Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3674/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3422/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger der Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) zusteht.
Bei dem 1964 geborenen Kläger stellte der Beklagte auf dessen Erstantrag mit Bescheid vom 02.06.2004 ab 01.05.2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie den Nachteils-ausgleich "G" fest. Die Feststellung weiterer Nachteilsausgleiche lehnte er in dem Bescheid ab. Dabei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Bandscheibenschaden Neurogene Muskelatrophie
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies er mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 18.08.2004 zurück.
Am 14.10.2005 beantragte der Kläger eine Erhöhung des GdB, da sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Sein Gehvermögen habe sich weiter verschlechtert, er könne sich nur noch mit Hilfe eines Gehstockes fortbewegen.
Der Beklagte forderte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. T. an. Dieser teilte unter dem 24.10.2005 mit, der Kläger leide unter einem schweren Guillain-Barrè-Syndrom mit polyneuropathisch ataktischer Gangstörung. Er sei für einige Schritte ohne Stock gehfähig, es bestehe jedoch eine starke Schwindelsymptomatik. Er sei sehr motiviert und gehe unter großen Anstrengungen nach wie vor seiner Arbeit bei der Firma G. nach. Es sei zu keiner weiteren Verbesserung der Gehfähigkeit gekommen. Die Folgen eines lumbalen Bandscheibenvorfalls mit Schmerzsymptomatik bestünden ebenfalls fort.
Mit Bescheid vom 19.12.2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erhöhung des GdB ab, da keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und legte einen weiteren Befundbericht von Dr. T. vom 09.01.2006 vor, in welchem dieser mitteilte, dass sich die Gehfähigkeit des Klägers seit der letzten Rehamaßnahme in der Rehaklinik K. wesentlich verschlechtert habe. Damals habe die ebenerdige Gehstrecke einen Kilometer betragen, nunmehr könne der Kläger mit dem Stock nur noch 100 Meter am Stück gehen. Hinzu komme die Schwindelsymptomatik des Klägers und die depressive Begleiterkrankung.
Am 12.01.2006 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor und beantragte zusätzlich den Nachteilsausgleich "aG".
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit Bescheid vom 29.03.2006 lehnte sie die Feststellung des Nachteilsausgleiches "aG" ab, da dessen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Hiergegen erhob der Kläger ebenfalls Widerspruch.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 21.04.2006 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), die das SG mit Gerichtsbescheid vom 12.03.2007 zurückwies. Im Rahmen des sich anschließenden Berufungsverfahrens (L 6 SB 1862/07) zog das Landessozialgerichts Baden-Württemberg einen Rehaentlassungsbericht der Klinik K. vom 24.04.2007 bei.
Hierin wurden folgende Diagnosen gestellt:
1. Schlaffe, distal betonte Tetraparese mit ausgeprägter ataktischer Gangstörung bei Verdacht auf CIPD (chronische inflammatorische demyelisierende Polyneuropathie). 2. Leichte Hypercholesterinämie.
In der Rehabilitation war dem Kläger nur eine Gehstrecke von 200 Metern möglich. Die Gehfähigkeit war infolge der Tetraparese mit ausgeprägter ataktischer Gangstörung erheblich eingeschränkt.
Daraufhin bot der Beklagte im Wege des Vergleichs an, beim Kläger ab 14.10.2005 einen GdB von 70 festzustellen. Falls vom Kläger beantragt, stellte der Beklagte in Aussicht, auch den Nachteilsausgleich "B" festzustellen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot an und erklärte den Rechtsstreit damit für erledigt.
Bereits am 25.10.2007 hatte er bei dem Beklagten beantragt, den GdB zu erhöhen sowie die Nachteilsausgleiche "aG", "B" und "RF" festzustellen. Hierzu legte er ein Attest der Reha-Klinik K. vom 12.04.2007 sowie einen Befundbericht der Neurologischen Universitätsklinik Ulm vom 30.05.2008 vor. Hinsichtlich deren Inhalt wird auf Blatt 117 und Bl. 133 der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Mit Bescheid vom 26.03.2008 führte der Beklagte zunächst den Vergleich aus und stellte ab 14.10.2005 beim Kläger einen GdB von 70 fest.
