Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2591/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 242/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin zukünftig mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N nach vertragsärztlicher Verordnung zu versorgen und ihr für den seit 1. 1. 2004 selbst bezahlten Erwerb dieser Medikamente 730,30 EUR zu erstatten hat.
Die 1960 geborene Klägerin bezieht derzeit eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Auszahlungsbetrag von 790,- EUR (Bl. 63 LSG-Akte). Sie erkrankte 1978 an einer Multiplen Sklerose mit weiteren Schüben u.a. 1984 und 2001. Bei ihr liegen derzeit Koordinationsstörungen der Geh- und Feinmotorik bei sehr unsicherem und schwankendem Gang bzw. einem spastisch anmutenden Gangbild vor.
Die Klägerin lehnte in der Vergangenheit ihr empfohlene Behandlungen mit Betaferon bzw. Steroiden ab. Seit 1990 wird sie mit Enzymen behandelt, zuletzt mit dem Medikament Phlogenzym unter Zugabe von Keltican N-Tabletten. Diese Medikamente sind nur apothekenpflichtig, nicht aber verschreibungspflichtig; sie sind für die Behandlung von Multipler Sklerose nicht zugelassen. Bis 31. 12. 2004 wurden ihr diese Medikamente zu Lasten der Beklagten vertragsärztlich verordnet und sie konnte diese Medikamente in der Apotheke gegen Rezept (und entsprechende Zuzahlung) abholen.
Am 4. 10. 2005 legte die Klägerin eine Verordnung der Allgemeinärztin Dr. F. vom 26. 9. 2005 über Keltican N-Kapseln 100 Stück sowie 800 Stück Phlogenzym-Tabletten vor und beantragte deren Kostenübernahme durch die Beklagte. Ergänzend gab sie an, seit Frühjahr 2005 müsse sie die Kosten für die Medikation, die sie bis heute zur Behandlung ihrer chronischen Erkrankung einnehme, selbst tragen. Sie habe in der Vergangenheit durch die regelmäßige Enzym-Einnahme in Verbindung mit Keltican N sowie sehr disziplinierter Lebensweise mit regelmäßigem Schlaf, regelmäßiger, ausgewogener Ernährung und absoluter Akzeptanz der diagnostizierten Erkrankung diese gut in Schach halten können. Um die erhebliche Kostenbelastung zu mindern vermeide sie immer mehr die Medikamenteinnahme. Sie merke jedoch, dass sich dadurch ihr Gesundheitszustand im Hinblick auf ihre Erkrankung dramatisch und deutlich verschlechtert habe. Die entsprechenden Befunde seien der Beklagten bekannt, seit Juni 2005 liege bei ihr eine Vollberentung vor. Die Medikation mit Phlogenzym und Keltican N sei eine standardisierte Behandlung bei chronisch entzündlichen Erkrankungen. Die alleinige Kostenübernahme dieser medikamentösen Behandlung überfordere sie aber zwischenzeitlich, sodass bei ihr eine unbillige Härte vorliege.
Mit Bescheid vom 5. 10. 2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Bei Phlogenzym-Tabetten und Keltican N-Kapseln handele es sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Diese dürften von den gesetzlichen Krankenkassen seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes mit dem 1. 1. 2004 grundsätzlich nicht mehr übernommen werden. Ausnahmen würden nur für Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahre gelten.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch brachte die Klägerin vor, als Alternative zu der Enzym-Behandlung hätten ihr die Ärzte eine Kortison- oder Interferon-Behandlung empfohlen, beide Behandlungen würden von der Krankenkasse bezahlt. Die Behandlung mit diesen Medikamenten habe jedoch höchstens eine Erfolgsaussicht von 30 %, darüber hinaus könnten erhebliche Nebenwirkungen auftreten, die in keiner Relation zu der nur 30prozentigen Erfolgsaussicht stünden. Die Ärzte hätten auch nicht die Frage beantworten können, was denn die anderen 70 % Multiple-Sklerose-Patienten tun sollten, die auf die Behandlung nicht ansprächen. Die Entscheidung über einen medikamentösen Behandlungsweg bei einer so weitreichenden, einschneidenden und unheilbaren Erkrankung, wie die bei ihr diagnostizierte Multiple Sklerose, sehe sie als eine Lebensentscheidung, auf die sie ihr gesamtes Leben abgestimmt habe. Der jährliche Kostenaufwand für ihre Behandlung betrage lediglich 700,- EUR, wo hingegen im anderen Fall weit höhere Medikamentenkosten anfallen würden und zudem zahlreiche stationäre Aufenthalte. Auch unter wirtschaftlichen Aspekten sei es für die Krankenkasse deshalb sehr viel sinnvoller, ihre bisherige Medikamentenversorgung weiter zu übernehmen.
