Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 1910/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4325/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger erstrebt die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dem im Jahre 1954 geborenen, zuletzt als Bauarbeiter beschäftigten Kläger wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 17.12.2003 ab dem 01.06.2003 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bewilligt. Er leidet im Wesentlichen an einer koronaren Eingefäßerkrankung mit abgelaufenem Anterosepalinfarkt bei PCTA und Stent-Implantation, Bluthochdruck, chronisch-rezidivierenden Lumbalbeschwerden, einem Rotatorenmanschettensyndrom beider Schultergelenke, einem Carpaltunnelsyndrom sowie einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts mehr als links.
Am 05.08.2005 beantragte der Kläger unter Vorlage einer gutachterliche Äußerung von Dr. I. (ärztlicher Dienst der Agentur für Arbeit Wa.: vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bei einigen qualitativen Einschränkungen) und eines Befundberichts des Orthopäden Dr. Scha. die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte führte daraufhin Ermittlungen durch und holte insbesondere ein Gutachten des Internisten Dr. Si. und Berichte der behandelnden Ärzte, u.a. der Chirurgin Dr. Z. (seit 2003 arbeitsunfähig) ein. Mit Bescheid vom 01.09.2005 und Widerspruchsbescheid vom 28.02.2006 lehnte sie den Rentenantrag entsprechend der Beurteilung von Dr. Si. ab, da der Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung mit verschiedenen qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Am 20.3.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Orthopäden Dres. E. und Scha. (auch leichte Tätigkeiten nur unter drei Stunden) sowie des Allgemeinarztes Dr. Schm. (im Wesentlichen Zustimmung zum gutachten von Dr. Si. ) und auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein schriftliches Sachverständigengutachten des Orthopäden Prof. Dr. W. (leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig, aber keine Wegefähigkeit) eingeholt. Der Kläger selbst hat Befundberichte der Internistin Dr. F. , des Laboratoriumsmediziners Dr. B. , der Chirurgin Dr. Z. , des HNO-Arztes Dr. med. univ. K. und des Radiologen Dr. H. vorgelegt. Die Beklagte hat mehrere ärztliche Stellungnahmen des Obermedizinalrates Dr. F. eingereicht.
Mit Urteil vom 23.07.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, da er noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. Si. , das insoweit von Prof. Dr. W. bestätigt werde sowie der vorgelegten gutachterlichen Äußerung von Dr. I. , der sogar ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen habe. Die Angabe von Dr. Z. , der Kläger sei wegen der Folgen des Herzinfarktes seit dem Jahre 2003 arbeitsunfähig, stehe dem nicht entgegen, da auch Dr. Si. davon ausgegangen sei, dass der Kläger als Bauarbeiter nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Die Auffassung des behandelnden Arztes Dr. Scha. , der Kläger könne nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten, sei angesichts der Beurteilung von Dr. Si. , Prof. Dr. W. und Dr. I. nicht nachvollziehbar. Die qualitativen Einschränkungen "ohne häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne häufiges Bücken, ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne Nachtschicht sowie ohne Heben und Tragen schwerer Lasten" (Dr. Si. ), "keine Schichtarbeit" (Dr. Schm. ), "ohne Tätigkeiten in großer Hitze und Kälte" (Dr. I. ), "ohne häufiges Treppensteigen, ohne Steigen auf Leitern oder Gerüste, ohne das Erfordernis langstreckigen Gehens, ohne besondere Anforderungen an die Feinmotorik und ohne starke Kraftanstrengung" (Prof. Dr. W. ) führten ebenso wenig zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wie die beim Kläger bestehende Schwerhörigkeit. Die Auffassung von Prof. Dr. W. , der Kläger sei nicht der Lage, viermal täglich mindestens 500 Meter innerhalb von 20 Minuten zu gehen, sei im von ihm erstatteten Gutachten ebenso wenig begründet worden, wie die Behauptung, dem Kläger sei die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar. Sie sei aber auch im Übrigen nicht nachvollziehbar. Hierzu habe Obermedizinalrat Dr. F. überzeugend dargelegt, dass im genannten Gutachten keine Beeinträchtigung des Gangbildes beschrieben worden sei. Darüber hinaus könne der Kläger selbst nach eigenen Angaben gegenüber Prof. Dr. W. noch 10 Minuten gehen und auch die drei Etagen in seinem Wohnhaus vom Eingang bis zu seiner Wohnung ohne Unterbrechung steigen. Im Übrigen sei eine entsprechende Einschränkung auch weder von Dr. Si. noch von Dr. I. angegeben worden. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 14.08.2008 zugestellt worden.
