L 11 R 2534/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 3558/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2534/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25. April 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des Klägers in der DDR als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Dem 1940 geborenen Kläger wurde in der DDR im Juli 1973 das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung "Betriebsingenieur" zu führen. Ab 1. September 1954 war er beim V. K. E. zunächst als Stahlbauschlosserlehrling, Montageschlosser, Kundendienstmonteur und ab 9. Juli 1973 Kundendienstingenieur beschäftigt. Mit notariell beurkundeter Umwandlungserklärung vom 1. Juni 1990 (Bl. 84 ff. der Senatsakte) wandelten der V. K. E. und die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) auf der Grundlage der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 1. März 1990 (GBl. I. Nr. 14) den V. K. E. in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) um und errichteten unter der Firma "K. E. GmbH" eine GmbH. Die Eintragung der GmbH in das Handelsregister erfolgte nach dem 30. Juni 1990. Die Beschäftigung des Klägers bei der GmbH endete zum 31. Mai 1991. In ein Versorgungssystem der DDR war er nicht einbezogen worden.

In der Umwandlungserklärung vom 1. Juni 1990 wurde u.a. Folgendes geregelt:

"2. Zur Durchführung der Umwandlung wird mit Stichtag vom 1. Mai 1990 das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des Betriebes auf die "K. E. GmbH" unter Zugrundelegung der Bilanz zum 30. April 1990 übertragen. Die Geschäftsanteile der "K. E. GmbH" werden zu 100% von der T. S. AG gehalten.

3. Die Treuhandanstalt übernimmt die Rechtsträgerschaft an dem Grund und Boden, der sich gegenwärtig laut beigefügter Liste in Rechtsträgerschaft des V. K. E. befindet. Die Treuhandanstalt übergibt die Nutzungsrechte an die "K. E. GmbH."

Den Antrag des Klägers vom April 2004, seine Beschäftigungszeiten vom 9. Juli 1973 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festzustellen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 ab mit der Begründung, am 30. Juni 1990 sei der Kläger zwar berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen, er habe jedoch am 30. Juni 1990 keine ingenieurtechnische Beschäftigung im Sinne der Versorgungsordnung, sondern eine Beschäftigung als Kundendienstingenieur ausgeübt. Er sei somit nicht in den unmittelbaren Produktionsprozess eingegliedert gewesen bzw. habe trotz seiner technischen Qualifikation nicht aktiv den Produktionsprozess beeinflussen können.

Auf seine am 5. Dezember 2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht Mannheim (SG) nach einer am 20. April 2006 im Rahmen eines Erörterungstermins erfolgten Anhörung des Klägers mit Urteil vom 25. April 2006 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 9. Juli 1973 bis zum 30. Juni 1990 als Pflichtbeitragszeiten nach den Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) zu Gunsten des Klägers anzuerkennen; auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 16. Mai 2006 Berufung eingelegt. Sie hat sich zunächst auf ihre im Widerspruchsbescheid vertretene Auffassung gestützt und später unter Vorlage der Privatisierungsunterlagen (Umwandlungserklärung, Gründungsbericht, Gesellschaftsvertrag) des V. K. E. (Bl. 84/103 der Senatsakte ) vorgetragen, für den V. K. E. hätten am 30. Juni 1990 die betrieblichen Voraussetzungen im Sinne eines volkseigenen Betriebes nicht mehr vorgelegen. Durch die Gründung einer Kapitalgesellschaft seien die Betriebsmittel (Fonds) auf die Nachfolgegesellschaft übergegangen. Daher sei davon auszugehen, dass von diesem Zeitpunkt an der V. zwar noch als Rechtssubjekt bestanden, aber seine Produktionsaufgaben nicht mehr erfüllt habe. Er sei vermögenslos gewesen und könne daher nur als "leere Hülle" betrachtet werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Auch habe der V. K. E. noch am 30. Juni 1990 Produktionsaufgaben ausgeübt. Er habe nach der Umwandlung der Firma weitergearbeitet, es habe sich um denselben Betrieb gehandelt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, Beschäftigungszeiten des Klägers als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festzustellen.

