Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2296/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1428/09 PKH-B
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Konstanz (SG).
In der Hauptsache wendet sich die Klägerin gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 30. Juni 2008 und eine damit verbundene Erstattungsforderung von 2.977,60 EUR. Gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2008 hat sie am 1. August 2008 Klage zum SG erhoben und für dieses Verfahren die Bewilligung von PKH unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt.
Mit Beschluss vom 12. Februar 2009 hat das SG den Antrag auf Gewährung von PKH unter Hinweis auf fehlende Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die Bewilligungen von Arbeitslosengeld II seien teilweise rechtswidrig, weil Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 8,25 EUR täglich anspruchsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen gewesen sei. Auch die subjektiven Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungen lägen jedenfalls in Form von mindestens grob fahrlässigen Falschangaben vor, so dass kein Vertrauensschutz bestehen dürfte. Die Klägerin habe bei der Antragstellung nur die damalige Bewilligungshöhe von 4,13 EUR täglich angegeben und in den Folgeanträgen Änderungen verneint. Sie wäre jedoch verpflichtet gewesen, die Erhöhung des Alg mitzuteilen. Nachdem die Klägerin die Richtigkeit der Angaben unterschriftlich bestätigt habe und auf die Erforderlichkeit der Mitteilung von Änderungen in den Einkommensverhältnissen hingewiesen worden sei, dürfte grobe Fahrlässigkeit zu bejahen sein. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der bewilligende Verwaltungsakt aufgehoben werde.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 17. März 2009 eingelegten Beschwerde. Sie habe am 23. Dezember 2005 ein persönliches Gespräche mit Herrn L. von der Beklagten geführt. Zu dem Zeitpunkt habe ihr noch kein Bescheid über Alg I vorgelegen. Im Antragsformular habe daher keine Angabe zur Höhe gemacht werden können. Es sei davon auszugehen, dass vom Sachbearbeiter die Daten der Bewilligung gemäß Bescheid vom 29. Dezember 2009 übernommen worden seien. Jedenfalls habe die Klägerin dies nicht vorgenommen. Der Sachbearbeiter habe offensichtlich übersehen, dass der tägliche Leistungsbetrag lediglich vom 14. Dezember 2005 an 4,13 EUR täglich betragen und sich ab 21. Januar 2006 auf 8,25 EUR täglich erhöht habe. Auch die Angabe im Folgeantrag "keine Änderung" stamme nicht von der Klägerin. Die Beklagte habe sowohl die Bescheide über Arbeitslosengeld II wie auch I erlassen; es müsse angenommen werden, dass den jeweiligen Sachbearbeitern die Zahlen der jeweils anderen Stelle bekannt seien. Die Klägerin habe weder die Berechnung des Arbeitslosengeld I noch II verstanden, sie habe auf die Richtigkeit des Bescheids vertraut. Sie habe nicht erkennen können, dass die Berechnung nicht richtig sei. Ihr Vertrauen sei daher schutzwürdig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), sie ist auch statthaft (§ 172 Abs. 1 und 3 SGG). Die zulässige Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 2102, 2103; Bundesgerichtshof NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 1998 - VI G 120/98 - (juris)). Hiervon ist etwa auszugehen, wenn eine ungeklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird (Vgl. BVerfGE 81, 347) oder eine weitere Sachaufklärung ernsthaft in Betracht kommt (vgl. hierzu BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2003, 2976, 2977).
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze hat das SG hier zu Recht das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten verneint. Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist § 45 SGB X in der Modifikation durch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). § 45 SGB X ist - in Abgrenzung zu § 48 SGB X - dann anzuwenden, wenn der ursprüngliche Bewilligungsbescheid bereits zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe rechtswidrig war (vgl. Bundessozialgericht (BSG) BSGE 74, 20, 23 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 32; BSG, Urteil vom 14. März 1996 - 7 RAr 84/94 - (juris)). Dies war bei den Bewilligungsbescheiden für die streitige Zeit vom 1. Juni 2006 bis 30. Juni 2008 der Fall, da bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung mit Bescheid vom 12. Januar 2006 Arbeitslosengeld für Juni 2006 bereits in Höhe von 8,25 EUR täglich bewilligt war.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m.§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigender Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Abs. 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Weiter kann sich der Begünstigte auf Vertrauensschutz nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bösgläubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheides (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82 und Nr. 39 S. 127; Wiesner in von Wulffen u.a. SGB X, 5. Aufl., § 45 Rdnr. 23).
