L 13 AL 2887/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 2482/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 2887/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Mai 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Klägerin die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 8. Mai 2007 erfüllt.

Die 1974 geborene Klägerin arbeitete zuletzt vom 14. Dezember 1998 bis 14. Dezember 2000 versicherungspflichtig. Vom 15. Dezember 2000 bis 27. Februar 2001 bezog sie Alg. Am 26. März 2001 gebar sie J., am 7. Mai 2004 L ... Mutterschaftsgeld bezog die Klägerin nur vom 28. Februar bis 21. Mai 2001; da die Klägerin ab 26. März 2004 bei der A. nur noch familienversichert war, erhielt sie wegen der Geburt von L. kein Mutterschaftsgeld.

Am 22. März 2007 meldete sich die Klägerin arbeitslos "ggf. erst mit Wirkung zum 8. Mai 2007" und beantragte die Gewährung von Alg. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. April 2007 ab, da die Klägerin innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Da der Bescheid nach den Angaben der Klägerin nicht zuging - der Bescheid wurde weder zugestellt noch ist ein Absendevermerk in den Akten der Beklagten enthalten - hat sie am 14. Juni 2007 eine Zweitschrift persönlich ausgehändigt bekommen. Sogleich erhob sie Widerspruch mit der Begründung, ihr zweites Kind habe bereits am 26. April 2004 zur Welt kommen sollen. Im Hinblick auf das gesetzliche Beschäftigungsverbot sechs Wochen vor der Entbindung hätte eine Meldung bei der Beklagten keinen Sinn gemacht. Außerdem hätte sie die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass sie sich wieder melden solle. Sie legte einen Mutterpass vor, nach dem der berechnete Entbindungstermin vom 2. Mai 2004 auf den 26. April 2004 korrigiert worden ist. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und stellte darauf ab, dass die Klägerin nicht unmittelbar vor L.s Erziehung versicherungspflichtig gewesen sei. Zwischen dem Ende der Versicherungspflicht aufgrund der Erziehung von J. und der Geburt des weiteren Kindes liege mehr als ein Monat.

Am 26. Juni 2007 hat die Klägerin Klage zum SG erhoben und an ihrem Begehren festgehalten. Das SG hat Auskünfte der KKH vom 10. Dezember 2007 und der A. vom 17. Januar 2008 eingeholt. In der mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2008 hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr Alg ab 8. Mai 2007 zu gewähren. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, ab dem 8. Mai 2007 Alg - zunächst bei Arbeitslosigkeit, ab 28. Januar 2008 bei beruflicher Bildung - zu gewähren und sich darauf gestützt, dass ein Unmittelbarkeitszusammenhang bestehe, da zu berücksichtigen sei, dass ein Beschäftigungsverbot bestanden habe, weshalb eine Lücke von sechs Wochen unschädlich sei.

Gegen das der Beklagten am 27. Mai 2008 zugestellte Urteil hat sie am 19. Juni 2008 Berufung eingelegt und in der Folge damit begründet, dass kein Anlass bestehe, den zeitlichen Zusammenhang weiter auszudehnen als dies die herrschende Literatur tue, die von einer maximalen Frist von vier Wochen bzw. einem Monat ausgehen, da der Gesetzgeber in seiner Diktion äußerst restriktiv sei. Das SG habe in unzulässiger Weise über den Umweg der Verfügbarkeit diesen Begriff ausgedehnt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das ihrer Ansicht nach zutreffende Urteil des SG und führt ergänzend aus, dass bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass der ursprüngliche Entbindungstermin bereits auf den 26. April 2004 bestimmt gewesen sei. Damit habe sie darauf vertrauen dürften, dass eine Versicherungspflicht fortbestehe. Soweit ein Monatszeitraum genannt werde, handele es sich nur um einen Richtwert, keinesfalls um eine starre und strikte Grenze. Schließlich habe die Klägerin auch keine Tätigkeit mehr aufnehmen dürfen.

Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin die Wartezeitauskunft der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 2. April 2009, nach der ihr die Kindererziehungszeit für L. zugewiesen wurde, vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2009 hat die Beklagte, mit Schriftsatz vom 16. Juli 2009 hat die Klägerin das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nach dem die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu erklärt haben.

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässige (§ 151 SGG) Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin ab 8. Mai 2007 Alg zu gewähren, da diese keinen Anspruch auf Gewährung von Alg hat, weshalb der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist.

Anspruch auf Alg nach § 117 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I , 2848) haben gem. § 118 Abs. 1 SGB III in der genannten Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Die Klägerin hat sich am 22. März 2007, ggf. mit Wirkung zum 8. Mai 2007 arbeitslos gemeldet (§§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 122 Abs. 1 SGB III). Ferner war die Klägerin auch arbeitslos im Sinne des § 119 Abs. 1 SGB III. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, sich bemüht seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Arbeitslosigkeit setzt damit nicht nur Beschäftigungslosigkeit, sondern auch Verfügbarkeit voraus. Merkmal der Verfügbarkeit sind die Arbeitsfähigkeit und die ihr entsprechende Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen. Nach § 119 Abs. 5 SGB III steht den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens fünfzehn Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, bereit ist, jede Beschäftigung anzunehmen und auszuüben und bereit ist an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Arbeitsleben teilzunehmen. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Klägerin beschäftigungslos und verfügbar war. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin - entgegen ihrer Erklärung im Antrag - nicht bereit und in der Lage war, noch zwanzig Stunden wöchentlich zu arbeiten (s. a. § 120 Abs. 4 SGB III). Insbesondere gibt es keine Zweifel daran, dass die Kinderbetreuung in diesem Umfang gesichert wäre.

Indes ist die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate, d.h. 360 Tage (§ 339 Satz 2 SGB III), in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§§ 434j Abs. 3, 123 Satz 1 SGB III in der vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2009 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt [BGBl I, 2003, 2954]). Gem. § 124 Abs. 1 SGB III in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung einer sonstigen Voraussetzung für den Anspruch auf Alg. Der Senat kann offen lassen, ob die Arbeitslosmeldung zum 22. März 2007 oder zum 8. Mai 2007 erfolgt ist, denn in beiden Fällen liegt innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist keine Versicherungspflichtzeit vor. Die Rahmenfrist umfasst entweder den Zeitraum vom 8. Mai 2005 bis 7. Mai 2007 oder den Zeitraum vom 22. März 2005 bis 21. März 2007. Die Klägerin hat in dieser Zeit nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis nach § 24 Abs. 1 Alternative 2 i.V.m. § 26 Abs. 2a SGB III gestanden. Gem. § 26 Abs. 2a SGB III in der ab dem 1. Januar 2004 des Vierten Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 19. November 2004 (BGBl I, S. 2902) geltenden Fassung sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren, eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt haben, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach diesem Buch unterbrochen hat, und sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten oder bei Aufenthalt im Ausland Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz oder Bundeskindergeldgesetz haben oder ohne die Anwendung des § 64 oder § 65 des Einkommensteuergesetzes oder des § 3 oder § 4 des Bundeskindergeldgesetzes haben würden. Dies gilt nur für Kinder des Erziehenden, seines nicht dauernd getrennte lebenden Ehegatten oder seines nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartners. Haben mehrere Personen ein Kind gemeinsam erzogen, besteht Versicherungspflicht nur für die Person, der nach den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 56 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]). Nach § 26 Abs. 3 Satz 5 SGB III ist jedoch nicht versicherungspflichtig, wer nach anderen Vorschriften dieses Buches versicherungspflichtig ist oder während der Zeit der Erziehung Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat, wobei Satz 3 unberührt bleibt. Nach § 26 Abs. 3 Satz 3 SGB III ist nicht wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld nach Abs. 2 Nr. 1 versicherungspflichtig, wer nach Abs. 2a versicherungspflichtig ist.

