L 4 R 3178/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 291/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3178/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22. Mai 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des ungeminderten Zugangsfaktors von 1,0 hat oder ein Zugangsfaktor von 0,892 ("Abschlag" von 10,8 von Hundert) zu Grunde zu legen ist.

Der am 1949 geborene Kläger stammt aus Kärnten. Er ist gelernter Schlosser und war zuletzt als Bauwerker, Gipser und Gerüstbauer beschäftigt. In der Pensionsversicherung des Bergbaus in Österreich sind Pflichtbeitragszeiten (einschließlich gleichgestellter Zeit) vom 01. Oktober 1963 bis 31. Oktober 1969 und vom 01. Februar 1971 bis 31. Mai 1972 zurückgelegt. Vor letzterer Zeit gehörte der Kläger vom 02. März 1970 (mit kurzen Unterbrechungen) bis 04. Februar 1971 der deutschen Rentenversicherung der Arbeiter an. Dies galt dann durchgängig, unterbrochen von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit, ab 05. Juni 1972. Ab 28. Juli 2003 bestand wegen einer Muskelerkrankung durchgängige Arbeitsunfähigkeit.

Auf den Antrag vom Januar 2004 bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 26. Mai 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung - längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres - ab 01. Januar 2004. Der monatliche Bruttobetrag der allein aus den deutschen Zeiten nach den deutschen Rechtsvorschriften berechneten innerstaatlichen Rente betrug anfänglich EUR 858,44, unter Berücksichtigung der in Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten sowie der Rechtsvorschriften der EWG-Verordnungen EUR 852,66; mithin war die höhere innerstaatliche Rente zu zahlen (Anlage 1 des Bescheids). Bei der Summe der Entgeltpunkte entfielen auf deutsche Zeiten ohne die Zurechnungszeit 31,6173 Punkte, die Zurechnungszeit 6,0976 Punkte sowie ausländische Zeiten (Österreich) 7,2117 Punkte. Das Verhältnis der Summe der Entgeltpunkte aus den deutschen Zeiten zur Summe aus deutschen und ausländischen Zeiten (jeweils ohne Zurechnungszeit) betrug (31,6173 ÷ 38,8290) 0,814270 Punkte. Dies multipliziert mit der Gesamtsumme von 44,9266 Punkten ergab die Summe aller Entgeltpunkte von 36,5824. Nachdem für jeden Kalendermonat nach dem 30. September 2009 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres der Zugangsfaktor 1,0 um jeweils 0,03 Punkte vermindert wurde, ergab sich nach Abzug von 0,108 Punkten für 36 Kalendermonate ein Zugangsfaktor von 0,892, dies mit der Summe der Entgeltpunkte von 36,5824 multipliziert 32,6315 Punkte (Anlage 6 des Bescheids).

Die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaus, Graz, bewilligte durch Bescheid vom 07. Oktober 2004 Knappschaftsvollpension ab 01. Februar 2004 mit einem anfänglichen Monatsbetrag von EUR 163,17. Der aufgelaufene Nachzahlungsbetrag wurde nach Abzug einer an die Krankenkasse zu überweisenden Erstattung für Krankengeld durch die Beklagte an den Kläger ausgezahlt.

Nachdem der Kläger einen gegen den Bescheid vom 26. Mai 2004 erhobenen Widerspruch gegen den Rentenabschlag nach einem Hinweisschreiben der Beklagten vom 28. Juni 2004 im Juli 2004 zurückgenommen hatte, begehrte er mit Schreiben vom 24. Januar 2005 unter anderem erneut die Anwendung der Vertrauensschutzregelung nach § 236a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und die Zahlung der Rente mit dem Zugangsfaktor 1,0. Die Beklagte verneinte die Anwendung dieser Vorschrift mit Schreiben vom 27. Januar 2005. Unter dem 22. April 2005 begehrte der Kläger nochmalige Überprüfung. Die Beklagte erließ daraufhin den mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen "Überprüfungsbescheid" vom 02. Mai 2005. Es habe bei den bisherigen Entscheidungen zu verbleiben. Den hiergegen wiederum erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 07. Juli 2005 zurück. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI über die Minderung des Zugangsfaktors von 1,0 für jeden Kalendermonat vor Vollendung des 63. Lebensjahres - höchstens 36 Kalendermonate - sei zutreffend angewandt worden. Die Vertrauensschutzregelung nach § 236a SGB VI betreffe nur die Altersrente. Eine hiergegen zum Sozialgericht Ulm (SG) erhobene Klage (S 11 R 2189/05) nahm der Kläger nach Hinweisen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2005 zurück.