Die Voraussetzungen für eine teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1. Juni 2006 sind gegeben. § 330 Abs. 2 SGB III schreibt die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zwingend vor (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 13; SozR 3-4100 § 152 Nr. 8), sodass weder Raum für eine gesonderte Vertrauensschutzprüfung noch eine Ermessensentscheidung verbleibt.
Die Klägerin hatte, wie das SG zutreffend erkannt hat, im streitigen Zeitraum nur einen geringeren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da sie nicht in dem von der Beklagten zugrunde gelegten Ausmaß hilfebedürftig war. Die Beklagte hat statt des tatsächlich bezogenen Alg in Höhe von 8,25 EUR täglich lediglich 4,13 EUR täglich als Einkommen angerechnet. Hinsichtlich der Änderung der Hilfebedürftigkeit hierdurch wird auf die Änderungsbescheide vom 23. Juni 2008 Bezug genommen.
Die Bewilligungsbescheide waren daher insoweit rechtswidrig. Die Klägerin kann sich auch nicht auf Grundsätze des Vertrauensschutzes berufen. Die Bewilligungen beruhen insoweit auf Angaben, die die Klägerin als Begünstigte grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, indem sie auf die Änderung der Höhe des Alg nach Ablauf der Minderungszeit nach § 140 SGB III a.F. nicht hingewiesen hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist. Es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 43, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10 S. 33). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere an der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 54, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2). Missachtet der Begünstigte die klaren und eindeutigen Hinweise im Bescheid oder in einem Merkblatt und konnte er dies nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand erkennen, begründet dies im Regelfall, wenn nicht gar Kenntnis, so zumindest grobe Fahrlässigkeit (vgl. BSGE 44, 264, 273; BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - (juris); BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Zwar trifft zu, dass nicht die Klägerin die Angaben zur Höhe des Alg im Erstantrag persönlich in das Formular eingetragen hat, was an Verwendung des Grünstiftes durch die Sachbearbeitung für Ergänzungen kenntlich ist. Derartige Ergänzungen erfolgen üblicherweise im Rahmen einer persönlichen Vorsprache, bei der Lücken in den Antragsformularen geklärt und ergänzt werden, so dass die Klägerin mit ihrer Unterschrift auch die Richtigkeit der vorgenommenen Ergänzungen bestätigt hat. Insoweit lag auch der Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit H., Geschäftsstelle M. vom 25. November 2009 (Bl. 9 Verwaltungsakte) bereits vor, aus welchem sich der Zahlbetrag von 4,13 EUR täglich ab 1. Dezember 2005 ergibt. Aus diesem Bescheid war nicht zu erkennen, ab wann der Leistungssatz von 8,25 EUR wieder ohne Anrechnungsbetrag voll ausgezahlt würde, den entsprechenden Bescheid über die Minderung nach § 140 SGB III oder einen Änderungsbescheid hat die Klägerin auch nicht vorgelegt. Insoweit ist ihr grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, denn aufgrund der Hinweise in Merkblättern musste ihre bekannt sein, dass sie sämtliche Änderungen vollständig angeben muss.
Darüber hinaus war sie zumindest grob fahrlässig im Hinblick auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Selbst wenn die Klägerin die Berechnung der Leistungshöhe des Alg II möglicherweise nicht verstanden hat und auch die Bescheide möglicherweise hinsichtlich der Einkommensanrechnung nicht nachvollziehen konnte, musste sich ihr, die als kaufmännische Angestellte zumindest über grundlegende wirtschaftliche Kenntnisse verfügt, aufdrängen, dass die Höhe der bekanntermaßen einkommensabhängigen Leistung Alg II nicht unverändert bleiben kann, wenn sich das Einkommen verdoppelt.
§ 330 Abs. 2 SGB III schreibt unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts im Umfang seiner Rechtswidrigkeit zwingend vor. Auf ein mögliches Mitverschulden der Beklagten an der entstandenen Überzahlung kann es daher nicht ankommen. Die in § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X genannten Fristen sind eingehalten.
Die Pflicht zur Erstattung der gezahlten Leistungen folgt aus § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X. Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung der Erstattungssumme sind nicht ersichtlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Konstanz (SG).