Am 10.9.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, er sei voll erwerbsgemindert. Insbesondere sei die Frage der Wegefähigkeit noch nicht abschließend geklärt. Nunmehr sei er auf die Benutzung von Krücken angewiesen. Zwar sei er im Besitz einer Fahrerlaubnis und eines PKW, jedoch finde wegen der Taubheit bzw. Gefühllosigkeit in beiden Beinen seit nahezu einem Jahr keine PKW-Benutzung mehr statt. Zur weiteren Begründung seines Begehrens hat er einen Befundbericht des orthopädischen Zentrums W. (u.a. Dr. Scha. ) mit den Diagnosen Innenmeniscopathie und Tendinose rechts vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 01.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf das angegriffene Urteil,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts sowie die beigezogenen Rentenakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 01.09.2005 und sowie der Widerspruchsbescheid vom 28.02.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn ihm steht keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Dass beim Kläger keine hier erhebliche quantitative oder qualitative Leistungseinschränkung vorliegt, insbesondere sein Leistungsvermögen nicht auf unter sechs Stunden je Arbeitstag abgesunken ist, hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 23.07.2008 ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Anders als der Kläger meint, lässt sich sein Rentenbegehren aber auch nicht mit Erfolg auf eine eingeschränkte Wegefähigkeit stützen.
Zwar gilt der Arbeitsmarkt als verschlossen, wenn der Weg zur Arbeitsstelle nicht zurückgelegt werden kann. Denn nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.
Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.
Ebenso wie das Sozialgericht verneint auch der Senat eine hier relevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Für die Auffassung von Prof. Dr. W. , der Kläger sei nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 500 Meter innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen, sind gesundheitliche Einschränkungen nicht erkennbar. Im Gegenteil hat der Kläger seinerzeit gegenüber Dr. Si. lediglich vorübergehende Hypästhesien im linken Bein nach ca. 750 Meter "Laufen" angegeben. Auch spricht insbesondere die vom Kläger selbst gegenüber Prof. Dr. W. angegebene Fähigkeit, noch 10 Minuten ohne Unerbrechung Gehen zu können und die drei Etagen vom Erdgeschoss bis in seine Wohnung im dritten Stock zu Fuß und ebenfalls ohne Unterbrechung zurückzulegen, gegen eine solche gesundheitliche Einschränkung der Gehfähigkeit. Gleiches gilt für die Angaben des Klägers im Rahmen der Untersuchung durch Dr. Si. , normales Gehen bei normalem Tempo auf ebener Erde sei relativ problemlos möglich, bei forciertem schnellerem Gehen oder beim Bergangehen, trete allerdings eine Belastungsdyspnoe auf. Zur weiteren Begründung wird auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Urteil verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Für die im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung des Klägers, er sei nunmehr auf die Benutzung von Krücken angewiesen, spricht nichts; im Übrigen schließt die Benutzung von Gehstützen - wie oben ausgeführt - die Wegefähigkeit für sich allein noch nicht aus. Gleiches gilt für die gleichsam aus der Luft gegriffene Einschätzung von Prof. Dr. W. , dem Kläger sei die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar.
Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Besitz einer Fahrerlaubnis sowie eines PKW ist und er mithin einen Arbeitsplatz mittels eines eigenen Kraftfahrzeuges zu erreichen vermag. Seine Einlassung, eine PKW-Benutzung finde wegen der Taubheit bzw. Gefühllosigkeit in beiden Beinen seit nahezu einem Jahr nicht mehr statt, ist unglaubhaft. Denn der Kläger hat selbst gegenüber den Sachverständigen Dr. Si. und Prof. Dr. W. (Untersuchung am 30.01.2007) lediglich beim längeren Stehen oder Gehen und auch dann nur im linken Bein angegeben und in der Folge zu keinem Zeitpunkt insoweit eine Verschlechterung behauptet.
Die im November 2008 diagnostizierte Meniskopathie und Tendinose führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn ein die Bewegungsfähigkeit einschränkender Befund ist nicht erhoben, sondern lediglich ein Druckschmerz, die Röntgenuntersuchung hat lediglich eine leichte Gelenkspaltverschmälerung ergeben und die von den behandelnden Ärzten eingeleitete Injektionstherapie lässt den Schluss auf eine nur vorübergehende akute Erkrankung zu.