Sie legte hierzu ergänzend den Arztbrief des Chefarztes der Neurologischen Klinik P., Dr. K., vom 23. 11. 2005 vor. Darin heißt es, die Klägerin habe sich mit ihrer Erkrankung gut arrangiert, inwieweit die von ihr eingenommenen Medikamente (Keltican N und Phlogenzym) an dem günstigen Verlauf mitbeteiligt seien, lasse sich naturgemäß bei Fehlen entsprechender Studien nicht beurteilen. Da die Klägerin fest davon überzeugt sei, dass ihr diese Medikamente helfen und der Glaube wie auch der Suggestiveffekt als hilfreiche Maßnahme in der Medizin bekannt seien, wäre es vorstellbar, dass eine Fortsetzung dieser Therapie von Nutzen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. 5. 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Arzneimittel sei grundsätzlich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt; nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versorgung ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) könne Ausnahmen machen, wenn ein Arzneimittel bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard gelte. Dies sei bei den hier fraglichen Medikamenten nicht der Fall, sie seien in der Ausnahmeliste nicht aufgeführt. Der Umstand, dass die bisherige Therapieform kostengünstiger erscheine als die ärztlicherseits vorgeschlagenen Alternativen, begründe keinen Leistungsanspruch. Maßgebliche Kriterien des Leistungsanspruchs seien nach § 2 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 SGB V allein die Qualität und Wirksamkeit nach anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Hiergegen erhob die Klägerin am 6. 6. 2006 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG), die in erster Instanz nicht weiter begründet wurde. Sie legte allerdings für die Höhe des Erstattungsbetrags entsprechende Rechnungen ihrer Apotheke vor, die die Höhe des geltend gemachten Betrages vollständig belegen (SG-Akte S. 17-18). Durch Urteil vom 11. 12. 2006 wies das SG die Klage ab. Gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Weder Keltican N noch Phlogenzym unterliege der Verschreibungspflicht, weswegen grundsätzlich kein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesen Präparaten bestehe. Die langjährige Bewilligung dieser Medikamente durch die Beklagte ändere daran nichts. Denn durch das in Kraft treten der Neufassung von § 34 Abs. 1 SGB V zum 1. 1. 2004 hätten sich die rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert. Eine Ausnahme ergebe sich auch nicht aus den Richtlinien des G-BA. Der Einsatz von Keltican N und Phlogenzym zur Behandlung von Multipler Sklerose gehöre nicht zu den unter Ziffer 16.4 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) aufgeführten Standardtherapien zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 13. 12. 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. 1. 2007 Berufung eingelegt. Das SG habe nicht ausreichend geprüft, inwieweit zwischenzeitlich die Behandlung mit Enzymen als Therapiestandard anzusehen sei. Aufklärungsbedarf bestehe auch hinsichtlich der Frage, ob für die streitigen Präparate Studien vorlägen, die die Wirksamkeit nachweisen. Hierzu nannte die Klägerin Beispiele und vertrat die Auffassung, es sei zu erwarten, dass die Ergebnisse einer derzeit durchgeführten randomisierten, prospektiven, doppelblinden und placebokontrollierten multizentrischen klinischen Studie Klarheit über das therapeutische Potenzial proteolytischer Enzyme bei Multipler Sklerose schaffen werde. Mit dem Erscheinen dieser Studie könne demnächst gerechnet werden.
Die Beklagte vertrat dem gegenüber die Auffassung, es sei nicht ihre Aufgabe zu klären, ob und inwieweit die Behandlung mit Enzymen als Therapiestandard anzusehen sei. Entscheidend sei, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich von der Versorgung mit Arzneimitteln ausgeschlossen seien. Der G-BA habe eine entsprechende Ausnahme nicht festgelegt, er habe dazu auch kein Anlass gehabt, weil ein positives Votum des G-BA die entsprechende Publizierung einer Studie erfordere, die bisher noch nicht vorliege. Bei den von der Klägerin vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen handele es sich um Einzelmeinungen.
Ergänzend hierzu legte die Beklagte das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (Dr. B. vom 22. 1. 2008) vor. Nach den Ausführungen von Dr. B. sind beide hier streitigen Medikamente nicht für die Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen, die Anwendungsgebiete, für die eine Zulassung bestehe, beträfen andere Erkrankungen, weswegen sowohl Keltican N als auch Phlogenzym bei der Behandlung einer Multiplen Sklerose im Off-Label-Use angewendet würden. Bei der von der Klägerin angesprochenen Studie müsse es sich um die Arbeit von Baumhackl handeln. Dieser habe die Wirkstoffe, aus denen sich das Präparat Phlogenzym zusammensetze, untersucht. Ein Behandlungseffekt zwischen Placebo und proteolytischen Enzymen habe weder klinisch noch mit sonstigen Parametern gefunden werden können. Diese Studie, die 301 Patienten erfasst habe, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eben kein Effekt habe nachgewiesen werden können. Eine Zulassung der hier streitigen Präparate für die Multiple Sklerose jedweder Form sei nach derzeitigem Kenntnisstand somit nicht möglich. In der wissenschaftlichen Literatur gäbe es aber auch Meinungen, die den Einsatz von proteolytischen Enzymen für potenziell schädlich bei der Multiplen Sklerose hielten. Insgesamt finde sich keine ernstzunehmende Auffassung, dass bei Multipler Sklerose proteolytische Enzyme eine positive Wirkung erzeugten, hingegen gebe es eine negative Studie speziell zu dem Enzympräparat Phlogenzym. Die deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft habe zum Beispiel angegeben, die Quote der Anwender von Enzymen betrage 7,6 %, die Therapie sei zwar nicht schädlich, ihre Wirksamkeit aber auch nicht belegt. Deren ärztlicher Beirat habe auf Grund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises bei gleichzeitig nicht zu unterschätzenden finanziellen Aufwendungen die Enzymtherapie derzeit nicht empfohlen.
Die Klägerin hat hiergegen eingewendet, das Gutachten sei nicht neutral, da es von einer der Beklagten zuzurechnenden Organisation angefertigt worden sei. Auch die Medikamentempfehlungen von Selbsthilfegruppen seien nur mit äußerster Vorsicht zu betrachten, da diese Medikamentenempfehlungen nichts anderes enthielten, als die üblichen, meist niedrigen Medikamentenstandards. In ihrem Fall sei sie sich sicher, dass Phlogenzym die menschliche Immunabwehr stärke und bei chronischen Entzündungsprozessen angewendet werden könne. Bei ihr würden Empfindungsstörungen sich verringern oder ganz verschwinden, die nicht steuerbaren und sehr ungenehmen schmerzhaften Muskelkontraktionen und Krämpfe in den Beinen verschwänden nach der Einnahme von 6 Dragees des Präparates ganz; trete aber das beschriebene Zucken und Krampfen abends nicht auf, so habe dies einen sehr entspannenden Tiefschlaf zur Folge. Nach der Einnahme von Phlogenzym könne sie sich auch deutlich besser konzentrieren und ihre Leistung im Alltagsgeschehen für ca. 2,5 Stunden steigern. Schließlich reduzierten sich die Erschöpfung und innere Anspannung für diesen Zeitraum und die Koordinationsstörungen nähmen fast vollständig ab. Keltican N unterstütze die Wirkungsstärke von Phlogenzym noch deutlich. Dem gegenüber hätten die üblichen Immunsuppressiva wie Kortison, Interferon oder das seit neuestem getestete FTY 20 ein sehr schlechtes Nutzen/Nebenwirkungsverhältnis, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit Nebenwirkungen in Form von Depressionen bis hin zur Suizidgefährdung und Gelenkbeschwerden mit den damit erforderlichen Klinikaufenthalten eintreten würden.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V könne der G-BA die medizinisch notwendigen Fälle festlegen, in denen Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolisate ausnahmsweise in die Versorgung des Arzneimittels einbezogen werden könnten. Phlogenzym beinhalte Aminosäuren und Eiweiße und falle deshalb unter diese Vorschrift. Ihr werde eine medizinisch und finanziell unbillige Härte zugemutet, wenn sie neben ihrer Beitragspflicht und den gesetzlichen Zuzahlungen die Kosten ihrer Medikation allein tragen solle. Ergänzend hierzu hat die Klägerin umfangreiche wissenschaftliche Informationen beigelegt, darunter (u. a.) Gebrauchsinformationen über Keltican N und Phlogenzym, Aufsätze über die Wirkung von Proteolytischen Enzymen bei Autoimmunerkrankungen sowie über die Enzymtherapie bei Patienten mit Multipler Sklerose.
