L 11 R 5408/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 84/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5408/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28. September 2006 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen die Bescheide vom 05. November 2007 und 23. November 2007 wird abgewiesen.

Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen trägt die Beklagte ein Drittel.

Tatbestand:

Die Klägerin macht als Sonderechtsnachfolgerin ihres Ehemannes einen Anspruch auf höhere Erwerbs- und Altersrente geltend.

Die 1945 geborene Klägerin heiratete am 30. November 1963 den am 29. September 1939 in der früheren Sowjetunion (Kasachische SSR, seit 1991 Republik Kasachstan) geborenen und am 3. Februar 2008 verstorbenen J. K. (Versicherter). Der Versicherte war Inhaber des Vertriebenenausweises B. In Kasachstan hatte er bis zu seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland am 30. Mai 1992 folgendes Berufsleben zurückgelegt:

1955 bis 1958: Traktorist 22.11.1958 bis 20.01.1962: Wehrdienst in der Sowjetarmee anschließend bis 1979 Traktorist, Kraftfahrer, Motorist 1980 bis 21.05.1992 Reparaturschlosser (Reparatur von Teilen der Wasserversorgung zum Bewässern der Landwirtschaftsflächen)

In der "Bescheinigung für Traktorfahrer der 1. Klasse", ausgestellt am 22. April 1969, wird ausgeführt, der Versicherte sei berechtigt, mit Traktoren aller Fabrikate, den mit ihnen gekoppelten Geräten, Ernte-, Erdbau- und Meliorationsmaschinen sowie den in Viehzuchtbetrieben verwendeten Maschinen zu arbeiten und Straßentraktoren und Lastzüge mit Traktoren als Zugmaschinen zu führen (Bl. 7 der Verwaltungsakte). Das Landwirtschaftsministerium der Kasachischen SSR stellte dem Versicherten am 1. April 1975 ein Zeugnis aus, aus dem hervorgeht, dass der Versicherte 1975 in der Schule für höhere Qualifizierung der Arbeitskader in der Landwirtschaft den Unterrichtskurs zur Ausbildung als Wassersprenger abgeschlossen hat (Bl. 75 der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 13. März 2000 bewilligte die Beklagte dem Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 1. Juni 1999 aufgrund eines am 15. Mai 1999 eingetretenen Leistungsfalls. In der Anlage 10 des Rentenbescheides stellte die Beklagte dar, welche Zeiten beim Versicherten als Beschäftigungszeiten in der ehemaligen Sowjetunion nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigt wurden. Danach wurden u.a. in der Zeit von 1968 bis 1979 und von 1980 bis Mai 1992 glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten als Teilzeitbeschäftigung mit einem prozentual festgelegten Anteil an der vollen Arbeitszeit anerkannt und der Qualifikationsgruppe 5, Bereich 22, der Anlage 14 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zugeordnet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Versicherten, mit dem dieser die Anerkennung der Zeiten als nicht nur glaubhaft gemacht (5/6 Bewertung), sondern als nachgewiesen (6/6 Bewertung) sowie eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4 geltend machte, wies die Widerspruchstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2000 als unbegründet zurück. Auf seine Klage (S 8 RJ 1665/00) änderte das Sozialgericht Reutlingen den Bescheid ab und verurteilte die Beklagte, den Versicherten für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 21. Mai 1992 in die Qualifikationsstufe 4 einzustufen, im Übrigen wies es die Klage ab (Urteil vom 20. März 2001). Rechtsmittel gegen dieses Urteil wurden nicht eingelegt. Mit Bescheid vom 5. April 2001 führte die Beklagte das Urteil aus, indem sie die Rente des Versicherten unter Zuordnung der Zeit vom 1. Januar 1990 bis 21. Mai 1992 in die Qualifikationsstufe 4 neu feststellte.

Im Jahr 2002 erlitt der Versicherte bei einem Verkehrsunfall eine Halswirbelkörperfraktur, die eine Tetraplegie (Lähmung aller vier Gliedmaßen) zur Folge hatte.

Am 11. Juli 2002 stellte der Versicherte unter Bezugnahme auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) den Antrag, den Bescheid vom 5. April 2001 zu ändern. Die Zeit vom 16. Oktober 1954 bis 28. September 1956 sei als Ersatzzeit anzuerkennen, seine Beschäftigungszeiten in der früheren Sowjetunion seien als nachgewiesen und ohne Kürzung als Teilzeitbeschäftigung anzurechen und die Zeit vom 26. August 1968 bis 31. Dezember 1989 sei der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen. Mit Bescheid vom 25. April 2003 stellte die Beklagte daraufhin die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu fest.

