L 3 SB 2877/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 2381/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2877/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als von 50 und der Nachteilsausgleich "G" zusteht.

Der 1954 geborene Kläger beantragte bei dem Beklagten am 19.03.2007 erstmals die Fest-stellung des GdB nach § 69 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -. Hierbei gab er an, dass er Beschwerden am rechten Sprunggelenk habe sowie unter Gehörverlust des linken Ohres und Schwindel leide. Die Sprunggelenksbeschwerden seien auf einen Arbeitsunfall, die anderen Be-schwerden auf einen Unfall zurückzuführen.

Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht von Dr. R., Facharzt für Chirurgie und Unfall-chirurgie, vom 28.03.2007 und Dr. K., HNO-Arzt, vom 01.04.2007 bei. Dr. R. teilte mit, der Kläger habe ihn im März aufgesucht, da er starke Schmerzen am linken Thorax und am rechten Sprunggelenk gehabt habe. Der Kläger habe am rechten Sprunggelenk vor 18 Jahren einen Ar-beitsunfall erlitten. Nunmehr habe sich hier eine schwere Sprunggelenksarthrose gebildet. Die Schmerzen am Thorax seien auf eine Thoraxprellung mit Rippenfrakturen 6 - 9 zurückzuführen, die mit Schmerzmitteln behandelbar gewesen seien. Die Beweglichkeit im Sprunggelenk sei erheblich eingeschränkt.

Dr. K. übersandte ein Tonaudiogramm vom 05.08.2004 und teilte mit, dass das Hörvermögen links um 95 % und rechts um 30 % reduziert sei. Zusätzlich bestehe ein Tinnitus. Die MdE be-trage 35 v.H.

Der Kläger hat ergänzend einen Befundbericht von Dr. B., Chefarzt des Instituts für Röntgen-diagnostik und Nuklearmedizin des Klinikums Konstanz vom 09.03.2007 und einen Kreisärzt-lichen Untersuchungsbericht der S. Unfallversicherung vom 11.05.1992 vorgelegt. Dr. B. hat mitgeteilt, dass der Kläger jetzt erhebliche Schmerzen habe und stark hinke. Bei der bildgebenden Diagnostik habe sich viel Flüssigkeit und eine erhebliche Ergussbildung sowie eine entzündliche Veränderung des gesamten Bereichs ergeben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Befundberichts wird auf Bl. 15 und 16 der Verwaltungsakte und hinsichtlich des Inhalts des Kreisärztlichen Untersuchungsberichtes aus dem Jahr 1992 auf Bl. 12 - 14 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Der Beklagte hat weiterhin die Akte der Schweizer Unfallversicherung SUVA beigezogen.

Mit Bescheid vom 02.01.2008 hat er beim Kläger einen GdB von 40 ab Antragstellung fest-gestellt. Dabei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:

1. Schwerhörigkeit beidseits (GdB 30) 2. Funktionsbehinderungen des rechten Sprunggelenkes (GdB 20)

Hiergegen erhob der Kläger ohne Begründung Widerspruch. Im Folgenden übersandte er erneut den Befundbericht des Dr. B. vom 09.03.2007, einen Befundbericht von Dr. G., HNO-Arzt, vom 15.02.2008 sowie ein Attest von Dr. T., Fachärztin für Neurologie, vom 10.03.2008.

Dr. G. bestätigte, dass der Kläger unter Taubheit links und geringgradiger Schallempfindungs-schwerhörigkeit rechts leide.

Dr. T. gab an, der Kläger leide seit einem Schädel-Hirn-Trauma im Jahr 1998 unter Taubheit auf dem linken Ohr und einem lageabhängigen Schwindel (beim Ersteigen von Leitern) und der Schwierigkeit, auf engen Wegen zu gehen, da er dazu neige, nach links abzuweichen. Ferner bestehe bei ihm ein Karpaltunnel-Syndrom, das sich in Missempfindungen in den Fingern, vor allem nachts, äußere.

Mit Bescheid vom 15.04.2008 half der Beklagte dem Widerspruch des Klägers dahingehend ab, dass er ab Antragstellung einen GdB von 50 feststellte.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.04.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), die er am 16.06.2008 zurücknahm. Gleichzeitig kündigte er an, nach Ergehen des Widerspruchsbescheides erneut Klage erheben zu wollen. Zusätzlich machte er das Vorliegen des Nachteilsausgleichs "G" geltend.

Im Rahmen eines Telefonates teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass die letzte Kernspin-untersuchung im März 2007 gewesen sei. Der Beklagte teilte dem Kläger mit, dass er dessen Antrag auf den Nachteilsausgleich "G" in das anhängige Widerspruchsverfahren einbeziehen werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, soweit er einen höheren GdB als 50 und den Nachteilsausgleich "G" geltend gemacht hat.