Das ohne vorheriges Verwaltungsverfahren am 08. Juni 2006 erneut zum SG eingeleitete Klageverfahren S 11 R 2232/06 endete im Termin vom 29. November 2006 mit einem Vergleich dahingehend, dass dem Kläger aufgrund Zugunstenantrags ein neuer rechtsmittelfähiger Bescheid zu erteilen sei. Hintergrund war das inzwischen bekannt gewordene Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 - B 4 RA 22/05 R - (BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 3), in welchem die Rentenabschläge bei Erwerbsminderung als verfassungswidrig erachtet wurden.

Die Beklagte erteilte den Bescheid vom 12. Januar 2007. Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI sei der Zugangsfaktor bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den die Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, um 0,003 zu mindern. Bei Beginn der Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres sei dieser Zeitpunkt für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres gelte nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Die Interpretation durch den 4. Senat des BSG entspreche nicht der Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger. Der Gesetzgeber habe ausschließen wollen, dass der geminderte Zugangsfaktor aus einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres weggefallenen Rente in eine spätere Rente übernommen werde. Dies bedeute etwa, dass die Abschläge bei einer z.B. bereits ab dem 40. Lebensjahr bezogenen Rente nicht in eine spätere Altersrente übernommen werden sollten. Der 4. Senat des BSG meine hingegen, dass der Gesetzgeber eine bereits getroffene Regelung (Satz 2: Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend) nochmals wiederhole (Satz 3: Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres keine Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme). Letzterer Satz wäre eine überflüssige und somit inhaltsleere Norm. Immerhin werde in den Gesetzesmaterialien an mehreren Stellen konkret beziffert, wie stark sich die Einbuße bei einem Rentenbezug vor dem vollendeten 60. Lebensjahr auswirke. Der Gesetzgeber habe erreichen wollen, dass Versicherte nicht in die (bis zum Jahr 2000) abschlagsfreien Renten wegen Erwerbsminderung ausweichen könnten, um die abschlagsbehafteten Altersrenten zu vermeiden. Diese Ausweichmöglichkeit habe Versicherte betroffen, die das 60. Lebensjahr bereits vollendet hatten, da frühestens ab diesem Zeitpunkt die Inanspruchnahme einer Altersrente möglich gewesen sei. Zum Ausgleich sei die Verlängerung der Zurechnungszeit vom 55. bis 60. Lebensjahr eingeführt worden. Die verlängerte Zurechnungszeit ergebe somit nur einen Sinn, wenn der verminderte Zugangsfaktor bereits bei Rentenbezugszeiten vor dem 60. Lebensjahr anzuwenden sei. Nach der Auffassung des BSG würde ein Versicherter bei Rentenbezug ab dem 55. Lebensjahr durch die verlängerte Zurechnungszeit eine höhere Rente beziehen als bei Rentenbeginn mit dem 60. Lebensjahr. Schließlich habe der Gesetzgeber auch kaum gewollt, dass eine vor Vollendung des 60. Lebensjahres abschlagsfrei in Anspruch genommene Rente sodann ab dem 60. Lebensjahr zu mindern wäre. Nach alledem müssten Abschläge bei einem Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres mit der Begrenzung auf 10,8 von Hundert - hingenommen werden.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 05. März 2007 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe des Ausgangsbescheids zurück.

Der Kläger erhob bereits am 23. Januar 2007 Klage beim SG. Er verwies erneut auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 16. Mai 2006. Demgemäß müssten die früher geführten Verfahren zu seinen Gunsten abgeschlossen werden. Er habe nunmehr ordnungsgemäß ein erfolgloses Widerspruchsverfahren durchlaufen. Es gehe nicht an, dass sich die Beklagte nicht an die Auffassung des BSG halte.

Die Beklagte trat unter Bezugnahme auf die Begründung ihrer ablehnenden Entscheidungen der Klage entgegen.

Durch Urteil vom 22. Mai 2007 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. März 2007 auf und verurteilte die Beklagte, den Bescheid vom 26. Mai 2004 teilweise zurückzunehmen und bei der Berechnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung den ungekürzten Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen sowie dem Kläger ab 01. Januar 2004 die dementsprechend höhere Rente zu zahlen. Zur Begründung legte es dar, der 4. Senat des BSG habe im Urteil vom 16. Mai 2006 dargelegt, für einen Willen des Gesetzgebers, Renten wegen Erwerbsminderung auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres zu kürzen, fänden sich keine Erklärungen im Gesetz oder in den Materialien. Die Personengruppe des Klägers sei von der benachteiligten Regelung nicht erfasst. Mithin seien verringerte Zugangsfaktoren für Bezugszeiten von Renten vor Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeschlossen. Die gegenteilige Meinung sei vom Gesetzgeber nicht hinreichend im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gebracht worden.

Gegen das am 04. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. Juni 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung geltend gemacht, das Urteil des 4. Senats des BSG sei auf heftige Kritik gestoßen und werde deshalb von sämtlichen Rentenversicherungsträgern nicht befolgt. Inzwischen seien weitere Verfahren - auch beim BSG - anhängig. Mit der Nennung sowohl des 63. als auch des 60. Lebensjahres in § 77 Abs. 2 SGB VI sei beabsichtigt, die Reduzierung des Zugangsfaktors um maximal 10,8 von Hundert (36 Monate × 0,003) sicherzustellen. Ferner sei lediglich beabsichtigt, die Abschläge aus einer noch früher bezogenen Rente nicht in eine spätere Altersrente übernehmen zu müssen. Die Beklagte hat vorgelegt das Urteil des SG Aachen vom 09. Februar 2007 - S 8 R 96/06 -, das Urteil des SG Altenburg vom 22. März 2007 - S 14 KN 64/07 - sowie Aufsätze aus verschiedenen Zeitschriften. Zuletzt hat die Beklagte sinngemäß angeregt, die neuen Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 14. August 2008 - B 5 R 32/07 R u.a. - abzuwarten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist weiterhin auf die vom 4. Senat vom BSG dargelegten Gründe. Er habe Anspruch gemäß diesem Urteil sein Geld zu erhalten. Es sei unverständlich, dass die Rechtsauffassung des 4. Senats durch andere Senate ausgetauscht werden dürfe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Darstellung des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Berufungsakten, die Klageakten zuzüglich der zitierten Vorakten des SG und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist begründet. Entgegen den Darlegungen des SG hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 12. Januar 2007 (Widerspruchsbescheid vom 05. März 2007) die Zahlung einer höheren Rente an den Kläger unter Berücksichtigung eines günstigeren Zugangsfaktors im Zugunstenverfahren zu Recht abgelehnt.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht; bei einer Rücknahme auf Antrag ist maßgeblich der Beginn des vierten Kalenderjahres vor diesem (vgl. im Einzelnen § 44 Abs. 4 Sätze 1, 2 und 3 SGB X). Mit dem 2006 gestellten Antrag bestünde demgemäß ein höherer Rentenanspruch bereits ab dem Rentenbeginn am 01. Januar 2004. Ein solcher Anspruch des Klägers besteht aus den im Folgenden darzulegenden Gründen nicht.

Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 SGB VI). Das durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in "Entgeltpunkte" umgerechnet (vgl. Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift). Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfacht werden.

Gemäß § 77 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn (oder Tod) und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die zuvor noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (oder Erziehungsrenten) für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger, der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres, nämlich bei Rentenbeginn mit 01. Januar 2004 im 55. Lebensjahr stehend, in Anspruch nimmt.

Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" maßgebend. Hiervon abweichend regelt § 264 c SGB VI, dass bei Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 60. Lebensjahres die Vollendung des in Anlage 23 zum SGB VI (Anlage aufgehoben ab dem 01. Januar 2008) angegebenen Lebensalters maßgebend ist, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 01. Januar 2004 beginnt. Die Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift liegen nicht vor, da die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit des Klägers erst mit diesem Tag begonnen hat.

Nach der nunmehr vom 5. Senat des BSG (Urteile vom 14. August 2008 - B 5 R 32/07 R -, im Wesentlichen wortgleich B 5 R 88/07 R, B 5 R 98/07 R und B 5 R 140/07 R) ist § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI als Berechnungsregel zur Umsetzung der allgemeinen Grundsätze zur Rentenhöhe im Sinne von § 63 Abs. 5 in Verbindung mit § 64 Nr. 1 SGB VI zu verstehen. Dieser Auffassung folgt der Senat (so bereits im Urteil des Senats vom 17. September 2008 - L 4 R 1500/08). Damit ist der Zugangsfaktor bei der Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres um maximal 0,108 (36 Kalendermonaten × 0,003) zu mindern und somit auf mindestens 0,892 festzulegen. Diesen Zugangsfaktor hat die Beklagte der Berechnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Bescheid vom 26. Mai 2004 zugrunde gelegt.

Indem die Grundregel des § 77 Abs. 1 SGB VI für die Rentenberechnung zum einen das Alter des Versicherten bei Rentenbeginn für maßgebend erklärt und zum anderen das rechnerische Verhältnis zwischen Entgeltpunkten und persönlichen Entgeltpunkten festlegt, wird zum Ausdruck gebracht, dass der Zugangsfaktor und somit die nach § 77 Abs. 2, 3 SGB VI zu ermittelnden Abschläge oder Zuschläge für die gesamte Dauer eines ununterbrochenen Rentenbezugs gelten sollen. Falls dieselben Entgeltpunkte einer weiteren Rente zugrunde zu legen sind, ist durch § 77 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz SGB VI eine erneute Ermittlung des Zugangsfaktors grundsätzlich ausgeschlossen.

Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI sinkt der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 für jeden Kalendermonat der Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres. Zur Vermeidung einer unangemessen niedrigen Rente ergänzt § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI dies dahingehend, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend sein soll, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. Damit wird fingiert, dass jüngere Versicherte bei Beginn der Rente wegen Erwerbsminderung das 60. Lebensjahr bereits vollendet hätten. Auf diese Weise wird die Minderung des Zugangsfaktors entsprechend 36 Monaten zwischen dem vollendeten 60. und 63. Lebensjahr auf maximal 36 Kalendermonate × 0,003 = 0,108 begrenzt. Eine weitere Herabsetzung des Zugangsfaktors ist ausgeschlossen. Dass es bei der Bezugnahme auf das 60. Lebensjahr um eine Fiktion für die Bestimmung des Zugangsfaktors und nicht etwa um die Festlegung des Beginns der Rentenminderung geht, wird insbesondere daran deutlich, dass auch bei der Hinterbliebenenrente auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abgestellt wird; andernfalls müsste dem Gesetz unterstellt werden, es wolle die Rentenhöhe für den Zeitraum regeln, nachdem der verstorbene Versicherte das genannte Lebensalter erreicht haben würde.

Mithin dient - so folgerichtig der 5. Senat des BSG - § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI ausschließlich der Bestimmung eines einheitlichen Zugangsfaktors für die gesamte Zeit des Rentenbezugs, nicht aber eines unterschiedlichen ("variablen") Zugangsfaktors für verschiedene Bezugszeiträume. Das eine "Vorzeitigkeit" der Rente wegen Erwerbsminderung in den Blick nehmende gegenteilige Konzept des 4. Senats (Urteil vom 16. Mai 2006 - B 4 RA 22/05 R - BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 3) findet im Gesetz keine Stütze, weil es eine "vorzeitige" Inanspruchnahme von Renten wegen Erwerbsminderung im Sinne einer freien Entscheidung anders als bei Altersrenten nicht gibt. Das Gesetz (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a SGB VI) spricht von einer "vorzeitigen" Inanspruchnahme nur bei Renten wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres.

