L 3 SB 3155/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 4616/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3155/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF". Der Beklagte stellte bei der 1936 geborenen Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 17.12.2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie weiterhin das Merkzeichen "G" fest. Der Beklagte legte insoweit folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

1. künstliche Herzklappe, Herzschrittmacher, Herzleistungsminderung, (Einzel-GdB 50) 2. Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar), (Einzel-GdB 30) 3. chronische Bronchitis, (Einzel-GdB 30) 4. Perichondrosis parasternalis, (Einzel-GdB 20) 5. Hüftgelenksendoprothese links, (Einzel-GdB 20) 6. operierte arterielle Verschlusskrankheit, (Einzel-GdB 20) 7. Erkrankung der rechten Brust (in Heilungsbewährung), (Einzel-GdB 50).

Mit Neufeststellungsantrag vom 09.05.2006 beantragte die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Zur Begründung führte sie aus, ihr Oberschenkelhalsbruch sei nicht ausgeheilt und sie könne daher hohe Stufen nicht besteigen. Auch könne sie wegen der künstlichen Herzklappe nicht mehr mehrere Stufen hintereinander bewältigen. Bei Menschenansammlungen wie z.B. Kino bekomme sie Herzschmerzen und ihr werde schlecht.

Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht von Dr. P., Arzt für Allgemeinmedizin, vom 06.06.2006 ein. Dieser verwies bezüglich des Herzleidens auf einen beiliegenden fachärztlichen Befundbericht von Dr. F. vom 11.03.2006. Hinsichtlich des Diabetes teilte er mit, der Blutzuckerwert sei konstant, Sekundärschäden lägen nicht vor und die Klägerin leide unter erheblichen Hüftschmerzen links. Des Weiteren fügte er einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. K. vom 17.02.2006 bei. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Befundberichte wird auf Bl. 121 bis 124 der Beklagtenakte verwiesen. Mit Bescheid vom 21.07.2006 lehnte der Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme der Beratungsärztin Frau Dr. D. die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 18.08.2006 wies er nach Einholung einer Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. H. vom 26.10.2006 mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2006 zurück.

Dagegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) am 11.12.2006 Klage erhoben mit der Begründung, sie leide in vollen Räumen unter Panikattacken. Zur Begründung hierfür hat sie ein ärztliches Attest von Dr. P. vom 08.12.2006 vorgelegt, in welchem dieser ausführt, die Klägerin stehe wegen Klaustrophobie in seiner hausärztlichen Betreuung. In vollen Räumen wie z.B. Kinosälen oder Kaufhäusern halte sie es nicht aus und müsse diese fluchtartig verlassen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage des Dr. P. vom 21.02.2007. Dieser hat ausgeführt, bei der Klägerin liege neben den bereits bekannten Krankheiten außerdem die psychische Erkrankung einer Klaustrophobie vor, weswegen Theater-, Kino- oder Konzertbesuche überhaupt nicht möglich seien. Die Klägerin selbst hat im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens ein weiteres Attest von Dr. P. (ohne Datum) vorgelegt, wonach sie unter Schwäche und Schwindelanfällen leide, die drei bis vier Mal wöchentlich aufträten. Da dies aus heiterem Himmel geschehe, sei sie nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Die Klaustrophobie behindere sie vor allem beim Einkaufen. Auf die Anfrage des SG, ob sie sich in psychiatrischer Behandlung befinde, hat die Klägerin mitgeteilt, ihr werde deswegen schlecht, weil sie keine Luft mehr bekomme (schlechte Funktion der Herzklappe, Herzschrittmacher, schnelle Absenkung bei Zucker usw.). Sie brauche insoweit keinen Psychiater.

Mit Urteil vom 26.03.2008 hat das SG die Klage unter Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" nicht erfüllt seien, abgewiesen. Die Klägerin verfüge zwar über einen GdB von 100, sie sei aber wegen ihrer Leiden nicht ständig vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen.

Gegen das ihr am 13.06.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.06.2008 Berufung eingelegt mit der Begründung, sie leide an urplötzlich auftretenden Schwächeanfällen, weswegen sie es nur noch mit Unterstützung vom Stuhl bis zum WC schaffe. Zur Begründung hat sie ein Attest von Frau Dr. S., Ärztin für Allgemeinmedizin und Nachfolgerin von Dr. P., vom 17.03.2008 vorgelegt, in welchem diese bescheinigte, dass die Klägerin unter Zustand nach Mitralklappenersatz, insulinpflichtigem Diabetes, Hüftgelenkstotalendoprothese links, Zustand nach Mammakarzinom rechts und peripherer arterieller Verschlusskrankheit leide, wodurch die Aktivität und soziale Teilhabe beeinträchtigt werde; insbesondere würden große Menschenansammlungen nicht mehr toleriert.

In einem zusätzlich vorgelegten Attest vom 25.06.2008 hat Frau Dr. S. bescheinigt, dass im Februar 2008 eine Behandlung in der Gefäßchirurgie wegen eines Gefäßverschlusses im rechten Bein mit Lysebehandlung, PTA (Angioplastie) und Stentprothese durchgeführt worden sei. Auch lägen bei der Klägerin regelmäßig auftretende Schwäche- und Schwindelanfälle im Sinne einer Klaustrophobie mit Luftnot vor, welche den Besuch öffentlicher Veranstaltungen verhinderten.

Auf den Hinweis des Senats, dass im Hinblick auf die fehlende psychiatrische Behandlung das Bestehen einer Klaustrophobie nur durch eine psychiatrische Begutachtung abgeklärt werden könne, hat die Klägerin mit Schreiben vom 24.10.2008 und 18.12.2008 u.a. mitgeteilt, dass sie nicht unter Klaustrophobie leide. Sie benötige keinen Psychiater. Die Klaustrophobie habe man auf Vorschlag von Dr. P. in das Verfahren eingebracht, da hiermit die Erlangung des Merkzeichens "RF" erfolgversprechend erschienen sei. Hinsichtlich des genauen Wortlauts der Schreiben wird auf Bl. 20 und Bl. 27 der Senatsakte verwiesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. März 2008 sowie den Bescheid vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Insbesondere hat der Senat mit Schreiben vom 04.12.2008 die Beteiligten auch auf diese Möglichkeit der Entscheidung hingewiesen und ihnen insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04.01.2009 gegeben.

Das SG hat den Sachverhalt umfassend dargestellt und zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" im Sinne einer ständigen Verhinderung der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen bei der Klägerin nicht vorliegen. Es hat dabei die bei der Klägerin bestehenden Gesundheits- und Funktionsstörungen ermittelt und überzeugend begründet, dass die Klägerin hierdurch nicht ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Der Senat sieht daher von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Senat weitere Ermittlungen in psychiatrischer Hinsicht nicht für erforderlich hält, da die Klägerin und ihr Mann in den Schreiben vom 24.10.2008 und 18.12.2008 erklärt haben, dass die Klägerin nicht unter einer Klaustrophobie (Platzangst) leide, sondern dass man diese Diagnose nur auf Anraten des behandelnden Arztes Dr. P. zur Erlangung des Merkzeichens "RF" in den Prozess eingeführt habe.

Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF".

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden, weshalb die Berufung der Klägerin zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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