L 12 AS 1434/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 741/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1434/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Februar 2009 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., F., gewährt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin eine abstrakte Zusicherung für die Übernahme von Mietkosten für eine neue Unterkunft.

Die Antragsteller sowie ihre zwei Kinder (Sohn, geboren 2000 und Tochter, geboren 2008) bewohnen gemeinsam eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 72,72 qm. Sie beziehen laufend von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Im November 2008 beantragten die Antragsteller eine "Kostenzusage für 4 Personen"; die Wohnung sei zu klein, Sohn und Tochter könnten sich nicht ein Zimmer teilen. Mit Bescheid vom 2. Januar 2009 lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Zusicherung ab, da die jetzige Wohnung nach Größe und Mietkosten angemessen sei.

Den Widerspruch der Antragsteller wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2009 zurück und führte nunmehr aus, die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II setze voraus, dass der Umzug erforderlich sei und die Aufwendungen für die neue Wohnung angemessen seien. Letzteres beinhalte, dass sich die begehrte Zusicherung auf ein konkretes Wohnungsangebot beziehen müsse, weil ansonsten die Angemessenheit der Aufwendungen nicht zu messen sei.

Hiergegen haben die Antragsteller am 17. Februar 2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben (anhängig unter Az.: S 9 AS 742/09) und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie machen geltend, dass auch Säuglinge bei der Personenzahl einer Bedarfsgemeinschaft und dem hieraus resultierenden pauschalierten Bedarf an Wohnraum mitzuzählen seien. Darüber hinaus sei ein konkretes Wohnungsangebot für die Erteilung einer Zusicherung nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zwingend vorgeschrieben. Im Rahmen des von der Antragsgegnerin auszuübenden Ermessens hätte auch berücksichtigt werden müssen, dass das Amt für Wohnungswesen eine abstrakte Kostenzusage anfordere. Ohne Kostenzusage erfolge keine Aufnahme in die Liste der Wohnungssucher und es werde auch kein Wohnberechtigungsschein erteilt.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2009 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach § 22 SGB II für eine neue Unterkunft in für einen Vier-Personenhaushalt angemessener Höhe zuzusichern. Zur Begründung hat es unter Anwendung von § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeführt, dass Leistungsempfänger durchaus einen Anspruch auf eine abstrakte Zusicherung gemäß § 22 SGB II haben könnten. Die Stadt Freiburg als einer der in der ARGE Freiburg organisierten Leistungsträger weigere sich neuerdings, derartige abstrakte Zusicherungen zu erteilen, verlange sie aber andererseits durch sein Amt für Wohnungswesen von Wohnungssuchenden und verstoße auf diese Weise durch widersprüchliches Verhalten gegen Treu und Glauben. Das Argument des 2. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg (unter Hinweis auf Beschluss vom 28. Januar 2009 - L 2 AS 400/09 ER-B), die Erforderlichkeit des Umzugs könne bei Vorliegen eines konkreten Wohnungsangebots notfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes überprüft werden, gehe an den Bedürfnissen der Beteiligten und der Sozialgerichtsbarkeit vorbei. Wo eine abstrakte Zusicherung wie hier Voraussetzung für die Aufnahme in die Wohnungssucherkartei und Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines sei, bestehe für einen auf öffentlich geförderte Wohnungen angewiesenen Hilfebedürftigen kaum eine Aussicht, ein konkretes Wohnungsangebot zu erhalten. Außerdem würden Hilfebedürftige gezwungen, die Umtriebe einer Wohnungssuche auf sich zu nehmen, ohne dass die Notwendigkeit des Umzugs vorab geklärt werden könnte. Außerdem würden die Sozialgerichte künftig häufiger mit Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit konkreten Wohnungsangeboten konfrontiert sein, wobei mehr Entscheidungen aufgrund einer Folgenabwägung getroffen werden müssten. Diese Nachteile könnten durch Erteilung abstrakter Zusicherungen nahezu vollständig und ohne erkennbare Nachteile vermieden werden.

Im konkreten Fall spreche einiges dafür, dass die Erforderlichkeit des Wohnungswechsels zu bejahen sei. Hier habe die Unterkunft schon bei drei Personen die dafür maßgebliche Fläche von 75 qm unterschritten, durch die Geburt der Tochter sei ein Umzug in eine größere Wohnung erforderlich. Für die Nichtberücksichtigung kleinerer Kinder fehle es an einer rechtlichen Grundlage. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, da die Zusicherung Voraussetzung für die Aufnahme in die Wohnungssucherkartei und die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines sei.

Gegen den ihr am 4. März 2009 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 24. März 2009 Beschwerde eingelegt und ausgeführt, dass § 22 Abs. 2 SGB II keine Rechtsgrundlage für eine von einem konkreten Wohnungsangebot losgelöste abstrakte Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Wohnung darstelle. Es möge dahinstehen, dass das Amt für Wohnungswesen eine abstrakte Kostenzusage verlange; insoweit werde sich die Antragsgegnerin um eine praktikable Lösung bemühen. Allerdings sei nicht denkbar, dass die Vorgehensweise des Amtes für Wohnungswesen die Rechtsanwendung des SGB II-Trägers bestimme.

Die Antragsteller sind der Beschwerde entgegen getreten und haben auf die praktischen Schwierigkeiten verwiesen, welche die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg vertretene Rechtsansicht nach sich ziehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig; sie ist insbesondere statthaft, denn in der Hauptsache wäre die Berufung zulässig (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt - wie das SG zutreffend erkannt hat - nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 und 164).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, denn ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 22 Abs. 2 SGB II soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrags über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (Satz 2 a.a.O.). Aus dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich ableiten, dass der kommunale Träger über die künftige Berücksichtigung von Unterkunftskosten für "die neue Unterkunft" entscheidet, somit zwingend vorausgesetzt wird, dass ein konkretes Wohnungsangebot vorliegt. Für eine von einem konkreten Wohnungsangebot losgelöste abstrakte Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft bietet das Gesetz keine Rechtsgrundlage (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. November 2007 - L 28 B 2043/07 AS ER -; vom 28. August 2008 - L 34 B 1334/08 AS PKH -; vom 16. Januar 2009 - L 5 B 2097/08 AS ER - (alle juris); LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. Oktober 2008 - L 13 AS 4558/08 ER-B - und vom 28. Januar 2009 - L 2 AS 400/09 ER-B - (nicht veröffentlicht); Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 75; Piepenstock in Juris-PK SGB II, § 22 Rdnr. 92). Dies gilt erst recht auch für die isolierte Feststellung bezüglich einzelner Zusicherungsvoraussetzungen, etwa der Erforderlichkeit des Umzugs (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. August 2008 - L 25 B 1659/08 - (juris); LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Oktober 2008, a.a.O.).

Es ist dem SG zuzustimmen, dass die derzeitige Situation, bei der die zwischen der Antragsgegnerin und dem Amt für Wohnungswesen bestehenden Differenzen letztlich auf dem Rücken der Bürger und Hilfebedürftigen ausgetragen werden, äußerst unbefriedigend und nicht nachzuvollziehen ist. Diese Erwägungen können jedoch keinen Anordnungsanspruch gegen die Antragsgegnerin begründen. Die Antragsteller sind insoweit vielmehr darauf zu verweisen, die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins notfalls gerichtlich im Verwaltungsrechtsweg zu erstreiten, sollte sich keine Einigung zwischen der Antragsgegnerin und dem Amt für Wohnungswesen abzeichnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Nach § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält Prozesskostenhilfe (PKH), wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen hier vor. Nach § 73a SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung Erfolgsaussichten bietet oder mutwillig erscheint, da die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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