L 11 R 5805/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 390/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5805/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 20. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Dem am 7. Januar 1952 geborene Kläger erhält von der Beklagten seit 1. Dezember 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Rentenbescheid vom 5. Juni 2002). Bei der Berechnung der Rentenhöhe berücksichtigte die Beklagte den herabgesetzten Zugangsfaktor für Zeiten der Inanspruchnahme der Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 63. Lebensjahres und errechnete so einen Zugangsfaktor von 0,964 und damit persönliche Entgeltpunkte von 40,2709 (Seite 1 der Anlage 6 des Rentenbescheides). Wegen der Einzelheiten wird auf den Rentenbescheid (AS 17 ff der Akte des Sozialgerichts) Bezug genommen.

Am 19. Dezember 2006 beantragte der Kläger, den Rentenbescheid im Hinblick auf die berechneten Rentenabschläge zu überprüfen. Er verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 (veröffentlicht in SozR 4-2600 § 77 Nr. 3), wonach Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen.

Nachdem sich der Kläger mit einem Ruhen des Verwaltungsverfahrens nicht einverstanden erklärt hat, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2007 die Rücknahme des Rentenbescheides ab. Zur Begründung führte sie aus, die Rente sei in zutreffender Höhe festgestellt worden. Das Urteil des BSG am 16. Mai 2006 entspreche nicht der Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2008 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 3. Februar 2008 Klage bei dem Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und zur Begründung erneut auf das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 verwiesen. Die vorgenommene Kürzung sei nicht rechtmäßig und seine Rente sei ungekürzt zu bezahlen. Mit einem von Seiten des Gerichts angeregten Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über eine anhängige Verfassungsbeschwerde zur streitigen Problematik hat er sich nicht einverstanden erklärt.

