L 7 SO 3229/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 1842/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3229/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 6. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Zweifelhaft ist bereits, ob die zwar gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG ist. Dies würde voraussetzen, dass entweder der Beschwerdewert von 750,00 Euro überschritten ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) oder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr geltend gemacht werden (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Am 27. Mai 2009 hatte der am 28. März 1958 geborene, dauerhaft voll erwerbsgeminderte Antragsteller beim Sozialgericht Ulm (SG) beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Grundsicherung zu gewähren, da sein Einkommen in Höhe von ca. 750,00 EUR (Erwerbsminderungsrente + Wohngeld) nicht zur Sicherung seines Lebensunterhalts ausreiche. Konkrete Angaben zu Art und Umfang seines ungedeckten Bedarfs hat er weder im erstinstanzlichen noch im Beschwerdeverfahren gemacht, sodass nicht festgestellt werden kann, ob die Beschwerdewertgrenze überschritten ist. Ebensowenig zu erkennen ist, für welchen Zeitraum der Antragsteller Leistungen begehrt. Da nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Grundsicherungsleistungen in der Regel für zwölf Monate bewilligt werden, dürfte eine darüber hinausgehende zeitliche Verpflichtung der Antragsgegnerin nicht in Betracht kommen, sodass auch die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht erfüllt sein dürften.

In jedem Fall ist die Beschwerde unbegründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, wenn es sich - wie hier - nicht um einen Fall nach § 86b Abs. 1 SGG handelt, bei dem die Suspensivwirkung von Rechtsbehelfen im Streit steht, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind jedoch auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes nicht begehrt wird. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 04. April 2008 - L 7 AS 5626/07 - (beide juris)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 -; Hk-SGG/Binder, SGG, 3. Auflage, § 86b Rdnr. 35; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Auflage, § 123 Rdnr. 62; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1245).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Maßgeblich ist hierbei - anders als im Hauptsacheverfahren - nicht der Zeitpunkt der Kenntniserlangung des sozialhilferechtlichen Bedarfs durch den Sozialhilfeträger (vgl. § 17 Abs. 1 SGB XII), sondern der Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht. Denn grundsätzlich kann im Wege der einstweiligen Anordnung, die der Behebung einer aktuellen - noch bestehenden - Notlage dient (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - (juris) und vom 6. Oktober 2009 - L 7 SO 3329/09 ER-B -), keine Leistung für die Vergangenheit zugesprochen werden, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist (vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht (OVG) Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2003 - 4 B 39/03 - (juris); Verwaltungsgerichtshof (VGH) München, Beschluss vom 16. Dezember 1996 - 12 CE 95.2728 -, BayVBl. 1997, 470; Beschluss vom 17. September 1997 - 12 ZE 97.1331 -, FEVS 48, 163; Beschluss vom 23. September 1998 - 12 ZE 98.2194, 12 CE 98.2194 -, FEVS 49, 397; OVG Münster, Beschluss vom 16. März 2000 - 16 B 308/00 -, ZFSH/SGB 2000, 558 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. März 1995 - 12 M 1928/95 - (juris); VGH Kassel, Beschluss vom 9. Juni 1994 - 9 T 1446/94 -, FEVS 45, 335, 337 und Beschluss vom 23. März 1994 - 9 T 369/94 -, FEVS 45, 238, 239; Finkelnburg/Jank, a.aO., Rdnr. 1245 m.w.N.). Hierzu hätte der Antragsteller jedoch die aufgrund des Nachholbedarfs drohenden Gefahren für die Sicherung seines laufenden Unterhalts konkret benennen und glaubhaft machen müssen (vgl. Finkelnburg/Jank, a.a.O.). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Entscheidend ist somit, ob der Antragsteller am 27. Mai 2009 (Antragstellung beim SG) einen sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedarf glaubhaft gemacht hat. Dies ist indes nicht der Fall. Laut Rentenbescheid vom 20. Januar 2009 bezog der Antragsteller ab 1. März 2009 eine Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 711,17 EUR monatlich nach Abzug der Beitragsanteile für die Kranken- und Pflegeversicherung. Seit 1. April 2009 erhielt er von der Antragsgegnerin darüber hinaus Wohngeld in Höhe von 33,00 EUR monatlich (für März 2009 anteilig 16,50 EUR). Dem Gesamteinkommen von 744,17 EUR steht ein nach § 42 Satz 1 SGB XII zu bestimmender Bedarf von 724,67 EUR gegenüber (Regelsatz Haushaltsvorstand 351,00 EUR + 59,67 EUR Mehrbedarf wg. anerkanntem Merkzeichen G + [tatsächliche] Kaltmiete 202,00 EUR + Betriebskosten 52,00 EUR + Heizkosten 60,00 EUR), wobei offen bleiben kann, ob hiervon noch ein Betrag in Höhe von 6,22 EUR wegen der im Regelsatz bereits enthaltenen Energiepauschale (so Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 - SozR 4-4200 § 22 Nr. 5 bei Regelsatz von 345,00 EUR) oder ein entsprechend der Anhebung des Regelsatzes in prozentual gleicher Höhe angepasster höherer Betrag (6,33 EUR) abzusetzen ist. In jedem Fall liegt der so errechnete Gesamtbedarf (718,45 EUR bzw. 718,34 EUR) unter dem Einkommen des Antragstellers. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland jedoch nur dann auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen selbst beschaffen können. Der Antragsteller kann jedoch aufgrund seines Einkommens selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Dies gilt auch für die Zeit ab 1. Juli 2009, nachdem einerseits die dem Antragsteller gewährte Rente wegen Erwerbsminderung, andererseits der maßgebliche Regelsatz und hiervon abhängig der Mehrbedarf angehoben wurde. Einem Einkommen des Antragstellers von 763,76 EUR (730,76 EUR Rente + 33,00 EUR Wohngeld) steht nunmehr ein Bedarf von 730,23 EUR gegenüber (Regelsatz Haushaltsvorstand 359,00 EUR + 61,03 EUR Mehrbedarf wg. anerkanntem Merkzeichen G + Kaltmiete 202,00 EUR + Betriebskosten 52,00 EUR + Heizkosten 56,20 EUR), von dem wiederum die andernfalls doppelt berücksichtigte Energiepauschale in Höhe von 6,22 EUR bzw. 6,47 EUR abzuziehen ist. Dass der Antragsteller seit 1. August 2009 auf die Bewilligung von Wohngeld verzichtet hat (vgl. sein Schreiben vom 15. Juli 2009), wirkt sich im Ergebnis bei der Bedarfsberechnung nicht aus, da allein sein Renteneinkommen über seinem Gesamtbedarf liegt. Einen darüber hinausgehenden konkreten Bedarf hat der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, sodass eine Prüfung, ob eine weitergehende darlehensweise Leistungsgewährung nach § 42 Satz 2 SGB XII in Betracht kommt, weil im Falle des Antragstellers ein von den Regelsätzen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden kann, nicht erfolgen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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