In dem Verfahren nach § 8 des AAÜG, das einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 1996 – 4 RA 7/95 -), ist die Beklagte zu den vom Kläger begehrten Feststellungen verpflichtet, wenn der Kläger dem Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem weiteren Schritt festzustellen, ob der Kläger Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem Zusatzversorgungssystem zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG). Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Kläger fällt schon nicht unter den Anwendungsbereich des AAÜG. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Bei Personen, die - wie der Kläger - am 30. Juni 1990 nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren und auch nicht nachfolgend aufgrund originären Bundesrechts einbezogen wurden, ist in verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (BSG, Urteile vom 09. April 2002, B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und vom 10. April 2002, B 4 RA 34/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr. 3). Im Bereich der AVItech hängt die Zuordnung gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (2. DB zur VO-AVItech) vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487) nach der ständigen Rechtsprechung des BSG von folgenden drei Voraussetzungen ab:

1. von der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. von der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) 3. von der Ausübung einer solchen Tätigkeit in einem volkseigenen Betrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB zur VO-AVItech) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB zur VO-AVItech gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Die persönliche und sachliche Voraussetzung sind beim Kläger erfüllt. Insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des SG an und sieht hierzu von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Vorliegend fehlt es jedoch an der betrieblichen Voraussetzung. Zwar war der V. K. E. am Stichtag noch nicht erloschen, denn ein nach der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (UmwVO) vom 1. März 1990 (GBl. DDR I, S. 107) umgewandelter VEB erlosch gemäß § 7 Satz 3 UmwVO erst mit Eintragung der GmbH in das Register. Gemäß § 23 des Treuhandgesetzes (TreuhG) vom 17. Juni 1990 (GBl. DDR I, S. 300) i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 1 TreuhG war der VEB jedoch bereits kraft Gesetzes (§ 11 Abs. 1 TreuhG) vom 1. Juli 1990 an eine GmbH. Bis zu diesem Zeitpunkt, also bis zum Stichtag 30. Juni 1990, bestand ein Nebeneinander von VEB und Kapital-Vorgesellschaft in Gestalt einer GmbH in Gründung (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 4/04 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 4 m.w.N.). Der am Stichtag rechtlich noch existente V. K. E. war aber am 30. Juni 1990 kein Produktionsbetrieb mehr. Mit der notariellen Umwandlungserklärung vom 1. Juni 1990 wurde nämlich das gesamte Vermögen des volkseigenen Betriebs und damit auch die Produktionsmittel zum Stichtag 1. Mai 1990 aus der bisherigen Fondsinhaberschaft auf die mit Gesellschaftervertrag vom selben Tag gegründete K. E. GmbH übertragen. Die Rechtsträgerschaft an Grund und Boden ging zu diesem Zeitpunkt auf die Treuhandanstalt über. Der V. K. E. verfügte somit am Stichtag gar nicht mehr über die Betriebsmittel, um Produktionsaufgaben welcher Art auch immer zu erfüllen. Er war vermögenslos und existierte nur noch als Rechtssubjekt ohne Produktionsaufgaben und ohne wirtschaftliche Tätigkeit. Diese wurde bereits von der am 1. Juni 1990 entstandenen und bis zu ihrer Eintragung in das Handelsregister teilrechtsfähigen und nach außen unbeschränkt handlungsfähigen Vorgesellschaft wahrgenommen (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004, a.a.O.). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die GmbH vor oder nach dem 30. Juni 1990 in das Handelsregister eingetragen wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Mai 2007, L 21 RA 167/04, zitiert nach juris). Nach dem Willen der die Umwandlung Erklärenden war der V. am 30. Juni 1990 praktisch nur noch eine "leere Hülle", in welcher niemand mehr tatsächlich beschäftigt sein konnte (zum Ganzen ausführlich und mit weiteren zahlreichen Nachweisen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. März 2009, L 4 R 1819/05, zitiert nach juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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