Hiergegen hat der Kläger am 08.08.2008 erneut Klage zum SG mit der Begründung erhoben, er könne wegen der Sprunggelenksbeschwerden lediglich eine halbe Stunde laufen. Aufgrund der Sprunggelenksbeschwerden und aufgrund seines Schwindels sei auch ein GdB von 60 gegeben. Zur weiteren Begründung hatte er erneut die Befundberichte von Dr. B. und Dr. G. sowie das Attest von Dr. T. übersandt.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenaussagen von Dr. T., Fachärztin für Neurologie, vom 10.11.2008, Dr. R., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, vom 06.11.2008 und Dr. G., HNO-Arzt vom 18.11.2008.

Dr. T. hat die bereits im Attest vom 10.03.2008 mitgeteilten Befunde bestätigt und auf die Frage des SG nach der erheblichen Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des Klägers geantwortet, dass beim Kläger eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit gegeben sei, diese sei aber nicht wesentlich. Die Orientierungsfähigkeit des Klägers sei nicht beeinträchtigt, Anfälle lägen nicht vor. Gehhilfen würden nicht benötigt; es könnten erhebliche Strecken im Straßenverkehr zu-rückgelegt werden.

Dr. R. hat berichtet, dass sich der Kläger zuletzt am 14.06.2007 bei ihm vorgestellt habe, wes-wegen er den jetzigen Zustand ebenso wenig wie die Einschränkung der Beweglichkeit be-urteilen könne. Ergänzend hat er einen Befundbericht des Klinikums Konstanz vom 16.04.2007 übersandt, in welchem eine gute Funktion des oberen Sprunggelenks mit einer Extension/Flexion von 15 Grad - 0 Grad - 25 Grad und 3/5 des Funktionswerts bei In-/Eversionsbewegung im unte-ren Sprunggelenk bescheinigt wurde.

Dr. G. hat seine bereits im Befundbericht vom 15.02.2008 mitgeteilten Befunde bestätigt. Darü-ber hinaus hat er ausgeführt, dass diese Beschwerden seiner Meinung nach mit einem GdB von 25 zu bewerten seien.

Der Kläger hat daraufhin vorgetragen, die Antwort von Dr. T. sei unklar und missverständlich. Sie habe die Frage des SG nach dem Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Be-wegungsfähigkeit bejaht, dann aber ausgeführt, dass die Bewegungsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt sei. Aus diesem Grund sei ein Sachverständigengutachten von Amts wegen einzu-holen.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 21.04.2009 die Klage abgewiesen. Beim Kläger liege le-diglich ein GdB von 50 vor, der sich aus den Teil-GdB-Werten von 30 für die Schwerhörigkeit, 20 für die Einschränkung der Beweglichkeit des Sprunggelenks und 20 wegen Gleichgewichts-störungen zusammensetze. Auch die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" lägen nicht vor, denn nach den medizinischen Befunden und den Auskünften der behandelnden Ärzte Dres. T., R. und G. liege keine wesentliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Stra-ßenverkehr vor. Weitere Ermittlungen seien daher nicht angezeigt. Bei der Antwort "ja" zu Be-ginn der Beantwortung der Beweisfrage durch Dr. T. sei dieser ersichtlicherweise ein Schreib-versehen unterlaufen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.05.2009 Berufung mit der Begründung ein-gelegt, das SG habe durch den Erlass des Gerichtsbescheides sein rechtliches Gehör verletzt. Auch hätte es angesichts der unklaren Aussage von Dr. T. zwingend von Amts wegen ein Gut-achten einholen müssen. Gleichzeitig hat der Kläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Klägervertreters beantragt.

Mit Beschluss vom 03.08.2009 hat der Senat die Gewährung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. April 2009 aufzuheben, die Bescheide des Beklagten vom 02. Januar 2008 und vom 15. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 abzuändern und den Beklagten zu ver-urteilen, einen GdB von 60 sowie den Nachteilsausgleich "G" ab 19. März 2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wird zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid ist zutreffend, die Bescheide des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sind nicht zu beanstanden.

Dem Kläger steht nach der Überzeugung des Senates weder ein höherer GdB als von 50 noch der Nachteilsausgleich "G" zu.

Das SG hat die entscheidungserheblichen Rechtsgrundlagen, insbesondere die ab 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 und die dazugehörige Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) zutreffend dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend führt der Senat aus, dass der GdB von 50 im Falle des Klägers angemessen und auch ausreichend ist.