In der Hauptsache wendet sich die Klägerin gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 30. Juni 2008 und eine damit verbundene Erstattungsforderung von 2.977,60 EUR. Gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2008 hat sie am 1. August 2008 Klage zum SG erhoben und für dieses Verfahren die Bewilligung von PKH unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt.
Mit Beschluss vom 12. Februar 2009 hat das SG den Antrag auf Gewährung von PKH unter Hinweis auf fehlende Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die Bewilligungen von Arbeitslosengeld II seien teilweise rechtswidrig, weil Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 8,25 EUR täglich anspruchsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen gewesen sei. Auch die subjektiven Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungen lägen jedenfalls in Form von mindestens grob fahrlässigen Falschangaben vor, so dass kein Vertrauensschutz bestehen dürfte. Die Klägerin habe bei der Antragstellung nur die damalige Bewilligungshöhe von 4,13 EUR täglich angegeben und in den Folgeanträgen Änderungen verneint. Sie wäre jedoch verpflichtet gewesen, die Erhöhung des Alg mitzuteilen. Nachdem die Klägerin die Richtigkeit der Angaben unterschriftlich bestätigt habe und auf die Erforderlichkeit der Mitteilung von Änderungen in den Einkommensverhältnissen hingewiesen worden sei, dürfte grobe Fahrlässigkeit zu bejahen sein. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der bewilligende Verwaltungsakt aufgehoben werde.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 17. März 2009 eingelegten Beschwerde. Sie habe am 23. Dezember 2005 ein persönliches Gespräche mit Herrn L. von der Beklagten geführt. Zu dem Zeitpunkt habe ihr noch kein Bescheid über Alg I vorgelegen. Im Antragsformular habe daher keine Angabe zur Höhe gemacht werden können. Es sei davon auszugehen, dass vom Sachbearbeiter die Daten der Bewilligung gemäß Bescheid vom 29. Dezember 2009 übernommen worden seien. Jedenfalls habe die Klägerin dies nicht vorgenommen. Der Sachbearbeiter habe offensichtlich übersehen, dass der tägliche Leistungsbetrag lediglich vom 14. Dezember 2005 an 4,13 EUR täglich betragen und sich ab 21. Januar 2006 auf 8,25 EUR täglich erhöht habe. Auch die Angabe im Folgeantrag "keine Änderung" stamme nicht von der Klägerin. Die Beklagte habe sowohl die Bescheide über Arbeitslosengeld II wie auch I erlassen; es müsse angenommen werden, dass den jeweiligen Sachbearbeitern die Zahlen der jeweils anderen Stelle bekannt seien. Die Klägerin habe weder die Berechnung des Arbeitslosengeld I noch II verstanden, sie habe auf die Richtigkeit des Bescheids vertraut. Sie habe nicht erkennen können, dass die Berechnung nicht richtig sei. Ihr Vertrauen sei daher schutzwürdig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), sie ist auch statthaft (§ 172 Abs. 1 und 3 SGG). Die zulässige Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 2102, 2103; Bundesgerichtshof NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 1998 - VI G 120/98 - (juris)). Hiervon ist etwa auszugehen, wenn eine ungeklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird (Vgl. BVerfGE 81, 347) oder eine weitere Sachaufklärung ernsthaft in Betracht kommt (vgl. hierzu BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2003, 2976, 2977).
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze hat das SG hier zu Recht das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten verneint. Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist § 45 SGB X in der Modifikation durch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). § 45 SGB X ist - in Abgrenzung zu § 48 SGB X - dann anzuwenden, wenn der ursprüngliche Bewilligungsbescheid bereits zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe rechtswidrig war (vgl. Bundessozialgericht (BSG) BSGE 74, 20, 23 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 32; BSG, Urteil vom 14. März 1996 - 7 RAr 84/94 - (juris)). Dies war bei den Bewilligungsbescheiden für die streitige Zeit vom 1. Juni 2006 bis 30. Juni 2008 der Fall, da bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung mit Bescheid vom 12. Januar 2006 Arbeitslosengeld für Juni 2006 bereits in Höhe von 8,25 EUR täglich bewilligt war.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m.§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigender Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Abs. 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Weiter kann sich der Begünstigte auf Vertrauensschutz nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bösgläubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheides (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82 und Nr. 39 S. 127; Wiesner in von Wulffen u.a. SGB X, 5. Aufl., § 45 Rdnr. 23).