Mit der Fiktion des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI wird eine Fortschreibung des Zugangsfaktors bei Rentenbezug aufgrund mehrerer aufeinanderfolgenden Rentenbewilligungen für diejenigen Fälle vermieden, in denen ein früherer Rentenbezug endet und der Versicherte bis zum Beginn der Altersrente wieder erwerbstätig ist. In diesem Fall ist die Altersrente nach § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI so zu berechnen, als sei die höhere Rente nicht vorzeitig gewährt und infolge dessen auch nicht abgesenkt worden.

Die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme von Renten wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 63. Lebensjahres durch die Neufassung des § 77 SGB VI im Gesetz vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827, ist Teil einer Gesamtstrategie, mit der in aufeinander aufbauenden Schritten auf die demographische Entwicklung reagiert und die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert werden soll. In dieses Gesamtkonzept fügt sich die Absenkung des Zugangsfaktors für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Erziehungsrenten und Hinterbliebenenrenten nur dann ohne gravierende Widersprüche ein, wenn sie auch in den Fällen angewandt wird, in denen der Leistungsfall vor dem 60. Lebensjahr des Versicherten liegt. Bei den Altersrenten hängt die Höhe des Zugangsfaktors seit Inkrafttreten des SGB VI im Jahr 1992 vom Zeitpunkt des Rentenbeginns ab, damit Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Ein früher Renteneintritt bedeutet typischerweise eine Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft, die durch einen abgesenkten Zugangsfaktor begrenzt werden soll. Es war darum im Grunde schwer verständlich, dass gleichaltrige Erwerbsminderungsrentner von jeglicher Kürzung verschont bleiben würden. Vor einer zu empfindlichen Minderung wird dadurch geschützt, dass der Zugangsfaktor so festgesetzt wird, als habe der Versicherte das Mindestalter für eine Altersrente (60 Jahre) bereits erreicht. Zudem wird die Absenkung auf maximal 10,8 v.H. im Vergleich zu 18 v.H. bei der Altersrente begrenzt. Mit Hilfe der zusätzlichen Zurechnungszeit wird unterstellt, als ob bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres weitergearbeitet worden wäre, nachdem früher die Zeit ab dem 55. Lebensjahr lediglich zu einem Drittel berücksichtigt wurde.

Die Regelung des § 77 Abs. 2 SGB VI in der hier dargelegten Auslegung verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz (GG). Zwar steht fest, dass Rentenansprüche und -anwartschaften vom Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG erfasst werden (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht BVerfGE 117, 272, 292). Es handelt sich jedoch um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber. Der Eingriff in die Rechtsposition erweist sich als angemessen, auch nach Art und Umfang der Beitragsleistung verhältnismäßig und zumutbar. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken, etwa auch wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Benachteiligung wegen einer Behinderung) schlagen nicht durch (vgl. zu alledem nochmals BSG, Urteil vom 14. August 2008 - wie zitiert - mit zahlreichen Nachweisen).

Abschließend sei nochmals klargestellt, dass im hier von den verschiedenen Senaten des BSG gewählten "Anfrageverfahren", das § 41 Abs. 3 Satz 1 SGG vorsieht, wenn ein Senat von der Auffassung eines anderen Senats abweichen will, eine dem Versicherten günstigere Auffassung - hier des früher zuständig gewesenen 4. Senats - nach nochmaliger Prüfung korrigiert werden kann und Vertrauensschutz auf die frühere günstigere Entscheidung nicht besteht.

Von einer weiteren Darlegung einzelner Elemente der Rentenberechnung kann abgesehen werden, nachdem insoweit Einwendungen nicht erhoben und auch nicht ersichtlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, nachdem die entscheidungserheblichen Fragen nunmehr geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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