L 10 R 954/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 185/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 954/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17.01.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung

Der im Jahre 1951 geborene Kläger ist gelernter Fleischer und war von 1979 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Januar 2003 als Arbeiter in der chemischen Industrie tätig. Nunmehr ist er arbeitslos. Er leidet vornehmlich an chronischen Wirbelsäulensyndromen und depressiven Zuständen; daneben bestehen u. a. ein Carpaltunnelsyndrom beidseits und eine Psoriasis vulgaris.

Am 09.03.2005 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte daraufhin Gutachten der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. D. und des Orthopäden Dr. R. ein, die übereinstimmend zu der Einschätzung gelangten, der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit verschiedenen qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 12.08.2005 und Widerspruchsbescheid vom 10.01.2006 ab.

Am 18.01.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Mannheim Klage erhoben. Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte, des Allgemeinmediziners Dr. H. (Aufnahme einer regelmäßigen auch leichten körperlichen Tätigkeit derzeit nicht vorstellbar), des Neurologen und Psychiaters Dr. We. (Verrichtung einer regelmäßigen auch leichten körperlichen Arbeit nicht wenigstens sechs Stunden täglich möglich) und des Orthopäden Dr. R. (Verrichtung leichter körperlicher Arbeiten unter Beachtung verschiedener qualitativer Einschränkungen regelmäßig noch mindestens sechs Stunden täglich möglich) eingeholt. Ferner haben der Neurologe und Psychiater Dr. W. ein von Amts wegen eingeholtes Sachverständigengutachten (aus neurologischer und psychiatrischer Sicht zwar qualitative, jedoch keine quantitativen Leistungseinschränkungen) und Dr. We. ein auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes Sachverständigengutachten (höchstens drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen) erstattet.

Mit Urteil vom 17.01.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger, der keinen Berufsschutz genieße, sei nicht erwerbsgemindert. Er könne ausweislich des Ergebnisses der Ermittlungen mit Blick auf seine Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet leichte Tätigkeiten noch täglich sechs Stunden verrichteten. Eine quantitative Leistungseinschränkung ergebe sich auch nicht in psychiatrischer Hinsicht. Der im Rahmen der Begutachtung durch Dr. D. mitgeteilte Tagesablauf des Klägers belege, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seinerzeit nicht vorgelegen habe. Eine verminderte zeitliche Leistungsfähigkeit belegende Befunde und Erkrankungen ergäben sich auch nicht aus den später eingeholten Arztunterlagen. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 28.01.2008 zugestellt worden.

Am 27.02.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. In der Folgezeit hat er unter Vorlage einer entsprechenden Stellungnahme des nunmehr behandelnden Neurologen und Psychiaters E. vorgetragen, das Gutachten von Dr. W. weise erhebliche Mängel auf.

Der Senat hat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters E. (unter sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten) sowie eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Dr. W. (keine Änderungen zum Ergebnis des erstatteten Gutachtens) eingeholt.

Der Kläger ist der Auffassung, hinsichtlich der Leistungsbeurteilung sei der Einschätzung der behandelnden Ärzte zu folgen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17.01.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab März 2005 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Mannheim sowie die beigezogenen Renten- und Rehaakten der Beklagten und die gleichfalls beigezogenen Schwerbehindertenakten des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12.08.2005 sowie der Widerspruchsbescheid vom 10.01.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 17.01.2008 unter Zugrundelegung der für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs maßgeblichen Regelungen des § 43 Abs. 1, Abs. 2 und des § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Hinsichtlich der Gesundheitsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet hat sich das Sozialgericht mit zutreffender Begründung der Leistungseinschätzung des Orthopäden Dr. R. in der von diesem erstatteten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.04.2006 angeschlossen. Danach besteht eine wenigstens sechsstündige Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen (ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 10 kg, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten mit häufiger Schulterabduktion und -anteversion über 60 Grad, ohne häufiges Besteigen von Leitern oder Gerüsten, ohne übermäßiges Treppensteigen, ohne kniende Körperhaltung sowie unter Beachtung der eingeschränkten Toleranz gegenüber staubigen bzw. die Atemwege und die Haut reizenden Arbeitsbedingungen).

Soweit der Kläger meint, diese Leistungseinschätzung stehe im Widerspruch zu der von Dr. R. im Widerspruchsverfahren erstatteten Stellungnahme vom 20.09.2005, übersieht er, dass die seinerzeitige Leistungsbeurteilung des genannten Arztes (zwischen null und drei Stunden) nicht die hier in Rede stehenden leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, sondern vielmehr den erlernten Beruf als Metzger sowie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Chemiearbeiter und damit - jedenfalls zeitweise - schwere Arbeiten betraf, die schon nach Einschätzung von Dr. Dre. und Dr. R. nur noch unter drei Stunden am Tag zumutbar waren.