Daraufhin zog er den Rehaentlassungsbericht der Kliniken S., O., vom 29.07.2008 bei, in welchen sich der Kläger vom 23.06.2008 bis zum 28.07.2008 stationär aufgehalten hatte. Die Kliniken S. stellten bei Entlassung des Klägers folgende Diagnosen:
1. Schlaffe beinbetonte Tetraparese. 2. Verdacht auf spinale Muskelatrophie.
In der Rehaklinik war dem Kläger der freie Stand nicht möglich. Das Gehen war ihm nur an Unterarmgehstützen mit Rekurvation beider Beine möglich. Zur Physiotherapie in der Rehabilitation kam der Kläger mit einem Rollator, die Gehstrecke betrug anfangs 80 Meter, Treppensteigen war mit Hilfe der Arme gerade noch möglich. Bei Entlassung konnte die Gehstrecke auf 150 Meter gesteigert werden.
Mit Bescheid vom 20.08.2008 stellte der Beklagte ab 25.10.2007 beim Kläger einen GdB von 80 fest, wobei er nunmehr von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausging:
Neurogene Muskelatrophie Organisches Nervenleiden Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Bandscheibenschaden
Zusätzlich stellte er die Nachteilsausgleiche "B" und "aG" fest. Die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" lehnte er ab, da die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 21.08.2008 Widerspruch mit der Begründung, dass er aufgrund seines Leidens und seiner starken Schmerzen nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, zumal Gebäude oft nicht behindertengerecht gebaut seien und er die Veranstaltungsorte daher nicht erreichen könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da der Kläger trotz seiner Erkrankung an der Teilnahme von öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig gehindert sei.
Dagegen hat der Kläger am 12.12.2008 Klage zum SG mit der Begründung erhoben, er sei von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, da er keine Treppen steigen könne. Ihm sei zudem faktisch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich, da ihm die Krankenkasse keine Begleitperson stelle.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage von Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin, vom 24.02.2009.
Dr. R. hat angegeben, der Kläger könne öffentliche Veranstaltungen besuchen, benötige hierfür jedoch einen Rollstuhl und eine Begleitperson, da er lediglich eine Strecke bis 50 Meter mit dem Rollator zurücklegen und keine Treppen steigen könne. Sie hat neben anderen bereits in den Verwaltungsakten des Beklagten vorhandenen Fremdbefunden einen Befundbericht der Universitätsklinik, Neurozentrum - Tagesklinik, in F. vom 02.10.2008 vorgelegt. Hiernach war dem Kläger zu diesem Zeitpunkt eine Gehstrecke von 150 bis 200 Meter mit zwei Unterarmgehstützen möglich, nach kurzer Pause nochmals diese Distanz. Autofahren mit einer Gangschaltung war dem Kläger möglich. Freies dynamisches Stehen war mit leichter Unsicherheit möglich. Die Arbeitstätigkeit im Dreischichtenbetrieb habe der Kläger bis 21.05.2008 ausgeübt, nun arbeite er nicht mehr. Geplant sei der Wiedereinstieg auf einer halben Stelle.
Ergänzend hat der Kläger einen Arztbericht von Dr. I., Neurologe und Psychiater, vom 08.05.2009 und einen weiteren Befundbericht der Universitätsklinik F. - Neurozentrum - Ambulanz vom 25.03.2009 vorgelegt.
Dr. I. hat berichtet, dem Kläger gelinge das Aufrichten aus dem Sitzen nur mühsam, das Gehen sei ebenfalls nur mühsam für 30 bis 40 Meter am Stück möglich. Treppensteigen gelinge nicht mehr.
Die Universitätsklinik F. hat mitgeteilt, dass der Kläger nunmehr 50% am Vormittag arbeite und ein bis zwei Mal in der Woche zur Physiotherapie und zum Schwimmen gehe. Bei den tiefen Transfers benötige er Hilfe; die Gehstrecke betrage maximal 30 Meter.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar durch seine Erkrankung in der Fortbewegung erheblich eingeschränkt, allerdings sei er dadurch nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihm sei mit Rollator bzw. Rollstuhl und Begleitperson die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich. Dies zeige sich insbesondere auch daran, dass der Kläger halbtags berufstätig sei.