Zuletzt hat die Klägerin noch die Auffassung vertreten, der Vertragsarzt könne Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen seien, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Schließlich sei auch der Grundsatz zu berücksichtigen: "Wer heilt hat Recht".
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2006 sowie den Bescheid vom 5. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die bisher eingereichten Arzneimittelkosten in Höhe von 730,30 EUR sowie weitere 153,94 EUR zu erstatten und ihr künftig die Arzneimittel Keltican N und Phlogenzym als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der noch bis zum 31. März 2008 geltenden (und hier maßgebenden) Fassung liegt nicht vor. Zum Einen begehrt die Klägerin die Erstattung von 730,30 EUR, zum Anderen die (weitere) dauerhafte Übernahme der Kosten der Versorgung mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N.
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der hier streitigen Arzneimittel hat. Der Kostenübernahme für die Vergangenheit bzw. der Versorgung für die Zukunft stehen zwei durchgreifende rechtliche Gründe entgegen. Zunächst hat die Beklagte für die Arzneimittel Phlogenzym und Keltican N schon deshalb nicht aufzukommen, weil diese als nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zum Leistungskatalog des SGB V zählen, darüber hinaus kann die Klägerin Arzneimittel nicht beanspruchen, denen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung von Multipler Sklerose fehlt (sog. nichterlaubter Off-Label-Use).
Sowohl der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit als auch der Anspruch auf Versorgung oder Kostenfreistellung für die Zukunft reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtssprechung vgl. zuletzt BSG vom 6. 11. 2008 - B 1 KR 6 /08 R m.w.N.). Ein Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit Phlogenzym oder Keltican N abzüglich der gesetzlichen Zuzahlungen hat die Klägerin jedoch nicht, weil diese Mittel nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Es handelt sich um verschreibungspflichtige Arzneimittel, für die kein Ausnahmetatbestand eingreift.
1. Die Klägerin hat gemäß § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wozu nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V (u. a.) die Versorgung mit Arzneimitteln gehört. Hierzu bestimmt § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte (nur) apothekenpflichtige Arzneimittel beanspruchen können, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der G-BA legt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erstmals bis zum 31. März 2004 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (Satz 3).
Der weitgehende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist somit ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers um weitere Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung einzusparen. So hat der Gesetzgeber konkret im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - GMG - vom 8. September 2003 unter anderem ausgeführt, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in diesen Bereichen (gemeint ist die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln) in den letzten fünf Jahren überproportional angestiegen seien, ohne dass dies allein medizinisch zu begründen wäre. Daher seien steuernde Maßnahmen erforderlich, die die Effizienz der Versorgung in diesen Bereichen erhöhe (s. BT-Drs. 15/1525 Seite 75 Ziff. 5).
Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt der grundsätzliche Ausschluss nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegen Verfassungsrecht. Er ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbart. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht aus Art. 3 GG nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vgl. zuletzt BVerfGE 112, 50, 67 und 117, 316). Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 6. 11. 2008 - B 1 KR 6/ 08 R) verstößt die unterschiedliche Behandlung von Versicherten, die verschreibungspflichtige Arzneimittel benötigen, und von Versicherten, die nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnet erhalten, nicht gegen den Gleichheitssatz. Es hält die unterschiedliche Behandlung für sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bereits vor dem 1. 1. 2004 in den Apotheken überwiegend ohne Rezept abgegeben wurden. Hinzu kommt, dass es sich dabei um Arzneimittel im unteren Preisbereich von durchschnittlich weniger als 11 EUR je Packung handelt. In der Zusammenschau der Möglichkeit, sich ohne ärztliche Verschreibung die nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel selbst zu verschaffen, der typischer Weise geringe Preis und damit die Zumutbarkeit, die entsprechenden Kosten selbst zu tragen, hat das BSG hinreichende sachliche Anknüpfungspunkte für die Entscheidung des Gesetzgebers gesehen und deshalb ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bejaht (BSG a.a.O. juris-Umdruck Rn 11-16).
Im Falle der Klägerin liegt auch keine Ausnahmeregelung vor, die die ausnahmsweise Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel gestatten würde. Dies ist der Fall, wenn die Arzneimittel als Standardtherapie zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung medizinisch notwendig sind und der G-BA in den Arzneimittelrichtlinien eine entsprechende Verordnung vorgesehen hat.
Hinsichtlich der hier streitigen Medikamente Phlogenzym und Keltican N hat der G-BA eine entsprechende Ausnahme allerdings nicht vorgesehen. Dies ist auch für die Klägerin verbindlich.
Der Richtlinienauftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss präzisiert das Wirtschaftlichkeitsgebot im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung (§ 12, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V). Er zielt darauf, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Grundlagen für eine medizinisch notwendige und wirtschaftliche ärztliche Behandlungs- und Verordnungsweise verbindlich festzulegen. Die Verbindlichkeit wird dadurch begründet, dass die Richtlinien nach § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge (BMV-Ä) sind und die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 81 Abs. 3 Nr. 1, 2 SGB V Bestimmungen enthalten müssen, wonach die Verträge und die Richtlinien als solche für ihre Mitglieder (die zugelassenen Vertragsärzte) verbindlich sind.
Die Verbindlichkeit der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber im Rahmen des GMG mit Wirkung zum 1. Januar 2004 noch durch die Regelung in § 91 Abs. 9 SGB V unterstrichen. Dort ist gesetzlich angeordnet, dass die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Versicherten der Krankenkassen, für die an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich sind. Dies hat vorliegend zur Folge, dass auch für die Klägerin der Ausschluss der hier streitigen Medikamente in Kapitel F Nr. 16 AMR verbindlich ist. Dagegen bestehen auch sonst keine rechtlichen Bedenken (siehe auch BSG vom 6. November 2008 - B 1 KR 6/08 R -).
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den ihm durch § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V übertragenen Auftrag in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt. In formeller Hinsicht sind Verstöße gegen die auf der Grundlage von § 91 Abs. 3 Nr. 1 SGB V ergangene Verfahrensordnung vom 5. September 2005 (BAnZ 2005 Nr. 242) nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen, so dass offenbleiben kann, ob die darin enthaltenen Verfahrensregeln zumindest in ihren wesentlichen Kernpunkten auch schon auf die früher, nämlich am 16. März 2004 (BanZ S. 8905) ergangene Richtlinie zu § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V anzuwenden gewesen wäre.
Anhaltspunkte für ein sogenanntes Systemversagen liegen hier nicht vor. Ein solcher Fall des Systemversagens kann schon deshalb nicht vorliegen, weil das Verfahren vor dem G-BA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag dort noch nicht gestellt worden ist. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine entsprechende Antragstellung hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem G-BA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert sein könnte (vgl. dazu BSG-Urteil vom 7. 11. 2006 - B 1 KR 24/ 06 R). Gegen eine sachwidrige Nichtbehandlung durch den G-BA spricht in diesem Zusammenhang, dass sowohl Phlogenzym als auch Keltican N gegen Multiple Sklerose nicht zugelassen sind und (wie der Senat dem Gutachten von Dr.B. entnimmt) keinerlei Studienergebnisse vorliegen, die bei dieser Erkrankung eine gewisse Wirksamkeit nachweisen könnten. Es besteht deshalb bei objektiver Betrachtungsweise auch überhaupt kein Anlass, beim G-BA einen entsprechenden Antrag auf Feststellung der Notwendigkeit einer adjuvanten (unterstützenden) Behandlung bei Multipler Sklerose und die Aufnahme in Abschnitt 16 AMR zu stellen.
2.) Dem Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N steht auch entgegen, dass die Arzneimittelzulassung dieser Medikamente sich auf die Behandlung von Multipler Sklerose nicht erstreckt. Wie Dr. B. in seinem Gutachten vom 22. 1. 2008 ausgeführt hat, erstreckt sich die Zulassung von Phlogenzym auf:
Ödeme, Entzündungen oder Schmerzen auf Grund von Traumen, Thrombophlebitis, Entzündungen des Urogenitaltraktes, auch in Kombination mit Antibiotika, rheumatische Erkrankungen, aktive Phasen von Osteoarthrosen, extraartikuläre rheumatische Erkrankung.
Die Zulassung von Keltican N beschränkt sich auf folgende Erkrankungen: Zur unterstützenden kausalen und symptomatischen Behandlung von Neuritiden und Myopathien, insbesondere Wurzelneuritiden, Cervicalsyndrom, Schulter-Arm-Syndrom, Ischialgie, Lumbago, Intercostalneuralgie, Trigeminusneuralgie, diabetische Polyneuritis, Alkoholpolyneuritis, andere toxische Polyneuritiden, Zustand nach Bandscheibenoperation mit anhaltendem Wurzelreizsyndrom, Herpes zoster (Gürtelrose).
Dr. B. hat bei diesen Anwendungsgebieten zurecht die Auffassung vertreten, dass beide Präparate allenfalls im Rahmen eines Off-Label-Use bei der Behandlung einer Multiplen Sklerose angewendet werden könnten. Die Voraussetzungen für eine Anwendung im Off-Label-Use zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen hinsichtlich der Erkrankung an Multipler Sklerose für die Medikamente Phlogenzym und Keltican N jedoch nicht vor.
Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Fertigarzneimitteln kommt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu etwa BSG vom 28. 2. 2008 - B 1 KR 15/07 R) nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Zwar dürfte es sich bei der Multiplen Sklerose - was hier keiner abschließenden Entscheidung bedarf - um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung im Sinne dieser Rechtsprechung handeln (wofür das außerordentlich schlechte Gehvermögen der Klägerin mit der Notwendigkeit, bei bestimmten Situation sich eines Rollstuhls zu bedienen, spricht), die Voraussetzungen insbesondere von Ziff. 3 sind hier aber nicht gegeben. Studien, die den gesicherten Schluss zulassen, dass die hier streitigen Medikamente Phlogenzym und Keltican N bei Multipler Sklerose positive Wirkungen haben, liegen nicht vor. Von daher ist bereits im Ansatz nicht der Nachweis erbracht, dass diese Mittel geeignet sind, objektiv zu helfen. Soweit ersichtlich hat auch die letzte Studie von Baumhackl et.al. gerade keinen Wirksamkeitsnachweis ergeben, obwohl über 300 Patienten beobachtet wurden und Anlass für die Erstellung der Studie der Umstand war, dass es nach wie vor eine Verschreibung dieser Enzyme durch Ärzte gibt und auch eine entsprechende Nachfrage besteht. Somit bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Zulassung der hier streitigen Arzneimittel für die Behandlung der Multiplen Sklerose.
Von dieser fehlenden Wirksamkeit geht im Übrigen auch Dr. K. in den Bescheinigungen vom 23. 11. 2005 und 22. 7. 2008 aus. Der Umstand, dass Dr. K. die Verordnung wegen des positiven Einflusses auf die Erkrankung der Klägerin und des hierdurch ausgelösten Suggestiv- oder Placeboeffekts für vertretbar hält, rechtfertigt nicht die Übernahme der Kosten auf die gesetzliche Krankenversicherung. Selbst wenn die bisherige Arzneimitteltherapie nach Auffassung der Klägerin und ihrer Ärzte positiv gewirkt haben sollte, führt dies nicht zu einer Leistungspflicht der Beklagten. Zur Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es grundsätzlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen belegt ist (so ausdrücklich BSG-Urteil vom 27. 3. 2007 - B 1 KR 17/ 06 R).