Weiterer Ermittlungen zur Frage der Gehfähigkeit bedarf es nach alledem nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger erstrebt die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dem im Jahre 1954 geborenen, zuletzt als Bauarbeiter beschäftigten Kläger wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 17.12.2003 ab dem 01.06.2003 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bewilligt. Er leidet im Wesentlichen an einer koronaren Eingefäßerkrankung mit abgelaufenem Anterosepalinfarkt bei PCTA und Stent-Implantation, Bluthochdruck, chronisch-rezidivierenden Lumbalbeschwerden, einem Rotatorenmanschettensyndrom beider Schultergelenke, einem Carpaltunnelsyndrom sowie einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts mehr als links.
Am 05.08.2005 beantragte der Kläger unter Vorlage einer gutachterliche Äußerung von Dr. I. (ärztlicher Dienst der Agentur für Arbeit Wa.: vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bei einigen qualitativen Einschränkungen) und eines Befundberichts des Orthopäden Dr. Scha. die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte führte daraufhin Ermittlungen durch und holte insbesondere ein Gutachten des Internisten Dr. Si. und Berichte der behandelnden Ärzte, u.a. der Chirurgin Dr. Z. (seit 2003 arbeitsunfähig) ein. Mit Bescheid vom 01.09.2005 und Widerspruchsbescheid vom 28.02.2006 lehnte sie den Rentenantrag entsprechend der Beurteilung von Dr. Si. ab, da der Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung mit verschiedenen qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Am 20.3.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Orthopäden Dres. E. und Scha. (auch leichte Tätigkeiten nur unter drei Stunden) sowie des Allgemeinarztes Dr. Schm. (im Wesentlichen Zustimmung zum gutachten von Dr. Si. ) und auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein schriftliches Sachverständigengutachten des Orthopäden Prof. Dr. W. (leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig, aber keine Wegefähigkeit) eingeholt. Der Kläger selbst hat Befundberichte der Internistin Dr. F. , des Laboratoriumsmediziners Dr. B. , der Chirurgin Dr. Z. , des HNO-Arztes Dr. med. univ. K. und des Radiologen Dr. H. vorgelegt. Die Beklagte hat mehrere ärztliche Stellungnahmen des Obermedizinalrates Dr. F. eingereicht.
Mit Urteil vom 23.07.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, da er noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. Si. , das insoweit von Prof. Dr. W. bestätigt werde sowie der vorgelegten gutachterlichen Äußerung von Dr. I. , der sogar ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen habe. Die Angabe von Dr. Z. , der Kläger sei wegen der Folgen des Herzinfarktes seit dem Jahre 2003 arbeitsunfähig, stehe dem nicht entgegen, da auch Dr. Si. davon ausgegangen sei, dass der Kläger als Bauarbeiter nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne. Die Auffassung des behandelnden Arztes Dr. Scha. , der Kläger könne nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten, sei angesichts der Beurteilung von Dr. Si. , Prof. Dr. W. und Dr. I. nicht nachvollziehbar. Die qualitativen Einschränkungen "ohne häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne häufiges Bücken, ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne Nachtschicht sowie ohne Heben und Tragen schwerer Lasten" (Dr. Si. ), "keine Schichtarbeit" (Dr. Schm. ), "ohne Tätigkeiten in großer Hitze und Kälte" (Dr. I. ), "ohne häufiges Treppensteigen, ohne Steigen auf Leitern oder Gerüste, ohne das Erfordernis langstreckigen Gehens, ohne besondere Anforderungen an die Feinmotorik und ohne starke Kraftanstrengung" (Prof. Dr. W. ) führten ebenso wenig zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wie die beim Kläger bestehende Schwerhörigkeit. Die Auffassung von Prof. Dr. W. , der Kläger sei nicht der Lage, viermal täglich mindestens 500 Meter innerhalb von 20 Minuten zu gehen, sei im von ihm erstatteten Gutachten ebenso wenig begründet worden, wie die Behauptung, dem Kläger sei die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar. Sie sei aber auch im Übrigen nicht nachvollziehbar. Hierzu habe Obermedizinalrat Dr. F. überzeugend dargelegt, dass im genannten Gutachten keine Beeinträchtigung des Gangbildes beschrieben worden sei. Darüber hinaus könne der Kläger selbst nach eigenen Angaben gegenüber Prof. Dr. W. noch 10 Minuten gehen und auch die drei Etagen in seinem Wohnhaus vom Eingang bis zu seiner Wohnung ohne Unterbrechung steigen. Im Übrigen sei eine entsprechende Einschränkung auch weder von Dr. Si. noch von Dr. I. angegeben worden. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 14.08.2008 zugestellt worden.