Gegen den ihm am 02.07.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.07.2009 Berufung erhoben.
Zur Begründung hat er vorgebracht, dass eine Teilnahme an Veranstaltungen für ihn lediglich theoretisch möglich sei, nicht aber tatsächlich. Er benötige mit Rollator bzw. Rollstuhl die dreifache Anfahrtsdauer eines Gesunden; dies sei ihm nicht zuzumuten. Die Verweisung auf eine Begleitperson sei unrealistisch, da ihm von den Sozialbehörden keine Begleitperson gestellt werde. Seine Ehefrau könne ihn nicht begleiten, da sie auf die vier gemeinsamen Kinder aufpassen müsse.
Ergänzend hat der Kläger einen weiteren Befundbericht der Universitätsklinik F., Neurozentrum - Ambulanz, vom 06.08.2009 vorgelegt. Hinsichtlich deren Inhalt wird auf Blatt 19 der Senatsakte Bezug genommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 29. Juni 2009 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte erachtet den Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Kläger sei nicht an der Teilnahme von öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Er sei berufstätig und gehe ein bis zwei Mal in der Woche zum Schwimmen.
Die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wird zur weiteren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Entscheidung des SG ist zutreffend, die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF" liegen beim Kläger nicht vor. Nach § 69 Abs. 1 des am 01.07.2002 in Kraft getretenen Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen RF einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) vom 31.08.1991, gültig ab 01.03.2007, werden von der Rundfunkgebührenpflicht behinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Der Kläger ist nach der Überzeugung des Senats wegen seines Leidens nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - SozR 3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - SozR 3-3780 § 4 Nr. 7).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - ist eine Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden "allgemein" und "umfassend" von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, verbietet. Der Betroffene muss vielmehr behinderungsbedingt am Besuch eines nennenswertes Teiles aller üblichen Veranstaltungen gehindert sein (BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 in juris.de).
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Der Kläger leidet unter einer Muskelatrophie der Beine, die mit einer Tetraparese und einem ataktischen Gangbild einhergehen. Aufgrund dieser Erkrankung ist die Gehfähigkeit des Klägers erheblich eingeschränkt. Mit Hilfe eines Rollators ist er in der Lage 30 bis 40 Meter am Stück zurückzulegen. Für längere Strecken benötigt er einen Rollstuhl. Treppensteigen ist ihm nicht mehr möglich.
Er ist jedoch in der Lage, mit Rollator bzw. mit Rollstuhl und Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Überzeugung des Senats stützt sich insoweit maßgeblich auf die Auskunft der behandelnden Internistin Dr. R. im erstinstanzlichen Verfahren. Auch diese hat ausgeführt, dass der Kläger mit diesen Hilfsmitteln an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Gestützt wird die Überzeugung des Senats ferner von der Tatsache, dass der Kläger nach wie vor vormittags eine vierstündige Berufstätigkeit ausübt und sich zur Erreichung des Arbeitsplatzes eines PKW mit Gangschaltung bedient. Ausweislich des Befundberichtes des Universitätsklinikums F. vom 25.03.2009 sucht er auch ein bis zwei Mal wöchentlich die Physiotherapie und das Schwimmbad auf. Der Kläger ist daher nicht gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Auf das Fehlen einer Begleitperson kann sich der Kläger insoweit nicht berufen (BSG Urteil vom 03.06.1987 - 9 a RVs 27/85 in juris.de). Auch der Einwand des Klägers, die dreifache Anfahrtsdauer eines Gesunden zu benötigen, vermag nicht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" zu begründen, denn eine längere Anfahrtsdauer führt keineswegs zur Unmöglichkeit, an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen. Darüber hinaus erscheint der Vortrag des Klägers wenig glaubhaft, verfügt der Kläger doch über das Merkzeichen "aG" welches ihn dazu berechtigt, auf einem Behindertenparkplatz in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsorts zu parken.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob dem Kläger der Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) zusteht.
Bei dem 1964 geborenen Kläger stellte der Beklagte auf dessen Erstantrag mit Bescheid vom 02.06.2004 ab 01.05.2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie den Nachteils-ausgleich "G" fest. Die Feststellung weiterer Nachteilsausgleiche lehnte er in dem Bescheid ab. Dabei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Bandscheibenschaden Neurogene Muskelatrophie
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies er mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 18.08.2004 zurück.
Am 14.10.2005 beantragte der Kläger eine Erhöhung des GdB, da sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Sein Gehvermögen habe sich weiter verschlechtert, er könne sich nur noch mit Hilfe eines Gehstockes fortbewegen.
Der Beklagte forderte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. T. an. Dieser teilte unter dem 24.10.2005 mit, der Kläger leide unter einem schweren Guillain-Barrè-Syndrom mit polyneuropathisch ataktischer Gangstörung. Er sei für einige Schritte ohne Stock gehfähig, es bestehe jedoch eine starke Schwindelsymptomatik. Er sei sehr motiviert und gehe unter großen Anstrengungen nach wie vor seiner Arbeit bei der Firma G. nach. Es sei zu keiner weiteren Verbesserung der Gehfähigkeit gekommen. Die Folgen eines lumbalen Bandscheibenvorfalls mit Schmerzsymptomatik bestünden ebenfalls fort.
Mit Bescheid vom 19.12.2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erhöhung des GdB ab, da keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und legte einen weiteren Befundbericht von Dr. T. vom 09.01.2006 vor, in welchem dieser mitteilte, dass sich die Gehfähigkeit des Klägers seit der letzten Rehamaßnahme in der Rehaklinik K. wesentlich verschlechtert habe. Damals habe die ebenerdige Gehstrecke einen Kilometer betragen, nunmehr könne der Kläger mit dem Stock nur noch 100 Meter am Stück gehen. Hinzu komme die Schwindelsymptomatik des Klägers und die depressive Begleiterkrankung.
Am 12.01.2006 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor und beantragte zusätzlich den Nachteilsausgleich "aG".
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit Bescheid vom 29.03.2006 lehnte sie die Feststellung des Nachteilsausgleiches "aG" ab, da dessen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Hiergegen erhob der Kläger ebenfalls Widerspruch.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 21.04.2006 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), die das SG mit Gerichtsbescheid vom 12.03.2007 zurückwies. Im Rahmen des sich anschließenden Berufungsverfahrens (L 6 SB 1862/07) zog das Landessozialgerichts Baden-Württemberg einen Rehaentlassungsbericht der Klinik K. vom 24.04.2007 bei.
Hierin wurden folgende Diagnosen gestellt:
1. Schlaffe, distal betonte Tetraparese mit ausgeprägter ataktischer Gangstörung bei Verdacht auf CIPD (chronische inflammatorische demyelisierende Polyneuropathie). 2. Leichte Hypercholesterinämie.
In der Rehabilitation war dem Kläger nur eine Gehstrecke von 200 Metern möglich. Die Gehfähigkeit war infolge der Tetraparese mit ausgeprägter ataktischer Gangstörung erheblich eingeschränkt.
Daraufhin bot der Beklagte im Wege des Vergleichs an, beim Kläger ab 14.10.2005 einen GdB von 70 festzustellen. Falls vom Kläger beantragt, stellte der Beklagte in Aussicht, auch den Nachteilsausgleich "B" festzustellen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot an und erklärte den Rechtsstreit damit für erledigt.
Bereits am 25.10.2007 hatte er bei dem Beklagten beantragt, den GdB zu erhöhen sowie die Nachteilsausgleiche "aG", "B" und "RF" festzustellen. Hierzu legte er ein Attest der Reha-Klinik K. vom 12.04.2007 sowie einen Befundbericht der Neurologischen Universitätsklinik Ulm vom 30.05.2008 vor. Hinsichtlich deren Inhalt wird auf Blatt 117 und Bl. 133 der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Mit Bescheid vom 26.03.2008 führte der Beklagte zunächst den Vergleich aus und stellte ab 14.10.2005 beim Kläger einen GdB von 70 fest.
