L 9 U 1209/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2541/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1209/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004 verurteilt, dem Kläger über den 08. Dezember 2002 hinaus Übergangsleistungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Übergangsleistungen wegen der Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1315 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - im Folgenden BK 1315.

Der 1940 geborene Kläger hat nach seiner Ausbildung die Gesellenprüfung als Lackierer und im April 1967 die Meisterprüfung im Maler- und Lackierer-Handwerk abgelegt. Zuletzt war er ab August 1969 bei der Firma A.-B. GmbH als Abteilungsleiter und Meister beschäftigt, wobei Kontakt zu Lacken, Verdünnern, Dichtungsmitteln und Harzen bestand. Ab 19. Dezember 2000 war er arbeitsunfähig erkrankt.

Nach Eingang eines Berichtes der Hautärztin Sch. vom 19. Juli 1999, die Beschwerden im Hals und Rachen mitteilte, welche durch Dämpfe von Lacken und Klebern entstanden seien, sowie Anzeige einer BK durch die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) leitete die Beklagte ein Ermittlungsverfahren ein. Hierzu gab der Kläger an, er leide seit Januar 1999 unter Hustenreiz und Atembeschwerden, die er auf seine berufliche Tätigkeit in der Lackiererei und Flaschnerei zurückführe. Bei dieser bestehe Kontakt zu Lösungsmitteln, Schleifstäuben und Verbrennungsrückständen.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des Hausarztes Dr. Sch. vom 19. September 1999 (Diagnosen: Sinusitis und ["anamnestisch"] allergische Reaktion) sowie eine Auskunft des Geschäftsführers S. von der Firma A.-B. GmbH vom 22. September 1999 ein und zog das Vorerkrankungsverzeichnis der KKH bei. Ferner holte sie Auskünfte des HNO-Arztes Dr. O. vom 15. Oktober 1999 (Befund vom 22. April 1999: Septumdeviation, Nasenmuschelhypertrophie, Verschattung der Kieferhöhlen) und 14. September 2000 (Befund 30. Dezember 1999: Laryngitis, Sinusitis maxillaris) sowie Dr. Pf.-Sch. vom 20. September 2000 (im September 2000 Atemprobleme an der Arbeitsstelle bei aggressiven Dämpfen, nach dem Urlaub) ein und veranlasste Ermittlungen durch Dipl.-Ing. H. von ihrem Technischen Aufsichtsdienst (TAD), der über die Ermittlungen und Feststellungen zu den beruflichen Belastungen am 30. November 1999 sowie 05. Januar, 05. April und 15. September 2000 berichtete. Bezüglich der Ermittlungsergebnisse wird auf die genannten Berichte wird verwiesen. Auf weitere Ermittlungen führte Dipl.-Ing. H. am 29. Juni 2001 u. a. auf Grund von Auskünften des Geschäftsführers S. noch aus, der Kläger, der bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), im Dezember 2000 einen Rentenantrag gestellt habe und seit Dezember 2000 arbeitsunfähig sei, habe auch Lacke und Farben zum Lackieren angesetzt und gemischt. Dabei habe er zwar Atemschutzmasken tragen können, eine Atemschutzmaske mit Frischluftzufuhr habe er aber sicherlich nicht benutzen können, da er in der gesamten Abteilung tätig gewesen sei.

In einem arbeitsmedizinischen Zusammenhangsgutachten gelangte Prof. Dr. T. am 02. April 2001 im Wesentlichen zum Ergebnis, beim Kläger bestünden ein Isocyanatasthma und ein essentieller Bluthochdruck. Unter Berücksichtigung des arbeitsplatzspezifischen Inhalationstests handele es sich um ein Isocyanatasthma in Sinne einer BK 1315, wobei eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge dieser BK nicht festzustellen sei. Das Isocyanatasthma würde zur Unterlassung aller (bisherigen) Tätigkeiten zwingen. Maßnahmen nach § 3 BKV seien aus arbeitsmedizinischer Sicht zu empfehlen. Eine vollständige Expositionskarenz gegenüber isocyanathaltigen Lackaerosolen wäre durch das Tragen einer wirksamen Atemschutzmaske, z.B. Airstreamhelm, zu erreichen.

