L 6 SB 3768/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3679/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3768/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen sind.

Bei dem 1937 geborenen Kläger stellte das Landratsamt H. (LRA) den Grad der Behinderung (GdB) zuletzt mit Bescheid vom 13. Juni 2007 mit 100 seit 27. März 2007 fest. Festgestellt wurde gleichzeitig das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG". Die Merkzeichen "G" und "B" blieben festgestellt. Grundlage der Bewertung des GdB war die versorgungsärztliche (v.ä.) Stellungnahme des Dr. Z. vom 8. Juni 2007, nach der die nachfolgenden Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt wurden:

Organisches Nervenleiden, Gebrauchseinschränkung beider Beine, Gebrauchseinschränkung beider Arme Teil-GdB 100 Schwindel, Hirndurchblutungsstörungen Teil-GdB 30 Schwerhörigkeit Teil-GdB 20 Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizer- scheinungen, verheilter Wirbelbruch, Beinverkürzung Teil-GdB 20 Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Teillähmung des rechten Armnervengeflechts Teil-GdB 20 Funktionsbehinderung des rechten Sprunggelenks Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks Teil-GdB 10 Fettstoffwechselstörung Teil-GdB 10.

Am 26. Juli 2007 beantragte der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Anspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF". Diesen Antrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 27. Juli 2007 mit der Begründung ab, die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen bedingten zwar einen GdB von wenigstens 80, jedoch sei er wegen seines Leidens nicht allgemein von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Eine entsprechende Teilnahme sei ihm möglich und zumutbar. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, ihm stehe das geltend gemachte Merkzeichen zu, da er zur Teilnahme an irgendwie gearteten Veranstaltungen nicht mehr in der Lage sei. Dies werde durch das letzte Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bestätigt. Das LRA zog von der Kaufmännischen Krankenkasse daraufhin das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Elften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) vom 6. August 2007 bei. In seiner v.ä. Stellungnahme vom 7. September 2007 führte Dr. Z. sodann aus, nach den Ausführungen in dem beigezogenen Gutachten bestehe keine dauernde Bettlägerigkeit; auch werde kein störendes Verhalten des Klägers beschrieben. Dieser könne in Begleitung und mit Rollstuhl daher weiter an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 8. Oktober 2007 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage und machte geltend, ihm sei insbesondere auch wegen der bisL. nicht ausreichend berücksichtigten Schwindelerscheinungen eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr möglich. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Er legte die Stellungnahme des Dr. G. vom 6. Mai 2008 vor. Das SG hörte den Neurologen und Psychiater Dr. L. unter dem 10. Dezember 2007 und den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. unter dem 14. Dezember 2007 schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. L. beschrieb eine Encephalomyelitis disseminata und eine vaskuläre Encephalopathie, eine Armplexusschädigung rechts mit Schultergelenksveränderungen und Schmerzen sowie eine Rotatorenmanschettenverletzung rechts. Vor diesem Hintergrund bestehe eine spastische Paraparese rechtsbetont, eine sensible Halbseitenstörung rechts und als Folge der Armplexusschädigung eine Beeinträchtigung der Grob- und Feinmotorik des rechten Armes mit zusätzlicher peripherer Einschränkung. An öffentlichen Veranstaltungen könne der Kläger in Begleitung und mit Gehhilfe teilnehmen. Auch Dr. S. hielt die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen in Begleitung und mit Gehhilfe bzw. Rollstuhl prinzipiell für möglich. Mit Urteil vom 30. Juni 2008 wies das SG die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, mit einer Begleitperson und technischen Hilfsmitteln sei der Kläger weiterhin in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 30. Juli 2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen. Am 6. August 2008 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt, seinen Krankheitsverlauf dargelegt, die behandelnden Ärzte benannt und sich gegen die einschlägige höchstrichterliche Rechtssprechung gewandt, die bedenklich sei. Seines Erachtens müssten die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" auch dann als erfüllt angesehen werden, wenn der Behinderte zwar theoretisch noch an der einen oder anderen öffentlichen Veranstaltung teilnehmen könne, ihm dies aber objektiv nicht mehr zumutbar sei, was insbesondere bei älteren multimorbiden Behinderten der Fall sei. Zu dieser Personengruppe gehöre auch er. Das SG habe sich im Übrigen nicht ausreichend mit seinen Schwindelerscheinungen und der daraus resultierenden Sturzneigung auseinandergesetzt, die allein in der Zeit vom 6. bis 24. August 2008 zu vier Stürzen geführt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Juni 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2007 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" ab 27. Juli 2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Die Beteiligten wurden darauf hingewiesen, dass der Senat erwäge, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen. II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 27. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleichs "RF". Denn die entsprechenden gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt er nicht.

Das Merkzeichen "RF" ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) zuzuerkennen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Diese ergeben sich seit 01.04.2005 aus Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15.10.2004 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. 2005, S. 189, 195), in Kraft getreten am 01.04.2005 (GBl. 2005, S. 404), zuletzt geändert durch Art. 5 Nr. 1 des Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 19.12.2007 in der Fassung des Gesetzes vom 23.07.2008 (GBl. 2008, S. 237, 249), in Kraft getreten am 01.09.2008 (GBl. 2008, S. 312). Danach werden wegen einer Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht befreit u.a Sonderfürsorgeberechtigte im Sinne des § 27 e des Bundesversorgungsgesetzes, blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Personen mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung, hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, oder behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Beim Kläger ist zwar rechtsverbindlich ein Behinderungsgrad von 80 festgestellt; er ist jedoch nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 -, zitiert nach Juris; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, zitiert nach Juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der schwerbehinderte Mensch wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2003 - L 10 SB 113/02 -, zitiert nach Juris). Das BSG hält es zunehmend für zweifelhaft, ob durch den Nachteilsausgleich "RF" tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird und ob es sozial geboten erscheint, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung von Funk und Fernsehen zu finanzieren. Diese Frage - so das BSG - bedürfe keiner abschließenden Klärung, verdeutliche aber, dass an einer engen Auslegung für das Merkzeichen "RF" festgehalten werde (BSG, Urteil vom 10.08.1993, a.a.O.).

Dieser Auslegung des BSG hat sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen. Gründe, von dieser Auslegung nunmehr abzuweichen, sieht der Senat auch im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers nicht.

Für den Senat sind auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die es rechtfertigen würden, davon auszugehen, dass der Kläger bedingt durch seine schweren Funktionsbeeinträchtigungen ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird. Auch die vom Kläger im Berufungsverfahren in den Vordergrund gerückten Schwindelerscheinungen stehen einer solchen Teilnahme mit Hilfe einer Begleitperson und unter Inanspruchnahme eines Rollstuhls nicht entgegen.

Die Berufung des Klägers konnte demnach keinen Erfolg haben und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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