Die Voraussetzungen für eine teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1. Juni 2006 sind gegeben. § 330 Abs. 2 SGB III schreibt die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zwingend vor (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 13; SozR 3-4100 § 152 Nr. 8), sodass weder Raum für eine gesonderte Vertrauensschutzprüfung noch eine Ermessensentscheidung verbleibt.
Die Klägerin hatte, wie das SG zutreffend erkannt hat, im streitigen Zeitraum nur einen geringeren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da sie nicht in dem von der Beklagten zugrunde gelegten Ausmaß hilfebedürftig war. Die Beklagte hat statt des tatsächlich bezogenen Alg in Höhe von 8,25 EUR täglich lediglich 4,13 EUR täglich als Einkommen angerechnet. Hinsichtlich der Änderung der Hilfebedürftigkeit hierdurch wird auf die Änderungsbescheide vom 23. Juni 2008 Bezug genommen.
Die Bewilligungsbescheide waren daher insoweit rechtswidrig. Die Klägerin kann sich auch nicht auf Grundsätze des Vertrauensschutzes berufen. Die Bewilligungen beruhen insoweit auf Angaben, die die Klägerin als Begünstigte grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat, indem sie auf die Änderung der Höhe des Alg nach Ablauf der Minderungszeit nach § 140 SGB III a.F. nicht hingewiesen hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist. Es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 43, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10 S. 33). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere an der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 54, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2). Missachtet der Begünstigte die klaren und eindeutigen Hinweise im Bescheid oder in einem Merkblatt und konnte er dies nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand erkennen, begründet dies im Regelfall, wenn nicht gar Kenntnis, so zumindest grobe Fahrlässigkeit (vgl. BSGE 44, 264, 273; BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - (juris); BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Zwar trifft zu, dass nicht die Klägerin die Angaben zur Höhe des Alg im Erstantrag persönlich in das Formular eingetragen hat, was an Verwendung des Grünstiftes durch die Sachbearbeitung für Ergänzungen kenntlich ist. Derartige Ergänzungen erfolgen üblicherweise im Rahmen einer persönlichen Vorsprache, bei der Lücken in den Antragsformularen geklärt und ergänzt werden, so dass die Klägerin mit ihrer Unterschrift auch die Richtigkeit der vorgenommenen Ergänzungen bestätigt hat. Insoweit lag auch der Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit H., Geschäftsstelle M. vom 25. November 2009 (Bl. 9 Verwaltungsakte) bereits vor, aus welchem sich der Zahlbetrag von 4,13 EUR täglich ab 1. Dezember 2005 ergibt. Aus diesem Bescheid war nicht zu erkennen, ab wann der Leistungssatz von 8,25 EUR wieder ohne Anrechnungsbetrag voll ausgezahlt würde, den entsprechenden Bescheid über die Minderung nach § 140 SGB III oder einen Änderungsbescheid hat die Klägerin auch nicht vorgelegt. Insoweit ist ihr grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, denn aufgrund der Hinweise in Merkblättern musste ihre bekannt sein, dass sie sämtliche Änderungen vollständig angeben muss.
Darüber hinaus war sie zumindest grob fahrlässig im Hinblick auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Selbst wenn die Klägerin die Berechnung der Leistungshöhe des Alg II möglicherweise nicht verstanden hat und auch die Bescheide möglicherweise hinsichtlich der Einkommensanrechnung nicht nachvollziehen konnte, musste sich ihr, die als kaufmännische Angestellte zumindest über grundlegende wirtschaftliche Kenntnisse verfügt, aufdrängen, dass die Höhe der bekanntermaßen einkommensabhängigen Leistung Alg II nicht unverändert bleiben kann, wenn sich das Einkommen verdoppelt.
§ 330 Abs. 2 SGB III schreibt unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts im Umfang seiner Rechtswidrigkeit zwingend vor. Auf ein mögliches Mitverschulden der Beklagten an der entstandenen Überzahlung kann es daher nicht ankommen. Die in § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X genannten Fristen sind eingehalten.
Die Pflicht zur Erstattung der gezahlten Leistungen folgt aus § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X. Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung der Erstattungssumme sind nicht ersichtlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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