Auf Grund des Berichtes von Dipl.-Ing. H. vom 29. Juni 2001 ging die Beklagte dann davon aus, dass eine vollständige Expositionskarenz gegenüber Isocyanaten nicht zu erreichen sei, und veranlasste am 10. Juli 2001 die Zahlung von Verletztengeld (VG) nach Ende der Lohnfortzahlung ab 01. Februar 2001 durch die KKH.

Mit Bescheid vom 05. Juni 2002 und Widerspruchsbescheid vom 28. August 2002 entschied die Beklagte, das VG ende mit Ablauf von 17. Juni 2002, da mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als Lackierermeister nicht zu rechnen sei, worauf der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG), Az S 9 U 2579/02, erhob. Am 11. Februar 2005 nahm der Kläger diese Klage zurück.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2002 und Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 anerkannte die Beklagte das Vorliegen einer BK 1315 und als BK-Folgen eine bronchiale Überempfindlichkeit gegenüber Isocyanaten. Ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe nicht. Deswegen erhob der Kläger am 23. Oktober 2002 Klage beim SG, Az S 9 U 2820/02, mit welcher er die Gewährung von Verletztenrente erstrebte. Das SG holte ein Sachverständigengutachten des Prof. Stresemann vom 02. Mai 2003 ein, wonach eine durch die Folgen der BK bedingte MdE nicht vorliege. Mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2004 wies das SG die Klage ab. Die am 28. Oktober 2004 eingelegte Berufung (L 2 U 5060/04) nahm der Kläger im Januar 2005 zurück.

Die DRV Bund bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Dezember 2001 auf Grund seines Rentenantrags vom 21. Dezember 2000 bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 21. Dezember 2000 ab 01. Januar 2001 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die jedoch nicht auszuzahlen war. Sie bewilligte ferner mit Bescheid vom 26. Februar 2003 sowie Widerspruchsbescheid vom 29. September 2004 ab 01. Juli 2001 auf Zeit bis 30. Juni 2004 und mit weiterem Bescheid vom 13. Juli 2004 sowie Widerspruchsbescheid vom 6. April 2005 über den 30. Juni 2004 hinaus auf Zeit "bis Ablauf des Monats Juni 2007" eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Zahlbetrag ab 1. Juli 2002 monatlich 1.482,66 EUR), jeweils auf Grund eines Leistungsvermögens von drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Die am 9. Mai 2005 zum SG erhobene Klage (S 11 R 1368/05), mit der der Kläger eine unbefristete Rente begehrte, weil die Rentengewährung ausschließlich auf seinem Gesundheitszustand und nicht auf dem verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt beruhe, nahm der Kläger am 9. September 2005 wieder zurück. Die DRV Bund hatte auf der Grundlage der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Röhrbein vom 3. Juni 2005 daran festgehalten, dass aus medizinischer Sicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden gegeben sei.

Seit 01. Januar 2006 erhält der Kläger auf seinen Antrag vom 17. Oktober 2005 Regelaltersrente (Bescheid vom 17. November 2005).