Die Klägerin hat in den o.g. Rahmenfristen keine Versicherungspflicht aufzuweisen, denn der Kindererziehungszeit für L. vom 7. Mai 2004 bis 6. Mai 2007 ist keine hier allein in Betracht kommende Versicherungspflicht unmittelbar vorausgegangen. Der Senat lässt offen, ob unmittelbar vor der Kindererziehungszeit versicherungspflichtig nur derjenige ist, der am Tag vor der Geburt des Kindes einen Tatbestand der Versicherungspflicht erfüllt (so Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 Rdnr. 103), denn eine -wie hier- längere Zeitspanne als ein Monat ist mit diesem Begriff nicht mehr zu vereinbaren (s. Timme in Hauck/Noftz, § 26 SGB III Rdnrn. 46, 18, 37; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. August 2008, L 3 AL 76/07; Brand in Niesel, SGB III, 4. Auflage, § 26 Rdnr. 22; Wagner in GK-SGB III, § 26 Rdnrn. 37, 25; Reinhard in Lehr- und Praxiskommentar, SGB III, § 26 Rdnr. 17; Scheidt in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 3. Auflage, § 26 Rdnrn. 49, 40; Fuchs in Gagel, SGB III, § 26 Rdnr. 31). Dieser Zeitrahmen lässt sich -entgegen dem SG- auch nicht mit dem Argument erweitern, die Klägerin habe in dieser Zeitspanne einem Beschäftigungsverbot unterlegen. Denn diesem Gedanken trägt bereits ausreichend § 26 Abs. 2 Ziffer 1 SGB III Rechnung, wonach versicherungspflichtig Personen in der Zeit sind, für die sie von einem Leistungsträger Mutterschaftsgeld beziehen. Der Gesetzgeber knüpft damit an den tatsächlichen Bezug von Mutterschaftsgeld und gerade nicht an ein bloßes Beschäftigungsverbot an. Die Klägerin hat weder Mutterschaftsgeld bezogen, noch einen Anspruch hierauf (vgl. § 200 Reichsversicherungsordnung i.V.m. §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1, 13 des Mutterschutzgesetzes), da sie kein Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, sondern lediglich -ohne Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V])- familienversichert (§ 10 SGB V) war. Der Gesetzgeber durfte auch im Rahmen der Anwartschaft für Alg eine engere Beziehung des Versicherten zur Krankenversicherung als Zweig der gesetzlichen Sozialversicherung, nämlich die Mitgliedschaft, berücksichtigen. Nach alledem hat unmittelbar vor der Kindererziehungszeit ab 7. Mai 2004 kein Versicherungspflichtverhältnis bestanden, weshalb die Kindererziehungszeit keine Versicherungspflicht begründet, so dass innerhalb der o.g. Rahmenfristen keine Versicherungszeit vorliegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch nichts anderes daraus abgeleitet werden, dass der ursprüngliche Geburtstermin bereits am 26. April 2004 war. Denn der Gesetzgeber stellt hinsichtlich der Kindererziehungszeit als Versicherungszeit nicht auf einen voraussichtlichen Entbindungstermin, sondern auf die tatsächliche Entbindung und Erziehung ab. Schließlich ist der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Beratungsfehler nicht ersichtlich, der im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (s. hierzu Seewald in Kasseler Kommentar, vor §§ 38-47 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, Rdnr. 30 ff.) zur Anspruchsbegründung führen könnte. Denn bei der erstmaligen Vorsprache der Klägerin am 22. Februar 2007 (s. Blatt 47 der Verwaltungsakten der Beklagten) konnte an der über einmonatigen Lücke vom 26. März 2004 bis 6. Mai 2004 nichts mehr geändert werden; für eine Spontanberatung bestand keine Veranlassung, da der Beklagten die Schwangerschaft mit L. nicht zur Kenntnis gebracht worden ist. Nachdem die Klägerin keinen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit hat, hat sie auch nach §§ 117 Abs. 1 Ziff. 2, 124a SGB III keinen Anspruch auf das vom SG zugesprochene Alg bei beruflicher Weiterbildung ab 28. Januar 2008, da die Anwartschaftszeit auch zu diesem Zeitpunkt (s. Brand in Niesel, § 124a SGB III Rdnr. 6) nicht erfüllt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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