L 9 U 1616/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 1615/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1616/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2008 aufgehoben, soweit die Beklagte zur Gewährung einer Unfallrente verurteilt wurde. Die Klage wird insoweit abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.6.2005.

Der 1968 geborene französische Kläger ist als Produktionsarbeiter/Springer bei der Xella Deutschland GmbH versicherungspflichtig beschäftigt. Am 23.6.2005 gegen 22:30 Uhr rutschte er beim Reinigen der Rückschlammanlage von der obersten Stufe einer Treppe. Dabei hielt er sich mit der rechten Hand am Geländer bzw. Handlauf fest, wobei er - nach seinen Angaben - ein deutliches Knacken in der rechten Schulter vernahm.

Am 25.6.2005 suchte der damals 180 cm große und 105 kg schwere Kläger seinen Hausarzt Dr. St., Haguenau auf. Im Befundbericht vom 29.10.2005 führte Dr. St. aus, auf Grund der Untersuchung des Klägers vom 25.6.2005 mittels Ultraschall habe er festgestellt, dass die Bizepssehne nach innen verrutscht gewesen sei und der Kläger über Schmerzen geklagt habe. Am 5.7.2005 habe er eine Ruptur der Bizepssehne festgestellt. Bereits vor dem 25.6.2005 habe er beim Kläger am 16.6.2005 eine Periarthritis der rechten Schulter diagnostiziert und die Schmerzmittel Diclofenac und Dialgirex verordnet.

Unter dem 5.7.2005 zeigte die Arbeitgeberin der Vorgängerin der Beklagten, der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie, die zum 1.1.2009 mit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, der nunmehrigen Beklagten, fusioniert hat, den Unfall des Klägers an. Die Beklagte befragte daraufhin den Kläger (Angaben vom 25.8.2005) und zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Mittelbaden bei. Am 31.8.2005 meldete die AOK Mittelbaden einen Erstattungsanspruch an und teilte mit, sie nehme an, dass der Kläger wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 23.6.2005 erkrankt sei. Arbeitsunfähigkeit bestehe ab 5.7.2005. Der Kläger teilte am 8.11.2005 mit, er sei 14 Tage krank geschrieben gewesen und danach wieder zur Arbeit gegangen.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 19.12.2005 führte der Chirurg Dr. P. aus, der Kläger sei bereits sieben Tage vor dem angeschuldigten Ereignis wegen einer Periarthritis der rechten Schulter behandelt worden, so dass die am 25.6.2005 nachgewiesene Dislokation der langen Bizepssehne offenbar aus dem Sulcus bizipitis, die Analgetikaversorgung am 2.7. sowie die am 5.7.2005 diagnostizierte Ruptur nicht Folge des angeschuldigten Traumas seien, sondern ursächlich auf eine schicksalhafte Erkrankung der Schulter zurückzuführen seien. Inwieweit durch das angeschuldigte Ereignis vom 23.6.2005 eine Verschlimmerung eingetreten sei und ob ein derartiges Ereignis zu diesem Zeitpunkt hinreichend zu belegen sei, sei nach Aktenlage nicht zu klären. Eine (unterstellte) Ruptur der langen Bizepssehne bedinge üblicherweise keine messbaren Verletzungsfolgen. Arbeitsunfähigkeit habe offensichtlich vom 23.6. bis 6.7.2005 bestanden; ein Kausalzusammenhang mit dem angeschuldigten Trauma lasse sich nicht wahrscheinlich machen.

Mit Bescheid vom 3.3.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 23.6.2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 23.6.2005 und dem Bizepssehnenriss könne nicht wahrscheinlich gemacht werden; er sei vielmehr auf die schicksalhafte Grunderkrankung der Schulter zurückzuführen. Das Ereignis vom 23.6.2005 sei lediglich das auslösende Moment gewesen; jedes andere alltägliche Ereignis hätte etwa zu derselben Zeit die Erkrankung auslösen können.

Hiergegen legte der Kläger am 29.3.2006 Widerspruch ein und trug vor, sein behandelnder Arzt Dr. St. sei der Auffassung, der Riss der Bizepssehne sei kein schicksalhaftes Ereignis, sondern ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Er legte eine ärztliche Bescheinigung des Chirurgen und Orthopäden Dr. G. vom 5.12.2006 vor, wonach dieser den Kläger am 30.6.2005 wegen einer Ruptur der langen Bizepssehne behandelt habe. Weitere Behandlungstermine hätten am 3. und 4.7.2005 stattgefunden. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 5.2.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16.3.2007 an das SG Karlsruhe verwiesen hat. Der Kläger hat beantragt, das Unfallereignis vom 23.6.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm auf Grund der Unfallfolgen ab 29.12.2005 eine Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH zu gewähren.