Grundlage der Rentenbewilligung durch die DRV Bund auf den Rentenantrag des Klägers vom 21. Dezember 2000, mit welchem er u. a. eine allergische Bronchitis infolge von Lack- und Farbstoffeinwirkungen geltend machte und ein in einem SB-Verfahren vom SG eingeholtes Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sp. vom 04. Oktober 2000 vorlegte, waren u. a. ein Bericht des Hausarztes Dr. Sch. vom 29. Januar 2001 und das Gutachten von Prof. Dr. T. vom 02. April 2001 sowie ein Gutachten des Internisten Dr. E. vom 27. April 2001 (Diagnosen: hyperreagibles Bronchialsystem, nachgewiesene Isocyanatüberempfindlichkeit, gut eingestellte Hypertonie, Übergewicht, Gonarthrose links, WS-Syndrom ohne Wurzelreizsyndrom und Abduktionshemmung im rechten Schultergelenk; die Allergie auf Isocyanat könne durch entsprechende Masken völlig vermieden werden, eine zwingende Indikation zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bestehe nicht, die letzte berufliche Tätigkeit sei sechs Stunden und mehr möglich). Weitere Grundlage waren das orthopädische Gutachten des Dr. A. vom 30. April 2001 (Diagnosen: chronisches HWS- und LWS-Syndrom mit Bandscheibenvorfall [BSV] L 4/5 links und chronischer Nervenwurzelschädigung L 5 links mit Fußheberschwäche links, Kniegelenksarthrose links mehr als rechts mit geringgradiger Bewegungseinschränkung, radiale Ellenbogengelenksarthrose rechts mit Bewegungseinschränkung, Impingementsyndrom der rechten Schulter mit degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette [RM] und eingeschränkter Beweglichkeit, beginnende Hüftgelenksarthrose rechts mehr als links und Senk-Spreizfuß mit Großzehengrundgelenksarthrose beidseits; leichte körperliche Arbeiten seien vollschichtig möglich, als Maler und Lackierermeister könne der Kläger nur noch aufsichtsführend tätig sein und leichte körperliche Arbeiten verrichten, die schweren und mittelschweren Anteile seiner Arbeit seien nicht mehr möglich), die berufskundliche Stellungnahme des Beraters Schulz am 27. September 2001 (der Kläger sei in seinem bisherigen Beruf nicht mehr einsatzfähig und es könnten keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten benannt werden, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien dagegen vollschichtig möglich) und - nach Einholung weiterer Befundberichte des Orthopäden Dr. Sch. vom 09. Juli 2002 und des Dr. Sch. vom 10. Juli 2002 - ein weiteres orthopädisches Gutachten des Dr. F. vom 15. Oktober 2002 (Diagnosen: Streckhemmungen linkes Kniegelenk mit mittelgradiger Belastungsinsuffizienz bei mäßiger Gonarthrose, schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS bei mäßigen Aufbraucherscheinungen ohne radikuläre Symptomatik, Bewegungseinschränkung rechtes Hüftgelenk mit zunehmender Funktionsreduzierung bei Coxarthrose, schmerzhafte mittelgradige Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks bei Verdacht auf subacromiales Impingement und AC-Arthrose rechts; leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen seien drei bis unter sechs Stunden möglich, wobei der Zustand seit Rentenantragstellung bestehe).

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ferner, nachdem sie dem Kläger zunächst einen Vorschuss auf Übergangsleistungen mit dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt hatte, mit Bescheid vom 27. Januar 2003 und Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2003 Übergangsleistungen für die Zeit vom 09. Dezember 2001 bis 08. Dezember 2002. Für die Zeit davor bestehe kein Anspruch, da unter Berücksichtigung des Bezugs von Verletztengeld und der Auszahlung von Resturlaub und Weihnachtsgeld ein auszugleichender Einkommensverlust nicht eingetreten sei. Deswegen erhob der Kläger am 28. August 2003 Klage beim SG, Az S 9 U 2214/03, mit welcher er die Gewährung von Übergangsleistungen auch vor dem 09. Dezember 2001 erstrebte. Das SG hob durch Urteil vom 11. Februar 2005 den Bescheid vom 27. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2003 auf und verurteilte die Beklagte, den Anspruch des Klägers auf Übergangsleistungen im Zeitraum vom 9. Dezember 2000 bis 8. Dezember 2001 erneut zu bescheiden und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten. Bei der Minderverdienstberechnung habe die Beklagte die Zahlung des Arbeitgebers von Weihnachtsgeld für das Jahr 2000 und die Abgeltung des Resturlaubs für das Jahr 2000 nicht als wirtschaftlichen Vorteil berücksichtigen dürfen. Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 10 U 2390/05) nahm der Kläger - nachdem die Beklagte auf die Ermittlungen des Berufungsgerichtes mit Bescheid vom 8. September 2005 Übergangsleistungen für die Zeit vom 1. Februar bis 8. Dezember 2001 bewilligt hatte - seine Klage im Rahmen eines Vergleiches am 18. Januar 2007 zurück.

Am 15. April 2003 und mit Schreiben vom 06. August 2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger noch weitere Vorschüsse in Höhe von 1.800,- EUR bzw. 1.500,- EUR mit dem Vorbehalt der Rückforderung.