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin zukünftig mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N nach vertragsärztlicher Verordnung zu versorgen und ihr für den seit 1. 1. 2004 selbst bezahlten Erwerb dieser Medikamente 730,30 EUR zu erstatten hat.
Die 1960 geborene Klägerin bezieht derzeit eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Auszahlungsbetrag von 790,- EUR (Bl. 63 LSG-Akte). Sie erkrankte 1978 an einer Multiplen Sklerose mit weiteren Schüben u.a. 1984 und 2001. Bei ihr liegen derzeit Koordinationsstörungen der Geh- und Feinmotorik bei sehr unsicherem und schwankendem Gang bzw. einem spastisch anmutenden Gangbild vor.
Die Klägerin lehnte in der Vergangenheit ihr empfohlene Behandlungen mit Betaferon bzw. Steroiden ab. Seit 1990 wird sie mit Enzymen behandelt, zuletzt mit dem Medikament Phlogenzym unter Zugabe von Keltican N-Tabletten. Diese Medikamente sind nur apothekenpflichtig, nicht aber verschreibungspflichtig; sie sind für die Behandlung von Multipler Sklerose nicht zugelassen. Bis 31. 12. 2004 wurden ihr diese Medikamente zu Lasten der Beklagten vertragsärztlich verordnet und sie konnte diese Medikamente in der Apotheke gegen Rezept (und entsprechende Zuzahlung) abholen.
Am 4. 10. 2005 legte die Klägerin eine Verordnung der Allgemeinärztin Dr. F. vom 26. 9. 2005 über Keltican N-Kapseln 100 Stück sowie 800 Stück Phlogenzym-Tabletten vor und beantragte deren Kostenübernahme durch die Beklagte. Ergänzend gab sie an, seit Frühjahr 2005 müsse sie die Kosten für die Medikation, die sie bis heute zur Behandlung ihrer chronischen Erkrankung einnehme, selbst tragen. Sie habe in der Vergangenheit durch die regelmäßige Enzym-Einnahme in Verbindung mit Keltican N sowie sehr disziplinierter Lebensweise mit regelmäßigem Schlaf, regelmäßiger, ausgewogener Ernährung und absoluter Akzeptanz der diagnostizierten Erkrankung diese gut in Schach halten können. Um die erhebliche Kostenbelastung zu mindern vermeide sie immer mehr die Medikamenteinnahme. Sie merke jedoch, dass sich dadurch ihr Gesundheitszustand im Hinblick auf ihre Erkrankung dramatisch und deutlich verschlechtert habe. Die entsprechenden Befunde seien der Beklagten bekannt, seit Juni 2005 liege bei ihr eine Vollberentung vor. Die Medikation mit Phlogenzym und Keltican N sei eine standardisierte Behandlung bei chronisch entzündlichen Erkrankungen. Die alleinige Kostenübernahme dieser medikamentösen Behandlung überfordere sie aber zwischenzeitlich, sodass bei ihr eine unbillige Härte vorliege.
Mit Bescheid vom 5. 10. 2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Bei Phlogenzym-Tabetten und Keltican N-Kapseln handele es sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Diese dürften von den gesetzlichen Krankenkassen seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes mit dem 1. 1. 2004 grundsätzlich nicht mehr übernommen werden. Ausnahmen würden nur für Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahre gelten.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch brachte die Klägerin vor, als Alternative zu der Enzym-Behandlung hätten ihr die Ärzte eine Kortison- oder Interferon-Behandlung empfohlen, beide Behandlungen würden von der Krankenkasse bezahlt. Die Behandlung mit diesen Medikamenten habe jedoch höchstens eine Erfolgsaussicht von 30 %, darüber hinaus könnten erhebliche Nebenwirkungen auftreten, die in keiner Relation zu der nur 30prozentigen Erfolgsaussicht stünden. Die Ärzte hätten auch nicht die Frage beantworten können, was denn die anderen 70 % Multiple-Sklerose-Patienten tun sollten, die auf die Behandlung nicht ansprächen. Die Entscheidung über einen medikamentösen Behandlungsweg bei einer so weitreichenden, einschneidenden und unheilbaren Erkrankung, wie die bei ihr diagnostizierte Multiple Sklerose, sehe sie als eine Lebensentscheidung, auf die sie ihr gesamtes Leben abgestimmt habe. Der jährliche Kostenaufwand für ihre Behandlung betrage lediglich 700,- EUR, wo hingegen im anderen Fall weit höhere Medikamentenkosten anfallen würden und zudem zahlreiche stationäre Aufenthalte. Auch unter wirtschaftlichen Aspekten sei es für die Krankenkasse deshalb sehr viel sinnvoller, ihre bisherige Medikamentenversorgung weiter zu übernehmen.