Am 10.9.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, er sei voll erwerbsgemindert. Insbesondere sei die Frage der Wegefähigkeit noch nicht abschließend geklärt. Nunmehr sei er auf die Benutzung von Krücken angewiesen. Zwar sei er im Besitz einer Fahrerlaubnis und eines PKW, jedoch finde wegen der Taubheit bzw. Gefühllosigkeit in beiden Beinen seit nahezu einem Jahr keine PKW-Benutzung mehr statt. Zur weiteren Begründung seines Begehrens hat er einen Befundbericht des orthopädischen Zentrums W. (u.a. Dr. Scha. ) mit den Diagnosen Innenmeniscopathie und Tendinose rechts vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 01.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf das angegriffene Urteil,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts sowie die beigezogenen Rentenakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 01.09.2005 und sowie der Widerspruchsbescheid vom 28.02.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn ihm steht keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Dass beim Kläger keine hier erhebliche quantitative oder qualitative Leistungseinschränkung vorliegt, insbesondere sein Leistungsvermögen nicht auf unter sechs Stunden je Arbeitstag abgesunken ist, hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 23.07.2008 ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Anders als der Kläger meint, lässt sich sein Rentenbegehren aber auch nicht mit Erfolg auf eine eingeschränkte Wegefähigkeit stützen.
Zwar gilt der Arbeitsmarkt als verschlossen, wenn der Weg zur Arbeitsstelle nicht zurückgelegt werden kann. Denn nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.
Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.
Ebenso wie das Sozialgericht verneint auch der Senat eine hier relevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Für die Auffassung von Prof. Dr. W. , der Kläger sei nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 500 Meter innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen, sind gesundheitliche Einschränkungen nicht erkennbar. Im Gegenteil hat der Kläger seinerzeit gegenüber Dr. Si. lediglich vorübergehende Hypästhesien im linken Bein nach ca. 750 Meter "Laufen" angegeben. Auch spricht insbesondere die vom Kläger selbst gegenüber Prof. Dr. W. angegebene Fähigkeit, noch 10 Minuten ohne Unerbrechung Gehen zu können und die drei Etagen vom Erdgeschoss bis in seine Wohnung im dritten Stock zu Fuß und ebenfalls ohne Unterbrechung zurückzulegen, gegen eine solche gesundheitliche Einschränkung der Gehfähigkeit. Gleiches gilt für die Angaben des Klägers im Rahmen der Untersuchung durch Dr. Si. , normales Gehen bei normalem Tempo auf ebener Erde sei relativ problemlos möglich, bei forciertem schnellerem Gehen oder beim Bergangehen, trete allerdings eine Belastungsdyspnoe auf. Zur weiteren Begründung wird auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Urteil verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Für die im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung des Klägers, er sei nunmehr auf die Benutzung von Krücken angewiesen, spricht nichts; im Übrigen schließt die Benutzung von Gehstützen - wie oben ausgeführt - die Wegefähigkeit für sich allein noch nicht aus. Gleiches gilt für die gleichsam aus der Luft gegriffene Einschätzung von Prof. Dr. W. , dem Kläger sei die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar.
Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Besitz einer Fahrerlaubnis sowie eines PKW ist und er mithin einen Arbeitsplatz mittels eines eigenen Kraftfahrzeuges zu erreichen vermag. Seine Einlassung, eine PKW-Benutzung finde wegen der Taubheit bzw. Gefühllosigkeit in beiden Beinen seit nahezu einem Jahr nicht mehr statt, ist unglaubhaft. Denn der Kläger hat selbst gegenüber den Sachverständigen Dr. Si. und Prof. Dr. W. (Untersuchung am 30.01.2007) lediglich beim längeren Stehen oder Gehen und auch dann nur im linken Bein angegeben und in der Folge zu keinem Zeitpunkt insoweit eine Verschlechterung behauptet.
Die im November 2008 diagnostizierte Meniskopathie und Tendinose führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn ein die Bewegungsfähigkeit einschränkender Befund ist nicht erhoben, sondern lediglich ein Druckschmerz, die Röntgenuntersuchung hat lediglich eine leichte Gelenkspaltverschmälerung ergeben und die von den behandelnden Ärzten eingeleitete Injektionstherapie lässt den Schluss auf eine nur vorübergehende akute Erkrankung zu.
Weiterer Ermittlungen zur Frage der Gehfähigkeit bedarf es nach alledem nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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