Auf die Mitteilungen der DRV Bund vom 27. August und (telefonisch) 5. September 2003, dem Kläger sei mit Bescheid vom 26. Februar 2003 ab 01. Juli 2001 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bewilligt worden, mit Zahlungsbeginn 18. Juni 2002 (nach Ende des Verletztengeldes), wobei im Vordergrund ein progredienter WS- und Gelenkverschleiß gestanden habe, und Übersendungen des Gutachtens des Dr. F. vom 15. Oktober 2002, entschied die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 2003, ein Anspruch auf Übergangsleistungen über den 8. Dezember 2002 hinaus bestehe nicht. Der Bezug der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 18. Juni 2002 beruhe auf WS- und Gelenkleiden und stehe nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der atemwegsbedingten Tätigkeitsaufgabe wegen der anerkannten BK. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 21. Juli 2004 zurück. Beim Bezug von einer Erwerbsunfähigkeitsrente bestehe ein Anspruch auf Übergangsleistungen nur, wenn diese Rente auf denselben Gesundheitsstörungen beruhe, wie die Übergangsleistung. Der Kläger indessen erhalte Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen der Erkrankungen der WS und der Gelenke.

Deswegen hat der Kläger am 19. August 2004 Klage beim SG erhoben und die Gewährung von Übergangsleistungen über den 08. Dezember 2002 hinaus begehrt. Im Bescheid vom 26. Februar 2003 der DRV Bund sei von den Überlegungen für die Gewährung der Rente nicht die Rede. Die Auskunft der DRV Bund vom 27. August 2003 sei falsch und richtig zugleich. Die Rente werde nicht ausschließlich wegen der WS- und der Gelenkprobleme gewährt. Seinen Beruf habe er auf Grund seiner Lungenerkrankung nicht mehr ausüben können. Die Arbeitgeberin habe ihm keinen behindertengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen können, an dem er nicht mit den allergenen Giftstoffen in Berührung gekommen wäre. Nach dem Gutachten von Dr. F. habe er Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden verrichten können. Auf Grund seiner Lungenerkrankung habe er keinen Arbeitsplatz mehr gehabt, vielmehr diesen aufgeben müssen, weswegen die teilweise Erwerbsminderungsrente zur vollen Erwerbsminderungsrente durchgeschlagen habe. Die Lungenerkrankung sei somit wesentliche Ursache für die Zuerkennung der Rente.

Das SG hat die Akten der DRV Bund beigezogen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2007 abgewiesen. Bezüglich der Ausführungen des SG wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.

Gegen den am 07. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01. März 2007 Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, er habe seinen Beruf allein wegen der Belastungen im Zusammenhang mit Schadstoffen und Lacken aufgegeben. Er hätte seinen Beruf weiter ausgeübt, wenn er nicht mit den allergenen Stoffen zwingend in Berührung gekommen wäre. Die BK sei ausschließliche und wesentliche Ursache der Verrentung gewesen. Die orthopädischen Leiden hätten es ihm ohne weiteres erlaubt, bis zum 65. Lebensjahr berufstätig zu sein. Bei seiner Erkrankung, einem Isocyanatasthma, sei die von Prof. Dr. T. empfohlene Expositionskarenz am Arbeitsplatz nicht möglich gewesen. Die Beklagte habe die BK auch anerkannt und einen Aufgabezwang bejaht. Wenn er sich nicht die BK zugezogen hätte, hätte er bis zur Regelaltersrente weiter gearbeitet.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. Juli 2004 zu verurteilen, ihm über den 08. Dezember 2002 hinaus in gesetzlicher Höhe Übergangsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Stellungnahme der beratenden Ärztin der DRV Bund vom 03. Juni 2005 in deren Akten hätten Leistungseinschränkungen durch die orthopädischen Leiden im Vordergrund gestanden. Die Berücksichtigung von Renten wegen voller Erwerbsminderung bei der Feststellung der Höhe der Übergangsleistung komme nur in Betracht, wenn diese Rente wegen voller Erwerbsminderung auf derselben Gesundheitsstörung beruhe. Wenn dies, wie beim Kläger, nicht der Fall sei, stehe das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in keinem kausalen Zusammenhang mehr mit der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit. Das bedeute, dass der aus diesem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben resultierende Minderverdienst nicht mehr im Rahmen des § 3 Abs. 2 BKV auszugleichen sei. Insofern sei der Bezug einer nicht auf derselben Gesundheitsstörung beruhenden Rente wegen voller Erwerbsminderung dem Bezug einer regulären Altersrente gleichzusetzen, die ihrerseits ebenfalls ein Ende der Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs. 2 BKV bewirke. In diesem Zusammenhang sei "eine Rente wegen Erwerbsminderung völlig anders zu beurteilen als eine Rente wegen voller Erwerbsminderung", da eine solche ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben analog des Bezugs einer regulären Altersrente bedeute.

