L 2 SO 3256/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2670/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 3256/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Juni 2009 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) in Höhe von 169,80 EUR monatlich für die Zeit vom 26. Mai 2009 bis zum 30. Juni 2009 und für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis 30. November 2009 monatlich 176,80 EUR, längstens jedoch bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung des Antragsgegners über den Leistungsantrag darlehensweise zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat teilweise Erfolg.

Die unter Beachtung des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde - der Fristablauf fiel auf einen Sonntag, so dass die Beschwerde am Montag rechtzeitig beim Landessozialgericht einging - ist zulässig und teilweise begründet. Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat den Antragsgegner zu Unrecht im Rahmen der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) in Höhe von 359,50 EUR bzw. 366,50 EUR im Rahmen der zeitlichen Begrenzung als Zuschuss zu gewähren.

Gegenstand der Beschwerde ist der Bescheid vom 1.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.6.2009 mit dem der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter über den 30.6.2009 hinaus für den Antragsteller wegen fehlender Mitwirkung beim Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse seiner Ehefrau ab 1.6.2008 und damit nicht feststellbarer Bedürftigkeit gem. § 66 SGB I versagt hat.

Der Senat teilt die Rechtsauffassung des SG, wonach sich der einstweilige Rechtsschutz für das Begehren des Antragstellers nach § 86b Abs. 2 SGG richtet und der Antrag auf einstweilige Anordnung statthaft ist, weil bei - rechtswidriger - Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I effektiver Rechtsschutz nur durch die einstweilige Anordnung und nicht durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen den Versagungsbescheid erreicht werden kann (vgl. Binder in Hk-SGG, 3. Aufl. 2009, § 86b Rnr. 33 m.w.Nw.). Darüber hinaus teilt der Senat die Rechtsauffassung des SG hinsichtlich der vermutlichen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 1.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.6.2009. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die betreffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung im Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnen des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage summarisch zu prüfen; an den Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs sind umso niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Zwar soll eine Entscheidung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich nicht die Hauptsache vorwegnehmen (vgl. Keller in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 86 b Rdnr. 31 m.w.N). Von diesem Grundsatz ist jedoch dann abzuweichen, wenn die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) dies erfordert, z.B. bei Leistungen nach dem SGB II etwa dann, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 18. November 2008 - L 2 AS 4704/08 ER-B -). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt dann vor, wenn die angeordnete Maßnahme nachträglich nicht mehr mit Wirkung für die Vergangenheit korrigierbar ist (vgl. Keller, a.a.O., § 86 b Rdnr. 31). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Grundsicherung im Alter ist auf Antrag älteren Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland zu gewähren, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 beschaffen können (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Gem. § 43 Abs. 1 SGB XII sind Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach diesem Buch übersteigen, nach den §§ 19 und 20 Satz 1 zu berücksichtigen. § 36 Satz 1 ist nicht anzuwenden. Die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 Satz 2 SGB XII hat der am 2.2.1937 geborene Antragsteller überschritten.

Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag der Senat nach summarischer Prüfung beim gegenwärtigen Sachstand nicht zu beurteilen, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch hat und trifft seine Entscheidung auf Grund einer Folgenabwägung. Das SG hat zur Begründung von Hilfebedürftigkeit die Angaben des Antragstellers als wahr unterstellt und dementsprechend als glaubhaft angesehen. Der Senat hat allerdings Zweifel, dass der Antragsteller tatsächlich entsprechend seinem Vorbringen bedürftig ist und lediglich über Einkommen in Höhe von 143,77 EUR durch seine Altersrente verfügt. Anlass hierfür bietet im Gesamtzusammenhang zunächst der Umstand, dass der Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach Ehen mit Frauen aus Dritteweltländern geschlossen hat, deren Alter im auffälligen Missverhältnis zu seinem Lebensalter steht. So ist seine jetzige Ehefrau E. E. T., die er in Äthiopien geheiratet hat, am 21.11.1975 geboren und damit 38 Jahre jünger als der Antragsteller. Seine vorherige Ehefrau M. T. W., ebenfalls aus Äthiopien stammend, war am 18.7.1981 geboren und damit 44 Jahre jünger als der Antragsteller. Seine jetzige Ehefrau hat der Antragsteller unmittelbar nach der Scheidung von der vorherigen Ehefrau in Äthiopien geheiratet. Zumindest mit seiner jetzigen Ehefrau will der Antragsteller einen Ehevertrag geschlossen haben, der die völlige finanzielle Unabhängigkeit der Eheleute während der Ehe und nach einer möglichen Scheidung vorsieht. Es besteht die nicht fern liegende Möglichkeit, dass der Antragsteller den Frauen über die Ehe lediglich zu einem Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland verhilft, was in der Regel gegen Entgelt geschieht. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren war bereits früher während des Bezugs von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz - allerdings ohne Ergebnis - gegen den Antragsteller anhängig (Bl. 65 VA). Der Antragsteller hat dem Antragsgegner am 12.12.2003 (Bl. 81 VA) - während des Leistungsbezugs nach dem Grundsicherungsgesetz - mitgeteilt, dass er nun über kein eigenes Konto mehr verfüge und das Konto seines Sohnes angegeben, auf das in der Folgezeit die Leistungen der Grundsicherung im Alter geflossen sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Auflösung des Kontos aus einer Notlage heraus erfolgt ist, sind nicht ersichtlich, nachdem der Antragsteller seit 1.4.2003 über regelmäßige Renteneinnahmen verfügt. Seitdem ist er von der Vorlage von Kontoauszügen zum Nachweis seiner Bedürftigkeit entbunden und es liegen hierzu nur seine eigenen unüberprüften Angaben vor. Der Antragsteller selbst benennt als Grund für die strikte finanzielle Trennung die Notwendigkeit der Versorgung der Familie der Ehefrau in Äthiopien durch ihre Arbeit in Deutschland, was im Gesamtzusammenhang Rückschlüsse auf einen ausschließlich wirtschaftlichen Hintergrund für den Aufenthalt in Deutschland zulässt (Schreiben vom 11.6.2009, Bl. 19 SG-Akte S 9 SO 2670/09 ER). Danach besteht die Möglichkeit, dass der Antragsteller über eine weitere Einnahmequelle verfügt. Andererseits hat der Antragsgegner in Kenntnis dieser Sachlage in der Vergangenheit die Angaben des Antragstellers nicht näher überprüft, Aufklärung nicht betrieben und Grundsicherung gewährt. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers bedürfen zur Bestätigung oder Ausräumung der Zweifel einer genaueren Überprüfung, die den Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sprengen.