Der Hinweis des Klägers auf den Reha-Entlassungsbericht der M.-Klinik für Orthopädie und rheumatische Erkrankungen vom 16.12.2003 geht ebenfalls fehl. Denn die Einschätzung einer noch bestehenden Arbeitsunfähigkeit bezog sich auf die bereits angeführte Tätigkeit als Chemiearbeiter und betraf nicht die allgemeine Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Im Übrigen wurde im genannten Entlassungsbericht sogar eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nach Abklingen der Beschwerden an der rechten Schulter prognostiziert.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet liegt eine hier erhebliche Leistungseinschränkung ebenfalls nicht vor. Das gilt auch und insbesondere mit Blick auf die depressiven Zustände des Klägers. Auf die genaue diagnostische Einstufung derselben und mithin auf die Frage, ob diese als reaktive depressive Verstimmungen (vgl. das vom Sozialgericht eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. W. sowie dessen vom Senat eingeholte ergänzende schriftliche Stellungnahme) oder als depressive Störung (vgl. das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. We. sowie die schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters E. ) kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, inwieweit die vorliegenden psychischen Beschwerden die Leistungsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beeinträchtigen.

Für diese Beurteilung kommt - worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat - dem Umstand maßgebende Bedeutung zu, dass der Kläger über eine weitgehend intakte Tagesstruktur mit einem nicht unerheblichen Aktivitätsradius verfügt. Ausweislich des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. Dre. stand er seinerzeit (im Juni 2005) gegen 7:00 Uhr auf und tätigte am Vormittag Erledigungen. Er beschäftigte sich in Haus und Garten, wobei er den Rasen mähte und, allerdings mit Problemen, sogar Hecken schnitt, half manchmal seiner Ehefrau im Haushalt, las Zeitung, sah fern und fuhr Auto. Darüber hinaus bestanden Kontakte vorwiegend im Familienverband und wurden Probleme verneint. Nach seinen übereinstimmenden Angaben gegenüber Dr. W. (im Juli 2006) und Dr. We. (im März 2007) steht er zwischenzeitlich bereits um 6:00 Uhr auf und frühstückt sodann gemeinsam mit seiner Ehefrau, die er anschließend zur Arbeit fährt. Nach seiner Rückkehr legt er eine Kaffeepause ein und erledigt dann anfallende (leichtere) Hausarbeiten. Mittags besucht er seine Ehefrau bei der Arbeit und isst mit ihr zu Mittag. Sodann fährt er wieder nach Hause, legt sich für ca. eine Stunde hin, holt seine Ehefrau gegen 15:30 Uhr von der Arbeit ab und geht mit ihr gemeinsam Einkaufen, manchmal auch auf einen Spaziergang. Danach richtet er mit seiner Ehefrau das Abendessen, das dann gemeinsam mit dem Sohn eingenommen wird. Anschließend sieht er fern oder sitzt er auf seine Terrasse und geht etwa gegen 23:00 Uhr bis 24:00 Uhr ins Bett.

Dieser Tagesverlauf und die vom Kläger selbst angegebenen Aktivitäten schließen - was Dr. W. in seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme schlüssig dargelegt hat - eine mittel- oder gar schwergradige (vital gehemmtes depressives Zustandsbild) Depression des Klägers aus. Die entsprechende Einschätzung von Dr. We. und des den Kläger nunmehr behandelnden Neurologen und Psychiaters E. trifft daher nicht zu und vermag mithin auch die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung nicht zu tragen.

Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit Dr. We. im Anschluss an eine testpsychologische Zusatzbegutachtung von Dr. Pl. von einer erheblich reduzierten konzentrativen Belastbarkeit des Klägers und hierauf gestützt von einer eingeschränkten zeitlichen Leistungsfähigkeit ausgeht. Zum einen hat Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass psychologische Untersuchungen in Fällen der vorliegenden Art nur eine geringe Aussagekraft besitzen, da sie von der Mitarbeit des Probanden abhängen und, ohne dass dies sicher auszuschließen wäre, von seiner Zielrichtung beeinflusst werden können. Zum anderen zeigt der Umstand, dass der Kläger neben seinen sonstigen Aktivitäten insbesondere weiterhin mehrmals am Tag Auto fährt, dass er in der Lage ist, selbst komplexe Belastungen - jedenfalls zeitweilig - konzentrativ zu bewältigen. Soweit er entsprechenden Anforderungen an seine Konzentrationsfähigkeit bei längerer Dauer, wie beispielsweise im Rahmen der Durchführung der insgesamt acht Testverfahren durch Dr. Pl. , nicht mehr zu genügen vermag, lässt sich dem in qualitativer Hinsicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend Rechnung tragen.

Besteht nach alledem kein Anhalt für eine hier erhebliche zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu seinen Einwendungen gegen das erstinstanzlich eingeholte Gutachten von Dr. W.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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