Der Kläger leidet zunächst unter einer Taubheit des linken Ohres sowie unter geringen Schall-empfindungsstörungen des rechten Ohres. Einen Tinnitus hat der zuletzt behandelnde HNO-Arzt Dr. G. nicht mehr festgestellt. Nach der unter Teil B Nr. 5.2.4 der VMG (S. 35) aufgeführten Tabelle führt geringgradige Schwerhörigkeit des einen und Taubheit des anderen Ohres zu einem GdB von 30. Diesen hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid auch festgesetzt.

Infolge des Schädel-Hirn-Traumas leidet der Kläger zudem unter lagerungsabhängigem Schwin-del. Nach Teil B Nr. 5.3 VMG (S. 36) sind Gleichgewichtsstörungen mit leichten Folgen mit einem GdB von 20 zu bewerten. Angesichts der Tatsache, dass der Schwindel lageabhängig ist und nur bei Steigen auf Leitern auftritt, erscheint dem Senat die hier von dem Beklagten ge-troffene Einstufung durchaus als eher großzügig, sehen doch die VMG unter Nr. 5.3 bei Schwindel bei außergewöhnlichen Betätigungen (z.B. auf Gerüsten) als Gleichgewichts-störungen ohne wesentliche Folgen an und bewerten diese auch lediglich mit einem GdB von 0 - 10.

Weiterhin besteht beim Kläger noch eine Bewegungseinschränkung im Sprunggelenk rechts, wobei ausweislich des Befundberichtes des Klinikums Konstanz von einer Flexion von 15 Grad und einer Extension von 25 Grad auszugehen ist. Nach Teil B Nr. 18.14 VMG (S. 101) setzt eine Bewegungseinschränkung des Sprunggelenkes mittleren Grades, die mit einem GdB von 10 zu bewerten ist, voraus, dass eine Flexion nicht (Wert 0 Grad) und eine Extension von etwa 30 Grad möglich ist. Insoweit kann der Kläger zwar eine Flexion von 15 Grad ausführen, seine Extension ist mit 25 Grad jedoch etwas geringer. Die Bewegungseinschränkung ist daher nur grenzwertig in diesen Bereich einzustufen, spricht doch das Klinikum Konstanz von guter Beweglichkeit des Sprunggelenks. Die von dem Beklagten vorgenommene Einstufung in den Bereich der Be-wegungseinschränkung stärkeren Grades mit einem GdB von 20 erscheint dem Senat daher eher großzügig, ebenso wie die Bildung des Gesamt-GdB.

Angesichts Teil A Nr. 3d aa) der VMG konnte hier jedoch wegen voneinander unabhängiger Funktionsbeeinträchtigungen, die sich nicht überschneiden, insgesamt die Schwerbehinderten-eigenschaft festgestellt werden, jedoch kein höherer GdB.

Auch die medizinischen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" sind nicht gegeben. Es liegt keine wesentliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr vor.

Nach der Auffassung des Senats kann insoweit dahinstehen, ob die Regelung unter Teil D Nr. 1 der VMG zum Nachteilsausgleich "G" mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig ist, weil § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) naturgemäß nicht auf die in SGB IX geregelte Nachteilsausgleiche verweist (Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 9), da die VMG die Grundsätze der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) inhaltsgleich ohne Schlechterstellung für den Kläger über-nommen haben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 - in ju-ris.de).

Nach der Überzeugung des Senats ist der Kläger auch noch in der Lage, Strecken im Ortsver-kehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, in angemessener Zeit zurückzulegen.

Dies ergibt sich aus seinen eigenen Angaben, nämlich eine halbe Stunde am Stück gehen zu können, wie auch aus dem Befundbericht des Klinikums Konstanz sowie aus den vom SG ein-geholten Arztauskünften von Dr. T., Dr. R. und Dr. G ... Dr. T. und Dr. G. haben mitgeteilt, dass eine wesentliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers nicht vorliege. Dr. R. hat mitgeteilt, dass ihn der Kläger seit Juni 2007 nicht mehr aufgesucht habe. Hieraus vermag der Senat lediglich den Schluss zu ziehen, dass die Schmerzen des Klägers im März 2007 auf ein akutes Entzündungsstadium zurückzuführen waren, die sich mittlerweile erheblich gebessert haben, da er andernfalls weiterhin chirurgische oder orthopädische Behandlung in Anspruch ge-nommen hätte.

Dr. T.s Aussage war wie bereits im PKH-Beschluss vom 03.08.2009 ausgeführt, auch nicht wi-dersprüchlich. Mit ihrer Antwort hat Dr. T. lediglich ausführen wollen, dass der Kläger in seiner Beweglichkeit zwar beeinträchtigt, nicht aber wesentlich, d.h. in dem für den angestrebten Nach-teilsausgleich erforderlichen Maß, beeinträchtigt ist.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen erscheinen dem Senat angesichts der doch recht deut-lichen Aussagen der behandelnden Ärzte nicht angezeigt.

Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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