Sie legte hierzu ergänzend den Arztbrief des Chefarztes der Neurologischen Klinik P., Dr. K., vom 23. 11. 2005 vor. Darin heißt es, die Klägerin habe sich mit ihrer Erkrankung gut arrangiert, inwieweit die von ihr eingenommenen Medikamente (Keltican N und Phlogenzym) an dem günstigen Verlauf mitbeteiligt seien, lasse sich naturgemäß bei Fehlen entsprechender Studien nicht beurteilen. Da die Klägerin fest davon überzeugt sei, dass ihr diese Medikamente helfen und der Glaube wie auch der Suggestiveffekt als hilfreiche Maßnahme in der Medizin bekannt seien, wäre es vorstellbar, dass eine Fortsetzung dieser Therapie von Nutzen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. 5. 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Arzneimittel sei grundsätzlich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt; nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versorgung ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) könne Ausnahmen machen, wenn ein Arzneimittel bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard gelte. Dies sei bei den hier fraglichen Medikamenten nicht der Fall, sie seien in der Ausnahmeliste nicht aufgeführt. Der Umstand, dass die bisherige Therapieform kostengünstiger erscheine als die ärztlicherseits vorgeschlagenen Alternativen, begründe keinen Leistungsanspruch. Maßgebliche Kriterien des Leistungsanspruchs seien nach § 2 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 SGB V allein die Qualität und Wirksamkeit nach anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Hiergegen erhob die Klägerin am 6. 6. 2006 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG), die in erster Instanz nicht weiter begründet wurde. Sie legte allerdings für die Höhe des Erstattungsbetrags entsprechende Rechnungen ihrer Apotheke vor, die die Höhe des geltend gemachten Betrages vollständig belegen (SG-Akte S. 17-18). Durch Urteil vom 11. 12. 2006 wies das SG die Klage ab. Gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Weder Keltican N noch Phlogenzym unterliege der Verschreibungspflicht, weswegen grundsätzlich kein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesen Präparaten bestehe. Die langjährige Bewilligung dieser Medikamente durch die Beklagte ändere daran nichts. Denn durch das in Kraft treten der Neufassung von § 34 Abs. 1 SGB V zum 1. 1. 2004 hätten sich die rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert. Eine Ausnahme ergebe sich auch nicht aus den Richtlinien des G-BA. Der Einsatz von Keltican N und Phlogenzym zur Behandlung von Multipler Sklerose gehöre nicht zu den unter Ziffer 16.4 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) aufgeführten Standardtherapien zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 13. 12. 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. 1. 2007 Berufung eingelegt. Das SG habe nicht ausreichend geprüft, inwieweit zwischenzeitlich die Behandlung mit Enzymen als Therapiestandard anzusehen sei. Aufklärungsbedarf bestehe auch hinsichtlich der Frage, ob für die streitigen Präparate Studien vorlägen, die die Wirksamkeit nachweisen. Hierzu nannte die Klägerin Beispiele und vertrat die Auffassung, es sei zu erwarten, dass die Ergebnisse einer derzeit durchgeführten randomisierten, prospektiven, doppelblinden und placebokontrollierten multizentrischen klinischen Studie Klarheit über das therapeutische Potenzial proteolytischer Enzyme bei Multipler Sklerose schaffen werde. Mit dem Erscheinen dieser Studie könne demnächst gerechnet werden.
Die Beklagte vertrat dem gegenüber die Auffassung, es sei nicht ihre Aufgabe zu klären, ob und inwieweit die Behandlung mit Enzymen als Therapiestandard anzusehen sei. Entscheidend sei, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich von der Versorgung mit Arzneimitteln ausgeschlossen seien. Der G-BA habe eine entsprechende Ausnahme nicht festgelegt, er habe dazu auch kein Anlass gehabt, weil ein positives Votum des G-BA die entsprechende Publizierung einer Studie erfordere, die bisher noch nicht vorliege. Bei den von der Klägerin vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen handele es sich um Einzelmeinungen.
Ergänzend hierzu legte die Beklagte das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (Dr. B. vom 22. 1. 2008) vor. Nach den Ausführungen von Dr. B. sind beide hier streitigen Medikamente nicht für die Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen, die Anwendungsgebiete, für die eine Zulassung bestehe, beträfen andere Erkrankungen, weswegen sowohl Keltican N als auch Phlogenzym bei der Behandlung einer Multiplen Sklerose im Off-Label-Use angewendet würden. Bei der von der Klägerin angesprochenen Studie müsse es sich um die Arbeit von Baumhackl handeln. Dieser habe die Wirkstoffe, aus denen sich das Präparat Phlogenzym zusammensetze, untersucht. Ein Behandlungseffekt zwischen Placebo und proteolytischen Enzymen habe weder klinisch noch mit sonstigen Parametern gefunden werden können. Diese Studie, die 301 Patienten erfasst habe, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eben kein Effekt habe nachgewiesen werden können. Eine Zulassung der hier streitigen Präparate für die Multiple Sklerose jedweder Form sei nach derzeitigem Kenntnisstand somit nicht möglich. In der wissenschaftlichen Literatur gäbe es aber auch Meinungen, die den Einsatz von proteolytischen Enzymen für potenziell schädlich bei der Multiplen Sklerose hielten. Insgesamt finde sich keine ernstzunehmende Auffassung, dass bei Multipler Sklerose proteolytische Enzyme eine positive Wirkung erzeugten, hingegen gebe es eine negative Studie speziell zu dem Enzympräparat Phlogenzym. Die deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft habe zum Beispiel angegeben, die Quote der Anwender von Enzymen betrage 7,6 %, die Therapie sei zwar nicht schädlich, ihre Wirksamkeit aber auch nicht belegt. Deren ärztlicher Beirat habe auf Grund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises bei gleichzeitig nicht zu unterschätzenden finanziellen Aufwendungen die Enzymtherapie derzeit nicht empfohlen.
Die Klägerin hat hiergegen eingewendet, das Gutachten sei nicht neutral, da es von einer der Beklagten zuzurechnenden Organisation angefertigt worden sei. Auch die Medikamentempfehlungen von Selbsthilfegruppen seien nur mit äußerster Vorsicht zu betrachten, da diese Medikamentenempfehlungen nichts anderes enthielten, als die üblichen, meist niedrigen Medikamentenstandards. In ihrem Fall sei sie sich sicher, dass Phlogenzym die menschliche Immunabwehr stärke und bei chronischen Entzündungsprozessen angewendet werden könne. Bei ihr würden Empfindungsstörungen sich verringern oder ganz verschwinden, die nicht steuerbaren und sehr ungenehmen schmerzhaften Muskelkontraktionen und Krämpfe in den Beinen verschwänden nach der Einnahme von 6 Dragees des Präparates ganz; trete aber das beschriebene Zucken und Krampfen abends nicht auf, so habe dies einen sehr entspannenden Tiefschlaf zur Folge. Nach der Einnahme von Phlogenzym könne sie sich auch deutlich besser konzentrieren und ihre Leistung im Alltagsgeschehen für ca. 2,5 Stunden steigern. Schließlich reduzierten sich die Erschöpfung und innere Anspannung für diesen Zeitraum und die Koordinationsstörungen nähmen fast vollständig ab. Keltican N unterstütze die Wirkungsstärke von Phlogenzym noch deutlich. Dem gegenüber hätten die üblichen Immunsuppressiva wie Kortison, Interferon oder das seit neuestem getestete FTY 20 ein sehr schlechtes Nutzen/Nebenwirkungsverhältnis, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit Nebenwirkungen in Form von Depressionen bis hin zur Suizidgefährdung und Gelenkbeschwerden mit den damit erforderlichen Klinikaufenthalten eintreten würden.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V könne der G-BA die medizinisch notwendigen Fälle festlegen, in denen Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolisate ausnahmsweise in die Versorgung des Arzneimittels einbezogen werden könnten. Phlogenzym beinhalte Aminosäuren und Eiweiße und falle deshalb unter diese Vorschrift. Ihr werde eine medizinisch und finanziell unbillige Härte zugemutet, wenn sie neben ihrer Beitragspflicht und den gesetzlichen Zuzahlungen die Kosten ihrer Medikation allein tragen solle. Ergänzend hierzu hat die Klägerin umfangreiche wissenschaftliche Informationen beigelegt, darunter (u. a.) Gebrauchsinformationen über Keltican N und Phlogenzym, Aufsätze über die Wirkung von Proteolytischen Enzymen bei Autoimmunerkrankungen sowie über die Enzymtherapie bei Patienten mit Multipler Sklerose.