Hilfebedürftigkeit beim Antragsteller unterstellt, steht nach vorläufiger summarischer Prüfung einem vorläufigen Leistungsanspruch des Antragstellers das Einkommen seiner Ehefrau auch zumindest teilweise nicht entgegen. Zwar ist der "Ehevertrag", der angeblich am 10.11.2005 in Äthiopien zwischen den Eheleuten geschlossen worden sein soll - Zweifel hieran ergeben sich daraus, dass die mit der deutschen Sprache nicht vertraute Ehefrau einen Vertrag unterschrieben hat, der in Deutsch verfasst ist - , nichtig. Auf die Unterhaltspflichten sind nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts anwendbar. Dies ist im vorliegenden Fall deutsches Recht. Hinsichtlich des Güterstands knüpft Art. 15 Abs. 1 EGBGB an Art. 14 EGBGB an. Nach Abs. 1 Nr. 2 dieser Norm unterliegen die allgemeinen Wirkungen - und damit auch die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe - dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten, wenn einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Auch danach ist deutsches Recht und damit das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) auf die Ehe des Antragstellers anwendbar. Nach § 1410 BGB bedarf ein Ehevertrag der notariellen Beurkundung zu seiner Wirksamkeit. Der Vertrag vom 10.11.2005 erfüllt dieses Formerfordernis nicht und ist bereits deshalb unwirksam. Nach § 1360a BGB ist auch die Ehefrau des Antragstellers verpflichtet zum angemessenen Unterhalt der Familie beizutragen. Hierauf könnte der Antragsteller einen Anspruch gegen seine erwerbstätige Ehefrau, die soweit bekannt ein monatliches Nettoeinkommen durch ihre Tätigkeit bei der Fa. Manpower in Höhe von durchschnittlich ca. 950 EUR hat, haben. Eine moralische Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Restfamilie der Ehefrau in Äthiopien hat dahinter zurückzustehen. Zweifel könnten aber hieran insofern bestehen, als die Gültigkeit der Ehe eventuell als Scheinehe fraglich ist. Jedenfalls hält es auch der Senat bei der gegebenen Sachlage für glaubhaft, dass die Ehefrau finanzielle Hilfe verweigert und diese aktuell nicht zur Verfügung steht. Auf den Zivilrechtsweg kann der Antragsteller auch bei bestehender Vorschusspflicht des anderen Ehegatten gem. § 1360a Abs. 4 BGB nicht verwiesen werden. Damit liegt ein begründeter Fall für erweiterte Sozialhilfe, der sich aus § 19 Abs. 5 SGB XII ergibt vor (vgl. Schock in LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 19, Rnr.50).

Hinsichtlich der Folgenabwägung differenziert der Senat für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Leistungsgewährung zwischen dem Regelsatz und den Kosten der Unterkunft

Der Antragsteller ist über seine Ehefrau familienversichert und Krankenversicherungsbeiträge fallen nicht gesondert an. Er wohnt im Haus seines Sohnes. Ob seit 2003 tatsächlich Miete an den Sohn geleistet wurde, ist unbekannt und auch vom Antragsgegner bisher nicht ermittelt worden. Jedenfalls hat der Antragsteller auch in der Vergangenheit nicht die volle Miete vom Antragsgegner, sondern nur die angemessene gewährt bekommen. Der Antragsteller war also über einen längeren Zeitraum - soweit bekannt - nicht in der Lage, seinen Mietverpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen, was vom Sohn offensichtlich unbeanstandet geblieben ist. Einen Nachweis, dass der Sohn, der erwerbstätig ist, durch die Nichtzahlung der Miete in finanzielle Bedrängnis geriete und die monatliche Rate zur Kredittilgung in Höhe von 709,25 EUR nicht aus eigenen Mitteln zahlen kann, ist nicht erbracht. Der Ausspruch der Kündigung ohne die Einleitung weiterer Schritte unter engen Verwandten, die in einem Haus leben, lässt drohende Obdachlosigkeit nicht vermuten. Somit kann sich die Folgenabwägung nur noch an einem ungedeckten Bedarf des Antragstellers am Regelsatz über seine Rente hinaus orientieren. Der Senat hält es für angemessen, bei der gegebenen Sachlage diesen dringend zu deckenden Bedarf dem Antragsteller darlehensweise vorläufig zuzusprechen.

Der Regelsatz für zusammenlebende Ehegatten betrug bis 30.6.2009 316 EUR, seit 1.7.2009 323 EUR. Abzüglich der Energiepauschale und des Renteneinkommens des Antragstellers ergibt sich danach ein dringend zu deckender Bedarf in Höhe von monatlich 169,80 EUR für die Zeit vom 26.5.2009 bis zum 30.6.2009 und für die Zeit vom 1.7. bis 30.11.2009 monatlich 176,80 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved