L 10 R 1991/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1534/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1991/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.02.2009 abgeändert. Die Beklagte wird unter weiterer Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin vier Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin auch für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2009 Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Die am 1952 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Nach dem Zuzug aus G. im Oktober 1965 war sie ab September 1966 als Arbeiterin in einer Spinnerei, Näherin, Kontrolleurin und zuletzt von November 1976 bis September 2001 in einer Papierfabrik als Papierzuschneiderin bzw. Staplerfahrerin beschäftigt. Seitdem ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Ein erstmaliger Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 07.05.2002 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 25.09.2002 und Widerspruchsbescheid vom 15.04.2003 abgelehnt. In dem daraufhin vor dem Sozialgericht Reutlingen geführten Klageverfahren (S 8 R 1355/03) bewilligte die Beklagte der Klägerin auf Grund eines Leistungsfalls im Juni 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.01.2004 bis 31.08.2006. Die darüber hinausgehende, auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 01.12.2002 gerichtete Klage, wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2006 ab. Der Rentenbewilligung und der Entscheidung des Sozialgerichts lagen ein im Klageverfahren nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erstattetes Gutachten des Dr. V. , Zentrum für Psychiatrie Z. (anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Tinnitus aurium links mit subjektiv belastenden Ohrgeräuschen und Schwindel, Anpassungsstörung und Dysthymia; aktuell sei die Klägerin nicht in der Lage, irgendeine Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt auszuüben, zu empfehlen sei eine intensive psychosomatisch-psychotherapeutische Therapie im stationären Rahmen) und der Entlassungsbericht über ein stationäres Heilverfahren in der S klinik Bad B. im Juli/August 2005 (Angst- und depressive Störung gemischt, Claustrophobie, Schmerzfehlverarbeitung, Osteoporose mit Fraktur, distal betonte Fingerpolyarthrose; voraussichtliches Leistungsvermögen nach Abschluss einer ambulanten Psychotherapie mehr als sechs Stunden täglich) zu Grunde.

Am 18.05.2006 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung. In dem im Auftrag der Beklagten erstatteten Gutachten stellte Dr. H. , Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin - Sozialmedizin, auf Grund einer Untersuchung vom 04.07.2006 eine leichte Depression mit Somatisierungstendenz (anhaltende somatoforme Schmerzstörung) bei neurotischer Entwicklung und depressiv narzisstischer Persönlichkeitsstruktur, eine Osteoporose und Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule mit statischer Fehlhaltung und Rumpfmuskeldysbalance mit leichter Bewegungseinschränkung ohne neurologische Ausfallserscheinungen fest. Die Klägerin könne leichte Arbeiten ohne Zeitdruck, ohne Nachtschicht, ohne häufige und längerdauernde Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern oder Steigen, ohne Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge und ohne übermäßige Anforderungen an das Hörvermögen mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

Mit Bescheid vom 24.08.2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Rente ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens durch den Neurologen und Psychiater Dr. Z. (Untersuchung am 12.12.2006; anhaltende somatoforme Schmerzstörungen im Rahmen einer protrahierten depressiven Anpassungsstörung, Restless-Legs-Syndrom [RLS]; leichte körperliche Tätigkeiten wie von Dr. H. beschrieben seien mindestens sechs Stunden täglich zumutbar) und eines Gutachtens des Orthopäden Dr. Kn. (Untersuchung am 03.01.2007; Osteoporose, Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule mit statischer Fehlhaltung und Rumpfmuskeldysbalance ohne Anhalt für das Vorliegen von Nervenwurzelreizzeichen, endgradige Bewegungseinschränkung des linken unteren Sprunggelenks bei leichter Knick-Senk-Spreizfußbildung links nach Fersenbeinbruch; leichte körperliche Tätigkeiten ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel von mehr als 5 kg, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern oder Steigen und ohne Absturzgefahr könne die Klägerin weiterhin mindestens sechs Stunden täglich ausüben) mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2007 zurück.

Die Klägerin hat am 20.04.2007 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben und geltend gemacht, ihr Gesundheitszustand habe sich auch nach Durchführung des stationären Heilverfahrens in der S klinik Bad B. und anschließender ambulanter Psychotherapie nicht gebessert, weshalb auch über den 31.08.2006 hinaus weiter volle Erwerbsminderung vorliege.

Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte, u. a. Dr. R. , Facharzt für Allgemeinmedizin (Angst- und depressive Störung, Verdacht auf Somatisierungsstörung, Schultergelenksteife rechts, chronisch-degeneratives BWS/LWS-Syndrom, Osteoporose, rezidivierendes myofasciales Schmerzsyndrom, Osteochondrose der Wirbelsäule bei Skoliose, rezidivierende Sigmadivertikulitis; seit Juli 2006 habe sich keine wesentliche Veränderung, weder zum Besseren noch zum Schlechteren ergeben), Dr. Fr. , Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin (psychotherapeutische Behandlung von September 2005 bis Anfang Juli 2007; Depression mit Somatisierungstendenz bei neurotischer Entwicklung und depressiv narzisstischer Persönlichkeitsstruktur), und den Orthopäden B. (anhaltendes LWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkungen und HWS-Syndrom mit rezidivierenden Blockierungen, Progredienz der Beschwerdesymptomatik im Sinne zunehmender Bewegungseinschränkung und akute Schultergelenksteife rechts; auf Grund dessen derzeit leichte körperliche Tätigkeiten über sechs Stunden nicht zumutbar) schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. L. eingeholt. Dr. L. hat eine seit Jahren entwickelte chronifizierte ängstlich-depressive Verstimmung mittlerer Ausprägung, eine anhaltende somatisierte Schmerzstörung mit polytopen Muskel- und Gelenkschmerzen, eine Fibromyalgie sowie eine Claustrophobie und depressive Grundpersönlichkeit festgestellt. Die Klägerin könne etwa drei bis vier Stunden täglich leichte Arbeiten ausüben. Mit absoluter Sicherheit bestehe die festgestellte Leistungseinschränkung seit seiner Untersuchung am 22.07.2008. Bei Wertung der Fremdanamnese und der Aktenlage halte er es für wahrscheinlich, dass die Symptomatik seit Mitte 2006 vorliege.

Mit Urteil vom 18.02.2009 hat das Sozialgericht die Beklagte - ausgehend von einem (erneuten) Leistungsfall am 22.07.2008 - verurteilt, der Klägerin eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.02.2009 bis 31.01.2012 zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ein Leistungsfall vor Juli 2008 sei nicht nachgewiesen. Die von der Beklagten eingeholten Gutachten von Dr. H. , Dr. Z. und Dr. Kn. seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin bei Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen noch in der Lage sei, vollschichtig eine Tätigkeit auszuüben. Die Ausführungen von Dr. L. würden keine hinreichend sichere Feststellung zulassen, dass die von ihm festgestellte Leistungseinschränkung bereits vor seiner Begutachtung im Juli 2008 bestanden habe. Auch aus den sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte lasse sich ein früherer Zeitpunkt des Eintritts einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung nicht entnehmen. Im Hinblick auf die Besserungsaussicht der Gesundheitsstörungen durch Therapie bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer.

Gegen das am 03.04.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.04.2009 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, der vom Sozialgericht als nachgewiesen angesehene Leistungsfall im Juli 2008 sei nicht nachvollziehbar, da Dr. L. im Juli 2008 den Istzustand dokumentiert habe. Selbst ausgehend von der Annahme des Sozialgerichts, es sei eine Verschlechterung im Vergleich zur Begutachtung bei Dr. Z. eingetreten, müsse dies bereits vor Juli 2008 erfolgt sein. Nicht auseinandergesetzt habe sich das Sozialgericht damit, dass sich bereits im Jahr 2004 Dr. V. mit einer vergleichbaren Diagnose wie Dr. L. geäußert habe und die Beklagte daraufhin eine Rente auf Zeit gewährt habe. Auch der Gutachter Dr. Z. habe festgestellt, dass es durch die Berentung auf Zeit nicht zu einer Besserung des Zustandsbilds, sondern zu einer Chronifizierung gekommen sei. Die Psychotherapie bei Dr. Fr. habe zu keiner Verbesserung des Gesundheitszustandes geführt. Im Übrigen seien die Diagnosen, die Dr. Fr. gestellt habe, vergleichbar mit denjenigen von Dr. L. , weshalb ihre Erkrankung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit bereits im Jahr 2006 feststehe.

Mit Bescheid vom 12.05.2009 hat die Beklagte der Klägerin eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.02.2009 bis 31.01.2012 bewilligt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.02.2009 abzuändern und die Beklagte unter weiterer Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte Dr. R. und Dr. Fr. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat angegeben, er habe die Klägerin in der Zeit von August 2005 bis Juli 2008 ca. 100 mal behandelt, an der Gesamtsituation habe sich nichts Wesentliches geändert. Auch die Verrichtung leichter Tätigkeiten bis zu sechs Stunden sei in dieser Zeit nicht möglich gewesen. Dr. Fr. hat angegeben, sie habe die Klägerin von September 2005 bis Juni 2007 insgesamt 24 mal behandelt. Am Gesamtbild habe sich auch am Ende der Therapie nichts verändert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten der ersten und zweiten Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage insoweit zu Unrecht abgewiesen, als die Klägerin damit auch die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2009 begehrt hat.

Streitgegenständlich ist vorliegend allein, ob die Klägerin auch für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2009 Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (auf Zeit) hat. Nur insoweit hat die Klägerin das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen, mit dem darüber hinaus die auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung auf Dauer und die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gerichtete Klage abgewiesen worden ist, angefochten.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach Überzeugung des Senats war die Klägerin auch im streitigen Zeitraum nicht in der Lage, selbst eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auf die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. sowie die schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte Dr. R. und Dr. Fr ... Dr. L. hat bei seiner Untersuchung der Klägerin im Juli 2008 eine chronifizierte ängstlich-depressive Verstimmung mittlerer Ausprägung, eine somatisierte Schmerzstörung mit polytopen Muskel- und Gelenkschmerzen, eine Fibromyalgie sowie eine Claustrophobie und depressive Grundpersönlichkeit festgestellt. Auf Grund der ängstlich-depressiven Verstimmung leidet die Klägerin - so Dr. L. - an einer deutlichen Antriebsminderung, einer Einengung der affektiven Schwingungsbreite, einem leichteren sozialen Rückzug, ausgeprägten vegetativen Störungen bzw. Schlafstörungen, diffusen körperlichen Beschwerden und diffusen Angstzuständen- und -attacken. Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen ist die Klägerin, wie Dr. L. nachvollziehbar dargelegt hat, nicht in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die Belastungsgrenze hat bei der Untersuchung durch Dr. L. nach dessen nachvollziehbaren Ausführungen bei etwa drei bis vier Stunden täglich gelegen. Diese quantitative Leistungsminderung wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen, denn die Beklagte hat das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen nicht angefochten und mit Bescheid vom 12.05.2009 ausgehend von einem Leistungsfall im Juli 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.02.2009 bis 31.01.2012 bewilligt.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten steht nach Überzeugung des Senats eine quantitative Minderung der Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht erst seit dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L. im Juli 2008 fest. Vielmehr ist das Leistungsvermögen der Klägerin bereits seit dem der erstmaligen Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.01.2004 bis 31.08.2006 zu Grunde liegenden Leistungsfall durchgehend in quantitativer Hinsicht gemindert. Bereits der damaligen Rentenbewilligung lagen Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet zu Grunde. So bestand nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. V. bereits im Juli 2004 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein Tinnitus aurium links, eine Anpassungsstörung und eine Dysthymia (anhaltendes chronisch ängstlich-depressives Syndrom), infolgedessen die Klägerin bereits zum damaligen Zeitpunkt - so Dr. V. - nicht in der Lage war, eine leichte körperliche Tätigkeit in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Auch im Entlassungsbericht über das stationäre Heilverfahren in der S klinik Bad B. im Juli/August 2005 wurden eine Angst- und depressive Störung, eine Claustrophobie und eine Schmerzfehlverarbeitung festgestellt. Die Auswirkungen dieser Gesundheitsstörungen äußerten sich zum damaligen Zeitpunkt nach den Ausführungen im Entlassungsbericht nahezu identisch mit den Feststellungen von Dr. L ... So war die Stimmung der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt deutlich depressiv ausgelenkt, Interesse und Konzentration sowie Schlaf waren gestört. Die Klägerin litt an Insuffizienzgefühlen, affektiven Durchbrüchen, Gereiztheit, hatte sich sozial zurückgezogen und wesentlich nur noch auf die Familie konzentriert. Im Hinblick darauf wurde das Leistungsvermögen bei Abschluss des Rehabilitationsverfahrens erst für die Zeit nach Abschluss einer ambulanten Psychotherapie auf wieder mehr als sechs Stunden täglich eingeschätzt. Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurde diese Prognose allerdings insgesamt als eher schwierig eingestuft.

Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes durch die ambulante Psychotherapie konnte nach den Angaben der behandelnden Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Fr. , die die psychotherapeutische Behandlung in der Zeit vom 15.09.2005 bis 15.06.2007 mit 24 Sitzungen durchgeführt hat, allerdings nicht erzielt werden. Vielmehr hat Dr. Fr. auf die Anfrage des Senats ausgeführt, dass sich am Gesamtbild auch am Ende der Therapie nichts verändert habe. Auch der behandelnde Allgemeinarzt Dr. R. , der die Klägerin nach seinen Angaben in der Zeit nach Abschluss des stationären Heilverfahrens im August 2005 bis zur Untersuchung durch Dr. L. im Juli 2008 ca. 100 mal behandelt hat, hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Senat ausgeführt, dass sich an der Gesamtsituation der Klägerin nichts Wesentliches geändert habe. Auch in diesem Zeitraum litt die Klägerin - so Dr. R. - unter multiplen wechselnden Schmerzen im Sinne eines Fibromyalgiesyndroms und somatisierten Schmerzsyndroms. Außerdem zeigte sie nach den Angaben von Dr. R. eine subdepressive Verstimmung, einen verlangsamten Antrieb und eine herabgesetzte emotionale Schwingungsfähigkeit. Damit entspricht der von Dr. R. für den Zeitraum von August 2005 bis Juli 2008 beschriebene Befund im Wesentlichen dem von Dr. L ... Nach der Aussage von Dr. R. war die Klägerin im fraglichen Zeitraum nicht in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Einschätzung wird gestützt durch die Ausführungen von Dr. L. , der ein auf unter sechs Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen bestätigt hat. Dabei hat sich die ängstlich-depressive Verstimmung - so Dr. L. - seit Jahren (erster nervenärztlicher Kontakt bereits 2003) und gerade nicht erst zwischen den Untersuchungen von Dr. Z. und Dr. L. entwickelt. Auch Dr. L. ist bei Wertung der Fremdanamnese und Aktenlage vom Bestehen der von ihm festgestellten Symptomatik bereits ab Mitte 2006 ausgegangen.

Aus den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. H. und Dr. Z. ergeben sich keine hinreichenden Zweifel an dem durchgehend eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin auf Grund der Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichen Gebiet.

Zwar gingen Dr. H. und Dr. Z. von einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Dies überzeugt allerdings nicht. Diagnostisch besteht zwischen Dr. H. und Dr. L. im Wesentlichen nur insoweit ein Unterschied, als Dr. H. im Juli 2007 von einer leichten Depression ausging, während Dr. L. anlässlich seiner Untersuchung im Juli 2008 eine Dysthymia mit derzeit mittelgradiger depressiver Symptomatik festgestellt hat. Die Umstände, aus denen Dr. H. eine nur leichte Depression abgeleitet hat, lassen sich allerdings nicht nachvollziehen. Eine Antriebsmattigkeit lag - so Dr. H. - auch bei ihrer Untersuchung vor. Dr. H. hat aus einem strukturierten Tagesablauf, Freude am Enkelkind und dem gepflegten modischen Äußeren der Klägerin auf das Fehlen einer schwereren psychischen Störung geschlossen. Der von Dr. H. geschilderte Tagesablauf entspricht allerdings nahezu exakt dem auch von Dr. L. wiedergegebenen Tagesablauf. Dabei fällt auf, dass die Klägerin zu Tätigkeiten im Haushalt regelmäßig ihre Tochter bzw. ihren Ehemann heranzieht, sich zwischendurch hinlegt und darüber hinaus nur noch mit dem Enkelkind spielt oder spazieren geht. Soweit Dr. H. die modische Kleidung hervorgehoben hat, liegt dies daran, dass die Klägerin - so ihre Angaben gegenüber Dr. V. - die Kleidungsstücke von ihren Kindern nach Hause gebracht bekommt, weil sie selbst nicht mehr einkaufen geht. Auf eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes kann allein daraus nicht geschlossen werden, zumal die Klägerin auch bei der Untersuchung durch Dr. V. altersentsprechend modisch gekleidet erschien. Die von Dr. H. im Rahmen der Leistungsbeurteilung angegebenen guten sozialen Kontakte zu Freunden lassen sich anhand der im Gutachten wiedergegebenen Anamnese nicht nachvollziehen, da darin - wie auch bei Dr. V. und Dr. L. - nur Kontakte zum engeren Familienkreis beschrieben werden. Insgesamt ist damit die gegenüber der Leistungseinschätzung des Dr. V. abweichende Bewertung durch Dr. H. nicht nachvollziehbar.

Auch aus den Angaben des Dr. Z. in seinem Gutachten vom Dezember 2006 kann im Hinblick auf den Gesamtverlauf nicht geschlossen werden, dass im Zeitraum zwischen Ende des stationären Heilverfahrens im August 2005 und der erneuten nervenfachärztlichen Untersuchung durch Dr. L. im Juli 2008 eine Leistungsfähigkeit bestanden hat, die die Klägerin zu einer Erwerbstätigkeit in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich in die Lage versetzt hätte. Denn Dr. Z. führte aus, dass durch die Berentung auf Zeit eine Besserung des Zustandsbildes nicht eingetreten sei, sondern stattdessen eine Chronifizierung. Damit ist allerdings bereits nicht nachvollziehbar, weshalb Dr. Z. das Leistungsvermögen der Klägerin dann im Gegensatz zu Dr. V. und den Feststellungen im Entlassungsbericht über das stationäre Heilverfahren in der S klinik Bad B. mit mindestens sechs Stunden täglich für leichte körperliche Tätigkeiten beurteilte. Auch ergeben sich aus den von Dr. Z. zum Tagesablauf der Klägerin - allerdings nur spärlich, was die Qualität und damit Überzeugungskraft seines Gutachtens zusätzlich mindert - wiedergegebenen Schilderungen keine Hinweise auf eine Verbesserung bzw. eine Steigerung des Antriebs. Denn auch bei der Untersuchung durch Dr. Z. gab die Klägerin an, dass sie im Haushalt fast nichts mehr tun könne, sie sehr schlecht schlafe; auch über soziale Kontakte über die Familie hinaus ist in diesem Zusammenhang nicht berichtet worden. Soweit Dr. Z. in seinem Gutachten ausführte, die Aussagen der Klägerin über ständig vorhandene Schmerzen seien ohne eigentlich spürbare affektive Beteiligung vorgebracht worden, deutet dies nach Überzeugung des Senats nicht auf eine fehlende tatsächliche Betroffenheit der Klägerin durch ihr Beschwerdebild hin, sondern spiegelt den bereits von Dr. V. bei seiner Untersuchung im Juli 2004 erhobenen psychischen Befund wieder. Auch zum damaligen Zeitpunkt zeigte die Klägerin - so Dr. V. - wenig Spontanäußerungen, wenig Eigeninitiative und stand nicht unter einem größeren Mitteilungsbedürfnis. Stattdessen berichtete die Klägerin bereits damals in kurzen Sätzen mit wenig Modulation und Schwingungsfähigkeit über ihre Beschwerden und zeigte sich ansonsten über weite Phasen des Gesprächs schweigsam, wirkte psychomotorisch starr, teilnahmslos und fast apathisch. Ohnehin ist nicht nachvollziehbar, warum Dr. Z. im Rahmen seiner - im Übrigen ebenfalls spärlichen, nur gut halbseitigen - Darstellung des psychischen Befundes eine voll erhaltene Schwingungsfähigkeit und affektive Schwingungsbreite behauptet, im selben Zusammenhang aber die Schmerzdarstellung als ohne spürbare affektive Beteiligung beschreibt, insoweit aber jeglichen Erklärungsversuch vermissen läst, obwohl bei Schilderung derartiger Schmerzzustände eine affektive Beteiligung zu erwarten ist und eine Auseinandersetzung hiermit angesichts der von Dr. V. dargestellten und oben wiedergegebenen Umstände angezeigt gewesen wäre. Soweit Dr. Z. eine Verschiebung der Affekte zum depressiven Pol hin vermisst, steht dies wiederum nicht ohne weiteres im Einklang mit der von ihm diagnostisch angenommenen depressiven Anpassungsstörung (vgl. S. 10 seines Gutachtens). Insgesamt lässt sich somit auf Grund der Feststellungen von Dr. Z. weder auf eine Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin noch auf eine mindestens sechsstündige Leistungsfähigkeit schließen, weshalb auf Grund des Ergebnisses der Untersuchung durch Dr. L. und der Aussagen der behandelnden Ärzte Dr. R. und Dr. Fr. feststeht, dass die Klägerin seit dem Zeitpunkt der erstmaligen Rentenbewilligung und damit auch in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgängig leistungsgemindert war.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind ausweislich des dem Bescheid der Beklagten vom 12.05.2009 beigefügten Versicherungsverlaufs erfüllt.

Die Rente ist, da es sich um die wiederholte Gewährung einer Zeitrente handelt, nahtlos ab dem auf den Wegfallmonat folgenden Kalendermonat, somit dem 01.09.2006 zu leisten (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Klägerin im Berufungsverfahren voll, im Klageverfahren aber nur teilweise obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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