Hiergegen legte der Versicherte Widerspruch ein mit der Begründung, es seien alle Voraussetzungen erfüllt, um seine Beschäftigungszeiten vom 26. August 1968 bis 31. Dezember 1989 in die Qualifikationsgruppe 4 einzustufen. Er habe die höchste Facharbeiterqualifikation des Traktoristen-Maschinisten 1. Klasse am 25. August 1968 erworben, am 1. April 1975 den Abschluss der landwirtschaftlichen Fachschule für höhere Qualifizierung mit der Facharbeiterqualifikation "Bewässerer" erlangt und außerdem von 1955 bis 1968 eine langjährige Berufserfahrung erworben. Die Tätigkeit als Schlosser für die Bewässerungsanlagen in der Zeit vom 1. Januar 1980 bis 21. Mai 1992 sei entsprechend der Ausbildung an der Fachschule eigentlich sogar in die Qualifikationsgruppe 2 einzustufen. Die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 1991 sei zuvor in die Qualifikationsgruppe 4 eingestuft worden, bei der mit Bescheid vom 25. April 2003 erfolgten Rentenberechnung sei diese Zeit in der Qualifikationsgruppe 5 berücksichtigt worden. Die Jahre 1966, 1970 und 1975 seien wie die anderen Zeiten auch ungekürzt bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Bisher seien 36 Monate der beruflichen Ausbildung berücksichtigt worden, mit Bescheid vom 25. April 2003 jedoch nur noch 35 Monate.

Mit Teilabhilfebescheid vom 12. Juni 2003 wurde dem Widerspruch insoweit stattgegeben, als für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 1991 in Ausführung des Urteils vom 21. März 2001 (wieder) die Qualifikationsgruppe 4 anerkannt wurde.

Mit Rentenbescheid vom 28. Juli 2004 entschied die Beklagte, dass der Versicherte ab 1. Oktober 2004 anstelle der bisherigen Rente nunmehr Regelaltersrente erhält. In diesem Bescheid werden im Zeitraum von 1968 bis 1992 glaubhaft gemachte Beitragszeiten mit einer Anrechnung zu 5/6 berücksichtigt. Die Zeiten vom 1968 bis 1989 werden der Qualifikationsgruppe 5 und die Zeiten von 1990 bis 1992 der Qualifikationsgruppe 4, jeweils Bereich 22, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Tabellenwerte um ein Fünftel erhöht, zugeordnet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Versicherten im Übrigen zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, im Herkunftsgebiet des Versicherten gebe es unterhalb der Facharbeiterebene eine eigenständige erste Qualifikationsstufe, die Personen mit einer eng begrenzten Ausbildung für Massenberufe umfasse. Diese berufliche Grundausbildung stelle keine ausreichende Qualifikation im Sinne der Qualifikationsgruppe 4 dar, da diese nur eine Ausbildung auf einem Teilgebiet eines Ausbildungsprofils beinhalte. Die vom Versicherten tatsächlich verrichtete Tätigkeit habe nur einem Teilgebiet eines Ausbildungsprofils und somit nicht der Qualifikationsgruppe 4 bzw. 2 entsprochen. Somit komme in der Zeit vom 26. August 1968 bis 31. Dezember 1989 auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Erwerb von langjähriger Berufserfahrung keine Höhergruppierung in Betracht. Gemäß § 22 Abs. 3 FRG würden die Entgeltpunkte für Beitragszeiten, die nicht nachgewiesen sind, um 1/ 6 gekürzt. Eine Beitragszeit sei nur dann voll nachgewiesen - und nicht lediglich glaubhaft gemacht -, wenn der Beweis für eine ununterbrochene Beitragsentrichtung vorliege. Um eine ungekürzte Anrechnung zu erreichen, wäre hier konkret nachzuweisen, dass die Beschäftigung im streitigen Zeitraum nicht durch nach deutschem Rentenversicherungsrecht erhebliche Tatbestände - insbesondere Krankheitszeiten von mindestens einem Kalendermonat Dauer - unterbrochen wurde. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg habe mit Urteil vom 19. November 2002 entschieden, dass bei einer Kolchosmitgliedschaft mit mehr als 300 bescheinigten Arbeitstagen im Kalenderjahr eine ungekürzte Anrechnung der Beitragszeiten möglich sei. Die im Arbeitsbuch des Versicherten für das Jahr 1966, 1970 und 1975 bescheinigten Mann-Arbeitstage lägen deutlich unter 300. Eine ungekürzte Anrechnung der Beitragszeiten dieser Arbeitsjahre komme daher nicht in Betracht. Auch bei der mit Bescheid vom 25. April 2003 erfolgten Rentenberechnung seien 36 Monate beruflicher Ausbildung berücksichtigt worden. Durch das Zusammentreffen der mit Bescheid vom 25. April 2003 anerkannten und bis 28. September 1956 anrechenbaren Ersatzzeit und der Pflichtbeiträge des Versicherten für berufliche Ausbildung ab dem 29. September 1956 werde der Monat September 1956 im angegriffenen Bescheid als beitragsgeminderter Monat gesondert aufgeführt (Anlage 4). Die Monate der reinen Beitragszeiten der beruflichen Ausbildung (ab Oktober 1956) seien ebenfalls in der Anlage 4 dargestellt.

Am 11. Januar 2006 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz erhoben (SG). Zur Begründung seiner Klage hat er ausgeführt, gemäß § 22 Abs. 1 FRG in Anwendung von § 256b Abs. 1 SGB VI und den Merkmalen der Definition der Qualifikationsgruppen der Anlage 13 zum SGB VI gelte Folgendes: - Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden hätten und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses seien oder denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden sei und die eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hätten, seien in die Qualifikationsgruppe 4 einzustufen; - Personen, die an einer Fachschule in einer beliebigen Studienform den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben hätten und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden sei und die eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hätten , seien in die Qualifikationsgruppe 2 einzustufen.

Er habe im Jahre 1955 die Facharbeiterqualifikation als Traktorist-Maschinist der 3. Klasse, im Jahre 1958 der 2. Klasse, im Jahre 1959 als Berufskraftfahrer und am 25. August 1968 die höchst möglichste Ausbildung als Traktorist-Maschinist der 1. Klasse erworben. Am 1. April 1975 habe er die landwirtschaftliche Fachschule mit der Berufsbezeichnung "Bewässerer" (Bewässerungsanlagen) absolviert. Er wolle besonders betonen, dass man bei den oben genannten Ausbildungen nicht nur als Fahrer, sondern auch als Schlosser (KfZ Mechaniker) für die technische Wartung und Reparatur der Traktoren (mit der Auf- und Anbauausrüstung), Autos und Bewässerungsanlagen ausgebildet worden sei, somit keine Teilgebietsausbildung, sondern eine Vollausbildung stattgefunden habe. Ohne die Wartung- und Reparaturkenntnisse wäre es nicht möglich gewesen, diese Tätigkeiten auszuüben. Seine Ausbildungen stellten keine Ausbildungen unterhalb der Facharbeiterebene dar, sondern seien Vollausbildungen der Fachqualifikationen, die den Merkmalen der Anlage 13 zum SGB VI entsprächen und nicht den Ausbildungen nur auf einem Teilgebiet eines Ausbildungsprofils. In der ehemaligen Sowjetunion habe es keine Teilgebietsausbildungen gegeben. Er habe seine Tätigkeiten selbständig ausgeübt, diese hätten den Ausbildungen und den erworbenen Fachqualifikationen entsprochen. Von 1955 bis 1968 sei er als Traktorist-Maschinist der 3. und 2. Klasse und als Berufskraftfahrer tätig gewesen, habe also schon vor der Ausbildung als Traktorist-Maschinist der 1. Klasse eine langjährige Berufserfahrung aufzuweisen. Deshalb seien seine Beschäftigungszeiten von 1968 bis 1979 in die Qualifikationsgruppe 4 einzustufen. Er fordere die höhere Einstufung nicht ab 1955, sondern vom 26. August 1968 bis 31. Dezember 1979.

Nach dem Abschluss der landwirtschaftlichen Fachschule am 1. April 1975 mit der Berufsbezeichnung "Bewässerer" habe er eine entsprechende Tätigkeit vom 1. Januar 1980 bis 21. Mai 1992 ausgeübt, damit sei diese Beschäftigungszeit gemäß den Merkmalen der Anlage 13 zum SGB VI in die Qualifikationsgruppe 2 einzustufen. Er vermute, dass die Berufsbezeichnung "Bewässerer" in Deutschland nicht bekannt ist. Der Bauer führe hier die Bewässerung selbst aus. Die Kolchosen hätten viel mehr Land und deshalb auch einen Bedarf an Bewässerern. Die Fachschulen bildeten Fachkräfte aus, je nach Branchen mit unterschiedlichen Berufsbezeichnungen wie Techniker, Energetiker, Buchhalter, Agronom, Tierarzt, Bewässerer usw. Somit sei die Berufsbezeichnung Bewässerer dem Techniker gleichgestellt.

Andere Fragen im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2005 hätten keine wesentliche Bedeutung, deswegen habe auch eine gerichtliche Verhandlung keinen Sinn. Er bitte das Gericht, die Rentenversicherungsanstalt zu verpflichten, wie oben erläutert, die Beschäftigungszeiten in die Qualifikationsgruppen 4 und 2 gemäß den Merkmalen der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen.

Die Beklagte ist der Klage zunächst in vollem Umfang entgegengetreten und hat ihre im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung bekräftigt.

Mit Urteil vom 28. September 2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

Am 27. Oktober 2006 hat der Kläger Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 11. Oktober 2007 hat die Berichterstatterin des Verfahrens die Sach- und Rechtslage mit einem Bevollmächtigten des Versicherten und einem Vertreter der Beklagten ausführlich erörtert; auf den Inhalt der über diesen Termin angefertigten Niederschrift wird Bezug genommen (Bl. 32/34 der LSG-Akte). Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2007 hat die Beklagte nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage anerkannt, die Zeit vom 1. Januar 1980 bis 31. Dezember 1989 in die Qualifikationsgruppe 4 einzuordnen. Nach dem am 1. April 1975 ausgestelltem Zeugnis (Blatt 9 der Verwaltungsakte) habe der Versicherte 1975 an der "Schule für Erhöhung der Qualifikation der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte" einen Kurs/Lehrgang für Bewässerungsarbeiter besucht. Ihm sei ausweislich des Eintrags des in Kopie vorgelegten Arbeitsbuches 1975 die 4. Stufe als Schlosser verliehen worden. Ab 1. Januar 1980 bis 21. Mai 1992 sei er als Schlosser/Bewässerer eingesetzt gewesen. Eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 könne nicht erfolgen, weil ein Kurs/Lehrgang nicht einem Studium ein einer Fachschule gleichzusetzen sei. Es werde hierzu angemerkt, dass ausweislich den Einträgen im Arbeitsbuch die Jahre 1971 mit 308, 1972 mit 317, 1973 mit 308 und 1974 mit 302 nachgewiesenen Arbeitstagen belegt seien. Lediglich das Jahr 1975 zeige eine deutlich geringere Anzahl von nachgewiesenen Arbeitstagen in einem Umfang von 272 Tagen auf, was darauf hinweise, dass es sich bei der Ausbildung nicht um einen ab September 1971 bis April 1975 andauernden Fachschulbesuch gehandelt habe. Auch habe der Versicherte am 6. Februar 1996 im Fragebogen zur Herstellung von Versicherungsunterlagen (Blatt 4, Ziffer 3.3 der Verwaltungsakte) die Absolvierung einer Lehre oder Berufsausbildung mit besonderer Qualifikation verneint. Mit einem weiteren Schreiben vom 7. November 2007 (Bl. 53 der LSG-Akte), gerichtet an den inzwischen zurückgewiesenen (siehe unten) Bevollmächtigten des Versicherten, hat die Beklagte ihre Rechtsauffassung eingehend erläutert.

Die Beklagte hat ihr Teilanerkenntnis mit zwei Bescheiden ausgeführt. Im Bescheid vom 5. November 2007 (Bl. 130/163 der LSG-Akte) wird die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu festgestellt und für die Zeit vom 1. Juni 1999 bis 30. September 2004 ein Nachzahlungsbetrag von 2.156,59 EUR ermittelt. Die Regelaltersrente wird mit Bescheid vom 23. November 2007 ab 1. Oktober 2004 neu festgestellt und für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 31. Dezember 2007 eine Nachzahlung von 1.383,86 EUR ermittelt. In beiden Bescheiden werden die im Zeitraum von 1968 bis 1992 nach dem FRG der Rentenberechnung zugrunde gelegten Zeiten als Pflichtbeitragszeiten gewertet. Dabei werden nur noch die Zeiten in den Jahren 1970, 1975 und 1992 als glaubhaft gemacht berücksichtigt, im Übrigen werden die Zeiten als nachgewiesen betrachtet. Die Zeiten ab 1980 werden - dem Teilanerkenntnis entsprechend - der Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet, im Übrigen verbleibt es bei der Einstufung in die Qualifikationsgruppe 5.

Der Versicherte ist am 3. Februar 2008 verstorben. Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 2008 eine große Witwenrente ab 1. März 2008 gewährt. Die Klägerin hat über ihren Bevollmächtigten, der sich in seinen Schreiben als Dipl. Ing. bezeichnet hat, mitteilen lassen, dass sie den Rechtsstreit als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes fortführe. Der Senat hat den Bevollmächtigten der Klägerin mit Beschluss vom 23. Juni 2009 zurückgewiesen, weil er nicht zum Kreis der nach § 73 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassenen Prozessbevollmächtigen gehöre.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Bescheide der Beklagten vom 5. November 2007 und 23. November 2007 abzuändern, die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Rentenbescheides vom 5. April 2001 die Beitragszeit des am 29. September 1939 geborenen und am 3. Februar 2008 verstorbenen J. K. vom 26. August 1968 bis 31. Dezember 1979 der Qualifikationsgruppe 4 und die Beitragszeit vom 1. Januar 1980 bis 21. Mai 1992 der Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 14 zu § 256b SGB VI, Tabelle 22, Bereich Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, zuzuordnen und der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des J. K. für die Zeit vom 1. Juni 1999 bis 30. September 2004 eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 29. Februar 2008 eine höhere Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass über ihr Teilanerkenntnis hinaus keine höhere Eingruppierung möglich ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide der Beklagten vom 5. November 2007 und 23. November 2007 sowie ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1999 bis 30. September 2004 sowie auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 29. Februar 2008. Die genannten Bescheide sind gemäß den §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden; über diese Bescheide entscheidet der Senat auf Klage. Diese Klage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist in Bezug auf die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verfahrensrechtlich § 44 Abs 1 SGB X. Denn die Klägerin greift (auch) die Höhe der mit Bescheid vom 5. April 2001 bestandskräftig festgestellten Erwerbsunfähigkeitsrente an. Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit ua dann zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen wären vorliegend erfüllt, wenn die streitigen Beitragszeiten des Versicherten einer besseren Qualifikationsgruppe zugeordnet werden müssten. Aus dem gleichen Grund wäre auch der Bescheid vom 28. Februar 2004, mit dem statt der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine Altersrente gewährt wurde, in Bezug auf die Rentenhöhe rechtswidrig. Die von der Beklagten zuletzt vorgenommene Zuordnung der Beitragszeiten des Versicherten in der früheren Sowjetunion zu bestimmen Qualifikationsgruppen ist aber nicht zu beanstanden.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG stehen bei Personen, die wie der Versicherte dem Anwendungsbereich des FRG unterfallen, Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für solche Zeiten werden Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 SGB VI ermittelt (§ 22 Abs. 1 Satz 1 FRG). Hierzu werden für Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 die in Anlage 14 des SGB VI genannten oder nach § 256b Abs. 1 Satz 2 des SGB VI festgestellten Durchschnittsjahresverdienste um ein Fünftel erhöht (§ 22 Abs. 1 Satz 2 FRG). Die Bestimmung des maßgeblichen Bereichs richtet sich danach, welchem Bereich der Betrieb, in dem der Versicherte seine Beschäftigung ausgeübt hat, zuzuordnen wäre, wenn der Betrieb im Beitrittsgebiet gelegen hätte (§ 22 Abs. 1 Satz 3 FRG). Für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, werden die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt (§ 22 Abs. 3 FRG).

Zur Ermittlung von Entgeltpunkten als Beitragsbemessungsgrundlage für ein Kalenderjahr einer Vollzeitbeschäftigung werden die Durchschnittsverdienste berücksichtigt, die sich nach Einstufung der Beschäftigung in eine der in Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen und nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 genannten Bereiche für dieses Kalenderjahr ergeben, höchstens jedoch fünf Sechstel der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze (§ 22 Abs. 1 Satz 1 FRG i.V.m. § 256b Abs. 1 erster Halbsatz SGB VI). In die Qualifikationsgruppe 4 sind nach der Anlage 13 Facharbeiter einzustufen. Dies sind Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist. Hierzu zählen nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden sind. Versicherte sind in eine Qualifikationsgruppe einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Haben Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen, sind sie in diese Qualifikationsgruppe einzustufen.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Versicherte in der früheren Sowjetunion keine Ausbildung als Facharbeiter absolviert hat. Dies hat das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt. Auch der Senat sieht in der Qualifizierung als Traktorfahrer der 1. Klasse keine Ausbildung zum Facharbeiter, sondern lediglich den Erwerb einer Fahrerlaubnis für bestimmte Fahrzeuge. Dies ergibt sich schon aus der vom Versicherten selbst vorgelegten Bescheinigung vom 22. April 1969. Darin wird ausgeführt, dass die Qualifizierung den Versicherten dazu berechtigt, mit Traktoren aller Fabrikate, den mit ihnen gekoppelten Geräten, Ernte-, Erdbau- und Meliorationsmaschinen sowie den in Viehzuchtbetrieben verwendeten Maschinen zu arbeiten und Straßentraktoren und Lastzüge mit Traktoren als Zugmaschinen zu führen. Bestätigt wird diese Wertung durch die zur Rente wegen Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht ergangene Rechtsprechung. Danach war die Tätigkeit eines Traktoristen im Beitrittsgebiet als angelernte Tätigkeit und nicht als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 4. Dezember 2002, L 5 RJ 173/99, zit. nach juris).

Dagegen kann eine Tätigkeit als Schlosser als Facharbeitertätigkeit angesehen werden, wenn dieser Beruf vom Versicherten erlernt worden ist oder wenn der Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben hat, die üblicherweise denen von Versicherten mit der Berufsausbildung entsprechen. Unter diesem Gesichtspunkt kann die vom Versicherten ab 1980 ausgeübte Tätigkeit der Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet werden, wie dies von der Beklagten auch getan worden ist. Eine frühere Einstufung in diese Qualifikationsgruppe kommt allerdings nicht in Betracht, unabhängig davon wie der Begriff der langjährigen Berufsausübung definiert wird. Denn eine Tätigkeit als Reparaturschlosser ist überhaupt erst ab 1980 nachgewiesen. Es wäre möglicherweise auch nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Beklagte die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen hätte, weil die Einstufung als Facharbeiter ohne entsprechende Ausbildung voraussetzt, dass die Tätigkeit in diesem Beruf eine Zeitlang ausgeübt worden ist. Die von der Beklagten vorgenommen Einstufung ist jedenfalls nicht zum Nachteil des Versicherten fehlerhaft.

Eine höhere Einstufung als in die Qualifikationsgruppe 4 scheidet beim Versicherten aus. Insoweit macht sich der Senat in vollem Umfang die Ausführungen des SG zu eigen - auch in Bezug auf die Qualifizierung des Versicherten zum Bewässerer - und sieht von einer weiteren Begründung ab.

Die Bescheide sind auch insoweit rechtmäßig, als die Beklagte in den Jahren 1970, 1975 und 1992 die Pflichtbeitragszeiten nur als glaubhaft gemacht angesehen hat. Das BSG geht bei in sowjetischen Kolchosen zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten davon aus, dass nach den Verhältnissen in den Kolchosen jedes Mitglied voll ausgelastet wurde und auch an arbeitsfreien Tagen der Weisung der Kolchoseverwaltung unterlag. Daher ist auch dann eine Vollzeitbeschäftigung und nicht nur eine Teilzeitbeschäftigung anzunehmen, wenn an einzelnen Monaten im Jahr nicht gearbeitet wurde (vgl. BSG, Urteile vom 31. März 1993, 13 RJ 17/92, zit. nach juris; 30. Oktober 1997, 13 RJ 19/97, zit. nach juris). Allerdings kommt dann insoweit nur eine Anerkennung als glaubhaft gemacht in Betracht. Da dem Versicherten im Arbeitsbuch 1970 mit 261 Tagen, 1975 mit 272 Tagen und 1992 mit 76 Arbeitstagen weniger als 300 Arbeitstage bescheinigt wurden, können diese Zeiten nur als glaubhaft gemacht gewertet werden. Diese Vorgehensweise der Rentenversicherungsträger hat das BSG gebilligt (Urteil vom 21. August 2008, B 13/4 R 25/07 R, SozR 5050 § 26 Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat erachtet es im Hinblick auf das teilweise Obsiegen der Klägerin als sachgerecht, dass die Beklagte ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved