L 12 AS 4503/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 AS 4220/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4503/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 22. September 2009 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 2. September 2009 wird angeordnet für die Zeit bis 12. Dezember 2009, längstens bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheids und die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt vorläufig über die bewilligten Leistungen hinaus die höheren Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung in K. zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt und die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und begehrt zugleich höhere Leistungen ab September 2009.

Der Antragsteller lebte nach eigenen Angaben ab 2003 mit Unterbrechungen in Spanien, zuletzt auf Mallorca. Während dieser Zeit benutzte er zumindest die Postanschrift der Frau B. (B.) in Deutschland. Nachdem B. ab Juni 2008 eine befristete Arbeitsstelle auf Mallorca hatte, kehrten beide gemeinsam nach Deutschland zurück und hielten sich hier zunächst in Hotels und Ferienwohnungen auf, ab 12. Dezember 2008 bewohnten sie gemeinsam eine Mietwohnung in Z ... Zum 17. Juli 2009 verzogen beide nach K. W., Ortsteil N ... Auf seinen Antrag erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18. August 2009 Leistungen für die Zeit vom 23. Juli 2009 bis 31. Januar 2010 in Höhe von 514,59 EUR monatlich. Bei einem Hausbesuch am 12. August 2009 erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis davon, dass beide zum 1. September 2009 nach K.-S. umziehen wollten. Mit Änderungsbescheid vom 2. September 2009 gewährte die Antragsgegnerin für den Zeitraum 23. Juli bis 31. August 2009 dem Antragsteller und B. als Bedarfsgemeinschaft Leistungen, was zu einer Nachzahlung von 466,28 EUR führte. Mit weiterem Bescheid vom 2. September 2009 wurden die Leistungen ab 1. September 2009 versagt, da unter Berücksichtigung des Einkommens von B. keine Hilfebedürftigkeit mehr bestehe.

Am 20. August 2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) einstweiligen Rechtsschutz beantragt. B. habe ihn nicht kostenlos wohnen lassen wollen, weshalb er am 1. September 2009 zurück in die Wohnung in K. W. gezogen sei. Da er keine Zahlungen von der Antragsgegnerin erhalten habe, habe er die Wohnung wieder verlassen müssen. Um nicht obdachlos zu werden, habe B. ihn als Untermieter aufgenommen. Es bestehe keine Bedarfsgemeinschaft.

Mit Beschluss vom 22. September 2009 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab 1. September 2009 bis längstens 28. Februar 2010 ohne Berücksichtigung des Einkommens von B. zu gewähren. Zur Begründung hat das SG auf § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen, da es um die Gewährung gegenwärtiger und künftiger Leistungen und damit den Erlass einer Regelungsanordnung gehe. Der Antragsteller habe sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er sei hilfebedürftig, da er über kein Einkommen verfüge und sich das Einkommen von B. nicht bedarfsmindernd anrechnen lassen müsse. Zwar spreche für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, dass sich der Antragsteller und B. seit einigen Jahren kennen würden und auch in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen zusammengelebt hätten. Der Antragsteller habe jedoch vorgetragen, dass er nur in einer Wohngemeinschaft lebe und B. zur Mietzahlung verpflichtet sei. Die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II greife nicht, da der Antragsteller und B. erst seit dem 12. Dezember 2008 und damit noch kein Jahr zusammenlebten. Bis zur endgültigen Klärung sei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine Bedarfsgemeinschaft nicht bestehe. Außerdem stehe zu befürchten, dass der Antragsteller ohne die beantragten Leistungen zeitnah seine Wohnmöglichkeit verliere und obdachlos werde.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 2. Oktober 2009 eingelegten Beschwerde. Nach den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass der Antragsteller und B. mindestens seit Januar 2008 zusammenlebten. Aus dem Unfallbericht vom 28. Januar 2008 sei ersichtlich, dass der Antragsteller bei B. in S.-O. gewohnt habe. Auch in dem Beschluss des Amtsgerichts R. vom 2. September 2008 würden beide unter der gemeinsamen Adresse in S.-O. als Beklagte angeführt. Beide hätten bis zum gemeinsamen Umzug nach Mallorca am 4. Juni 2008 dort gewohnt. Seit dem 4. Juni 2008 wohnten beide unter der gemeinsamen Adresse R. B. S. M./C. P. und der Wohnadresse C.AY P. des Barcelonas AV J. T., wie sich aus den Papieren zu den Kraftfahrzeugen und den Meldedaten ergebe. Nach Rückkehr aus Mallorca hätten sich beide nach kurzen nicht gemeldeten Aufenthalten in B. und E. am 12. Dezember 2008 in Z. angemeldet. Der nächste gemeinsame Umzug sei nach K. W. in eine Ferienwohnung und zum 1. September 2009 nach K.-S. erfolgt. Zwar gebe der Antragsteller an, er sei nur durch Zufall wieder als Untermieter in K. aufgenommen worden, der beabsichtigte Umzug und die "Untervermietung" seien jedoch bereits am 12. August 2009 dem Bedarfsermittler mitgeteilt worden. Bei dem gemeinsamen Umzug nach K.-S. handele es sich mindestens um den 5., wenn nicht 7. gemeinsamen Wohnort. Die Daten zeigten eindeutig, dass der Antragsteller und B. über ein Jahr zusammenlebten. Wer so viele gemeinsame Umzüge und gemeinsame Wohnungen über sehr weite Distanzen habe, plane eindeutig auch das gemeinsame Leben. Es entspreche sicherlich nicht den normalen Gepflogenheiten eines Untermieters, seiner Vermieterin über Jahre hinweg durch halb Deutschland und Europa zu folgen. Sowohl beim bisherigen Leistungsträger in Z. wie auch bei Vorsprachen beim Antragsgegner seien beide immer gemeinsam aufgetreten, sodass auch hier von einem Einstehen füreinander auszugehen sei. In der Untervermietung sehe die Antragsgegnerin nur eine Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse einer Lebens- und Einstandsgemeinschaft.

Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegen getreten und hat ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die ihr längst bekannten Daten erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht und sei daher damit präkludiert. Zudem seien die Behauptungen unsubstantiiert und falsch. Er habe nicht schon in S.-O. mit B. zusammen gelebt. Dies ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des Amtsgerichts R ... In den mietrechtlichen Streit der B. mit ihren Vermietern sei er nur hineingeraten, weil den Vermietern sein Name wegen einer Beschwerde der B. über eine andere Mieterin, die ihn angegriffen habe, bekannt gewesen sei. Der Klageanspruch der Vermieter gegen ihn sei ganz fallengelassen worden. Das Gutachten wegen des Verkehrsunfalls sei auf seinen Wunsch nur an die Adresse von B. als Postanschrift geschickt worden, weil dort der Wagen begutachtet worden sei. Das Fahrzeug habe ein K. Kennzeichen gehabt und nicht SU für S ... Er sei auch nicht mit B. am 4. Juni 2008 nach Spanien gezogen, sondern habe dort bereits mit einer Unterbrechung seit 2003 gewohnt. B. habe ihre Arbeitsstelle in R. verloren und eine Saisonarbeit in Spanien ausgeübt. Sie habe zwar kurz unter der Adresse S. M., R. gewohnt, aber nicht bei ihm. Es habe sich um ein Haus mit sechs Wohnungen gehandelt. Die Adresse C.AY P. d. B. AV J. T. sei keine Wohnanschrift, sondern die Adresse seiner Kraftfahrzeugversicherung. In Spanien sei der Antragsteller unerwartet ernsthaft erkrankt, weshalb er mit B. zurück nach Deutschland gegangen sei. Die Arge Z. habe einen Hausbesuch vorgenommen, welcher klar ergeben habe, dass er und B. in der Wohnung getrennt lebten. Auch nach dem Hausbesuch der Antragsgegnerin seien Leistungen bewilligt worden. Es sei auch falsch, dass der Antragsteller und B. alle Behördengänge gemeinsam erledigten. B. nehme ihre gesamten Behördengänge alleine vor. Erst als die Antragsgegnerin dem Antragsteller den Zugang und die Anmeldung habe verweigern wollen, habe er B. als Zeugin mitnehmen müssen. Darüber hinaus habe der Antragsteller in N. wohnen bleiben wollen; da die Antragsgegnerin die Kostenübernahme verweigert habe, sei sie selbst Ursache dafür, dass er nun bei B. wohnen müsse, ansonsten wäre er obdachlos. Die Darlegungen der Antragsgegnerin zu den vielen Umzügen seien falsch. Als Umzugsort könne weder ein Hotel noch eine Ferienwohnung gezählt werden, so dass bestenfalls zwei Umzüge vorlägen (Z. - N. im W. - K ...). Im Übrigen seien in seinen Kreisen Wohngemeinschaften üblich, dies sei auch in der Vergangenheit sowohl bei ihm wie auch B. der Fall gewesen. Die Vermutung, dass ein Einstandswille hier vorliege, falls die Vermutungsregel mangels des noch nicht erreichten Jahres des gegenwärtigen Zusammenwohnens überhaupt erreicht sei, habe er widerlegt und dazu zwei eidesstattliche Versicherungen (von sich und B.) vorgelegt. Da B. ab 1. Dezember 2009 arbeitslos sein werde und erst ab 1. März 2010 wieder bei ihrem Arbeitgeber weiterarbeite, sei geradezu absurd, wenn behauptet werde, dass sie den Willen habe, für den Antragsteller einzustehen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat teilweise Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die vom SG zugesprochenen Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde nur teilweise begründet. Der Senat prüft insoweit als zweite Tatsacheninstanz die Sach- und Rechtslage nochmals in vollständiger Hinsicht. Dabei gibt es keine Bindung des Senats an vom SG zugrunde gelegte Tatsachen, auch ist die Antragsgegnerin nicht mit neuem Vorbringen präkludiert. Die Voraussetzungen der mit Wirkung zum 1. April 2008 (Gesetz vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444) eingeführten Präklusionsregelung des § 106a SGG sind offensichtlich nicht erfüllt.

Rechtsgrundlage für den vom Antragsteller begehrten einstweiligen Rechtsschutz ist zum Einen - was das SG übersehen hat - die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt. Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der gestellte Antrag sachdienlich auszulegen (vgl. § 123 SGG) und ggf. auch umzudeuten, um dem erkennbar gewordenen Rechtsschutzziel zum Erfolg zu verhelfen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 8). Das Rechtsschutzverlangen ist insoweit unter die Bestimmungen des § 86b Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG zu fassen, denn durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. September 2009 wird in die durch die Leistungsbewilligung vom 18. August 2009 für den Zeitraum 23. Juli 2009 bis 31. Januar 2010 erlangte Rechtsposition des Antragstellers eingegriffen. Da dem Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II; Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - L 7 AS 4111/07 ER-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Juli 2007 - L 8 AS 186/07 ER - (juris); Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 39 Rdnr. 12), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG heranzuziehen; hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Allerdings wird dem Rechtsschutzziel des Antragstellers vorliegend nicht hinreichend Rechnung getragen durch dessen Auslegung allein als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Da die vom Antragsteller bewohnte Wohnung in K.-S. teurer ist als die zuvor bewohnte Ferienwohnung in K. W. – N., wäre dem Antragsteller allein mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht gedient, denn damit wäre die ursprüngliche Bewilligung maßgeblich, welche die höheren Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Umzug nicht berücksichtigt. Insoweit kommt eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG in Form der Regelungsanordnung in Betracht. Die vom SG vorgenommene Tenorierung ist nach alledem klarstellend entsprechend abzuändern. In der Sache hat das SG dem Antragsteller indes Leistungen für einen zu langen Zeitraum zugesprochen.

1.) Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER - (juris); Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B - und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - (beide juris)); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 4, 151, 155; ferner Krodel, a.a.O., Rdnrn. 208 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, so dass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 31. März 2006 und 12. April 2006, a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.

Die sonach gebotene Interessenabwägung führt zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nur bis 12. Dezember 2009. Vorliegend ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend zu beurteilen, ob der angefochtene Bescheid vom 2. September 2009 rechtmäßig ist. Streitgegenständlich ist die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung ab 1. September 2009 durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. September 2009. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung sind §§ 45 Abs. 1 bzw. 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch. Maßgeblich ist insoweit, ob die Leistungsbewilligung von Anfang an rechtswidrig war – dann findet § 45 SGB X Anwendung – oder ob sie erst zum 1. September 2009 nach dem erneuten Umzug des Antragstellers rechtswidrig geworden ist. Vorliegend kann dies indes dahinstehen, denn eine Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids lässt sich jedenfalls zum 1. September 2009 nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung noch nicht feststellen, denn es ist ungeklärt, ob der Antragsteller und B. eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Unter Berücksichtigung des aktuellen Einkommens von B. wäre der Antragsteller derzeit nicht hilfebedürftig. Anders ist die Rechtslage jedoch ab 12. Dezember 2009 zu beurteilen, ab diesem Zeitpunkt hat der Antragsteller nach vorläufiger Prüfung keinen Anspruch mehr auf Gewährung von Leistungen ohne Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von B.

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II das Einkommen des Partners bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen und zur Sicherung der Lebensunterhalts einzusetzen. Die gesetzliche Vermutungsregelung gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II) greift nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen jedenfalls ab 12. Dezember 2009. Ob sie auch zu einem früheren Zeitpunkt erfüllt ist, bedarf weiterer Ermittlungen, die jedoch einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.

Durch das zum 1. August 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) ist der Begriff der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) teilweise neu gefasst worden. Danach gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II). Auch die Neufassung knüpft ersichtlich an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft die Bindungen der Partner so eng sein müssen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87BVerfGE 87, S. 234 ff., 265; Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - (juris), vgl. auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in BVerwGE 98, 195 , 199; BSGE 90, 90 , 98 f.). Ein substantieller Unterschied gegenüber der früheren Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II ist damit, was die Kriterien für das Vorliegen einer solchen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft anbelangt, in der Neufassung nicht zu erkennen (vgl. zu diesen Kriterien LSG Baden-Württemberg vom 31. Januar 2006 - L 7 AS 108/06 ER-B - und vom 21. September 2006 - L 7 SO 1110/06 - (jeweils juris)). So ist - auch weiterhin - bei Prüfung der Voraussetzungen nicht ausschlaggebend, ob ein Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, tatsächlich vorliegt (ebenso LSG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2007 - L 5 B 21/07 ER AS - (juris)). Eine Modifikation ergibt sich allerdings insoweit, als der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II Tatbestände normiert hat, deren Vorliegen nach seinem Willen den Schluss auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft zulassen sollen.

Der Antragsteller und B. erfüllen den Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II jedenfalls für die Zeit ab 12. Dezember 2009 da sie - unstreitig - zumindest seit 12. Dezember 2008 in einer gemeinsamen Wohnung wohnen. Damit wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, jedenfalls für die Zeit ab 12. Dezember 2009 vermutet. Ob der Antragsteller und B. bereits zu einem früheren Zeitpunkt zusammen gewohnt haben, steht derzeit nicht fest. Der Antragsteller hat bestritten, dass er in Z. einen Wohnsitz hatte; gemeldet war er dort jedenfalls nicht. In Spanien waren der Antragsteller und B. zwar unter der gleichen Wohnanschrift gemeldet, es ist jedoch ungeklärt, ob beide eine gemeinsame Wohnung hatten oder getrennte Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus bewohnten. Ebenso ist nach der gemeinsamen Rückkehr aus Spanien nicht klar, wie sich die wechselnden Aufenthalte in Hotels und Ferienwohnungen darstellten. Insoweit sind weitere Ermittlungen erforderlich, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen. Angesichts des existenzsichernden Charakters der Leistungen können die verbleibenden Ungewissheiten im Rahmen der Interessenabwägung nicht zur Versagung der Leistungen bis zur endgültigen Klärung führen, denn ein Rückgängigmachen eventuell zu Unrecht gewährter Leistungen ist über Ratenzahlungen keineswegs ausgeschlossen, dagegen lässt sich eine durch eine Verweigerung der lebensnotwendigen Leistungen eintretende Rechtsverletzung auf Seiten des Antragstellers nicht rückgängig machen. Die Antragsgegnerin hat daher zumindest vorläufig Leistungen zu erbringen bis 12. Dezember 2009 ohne Berücksichtigung des Einkommens von B.

Für die Folgezeit sind die Voraussetzungen der Vermutungsregelung erfüllt, so dass die Beschwerde der Antragsgegnerin insoweit Erfolg hat. Zwar ist die Annahme einer Einstehensgemeinschaft nicht unwiderleglich. Dies hat auch im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 3a SGB II zu gelten, wobei das Vorliegen eines Vermutungstatbestandes nach Absatz 3a allerdings eine Beweislasterschwernis zu Lasten des Anspruchstellers bewirkt (die Gesetzesbegründung spricht sogar von einer "Beweislastumkehr", vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 19). Welche Anforderungen im Einzelnen zur Widerlegung einer der Vermutungsvarianten erfüllt sein müssen, bedarf indessen anlässlich des vorliegenden Eilverfahrens keiner Entscheidung. Jedenfalls kann die schlichte Erklärung, nicht in Verantwortungsgemeinschaft zu leben, wie sie sich aus den vor dem SG vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und B. ergibt, nicht genügen (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucksache 16/1410). Es ist vielmehr Sache des Hilfebedürftigen, plausible Gründe darzulegen, die gegebenenfalls bewiesen sein müssen, dass keiner der in § 7 Abs. 3a SGB II aufgeführten Sachverhalte vorliegt oder dass die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - L 13 AS 3747/06 ER-B -, (juris)) bzw. dass das Zusammenwohnen als reine Zweck- oder Wohngemeinschaft einzustufen ist.

Hiervon ausgehend ist die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers mit B. nicht widerlegt; es sprechen vielmehr zahlreiche gewichtige Indizien für deren Bestätigung. So ist B. nach Verlust ihrer Arbeitsstelle ausgerechnet nach Mallorca zur Aufnahme einer befristeten Tätigkeit an einen Ort gegangen, an dem der Antragsteller bereits lebte. Anschließend sind beide gemeinsam nach Deutschland zurückgekehrt, um sich – wohl nach mehreren gemeinsamen Zwischenunterkünften – in Z. niederzulassen. Nachdem der Antragsteller wieder in den L. Raum zurück wollte, hat B. dort eine Beschäftigung gefunden und beide sind nach K. W. und anschließend nach K. gezogen. Allein die wiederholten Ortswechsel zwischen Nordrhein-Westfalen, Spanien und Baden-Württemberg sprechen doch – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist – sehr stark gegen das Vorliegen einer reinen Zweck- und Wohngemeinschaft. Für den Zeitraum nach dem 12. Dezember 2009 ist daher einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen ohne Anrechnung des Einkommens von B. nicht auszusprechen. Ob B. tatsächlich ab Dezember 2009 über keine Einkünfte mehr verfügt und die Bedarfsgemeinschaft damit hilfebedürftig wird, bedarf im Rahmen dieses Verfahrens keiner Entscheidung. Die insoweit erforderlichen Nachweise und Belege können der Antragsteller und B. der Antragsgegnerin bis dahin noch vorlegen, eine besondere Eilbedürftigkeit besteht derzeit nicht.

2.) Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Vorliegend kommt hinsichtlich der höheren Kosten der Unterkunft nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)).

Wie bereits dargelegt, sind dem Antragsteller für die Zeit vom 1. September bis 12. Dezember 2009 vorläufige Leistungen zu gewähren. Nur zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, wovon das SG stillschweigend ausgegangen sein dürfte, dass die Kosten der Unterkunft für die Wohnung in K. zugrunde zu legen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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