L 3 R 2796/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2258/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 2796/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Die 1960 geborene philippinische Klägerin hat nach ihren Angaben auf den Philippinen eine Ausbildung zur Verkäuferin absolviert, dort jedoch keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. In Deutschland war sie erstmals vom 06.06.1988 bis 04.07.1988 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog vom 05.07.1988 bis 08.08.1988 Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit. Danach war sie erst wieder vom 21.09.1998 bis zum 14.11.1998 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog vom 30.11.1998 bis 31.12.1999 Entgeltersatzleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit. Vom 04.01.2000 bis 31.12.2000 bezog sie Arbeitslosengeld und vom 01.01.2001 bis 22.07.2001, unterbrochen durch den Bezug von Krankengeld vom 14.02.2001 bis 25.02.2001, und vom 28.09.2001 bis 13.01.2002 Arbeitslosenhilfe. Vom 14.01.2002 bis 28.04.2002 bezog sie eine Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit/Berufsausbildung und übte sodann vom 29.04.2002 bis 15.07.2002 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Masseurin aus. Daran anschließend bezog sie vom 16.07.2002 bis 03.10.2003 Krankengeld, vom 04.10.2003 bis 30.05.2004 Arbeitslosengeld und ab dem 31.05.2004 Arbeitslosenhilfe.

Am 19.05.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die diese mit Bescheid vom 13.06.2003 und mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2004 mit der Begründung ablehnte, zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden schizoaffektiven Psychose genüge eine ambulante nervenfachärztliche Therapie. Die hiergegen gerichtete Klage nahm die Klägerin zurück.

Im ärztlichen Befundbericht zum Rehabilitationsantrag gab der behandelnde Arzt Dr. W. am 11.05.2003 an, bei der Klägerin bestehe eine schizoaffektive Psychose mit depressiven Psychosyndromen. In einem weiteren Befundbericht teilte er mit, die Klägerin sei seit 04.06.2002 wegen einer schizoaffektiven Psychose arbeitsunfähig. Diese bestehe seit mehreren Jahren mit rezidivierenden akuten Exazerbationen. Weiter vorgelegt wurde ein Arztbrief des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Bad S. vom 01.08.2002 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 26.06. bis 30.07.2002 mit der Diagnose einer akuten Exazerbation einer schizoaffektiven Psychose. Darin wird ausgeführt, die Klägerin habe sich seit 1988 bereits mehrmals aufgrund einer ähnlichen Symptomatik in dortiger stationärer psychiatrischer Behandlung befunden, zuletzt in der Zeit vom 03.01. bis 30.01.2001. Im nervenärztlichen Gutachten vom 15.10.2003 stellte Dr. M. die Diagnosen einer schizoaffektiven Psychose mit derzeit depressivem Bild und eines medikamentös induzierten Parkinsonoids. Rein nervenärztlich sei die Klägerin derzeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch stundenweise für leichte Tätigkeiten nicht einsetzbar, und zwar sowohl im Hinblick auf das medikamentös induzierte Parkinsonoid wie auch im Hinblick auf die bestehende depressive Stimmung und die Antriebsminderung im Rahmen der Grunderkrankung. Weiter beigezogen war der Arztbrief des ZfP Bad S. vom 09.06.2000. Darin wird ausgeführt, die Klägerin habe sich vom 06.05. bis 31.05.2000 zum 14. Mal seit 1988 in dortiger stationärer Behandlung befunden wegen einer akuten Exazerbation einer schizoaffektiven Psychose. Die Klägerin sei zuletzt im Mai 1999 trotz psychotischer Symptomatik mangels Unterbringungsgründen nach Hause entlassen worden. Im Arztbrief vom 26.03.2003 führte der behandelnde Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie H. aus, die Klägerin sei zuletzt vom 10.12.2002 bis 07.01.2003 im ZfP Bad S. stationär behandelt worden. Auch bei den Vorstellungen der Klägerin am 13.02., 14.03. und 24.03.2003 habe sie in psychischer Hinsicht weiterhin das Bild einer ausgesprochen depressiven Symptomatik geboten.

Die Beklagte wertete den Rehabilitationsantrag der Klägerin als Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diesen lehnte sie mit Bescheid vom 22.11.2004 ab mit der Begründung, der Rentenantrag gelte als zurückgenommen, da die Klägerin erklärt habe, keinen Rentenanspruch geltend machen zu wollen.

Hiergegen legte die Klägerin am 27.12.2004 Widerspruch ein. Gleichfalls am 27.12.2004 stellte sie den Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Nachdem sie zu einer Untersuchung bei dem Nervenarzt K. in Neu-Ulm nicht erschienen war, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.06.2005 den Rentenantrag wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Beklagte veranlasste daraufhin die nervenärztliche Untersuchung der Klägerin durch Dr. L ... Dieser gelangte im Gutachten vom 26.01.2006 zu dem Ergebnis, die Klägerin sei wegen einer schizophrenen Psychose und einem Parkinsonoid seit Jahren nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Klägerin sei seit dem 14.04.2003 voll erwerbsgemindert. Bis zum Eintritt der Erwerbsminderung seien nur 58 Monate mit auf die Wartezeit anzurechnenden Beitragszeiten zurückgelegt. Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (60 Monate) sei damit nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung lägen nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.06.2006 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat den behandelnden Nervenarzt H. als Zeugen gehört. In der schriftlichen Zeugenaussage vom 25.04.2007 hat dieser mitgeteilt, die Klägerin stehe seit 1991 in seiner ärztlichen Behandlung. Es sei nicht möglich, die Vielzahl der seit 1991 erhobenen Befunde in aller Kürze darzustellen. Im Wesentlichen handle es sich um eine schizoaffektive Psychose mit sehr häufigen Stimmungsschwankungen und depressiven Einbrüchen sowie Erregungszuständen. Schon seit einigen Jahren bestehe ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich. Dr. Melk, Assistenzarzt am ZfP Bad S., hat unter dem 16.05.2007 mitgeteilt, die Klägerin leide seit mindestens 1998 an einer schizoaffektiven Psychose mit meist manischen Episoden. Seit dieser Zeit habe sie sich mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden.

