß gegen die EMRK vorliegen würde. Entsprechendes gilt für die Europäische Sozialcharta (BGBl. II 1964, 1261) und den Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (BGBl. II 1973, 1569), deren Bestimmungen ebenfalls Völkerrecht im Rang von Bundesrecht sind.

Da der Senat, wie dargelegt, die angegriffene Regelung für verfassungsgemäß hält, scheidet auch die von der Klägerin hilfsweise begehrte Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG aus. Dabei kommt es auf die umstrittene Frage, ob und in welcher Weise die EMRK - in der Auslegung durch den EGMR - bei der Auslegung von Art. 3 GG und Art. 6 GG zu berücksichtigen ist, nicht an. Da, wie dargelegt, ein Verstoß gegen Konventionsrechte, insbesondere Art. 8 und Art. 14 EMRK nicht ersichtlich ist, ist der Senat auch unter Berücksichtigung der EMRK bei der Auslegung von Art. 3 GG und Art. 6 GG nicht von der Verfassungswidrigkeit der von der Klägerin angegriffenen Regelung überzeugt. Eine Vorlage an das BVerfG allein um eine aktuelle Auslegung der Grundrechte, insbesondere unter Berücksichtigung neuer Rechtsprechung des EGMR zu bewirken, sieht das Grundgesetz nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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