Zuletzt hat die Klägerin noch die Auffassung vertreten, der Vertragsarzt könne Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen seien, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Schließlich sei auch der Grundsatz zu berücksichtigen: "Wer heilt hat Recht".
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2006 sowie den Bescheid vom 5. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die bisher eingereichten Arzneimittelkosten in Höhe von 730,30 EUR sowie weitere 153,94 EUR zu erstatten und ihr künftig die Arzneimittel Keltican N und Phlogenzym als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der noch bis zum 31. März 2008 geltenden (und hier maßgebenden) Fassung liegt nicht vor. Zum Einen begehrt die Klägerin die Erstattung von 730,30 EUR, zum Anderen die (weitere) dauerhafte Übernahme der Kosten der Versorgung mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N.
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der hier streitigen Arzneimittel hat. Der Kostenübernahme für die Vergangenheit bzw. der Versorgung für die Zukunft stehen zwei durchgreifende rechtliche Gründe entgegen. Zunächst hat die Beklagte für die Arzneimittel Phlogenzym und Keltican N schon deshalb nicht aufzukommen, weil diese als nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zum Leistungskatalog des SGB V zählen, darüber hinaus kann die Klägerin Arzneimittel nicht beanspruchen, denen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung von Multipler Sklerose fehlt (sog. nichterlaubter Off-Label-Use).
Sowohl der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit als auch der Anspruch auf Versorgung oder Kostenfreistellung für die Zukunft reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtssprechung vgl. zuletzt BSG vom 6. 11. 2008 - B 1 KR 6 /08 R m.w.N.). Ein Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit Phlogenzym oder Keltican N abzüglich der gesetzlichen Zuzahlungen hat die Klägerin jedoch nicht, weil diese Mittel nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Es handelt sich um verschreibungspflichtige Arzneimittel, für die kein Ausnahmetatbestand eingreift.
1. Die Klägerin hat gemäß § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wozu nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V (u. a.) die Versorgung mit Arzneimitteln gehört. Hierzu bestimmt § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte (nur) apothekenpflichtige Arzneimittel beanspruchen können, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der G-BA legt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erstmals bis zum 31. März 2004 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (Satz 3).
Der weitgehende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist somit ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers um weitere Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung einzusparen. So hat der Gesetzgeber konkret im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - GMG - vom 8. September 2003 unter anderem ausgeführt, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in diesen Bereichen (gemeint ist die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln) in den letzten fünf Jahren überproportional angestiegen seien, ohne dass dies allein medizinisch zu begründen wäre. Daher seien steuernde Maßnahmen erforderlich, die die Effizienz der Versorgung in diesen Bereichen erhöhe (s. BT-Drs. 15/1525 Seite 75 Ziff. 5).
Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt der grundsätzliche Ausschluss nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegen Verfassungsrecht. Er ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbart. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht aus Art. 3 GG nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vgl. zuletzt BVerfGE 112, 50, 67 und 117, 316). Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 6. 11. 2008 - B 1 KR 6/ 08 R) verstößt die unterschiedliche Behandlung von Versicherten, die verschreibungspflichtige Arzneimittel benötigen, und von Versicherten, die nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnet erhalten, nicht gegen den Gleichheitssatz. Es hält die unterschiedliche Behandlung für sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bereits vor dem 1. 1. 2004 in den Apotheken überwiegend ohne Rezept abgegeben wurden. Hinzu kommt, dass es sich dabei um Arzneimittel im unteren Preisbereich von durchschnittlich weniger als 11 EUR je Packung handelt. In der Zusammenschau der Möglichkeit, sich ohne ärztliche Verschreibung die nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel selbst zu verschaffen, der typischer Weise geringe Preis und damit die Zumutbarkeit, die entsprechenden Kosten selbst zu tragen, hat das BSG hinreichende sachliche Anknüpfungspunkte für die Entscheidung des Gesetzgebers gesehen und deshalb ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bejaht (BSG a.a.O. juris-Umdruck Rn 11-16).
Im Falle der Klägerin liegt auch keine Ausnahmeregelung vor, die die ausnahmsweise Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel gestatten würde. Dies ist der Fall, wenn die Arzneimittel als Standardtherapie zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung medizinisch notwendig sind und der G-BA in den Arzneimittelrichtlinien eine entsprechende Verordnung vorgesehen hat.
Hinsichtlich der hier streitigen Medikamente Phlogenzym und Keltican N hat der G-BA eine entsprechende Ausnahme allerdings nicht vorgesehen. Dies ist auch für die Klägerin verbindlich.
Der Richtlinienauftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss präzisiert das Wirtschaftlichkeitsgebot im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung (§ 12, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V). Er zielt darauf, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Grundlagen für eine medizinisch notwendige und wirtschaftliche ärztliche Behandlungs- und Verordnungsweise verbindlich festzulegen. Die Verbindlichkeit wird dadurch begründet, dass die Richtlinien nach § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge (BMV-Ä) sind und die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 81 Abs. 3 Nr. 1, 2 SGB V Bestimmungen enthalten müssen, wonach die Verträge und die Richtlinien als solche für ihre Mitglieder (die zugelassenen Vertragsärzte) verbindlich sind.