Das SG hat Professor Dr. R., Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Stadtklinik Baden-Baden, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In dem zusammen mit dem Arzt für Chirurgie R. erstatteten Gutachten vom 28.9.2007 ist er zum Ergebnis gelangt, der Riss der langen Bizepssehne sei auf den Arbeitsunfall vom 23.6.2005 zurückzuführen, wobei im Nachhinein anhand der Aktenlage nicht sicher zu beurteilen sei, ob es zunächst lediglich zu einer Dislokation gekommen sei oder ob es sich um einen sofortigen Riss gehandelt habe, welcher nicht eindeutig diagnostizierbar gewesen sei. Letztlich könne dies dahinstehen, da die gerissene Bizepssehne eindeutig auf den angegebenen Arbeitsunfall zurückzuführen sei. Bei dem Arbeitsunfall handle es sich nicht um ein Bagatelltrauma, da der Kläger rückwärts von einer Podeststufe gefallen sei und mit einem Arm sein ganzes Körpergewicht ruckartig aufgefangen habe. Es habe sich dabei um ein Trauma gehandelt, das geeignet gewesen sei, eine Sehne zu zerreißen. Inwieweit eine degenerative Vorschädigung der Bizepssehne vorgelegen habe, könne nicht gesagt werden. Die Aktenlage und die Anamnese zeigten lediglich, dass der Kläger bereits einige Tage zuvor wegen Schulterbeschwerden rechts behandelt worden sei. Die Ursachen des als Periarthritis bezeichneten Schmerzsyndroms könnten vielfältig sein, z. B. eine entzündliche Veränderung im Bereich der langen Bizepssehne, eine Entzündung des subacromialen Schleimbeutels, eine Verkalkung im Bereich der Rotatorenmanschette sowie eine AC-Gelenkarthrose. Im Nachhinein sei nicht mehr zu klären, was damals Auslöser dieses Schmerzsyndroms gewesen sei. Inwieweit die nunmehr diagnostizierte AC-Gelenksarthrose rechts zum damaligen Zeitpunkt schon bestanden habe, sei ebenfalls nicht sicher zu beantworten. Bei der damaligen Röntgenuntersuchung seien keine gravierenden Veränderungen erkennbar gewesen; auch der Befund der Sonografie habe solche nicht gezeigt. Als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.6.2005 liege eine deutliche Kraftminderung durch den Riss der langen Bizepssehne vor. Die MdE für die Unfallfolgen betrage bis zum Ende des zweiten Unfalljahres 20 vH; wahrscheinlich auch auf Dauer.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme von Dr. W., Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, vom 18.12.2007 vorgelegt.

Mit Urteil vom 12.3.2008 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 3.3.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 23.06.2005 (Ausrutschen beim Reinigen der Rückschlammanlage) als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls ab dem 29.12.2005 Unfallrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, auf Grund der fundierten gutachterlichen Feststellungen von Professor Dr. R. und Dr. R. stehe zur Überzeugung des SG fest, dass das Unfallereignis vom 23.6.2005 den Riss der langen Bizepssehne des rechten Armes überwiegend wahrscheinlich verursacht habe. Der vom Kläger konsistent von Anbeginn geschilderte Unfallhergang stelle einen geeigneten Verletzungsmechanismus dar. Die den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegende Gegenargumentation der Beklagten, beim Unfallereignis handle es sich lediglich um ein auslösendes Moment, bei dem eine bestehende Vorerkrankung der rechten Schulter gelegenheitsursächlich verwirklicht worden sei, vermöge das SG nicht zu überzeugen. Der Kläger sei wegen Schulterbeschwerden niemals arbeitsunfähig gewesen. Der einzige Hinweis auf eine Vorerkrankung der Schulter ergebe sich aus dem Befundbericht von Dr. St. vom 29.10.2005. Gegen eine wesentliche Degeneration der langen Bizepssehne zum Unfallzeitpunkt sprächen aber die Röntgenuntersuchung vom 4.7.2005 und die damals durchgeführte Sonografie. Soweit die Beklagte dann im gerichtlichen Verfahren die Sachverhaltsermittlung aufgenommen habe, sei dies nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R) erheblich verfahrensfehlerhaft, da die Beklagte gegen § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßen habe. Das SG folge dem Gutachten von Prof. Dr. R. auch im Hinblick auf seine Einschätzung der MdE. Der Beginn der Unfallrente richte sich nach § 56 Abs. 1 SGB VI. Mit Ablauf von 26 Wochen nach dem Unfallereignis, d. h. vorliegend ab dem 29.12.2005, beginne die dem Kläger zu gewährende Unfallrente.