Daraufhin zog er den Rehaentlassungsbericht der Kliniken S., O., vom 29.07.2008 bei, in welchen sich der Kläger vom 23.06.2008 bis zum 28.07.2008 stationär aufgehalten hatte. Die Kliniken S. stellten bei Entlassung des Klägers folgende Diagnosen:
1. Schlaffe beinbetonte Tetraparese. 2. Verdacht auf spinale Muskelatrophie.
In der Rehaklinik war dem Kläger der freie Stand nicht möglich. Das Gehen war ihm nur an Unterarmgehstützen mit Rekurvation beider Beine möglich. Zur Physiotherapie in der Rehabilitation kam der Kläger mit einem Rollator, die Gehstrecke betrug anfangs 80 Meter, Treppensteigen war mit Hilfe der Arme gerade noch möglich. Bei Entlassung konnte die Gehstrecke auf 150 Meter gesteigert werden.
Mit Bescheid vom 20.08.2008 stellte der Beklagte ab 25.10.2007 beim Kläger einen GdB von 80 fest, wobei er nunmehr von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausging:
Neurogene Muskelatrophie Organisches Nervenleiden Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Bandscheibenschaden
Zusätzlich stellte er die Nachteilsausgleiche "B" und "aG" fest. Die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" lehnte er ab, da die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 21.08.2008 Widerspruch mit der Begründung, dass er aufgrund seines Leidens und seiner starken Schmerzen nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, zumal Gebäude oft nicht behindertengerecht gebaut seien und er die Veranstaltungsorte daher nicht erreichen könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da der Kläger trotz seiner Erkrankung an der Teilnahme von öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig gehindert sei.
Dagegen hat der Kläger am 12.12.2008 Klage zum SG mit der Begründung erhoben, er sei von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, da er keine Treppen steigen könne. Ihm sei zudem faktisch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich, da ihm die Krankenkasse keine Begleitperson stelle.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage von Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin, vom 24.02.2009.
Dr. R. hat angegeben, der Kläger könne öffentliche Veranstaltungen besuchen, benötige hierfür jedoch einen Rollstuhl und eine Begleitperson, da er lediglich eine Strecke bis 50 Meter mit dem Rollator zurücklegen und keine Treppen steigen könne. Sie hat neben anderen bereits in den Verwaltungsakten des Beklagten vorhandenen Fremdbefunden einen Befundbericht der Universitätsklinik, Neurozentrum - Tagesklinik, in F. vom 02.10.2008 vorgelegt. Hiernach war dem Kläger zu diesem Zeitpunkt eine Gehstrecke von 150 bis 200 Meter mit zwei Unterarmgehstützen möglich, nach kurzer Pause nochmals diese Distanz. Autofahren mit einer Gangschaltung war dem Kläger möglich. Freies dynamisches Stehen war mit leichter Unsicherheit möglich. Die Arbeitstätigkeit im Dreischichtenbetrieb habe der Kläger bis 21.05.2008 ausgeübt, nun arbeite er nicht mehr. Geplant sei der Wiedereinstieg auf einer halben Stelle.
Ergänzend hat der Kläger einen Arztbericht von Dr. I., Neurologe und Psychiater, vom 08.05.2009 und einen weiteren Befundbericht der Universitätsklinik F. - Neurozentrum - Ambulanz vom 25.03.2009 vorgelegt.
Dr. I. hat berichtet, dem Kläger gelinge das Aufrichten aus dem Sitzen nur mühsam, das Gehen sei ebenfalls nur mühsam für 30 bis 40 Meter am Stück möglich. Treppensteigen gelinge nicht mehr.
Die Universitätsklinik F. hat mitgeteilt, dass der Kläger nunmehr 50% am Vormittag arbeite und ein bis zwei Mal in der Woche zur Physiotherapie und zum Schwimmen gehe. Bei den tiefen Transfers benötige er Hilfe; die Gehstrecke betrage maximal 30 Meter.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar durch seine Erkrankung in der Fortbewegung erheblich eingeschränkt, allerdings sei er dadurch nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihm sei mit Rollator bzw. Rollstuhl und Begleitperson die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich. Dies zeige sich insbesondere auch daran, dass der Kläger halbtags berufstätig sei.