Die Verbindlichkeit der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber im Rahmen des GMG mit Wirkung zum 1. Januar 2004 noch durch die Regelung in § 91 Abs. 9 SGB V unterstrichen. Dort ist gesetzlich angeordnet, dass die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Versicherten der Krankenkassen, für die an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich sind. Dies hat vorliegend zur Folge, dass auch für die Klägerin der Ausschluss der hier streitigen Medikamente in Kapitel F Nr. 16 AMR verbindlich ist. Dagegen bestehen auch sonst keine rechtlichen Bedenken (siehe auch BSG vom 6. November 2008 - B 1 KR 6/08 R -).
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den ihm durch § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V übertragenen Auftrag in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt. In formeller Hinsicht sind Verstöße gegen die auf der Grundlage von § 91 Abs. 3 Nr. 1 SGB V ergangene Verfahrensordnung vom 5. September 2005 (BAnZ 2005 Nr. 242) nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen, so dass offenbleiben kann, ob die darin enthaltenen Verfahrensregeln zumindest in ihren wesentlichen Kernpunkten auch schon auf die früher, nämlich am 16. März 2004 (BanZ S. 8905) ergangene Richtlinie zu § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V anzuwenden gewesen wäre.
Anhaltspunkte für ein sogenanntes Systemversagen liegen hier nicht vor. Ein solcher Fall des Systemversagens kann schon deshalb nicht vorliegen, weil das Verfahren vor dem G-BA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag dort noch nicht gestellt worden ist. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine entsprechende Antragstellung hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem G-BA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert sein könnte (vgl. dazu BSG-Urteil vom 7. 11. 2006 - B 1 KR 24/ 06 R). Gegen eine sachwidrige Nichtbehandlung durch den G-BA spricht in diesem Zusammenhang, dass sowohl Phlogenzym als auch Keltican N gegen Multiple Sklerose nicht zugelassen sind und (wie der Senat dem Gutachten von Dr.B. entnimmt) keinerlei Studienergebnisse vorliegen, die bei dieser Erkrankung eine gewisse Wirksamkeit nachweisen könnten. Es besteht deshalb bei objektiver Betrachtungsweise auch überhaupt kein Anlass, beim G-BA einen entsprechenden Antrag auf Feststellung der Notwendigkeit einer adjuvanten (unterstützenden) Behandlung bei Multipler Sklerose und die Aufnahme in Abschnitt 16 AMR zu stellen.
2.) Dem Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit den Arzneimitteln Phlogenzym und Keltican N steht auch entgegen, dass die Arzneimittelzulassung dieser Medikamente sich auf die Behandlung von Multipler Sklerose nicht erstreckt. Wie Dr. B. in seinem Gutachten vom 22. 1. 2008 ausgeführt hat, erstreckt sich die Zulassung von Phlogenzym auf:
Ödeme, Entzündungen oder Schmerzen auf Grund von Traumen, Thrombophlebitis, Entzündungen des Urogenitaltraktes, auch in Kombination mit Antibiotika, rheumatische Erkrankungen, aktive Phasen von Osteoarthrosen, extraartikuläre rheumatische Erkrankung.
Die Zulassung von Keltican N beschränkt sich auf folgende Erkrankungen: Zur unterstützenden kausalen und symptomatischen Behandlung von Neuritiden und Myopathien, insbesondere Wurzelneuritiden, Cervicalsyndrom, Schulter-Arm-Syndrom, Ischialgie, Lumbago, Intercostalneuralgie, Trigeminusneuralgie, diabetische Polyneuritis, Alkoholpolyneuritis, andere toxische Polyneuritiden, Zustand nach Bandscheibenoperation mit anhaltendem Wurzelreizsyndrom, Herpes zoster (Gürtelrose).
Dr. B. hat bei diesen Anwendungsgebieten zurecht die Auffassung vertreten, dass beide Präparate allenfalls im Rahmen eines Off-Label-Use bei der Behandlung einer Multiplen Sklerose angewendet werden könnten. Die Voraussetzungen für eine Anwendung im Off-Label-Use zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen hinsichtlich der Erkrankung an Multipler Sklerose für die Medikamente Phlogenzym und Keltican N jedoch nicht vor.
Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Fertigarzneimitteln kommt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu etwa BSG vom 28. 2. 2008 - B 1 KR 15/07 R) nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Zwar dürfte es sich bei der Multiplen Sklerose - was hier keiner abschließenden Entscheidung bedarf - um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung im Sinne dieser Rechtsprechung handeln (wofür das außerordentlich schlechte Gehvermögen der Klägerin mit der Notwendigkeit, bei bestimmten Situation sich eines Rollstuhls zu bedienen, spricht), die Voraussetzungen insbesondere von Ziff. 3 sind hier aber nicht gegeben. Studien, die den gesicherten Schluss zulassen, dass die hier streitigen Medikamente Phlogenzym und Keltican N bei Multipler Sklerose positive Wirkungen haben, liegen nicht vor. Von daher ist bereits im Ansatz nicht der Nachweis erbracht, dass diese Mittel geeignet sind, objektiv zu helfen. Soweit ersichtlich hat auch die letzte Studie von Baumhackl et.al. gerade keinen Wirksamkeitsnachweis ergeben, obwohl über 300 Patienten beobachtet wurden und Anlass für die Erstellung der Studie der Umstand war, dass es nach wie vor eine Verschreibung dieser Enzyme durch Ärzte gibt und auch eine entsprechende Nachfrage besteht. Somit bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Zulassung der hier streitigen Arzneimittel für die Behandlung der Multiplen Sklerose.
Von dieser fehlenden Wirksamkeit geht im Übrigen auch Dr. K. in den Bescheinigungen vom 23. 11. 2005 und 22. 7. 2008 aus. Der Umstand, dass Dr. K. die Verordnung wegen des positiven Einflusses auf die Erkrankung der Klägerin und des hierdurch ausgelösten Suggestiv- oder Placeboeffekts für vertretbar hält, rechtfertigt nicht die Übernahme der Kosten auf die gesetzliche Krankenversicherung. Selbst wenn die bisherige Arzneimitteltherapie nach Auffassung der Klägerin und ihrer Ärzte positiv gewirkt haben sollte, führt dies nicht zu einer Leistungspflicht der Beklagten. Zur Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es grundsätzlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen belegt ist (so ausdrücklich BSG-Urteil vom 27. 3. 2007 - B 1 KR 17/ 06 R).
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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