Mit Urteil vom 07.04.2008 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin sei zwar voll erwerbsgemindert. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, da der Versicherungsfall (Eintritt der Erwerbsminderung) vor April 2001 eingetreten sei und deshalb die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Auch die Voraussetzungen für eine vorzeitige Erfüllung der Wartezeit lägen nicht vor.

Gegen das am 29.05.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, am 04.06.2008 Berufung eingelegt, ohne diese weiter zu begründen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 27. Dezember 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Klägerin kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zusteht.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und ein mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 03.02.2009 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten hierzu ist nicht erforderlich.

Nach § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Anspruch auf Rente setzt - mit Ausnahme der in § 43 Abs. 6 SGB VI geregelten Sachverhalte - die Erfüllung der Wartezeit vor Eintritt des Versicherungsfalls voraus. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI beträgt die allgemeine Wartezeit für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 5 Jahre. Auf die Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten, freiwillige Beiträge von Pflegepersonen und Ersatzzeiten angerechnet.

Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 06.12.2005 hat die Klägerin folgende Kalendermonate mit Beitragszeiten belegt:

6/88 bis 8/88 3 Monate 9/98 bis 12/98 4 Monate 1/99 bis 12/99 12 Monate 1/00 bis 12/00 12 Monate 1/01 bis 7/01 7 Monate 9/01 bis 12/01 4 Monate 1/02 bis 12/02 12 Monate 1/03 bis 12/03 12 Monate 1/04 bis 12/04 12 Monate

Sonstige, insbesondere im Ausland zurückgelegte versicherungsrechtliche Zeiten, die der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit dienen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Selbst wenn die Klägerin auf den Philippinen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre, könnten die dort zurückgelegten Versicherungszeiten nicht in der deutschen Rentenversicherung berücksichtigt werden, weil zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Philippinen kein entsprechendes Sozialversicherungsabkommen besteht. Damit sind erst seit Juni 2003 60 Monate mit Beitragszeiten belegt und damit erst bei einem Versicherungsfall ab dem 01.06.2003 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung erfüllt.

Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin jedoch bereits seit einem davor liegenden Zeitpunkt wegen einer schizoaffektiven Psychose voll erwerbsgemindert. Der Senat stützt sich hierbei auf die Aussage aller die Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren behandelnden bzw. begutachtenden Ärzte. Ausweislich des Arztbriefes des ZfP Bad S. vom 09.06.2000 hat sich die Klägerin dort vom 06. bis 31.05.2000 bereits zum 14. Mal in stationärer Behandlung befunden; bei ihr hat keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht bestanden. Auch dem Arztbrief über die stationäre Behandlung vom 06.12.2002 bis 07.01.2003 kann entnommen werden, dass aufgrund der schizoaffektiven Psychose bereits zu diesem Zeitpunkt das Leistungsvermögen der Klägerin aufgehoben und sie nicht mehr in der Lage war, eine verwertbare Tätigkeit in nennenswertem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Dementsprechend hat auch Dr. W. im ärztlichen Befundbericht zum Rehabilitationsantrag vom 11.05.2003 angegeben, eine Belastbarkeit der Klägerin für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bzw. deren Schulungsfähigkeit sei fraglich und solle geprüft werden. In der weiteren Stellungnahme hat er ausgeführt, es bestehe keine Belastbarkeit für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, ungefähr im Jahr 2001 sei eine Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten. Sowohl Dr. M. im Gutachten vom 15.10.2003 als auch Dr. L. im Gutachten vom 26.01.2006 sind zu der Beurteilung geL.t, die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Schließlich hat der behandelnde Nervenarzt H. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.04.2007 mitgeteilt, bei der Klägerin liege eine chronische psychische Erkrankung vor, die gerade wegen ihrer Häufigkeit der Stimmungsschwankungen ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erkennen lasse. Schon seit einigen Jahren bestehe ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich. Der Senat macht sich diese Beurteilung aller behandelnden und begutachtenden Ärzte zu eigen und geL.t zu der Beurteilung, dass bereits vor dem 01.06.2003 das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter 3 Stunden täglich gesunken war.

Es liegen auch nicht die Voraussetzungen des § 43 Abs. 6 SGB VI vor. Danach haben Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Die Klägerin hat derzeit die Wartezeit von 20 Jahren, auf die Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten ebenso wie Monate eines zugunsten des Versicherten durchgeführten Versorgungsausgleichs (§ 52 Abs. 1 SGB VI) anzurechnen sind, noch nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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