Der Senat hat die Akten der DRV Bund beigezogen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die vorgelegten Verwaltungsakten und die beigezogenen Akten der DRV Bund Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen über den 08. Dezember 2002 hinaus, über dessen Dauer und Höhe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.

Wenn für Versicherte die Gefahr besteht, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, haben die Unfallversicherungsträger gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BKV dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BKV).

Versicherte, die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen. Als Übergangsleistungen wird 1. ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder 2. eine monatliche wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BKV). Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, die wegen der BK gewährt werden, sind nicht zu berücksichtigen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BKV).

Auf die Übergangsleistung besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Versicherten, wenn die rechtlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV gegeben sind. Die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistung steht hingegen im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (BSG, Urteil vom 04. Dezember 2001, B 2 U 6/01 R m.w.N.). Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG hat der Träger der Unfallversicherung bei dieser Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch zu machen. Die Gesichtspunkte, von denen er bei der Ausübung seines Ermessens ausgeht, müssen in der Begründung in der Entscheidung erkennbar werden (§ 35 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind BKen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören Erkrankungen durch Isocynanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (BK 1315).

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der BK 1315 erfüllt. Nach den schlüssigen und auch den Senat überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. T. besteht beim Kläger ein sog. Isocyanatasthma, das auch mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Einwirkungen am Arbeitsplatz des Klägers zurückzuführen ist. Infolge dessen bestand und besteht auch der Zwang für den Kläger alle Tätigkeiten zu unterlassen, bei denen er Einwirkungen von Isocyanaten ausgesetzt ist, insbesondere war er gezwungen, die Tätigkeit bei seinem letzten und langjährigen Arbeitgeber aufzugeben und nicht wieder aufzunehmen. Anderweitige Schutzmaßnahmen, die es ihm ermöglicht hätten, die Tätigkeit weiter auszuüben, gab es nicht. Dies entnimmt der Senat auch den Feststellungen des TAD der Beklagten. Im übrigen hat die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2002 diese BK auch anerkannt und den Unterlassungszwang bejaht.

Nachdem der Kläger somit gezwungen war, seine berufliche Tätigkeit am 19. Dezember 2000 aufzugeben und sie danach zu unterlassen, sind ihm die durch die Aufgabe und Unterlassung ursächlich entstandenen wirtschaftlichen Nachteile von der Beklagten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV auszugleichen. Solche Nachteile sind auch entstanden, da die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Juli 2002 monatlich 1482,66 EUR (Rentenbescheid vom 26. Februar 2003) und der Nettoverdienst am alten Arbeitsplatz jährlich 29.800,- EUR betrug (Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2003).

Der durch die erzwungene Berufsaufgabe eingetretene wirtschaftliche Nachteil ist auch ursächlich auf den durch die BK bedingten Aufgabezwang zurückzuführen. Selbst wenn nach einer wegen einer berufsbedingten Erkrankung erfolgten Aufgabe der beruflichen Tätigkeit eine weitere Erkrankung hinzutritt, die ihrerseits der weiteren Ausübung der beruflichen Tätigkeit entgegensteht, führt dies nicht dazu, dass die Ursächlichkeit der beruflich bedingten Erkrankung für die Unterlassung der Tätigkeit und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen entfällt, solange die berufsbedingte Erkrankung einer Wiederaufnahme der Tätigkeit weiterhin entgegensteht bzw. entgegenstünde (vgl. BSG, Urteil vom 22. August 1975, 5 RKnU 5/74 in BSGE 40, 146).

Der Kläger war nach dem vorliegenden Gutachten des Prof. Dr. T. und der weiteren ärztlichen Äußerungen sowie des Ergebnisses der Ermittlungen des TAD zur Überzeugung des Senats auch über dem 8. Dezember 2002 hinaus und jedenfalls bis zum 8. Dezember 2005 auf Grund der BK gehindert, seine berufliche Tätigkeit als Lackierermeister wieder aufzunehmen. Die Arbeitsunfähigkeit ab 19. Dezember 2000 war auch ausschließlich wegen der beruflich erworbenen Erkrankung (allergisches berufsbedingtes Asthma) eingetreten, wegen orthopädischer Leiden ist Arbeitsunfähigkeit nicht festgestellt worden (vgl. Auszahlungsschein für Kranken- und Verletztengeld mit Bescheinigung von Dr. Sch. vom 25. Juni 2001 -Bl 144 BG-Akte)

Die Tatsache, dass dem Kläger von der DRV Bund zunächst eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die allerdings ab 01. Januar 2001 wegen anrechenbarer Einkünfte noch nicht zur Auszahlung kam, und im Nachhinein ab 01. Juli 2001 wiederholt befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung schließlich bis zum Beginn der Regelaltersrente, dem 1. Januar 2006 bewilligt wurde, steht damit einem Anspruch auf Übergangsleistung über den 08. Dezember 2002 hinaus und für höchstens fünf Jahre (bis 8. Dezember 2005) nicht entgegen. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht keine rechtliche Grundlage, dem Kläger die Gewährung von Übergangsleistungen in Form eines Ausgleiches seines Einkommensverlustes dem Grunde nach deswegen zu versagen, weil er - als drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Leistungsfähiger im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes - auch einen Anspruch auf eine (mehrfach befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte.

Diese Rente wäre nicht zu gewähren gewesen, wenn er seinen Arbeitsplatz bei seiner bisherigen Arbeitgeberin weiterhin, wenn auch in zeitlich vermindertem Umfang inne gehabt hätte, was ihm indes wegen der Gefahr des Wiederauflebens der BK 1315 durch die am Arbeitplatz auftretenden Noxen jedoch nicht möglich war. Die ihm aus Arbeitsmarktgründen zu zahlende und zu befristende Rente wegen voller Erwerbsminderung schließt deshalb die Gewährung von Übergangsleistungen dem Grunde nach nicht aus.

Im Übrigen steht in dem Fall, dass die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung (auch) im Hinblick auf orthopädische Erkrankungen erfolgt ist, dieser Umstand einem Anspruch auf Übergangsleistungen nicht entgegen. Der wegen der anerkannten BK eingetretene Verlust des Arbeitsplatzes tritt nicht deshalb in den Hintergrund, weil noch andere Erkrankungen hinzugetreten sind, die einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung begründen. Vielmehr ist die BK wesentliche Ursache für den nach § 3 Abs. 2 BKV auszugleichenden Einkommensverlust und wirkt die BK für diesen ursächlich fort.

Der Hinweis der Beklagten auf die Kommentierung in Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, führt zu keiner anderen Schlussfolgerung. Die Kommentierung befasst sich vielmehr mit der Frage, inwiefern und inwieweit Renten bei der Ermittlung des durch die Unterlassung der beruflichen Tätigkeit eintretenden Minderverdienstes zu berücksichtigen sind.

Da die Beklagte sonach zu Unrecht die Gewährung von Übergangsleistungen über den 8. Dezember 2002 hinaus dem Grunde nach abgelehnt hat, ist ihr Bescheid aufzuheben. Sie wird erneut - und nun unter Ausübung ihres Ermessens - zu prüfen haben, in welchem Umfang dem Kläger unter Berücksichtigung seiner Einkünfte bis 8. Dezember 2005 noch Übergangsleistungen zu gewähren sind.

Demzufolge hat der Senat der Berufung des Klägers stattgegeben. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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