Gegen den ihm am 02.07.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.07.2009 Berufung erhoben.
Zur Begründung hat er vorgebracht, dass eine Teilnahme an Veranstaltungen für ihn lediglich theoretisch möglich sei, nicht aber tatsächlich. Er benötige mit Rollator bzw. Rollstuhl die dreifache Anfahrtsdauer eines Gesunden; dies sei ihm nicht zuzumuten. Die Verweisung auf eine Begleitperson sei unrealistisch, da ihm von den Sozialbehörden keine Begleitperson gestellt werde. Seine Ehefrau könne ihn nicht begleiten, da sie auf die vier gemeinsamen Kinder aufpassen müsse.
Ergänzend hat der Kläger einen weiteren Befundbericht der Universitätsklinik F., Neurozentrum - Ambulanz, vom 06.08.2009 vorgelegt. Hinsichtlich deren Inhalt wird auf Blatt 19 der Senatsakte Bezug genommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 29. Juni 2009 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte erachtet den Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Kläger sei nicht an der Teilnahme von öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Er sei berufstätig und gehe ein bis zwei Mal in der Woche zum Schwimmen.
Die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wird zur weiteren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Entscheidung des SG ist zutreffend, die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF" liegen beim Kläger nicht vor. Nach § 69 Abs. 1 des am 01.07.2002 in Kraft getretenen Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen RF einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) vom 31.08.1991, gültig ab 01.03.2007, werden von der Rundfunkgebührenpflicht behinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Der Kläger ist nach der Überzeugung des Senats wegen seines Leidens nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - SozR 3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 - SozR 3-3780 § 4 Nr. 7).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - ist eine Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden "allgemein" und "umfassend" von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, verbietet. Der Betroffene muss vielmehr behinderungsbedingt am Besuch eines nennenswertes Teiles aller üblichen Veranstaltungen gehindert sein (BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 in juris.de).
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Der Kläger leidet unter einer Muskelatrophie der Beine, die mit einer Tetraparese und einem ataktischen Gangbild einhergehen. Aufgrund dieser Erkrankung ist die Gehfähigkeit des Klägers erheblich eingeschränkt. Mit Hilfe eines Rollators ist er in der Lage 30 bis 40 Meter am Stück zurückzulegen. Für längere Strecken benötigt er einen Rollstuhl. Treppensteigen ist ihm nicht mehr möglich.
Er ist jedoch in der Lage, mit Rollator bzw. mit Rollstuhl und Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Überzeugung des Senats stützt sich insoweit maßgeblich auf die Auskunft der behandelnden Internistin Dr. R. im erstinstanzlichen Verfahren. Auch diese hat ausgeführt, dass der Kläger mit diesen Hilfsmitteln an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Gestützt wird die Überzeugung des Senats ferner von der Tatsache, dass der Kläger nach wie vor vormittags eine vierstündige Berufstätigkeit ausübt und sich zur Erreichung des Arbeitsplatzes eines PKW mit Gangschaltung bedient. Ausweislich des Befundberichtes des Universitätsklinikums F. vom 25.03.2009 sucht er auch ein bis zwei Mal wöchentlich die Physiotherapie und das Schwimmbad auf. Der Kläger ist daher nicht gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Auf das Fehlen einer Begleitperson kann sich der Kläger insoweit nicht berufen (BSG Urteil vom 03.06.1987 - 9 a RVs 27/85 in juris.de). Auch der Einwand des Klägers, die dreifache Anfahrtsdauer eines Gesunden zu benötigen, vermag nicht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" zu begründen, denn eine längere Anfahrtsdauer führt keineswegs zur Unmöglichkeit, an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen. Darüber hinaus erscheint der Vortrag des Klägers wenig glaubhaft, verfügt der Kläger doch über das Merkzeichen "aG" welches ihn dazu berechtigt, auf einem Behindertenparkplatz in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsorts zu parken.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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