Mit Urteil vom 20. Oktober 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtmäßig und belaste den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Die Beklagte habe die Rücknahme des Rentenbescheids zu Recht abgelehnt. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der bei Erlass des Rentenbescheides geltenden Fassung [nachfolgend: a.F.] sei der Zugangsfaktor für die Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI regele, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend sei, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginne. Durch § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI werde gewährleistet, dass sich ein Zugangsfaktor von mindestens 0,892 (= 1,0 - 36 Kalendermonate nach der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres x 0,003) und damit ein Rentenabschlag von höchstens 10,8 v.H. ergebe. § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI könne weder nach dem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck dahingehend ausgelegt werden, dass darin der früheste Beginn der Vorzeitigkeit festgelegt werde, also ab wann die Minderungsregel anzuwenden sei. Insbesondere sei die Vorschrift nicht so auszulegen, dass der Zugangsfaktor erst für Rentenbezugszeiten ab vollendetem 60. Lebensjahr gemindert werden könne. Im Gegenteil lege die ausdrückliche Bezugnahme auf den Beginn der Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres gerade nahe, dass ein Rentenabschlag nicht erst ab dem 60. Lebensjahr, sondern auch schon früher möglich sei. Auch die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI stehe einer Kürzung des Zugangsfaktors für die Zeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht entgegen. Danach gelte die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dies schließe aber eine Rentenkürzung nicht aus. Vielmehr hänge die Vorschrift eng mit § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI zusammen, wonach für Entgeltpunkte, die bei einer früheren Rentenberechnung berücksichtigt worden seien, der bereits ermittelte Zugangsfaktor zu übernehmen sei. Zugunsten der Versicherten ordne § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI an, dass Renten, die vor dem 60. Lebensjahr bezogen und wieder weggefallen seien, von der Regelung des § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ausgenommen seien. Bei einem Ausschluss von Rentenabschlägen vor Vollendung des 60. Lebensjahres wäre darüber hinaus im Hinblick auf die mit dem Gesetz beabsichtigte Konsolidierung nicht zu rechtfertigen, warum der Gesetzgeber gleichzeitig die Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI) erhöht habe. Der gegenteiligen Ansicht des 4. Senats des BSG im Urteil vom 16. Mai 2006 sei nicht beizustimmen. Der [zu ergänzen: nunmehr zuständige] 13. Senat des BSG habe [zu ergänzen: auf Anfrage des 5. Senats des BSG, B 13 R 9/08 S] am 26. Juni 2008 beschlossen, an der gegenteiligen Rechtsauffassung des 4. Senats nicht mehr festzuhalten. Der 5. Senat des BSG habe daraufhin in mehreren Verfahren am 14. August 2008 entschieden, dass die Rentenabschlagsregelung nicht verfassungswidrig sei (B 5 R 32/07 R; B 5 R 88/07 R; B 5 R 140/07; B 5 R 98/07 R). Der Kläger sei bei Beginn des Rentenbezugs im Dezember 2001 49 Jahre alt gewesen. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI wäre damit grundsätzlich der Beginn des 60. Lebensjahres maßgebend, so dass ein Abschlag von 10,8 % vorzunehmen wäre. Die Regelungen des § 77 Abs. 2 SGB VI werde im Fall des Klägers jedoch durch die Übergangsregelung des § 264c SGB VI a. F. modifiziert. Danach sei bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 60. Lebensjahres die Vollendung des in der Anlage 23 angegebenen Lebensalters maßgebend, da der Beginn der Rente vor dem 1. Januar 2004 liege. Nach der Anlage 23 zum SGB VI sei bei Beginn der Rente im Dezember 2001 die Vollendung des 62. Lebensjahrs für die Bestimmung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit maßgebend. Dementsprechend sei eine Kürzung des Zugangsfaktors für 12 Monate um insgesamt 0,036 auf 0,964 vorzunehmen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 14. November 2008 zugestellte Urteil am 11. Dezember 2008 Berufung eingelegt, die er - trotz Erinnerung - nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 20. Oktober 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2002 und der Folgebescheide eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung des Zugangsfaktors ab dem 1. Dezember 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten sind dazu gehört worden, dass beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Rentenbescheides und Gewährung einer höheren Rente ohne Kürzung des Zugangsfaktors.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Verminderung des Zugangsfaktors in § 77 Abs. 2 Nr. 3, § 264c SGB VI a. F. dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass diese Regelungen im Fall des Klägers anzuwenden sind und zu der von der Beklagten vorgenommenen Verminderung der Rentenhöhe führen. Deswegen ist der Rentenbescheid nicht rechtswidrig und der Kläger kann die Abänderung des Rentenbescheides (insoweit zu ergänzen: nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) und die geltend gemachte Zahlung noch ausstehender Rente nicht verlangen. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Der 5. Senat des BSG hat im Urteil vom 14. August 2008, B 5 R 32/07 (für SozR vorgesehen), auf das das SG hingewiesen hat, auch entschieden, dass § 77 Abs. 2 SGB VI nicht gegen das Grundgesetz (GG) verstößt. Es hat eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 14 Abs 1 GG (Eigentumsgarantie) verneint, da § 77 Abs. 2 SGB VI eine zulässige, da verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung darstelle. Die Regelung genüge auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Sie verstoße schließlich auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, sondern sei eine sachgerechte Differenzierung im Verhältnis zu Rentnern vor der Neuregelung. Der Senat sieht das nicht anders.

Die Rechtsfrage, ob § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI der Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI entgegensteht, ist durch die vom SG genannten Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 14. August 2008 geklärt. Dieser Rechtsprechung haben sich auch der 2. Senat (Urteil vom 26. November 2008, L 2 R 2503/08), der 9. Senat (Urteil vom 17. Februar 2009, L 9 R 3441/07) und der 4. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 6. März 2009, L 4 R 3178/07) angeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, nachdem der 4. Senat beim BSG nicht mehr für Angelegenheiten der Rentenversicherung zuständig ist und die nunmehr zuständigen Senate (5 und 13) übereinstimmend eine Absenkung des Zugangsfaktors vor dem 60. Lebensjahres des Versicherten für zulässig halten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass gegen das Urteil des BSG vom 14. August 2008, B 5 R 140/07 R, inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist (1 BvR 3588/08).
Rechtskraft
Aus
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