Gegen das am 19.3.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4.4.2008 Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.4.2009 hat sie anerkannt, dass die Bizepssehnenruptur rechts Folge des Arbeitsunfalls vom 23.6.2005 ist. Darüber hinaus hat sie sich verpflichtet, die Stellungnahme von Dr. W. vom 18.12.2007 aus den Akten zu entfernen. Sie wendet sich aber weiterhin gegen die Verurteilung zur Gewährung von Unfallrente und verweist auch darauf, dass die Feststellungen zu einem möglichen Rentenbeginn im angefochtenen Urteil nicht den gesetzlichen Grundlagen entsprächen. Maßgeblich für den Rentenbeginn wäre unstreitig § 72 SGB VII.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2008 insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Gewährung von Unfallrente verurteilt wurde und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis der Beklagten vom 14.4.2009 angenommen und beantragt im Übrigen, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil auch insoweit für zutreffend.

Der Senat hat bei der AOK Baden-Württemberg nachgefragt, von wann bis wann der Kläger wegen der Ruptur der Bizepssehne arbeitsunfähig gewesen ist, woraufhin diese am 23.1.2009 ein Vorerkrankungsverzeichnis die Zeit vom 16.3.1995 bis 13.6.2008 betreffend übersandt hat.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Nachdem die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung anerkannt hat, dass die Bizepssehnenruptur rechts Folge des Arbeitsunfalls vom 23.6.2005 ist und der Kläger dieses Teilanerkenntnis angenommen hat, ist im Berufungsverfahren lediglich noch die vom SG zuerkannte Unfallrente nach einer MdE um 20 vH ab 29.12.2005 streitig. Insoweit ist die Berufung der Beklagten begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben, soweit darin die Beklagte zur Gewährung einer Unfallrente verurteilt wurde.

Mit dem Bescheid vom 3.3.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2007 hat die Vorgängerin der Beklagten die Anerkennung des Ereignisses vom 23.6.2005 als Arbeitsunfall abgelehnt und einen Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Bizepssehnenriss verneint. Über eine konkrete Leistung - z. B. Unfallrente bzw. Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung - hat die Beklagte nicht entschieden, sondern ganz allgemein eine Entschädigung abgelehnt. Mangels einer entsprechenden Entscheidung über eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine Leistungsklage auf Gewährung von Unfallrente daher unzulässig. Bei sachgerechter Auslegung ist das Begehren des Klägers im Hinblick auf die im Ausgangsbescheid erfolgte Ablehnung eines Arbeitsunfalls als Anfechtungs- und Feststellungsklage zu sehen (BSG, Urt. vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 23; Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 29.9.2008 - L 1 U 2116/08 -), mit der die Feststellung des Ereignisses vom 23.6.2005 als Arbeitsunfall und die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird.

Da das Urteil des SG hinsichtlich der Rentengewährung mangels entsprechender Entscheidung der Beklagten aufzuheben war, kann auch dahinstehen, ob die MdE-Einschätzung von Prof. Dr. R./Chirurg R. zutreffend ist. Für eine Rentengewährung ist gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Voraussetzung, dass eine MdE um wenigstens 20 vH über die 26. Woche hinaus vorliegt; der Beginn der Rente richtet sich - worauf die Beklagte im Schriftsatz vom 2.2.2009 zu Recht hingewiesen hat - allerdings nach § 72 SGB VII. D. h. Rentenbeginn - im Falle einer Rentengewährung - wäre der 19.7.2005, da die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit beim Kläger ausweislich des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK Baden-Württemberg vom 5.7. bis 18.7.2005 gedauert hat.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten insoweit aufzuheben, als die Beklagte darin zur Rentengewährung verurteilt wurde und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte Klagveranlassung gegeben hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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